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XV. Die Amazonen

 

Auf jetzt, ihr Amazonen, auf zur Schlacht!
Reicht mir der Speere treffendsten, o reicht
Der Schwerter wetterflammendstes mir her!

H. v. Kleist, Penthesilea, V. Auftritt.

 

›Polyergus‹ nennt die Wissenschaft dies Ameisengeschlecht, Polyergus, die Vielarbeitende. Vermutlich deshalb, weil es überhaupt nicht arbeitet, sondern nur Krieg führt und Toilette macht. Zu jeder andern Arbeit sind die Amazonenameisen unfähig, weil ihnen etwas fehlt, das zum Arbeiten notwendig ist. Dieses Etwas nennt die Wissenschaft den Kaurand – gewiß aus dem überaus einleuchtenden Grunde, weil er zum Graben, Bauen, Mauern, kurz zu jeder Verrichtung von den Emsen benutzt wird, bloß zum Kauen niemals. Es ist so, als ob man die Hand Riechrüssel nennen wollte oder den kleinen Zeh ein Sehglied – du lieber Gott, es ist ja ein Hühnerauge drauf!

Der Kaurand ist der großgezähnte Innenrand der Oberkiefer. Bei den Amazonen ist dieser Innenrand an der obern Seite zwar auch gezähnt, doch sind die Zähnchen so klein, daß man sie nur unterm Mikroskop sehen kann. Dazu sind die Oberkiefer wie lange, gegeneinanderstehende, sehr spitze und kräftige Sicheln geformt. Es sind furchtbare Waffen, aber: zu anderem Gebrauch, als zum Waffenhandwerk sind sie völlig wertlos. Die Amazonen sind infolgedessen auf die Hilfe von Sklavinnen überall, während der ganzen Dauer ihres Lebens, angewiesen – mit einziger Ausnahme ihrer Kriegszüge. Sie sind in der Ameisenwelt die Sklavenjägerinnen von Beruf, ihr ganzer Staat ist auf das Halten großer Sklavinnenscharen aufgebaut. Wie man bei ihnen von einer Gleichberechtigung von Herrinnen und Sklavinnen sprechen kann, ist mir unbegreiflich. Wenn die Herrinnen den Kriegspfad beschreiten, bleiben die Sklavinnen zuhause; ihnen ist dafür alle Arbeit überlassen. Sie bauen die Nester, sie pflegen die Mutter-Königin und die Brut der Amazonen, wie die geraubte Brut; sie sorgen zum großen Teil für die Nahrungsbeschaffung, ja füttern die Amazonen, denn diese haben die Kunst, selbständig zu essen, verloren. Die Amazonen sind also auf die Bedienung ihrer Sklavinnen angewiesen – aber: sie haben die Kraft und die Macht, für die stete Erneuerung des ungeheuren Sklavinnenbedarfs zu sorgen. Sie verstehn es auch, bei ihren Sklavinnen die nötige Achtung zu erhalten. Zuweilen wird diesen die Arbeit, ewig ihre Herrinnen zu füttern, zuviel; namentlich, wenn sie in ihrem Kropfe selbst nichts mehr haben. Dann mögen sie, statt im Kusse der Herrin ein Futtertröpfchen zu reichen, diese unwirsch abfertigen – wie bei uns manche Köchin gelegentlich einen Koller bekommt und der Dame vom Haus einen tüchtigen Tanz aufführt. Nur: die menschliche Herrin ist dann meist froh, wenn sie heil aus der Küche herauskommt, höchstens kündigt sie der Allzufrechen. Die Amazonenherrin ist nicht so sanft – sie durchbohrt mit ihren Dolchen den Kopf der Widerspenstigen.

Die Sklavinnen der Amazonen rekrutieren sich, in Eurasien wie in Amerika, aus denselben Arten wie die Sklavinnen der Blutroten, also in der Hauptsache aus den schwarzgrauen, den rotbärtigen, den aschfarbenen Völkern sowie den diesen entsprechenden Arten auf der andern Seite der Atlantis. Der Bedarf an Sklavinnen ist bei den Amazonen freilich ein unvergleichlich viel größerer, je mehr von ihnen da sind, um so besser; man hat Staaten gefunden, die fünfzehnmal soviele Sklavinnen wie Amazonen enthielten.

 

Wenn die junge Amazonenkönigin auszieht, ihren Staat zu gründen, macht sie's zunächst wie die Hochzeiterin aus dem Geschlechte der Blutroten. Auch sie sucht eine Stadt der Grauschwarzen, der Rotbärtigen oder einer der andern Arten auf, die zum Sklavendienst sich eignen. Die Amazonenkönigin kann aber keine Brut aufziehen, weder ihre eigene noch die fremde. Möglich, daß auch sie gelegentlich von einem königinlosen Volke ohne weiteres aufgenommen wird. Alle Ameisen kennen und fürchten ja die furchtbare Sichelwaffe der Amazone; wenn sie nur ihre Kiefer, ein wenig öffnet, vermag sie schon Schrecken einzujagen. Nur ist für sie ebensowenig wie für die Blutrote eine königinlose Stadt so leicht zu finden; dazu bedarf sie zur Aufziehung ihrer Brut und als Lebensbedingung für ihr künftiges Volk nicht nur zeitweise einiger weniger, sondern dauernd möglichst vieler Sklavinnen. Sie darf sich also auf einen Kampf mit den Arbeiterinnen nach Möglichkeit nicht einlassen – jede von ihr getötete würde ja einen Verlust für sie bedeuten. Sie läßt sich infolgedessen alle Angriffe geduldig gefallen, hält höchstens durch ein drohendes Kieferöffnen die allzu scharf vorgehenden fremden Emsen in Schach. Nur, wenn es durchaus nicht anders geht, tötet sie einige. Sie sucht so bald als möglich in die königliche Kammer zu kommen, schließt dort mit der Königin treue Freundschaft. Wie sie es anstellt, sich bei dieser beliebt zu machen, entzieht sich menschlicher Vorstellung – daß sie es aber tut, steht außer Frage. Die Emsen, die sehen, wie ihre Mutter und Königin die Fremde in Gnaden und Freundschaft aufnimmt, ändern nun ihr Betragen zu ihr, eine nach der andern söhnt sich mit ihr aus, beginnt die dicht neben der alten Königin Sitzende zu füttern und pflegen. Das geht so eine Weile; immer mehr gewöhnen sich die Emsen an die Fremde. Aber eines Morgens finden sie ihre eigene Königin tot, trauernd neben ihr steht die Amazone. Ob die Emsen es bemerken, daß ihrer Mutter Kopf mit den schrecklichen Sicheln durchbohrt ist? Ob sie in verzweifelter Angst dennoch die Mörderin nun als ihre Königin anerkennen? Oder ob sie den nächtlichen Mord nicht als solchen erkennen und in der neuen Königin nur die Freundin ihrer Mutter bedienen?

Wie dem auch sei: die Tote wird hinausgeschafft; die Königinmörderin ist zur Herrscherin geworden. Eier legt sie – und ihre Brut wird großgezogen: ein neues Volk von Amazonen ist erstanden. Daneben wird auch die Brut der getöteten Königin aufgezogen: so vermehrt sich die Zahl der Sklavinnen.

Rechte Herrentöchterchen sind die jungen Amazonen. Sie kennen keine andere Beschäftigung, als sich schön zu machen, jede Arbeit ist tief unter ihrer Würde. Stundenlang putzen sie an sich herum; keine Frau der ganzen und der halben Welt verbringt so lange Zeit mit ihrer Toilette. Neben dem Sichschönmachen haben sie nur für Raufen noch Sinn; es ist, als ob sie sich vorbereiten wollten für ihre künftige Laufbahn als Kriegerinnen.

Die Kriegszüge der Amazonen sind überaus häufig. Während die Blutroten nur selten Raubzüge unternehmen, manchmal nur ein- oder ein paarmal im Jahre, ziehen die Amazonen während der Sommerzeit oft zweimal an einem Tage aus. Sorgsam kundschaften sie vorher; einzeln oder in kleinen Haufen ziehen sie dazu aus. Haben diese Kundschafterinnen ein fremdes Nest gefunden, so untersuchen sie sorgfältig die Eingänge, spähen aus, wie die fremde Stadt am besten zu nehmen sei.

Es ist sehr reizvoll, solchen Kriegszug der Amazonen zu beobachten. Ich weiß zwar nicht recht, ob das in demokratisch-pazifistischen Ländern überhaupt gestattet ist: es könnte ja, wie das ach so verderbliche Bleisoldatenspielen, in der Jugend eine Begeisterung für das Kriegshandwerk wachrufen!

Auf ihrem Neste sammeln sich die Amazonen stets in den frühen Nachmittagsstunden. Schöne Tiere sind es – soweit man bei Ameisen überhaupt von Schönheit sprechen kann. Braunrot Weibchen und Emsen, ein wenig ins Violette schimmernd; tiefschwarz die Männchen, mit weißen Flügeln. Wenn man erfahren will, was eine Ameise leisten kann, so binde man nur mit einem Amazonenvolke an. Die bösartigen Stachelameisen, die Wanderameisen, die Feuerameisen oder die bärtigen mexikanischen Ernteameisen gibt es nicht bei uns – doch mag man leicht Amazonen finden. Schon die Blutroten greifen furchtlos an und jagen manchen neugierigen Buben in die Flucht; die Amazonen mit ihren scharfen Sicheldolchen aber sind für jeden Menschen Gegner, die keineswegs zu unterschätzen sind.

Die Amazonen sammeln sich auf dem Neste, höchst aufgeregt und unruhig, alle reden miteinander in der Fühlersprache der Ameisen. Dazwischen laufen, nicht minder erwartungsvoll, die Sklavinnen herum. Zuweilen kommt es vor, daß die Sklavinnen die Kriegerinnen von ihrem Unternehmen abzubringen versuchen, sie zerren sie am Leibe und an den Füßen rückwärts in das Nest zurück. Etwas ähnliches kann man bei vielen Ameisenarten beobachten, wenn sich um die Zeit des Hochzeitsfluges die geflügelten Geschlechtstiere auf dem Neste versammeln: auch dann zerren gelegentlich die Emsen die Männchen oder Weibchen zurück in das Nest.

Was ist der Grund hierfür? Kein Mensch weiß es. Ich möchte annehmen, daß die Emsen – im Amazonenstaat die Sklavinnen – den Zeitpunkt nicht für geeignet halten, und zwar aus irgendeinem Empfinden für die Witterung. Es gibt ja eine ganze Reihe von Tieren, auch manche Menschen, die einen Wechsel der Witterung vorausahnen. Ich habe bei solchen Verhinderungen – sowohl des Hochzeitsfluges wie eines Kriegszuges der Amazonen – zuweilen feststellen können, daß in der Tat bald darauf ein Gewitter einsetzte.

Noch ein anderer Verzug kann eintreten: manchmal versuchen einzelne Emsen die Masse zu überreden, in einer Richtung auszuziehen, während andere sich die erdenklichste Mühe geben, das Heer in die entgegengesetzte Richtung zu treiben. Es sind die Kundschafterinnen: die einen haben hier, die andern dort ein Nest vom Sklavenstamme aufgefunden – jede Partei setzt sich nach Möglichkeit für ihren Plan ein. Schließlich einigt man sich, entschließt sich für den Raubzug nach Osten hin und verschiebt den nach Westen auf den nächsten Tag.

Der Amazonenzug setzt sich in Bewegung; niemals ziehen die Sklavinnen mit, dagegen zuweilen die geflügelten Weibchen. Das hat gewiß den Grund, daß diese das Gelände rings um ihre Stadt kennen lernen wollen, erfahren wollen, wo in der Nähe Städte von Sklavenstämmen sich befinden: sie benötigen solche ja unbedingt nach dem Hochzeitsfluge, um ein neues Volk zu gründen. Die Weibchen beteiligen sich nicht an dem Überfall; ja, sie verlassen den Zug, um rechts und links zu spähen und fremde Nester ihrem Gedächtnis einzuprägen. Überhaupt haben die Amazonen ein erstaunliches Erinnerungsvermögen. Nicht nur bringen die Kundschafterinnen den Heereszug stets in gerader Linie zu dem von ihnen gefundenen Neste – auch voneinander getrennte Volksgenossinnen erkennen sich noch nach langer Zeit wieder. So hat man in künstlichen Nestern Amazonen eines Stammes über ein Jahr lang getrennt gehalten: zusammengesetzt erkannten sie einander sofort und begrüßten sich aufs freundschaftlichste.

Die Schlachtreihen sind dicht geschlossen. Eigentliche Offiziere gibt es nicht, wohl aber laufen die Kundschafterinnen immer zurück bis zum Ende und dann wieder vor, leiten also den Marsch von innen heraus. Auch zu beiden Seiten laufen einzelne Amazonen; doch haben diese wohl die Aufgabe, die Flanken zu decken; an der Führung beteiligen sie sich nicht. Im Zuge selbst bleibt stets die eine und andere der Amazonen stehn; sie hat etwas sehr Wichtiges zu besorgen: sich zu putzen. Sie wirft sich dazu ein paar Sekunden lang auf den Rücken; dann eilt sie weiter. Trotz dieser stetigen Aufenthalte marschieren die Emsen mit großer Schnelligkeit; man hat ausgerechnet, daß ihre Marschzeit bei gutem Gelände, auf menschliche Größe übertragen, etwa vierzig Kilometer in der Stunde betragen würde, eine Geschwindigkeit, die bei der Bewegung starker menschlicher Heere auf größere Entfernungen trotz aller vervollkommneten Fortbewegungsmittel wie Eisenbahnen und Kraftwagen auch nicht entfernt erzielt wird. Übrigens scheint die Hitze die Amazonen zu befeuern – je wärmer es ist, um so schneller laufen sie.

Vor der fremden Stadt angekommen, machen die Amazonen nicht erst halt, wie das die Blutroten tun, warten nicht ab, was die feindlichen Bürgerinnen tun werden, sondern stürzen sich sofort in dichten Massen in die vorher ausgekundschafteten Tore. Es ist, als ob eine schwere braune Flüssigkeit sich hinein ergösse. Auch die Amazonen greifen nicht selber an, versuchen zunächst den Schrecken ihres plötzlichen Überfalls wirken zu lassen, der sich wie ein Verhängnis über die unglückliche Stadt ergießt. So kommt es vor, daß bei einem solchen Überfall weder Freund noch Feind getötet, ja nicht einmal verwundet wird. Freilich sind heftige Kämpfe viel häufiger. Die Amazonen fassen den Kopf, auch wohl Kehle oder Brust der Feindin und durchbohren sie mit ihren Sicheln – in wenigen Sekunden stirbt diese in Zuckungen. Auf der andern Seite hängen sich die Rotbärtigen oder Grauschwarzen an ihre Beine und Fühler, spritzen ihr Gift aus, das mancher Amazone das Leben kostet. Die Amazonen selbst scheinen nur im äußersten Notfalle von ihrem Gifte Gebrauch zu machen.

Aus dem fremden Neste heraus kommen die Amazonen, jede eine Larve oder Puppe zwischen den Kiefern. Sie tragen sie vorsichtig, um sie nicht zwischen die Spitzen ihrer Sicheln gleiten zu lassen, eilen ohne jeden Verzug einzeln nach Hause. Dort angekommen, geben sie ihre Beute am Stadttore den Sklavinnen ab, die sie hineintragen; sie selbst hasten sogleich zurück zu der eroberten Stadt, holen eine neue Beute, ja, machen denselben Weg gar ein drittes Mal. Inzwischen versuchen sich die Überfallenen durchzuschlagen, mit ihrer Brut beladen eilen sie fliehend aus dem Neste. Die Amazonen stürzen nach, ihnen die Brut abzujagen, schieben ihre Sicheln über die Puppen hin. Oft läßt dann die Feindin ihre Last fallen, sonst schieben die Amazonen die schrecklichen Dolche weiter vor, fassen den Kopf der Trägerin. Auch jetzt warten sie stets noch einen Augenblick, wie um der Feindin noch eine letzte Gnadenfrist zu geben, die Puppe fahren zu lassen – und meist gehorcht diese solcher Drohung. Tut sie es nicht – ist ihr Kopf durchbohrt.

Von allen Seiten verfolgt, eilen die Amazonen schwer beladen nach Hause. Manche, die keine Larve oder Puppe mehr finden konnten, haben, um doch eine Beute zu haben, eine junge Emse oder gar eine völlig ausgewachsene ergriffen und schleppen sie mit. Wenn man seine Waffen als Tragbahre benutzen muß, sind sie wenig tauglich zum Kämpfen, so kommt es vor, daß auf dem Rückwege die Feindinnen, zu fünf, sechs oder gar sieben eine einzelne Amazone zugleich angreifend, an allen Beinen sie zerrend, einen Teil der geraubten Brut zurückerobern. Auch manche der Gefangenen gewinnen ihre Freiheit wieder; es macht fast den Eindruck, als ob die Amazonen nach besserem Nachdenken zu der Einsicht gekommen wären, daß Gefangene zu nichts nutze seien: so öffnen sie denn ihre Oberkiefer und lassen sie laufen. Andere Gefangene freilich werden heimgebracht und dort in Stücke gerissen – manche wieder garnicht erst nach Hause getragen, sondern gleich auf der geplünderten Stadt oder auf dem Wege getötet. Zuweilen werden auch Amazonen zu Gefangenen gemacht; an allen Beinen hängen die Feindinnen und zerren sie fort. Dann mag man sehen, wie eine andere Amazone plötzlich zu Hilfe eilt und die schwer bedrängte Schwester befreit. Schließlich haben die Amazonen, viel schnellere Läuferinnen trotz ihrer Lasten, die Verfolgerinnen abgeschüttelt.

Nicht immer sind die Amazonen siegreich; bisweilen erliegen sie auch einer allzu großen Übermacht. Überhaupt sind die Kämpfe von großer Mannigfaltigkeit; es ist falsch, wenn behauptet wird, daß die Amazonen instinktiv nach einem bestimmten Plane Krieg führten. Es kommt vor, daß eine Handvoll Amazonen durch einen wilden, tollkühnen Angriff ein großes feindliches Heer in die Flucht schlägt; es kommt auch vor, daß eine ziemlich ansehnliche Amazonenschar sich zurückzieht, Boten aussendet und Verstärkungen heranholt. Meist ist der Rückmarsch ungeordnet; wird er aber allzusehr von den Verfolgerinnen angegriffen, so schließen sich die Reihen eng zusammen. Es ist ganz unverkennbar, daß überall der persönliche Unternehmungsgeist einzelner Emsen den Ausschlag gibt. Stets erhält man den Eindruck, daß die Amazonen – wie in etwas geringerem Grade auch die Blutroten – die Technik des Krieges meisterhaft beherrschen, während man einen solchen Eindruck bei den Kämpfen der Wanderameisen nicht immer hat. Diese überfluten einfach alles mit ihren ungeheuren Massen – schaffen mehr eine Sintflut als ein Schlachtfeld.

Nie zieht übrigens das Gesamtheer der Amazonen aus der Stadt; immer bleibt mit den Sklavinnen eine starke Bewachung zurück.

 

Gelegentlich kommen die ausgesandten Späherinnen unverrichteter Sache nach Hause, haben kein fremdes Nest gefunden. Dann beschließt das Ameisenvolk, auf gut Glück auszuziehen. Auf dem Neste versammelt, bespricht man lebhaft die Frage, wohin man sich wenden solle, einigt sich endlich und rückt los. Alle Amazonen sind zugleich Kundschafterinnen, suchen eifrig, bleiben stehn, biegen nach allen Seiten ab. Manchmal finden sie eine fremde Stadt, manchmal müssen sie auch ohne Beute zurückkehren.

Häufig genug werden sie bei ihren Kriegszügen von Emsen aller Arten angegriffen; jede Ameise haßt diese gefährlichen Räuberinnen. Am heftigsten sind die Schlachten, wenn zwei Amazonenheere aufeinanderprallen, dichte Knäuel ballen sich dann zusammen und wälzen sich herum.

Übrigens schließen die Amazonen auch zuweilen Frieden. Einzelne Kriegerinnen, die recht gut wissen, daß sie für ihre Ernährung Sklavinnen nötig haben, schließen sich etwa an rote Waldameisen an. Da diese auch kriegerisch sind, entsteht zunächst ein Kampf, bei dem einige Rote das Leben lassen. Dann aber einigt man sich – und zwar geht stets der Gedanke zum Friedensschluß von den Amazonen aus.

 

Daheim beschäftigt sich die Kriegerin nur damit, sich zu putzen. Sie reinigt sich, kämmt sich, bürstet sich, ölt sich – kurz, sie findet ein immer neues Vergnügen darin, Toilette zu machen. Wenn sie auch zur Zeit der Raubzüge sehr viel leistet, so nehmen doch diese Züge nur einige Stunden im Tage ein; dazu dauert die Zeit der Plünderungen nur wenige Monate im Jahre. Die übrige Zeit führt sie ein Genießerleben, überläßt alle Arbeit den Sklavinnen, erteilt höchstens einmal einer eben ausgeschlüpften Amazone Putzunterricht. Sie hält ihre Kräfte frisch durch Sport und Spiel; bisweilen arten diese Ringkämpfe so aus, daß die eine oder andere Amazone von ihrer Schwester verwundet oder gar getötet wird. Zur Jagd zieht sie niemals aus, obwohl sie dazu dank ihres schnellen Laufens und ihrer scharfen Todeswaffen sehr wohl befähigt wäre. Nur die geraubte Brut trägt sie als ihren Beitrag zur Ernährung des Staates heim; allerdings ist die Zahl der Larven, die ein einziges starkes Volk von etwa tausend Amazonen im Laufe eines Sommers zusammenschleppen kann, eine erstaunliche; man hat sie bis auf fünfzigtausend geschätzt. Da nun nur ein kleiner Teil von diesen aufgezogen wird, so ist immerhin der Vorrat, den die Amazonen in ihre Stadt bringen, nicht zu unterschätzen. Dennoch müssen für die Ernährung in der Hauptsache die Sklavinnen sorgen, die sowohl auf Jagd gehn, als auch in großem Maße Viehzucht betreiben. Ihnen liegt auch alle Bauarbeit ob, die Amazonen selbst beteiligen sich nicht daran. Bei einem Umzuge tragen sie auch nicht ihre Sklavinnen, wie es die Blutroten tun, sondern lassen sich von diesen tragen.

Die gesamte Brut ist der Obhut der Sklavinnen anvertraut. Sie ziehen in erster Linie die Amazonenbrut auf, Männchen, Weibchen und Kriegerinnen. Dann auch, soweit sie nicht verzehrt wird, die geraubte Sklavenbrut; jedoch nur die Arbeiterinnen, nie die Geschlechter.

Wie die Brutpflege, so ist auch die Fütterung vollständig den Sklavinnen überlassen. Wenn die Amazone hungrig ist, so fordert sie die nächste Sklavin auf, ihr Nahrung zu reichen; diese tut das aus ihrem Kropfmagen nach Emsensitte. Gewiß füttern sich die Amazonen auch untereinander: aber es ist doch immer nur Nahrung, die sie selbst kurz vorher von einer Sklavin erhalten und noch in ihrem Kropfe aufbewahrt haben. Selbständig zu essen hat die Amazone zwar nicht vollständig, aber doch beinahe verlernt. Zwar lecken sie, wenn sie gerade darauf stoßen, ein wenig Feuchtigkeit auf, auch rinnt, wenn sie eine feindliche Emse durchbohrt haben oder auch eine Larve so ungeschickt aufgenommen haben, daß sie verletzt ist, in den Rinnen ihrer sichelförmigen Oberkiefer ein wenig Blut herunter, das sie dann auflecken, aber dies bißchen Nahrungsaufnahme ist rein zufällig und niemals ausreichend, sie am Leben zu erhalten. So kommt es, daß Amazonen, denen man im künstlichen Nest ihre Sklavinnen nimmt, verhungern, wenn man ihnen auch noch soviel Nahrung hinsetzt. Setzt man zu den halb verschmachteten dann eine einzige Sklavin, so bringt diese in kürzester Frist alles wieder ins rechte Lot.

Man hat daraus, daß die Amazone, dicht neben dem besten Futter sitzend, verhungert, immer wieder, fast triumphierend, auf ihre »Unintelligenz« geschlossen. Ganz gewiß mit Unrecht. Es läßt sich sehr leicht vorstellen, wie die Amazonen den Instinkt, selbständig Nahrung zu sich zu nehmen, im Laufe der Jahrhunderttausende verloren haben. Bei ihren Beutezügen gilt es, die geraubte fremde Brut so schnell wie möglich in Sicherheit zu bringen; jeder Aufenthalt zum Fressen würde eine Gefahr bedeuten. Innerhalb des Nestes aber ist jede Ameise gewohnt, die heimkehrenden Schwestern um Nahrung zu bitten: diese Art der Ernährung wurde also den Amazonen die natürliche. Der immer wiederholte Versuch, sklavinnenlose Amazonen im künstlichen Neste verhungern zu lassen, muß schon darum ein völlig falsches Bild geben, weil ja im natürlichen Neste die Amazonen nie ohne Sklavinnen sind, sondern stets ganze Scharen zu ihrer Verfügung haben. Das Verfahren, die Nahrung stets nur aus dem Munde einer anderen Emse zu verlangen, ist also genau so intelligent, wie das, sich selbst die Nahrung in den Mund zu stecken. Das Gefüttertwerden ist ihnen eben die einzig natürliche Nahrungsaufnahme geworden.

Das ›Nicht-selbständig-Nahrung-aufnehmen-können‹ der Amazonen gilt allen Fachgelehrten als ein ebenso sicherer Beweis der Entartung wie der mangelnden Intelligenz dieser Tiere. Genau mit demselben Rechte aber müßte man auch die denkbar klügsten und gebildetsten chinesischen Frauen um ihrer künstlich verkrüppelten Füße willen für entartet und unintelligent halten, wegen ihres ›Nicht-selbständig-Laufen-könnens‹. Wenn man in China kleine, verkrüppelte Füßchen in seidengestickten Schuhen für besonders schön hält, auf Laufen und Springen keinen Wert legt und zu der Fortbewegung, die gewünscht wird, stets Dienerinnen und Sänfte zur Verfügung hat, wenn man im Amazonenland es vorzieht, die Nahrung im Kusse gereicht zu erhalten und dazu nur einer Sklavin zu winken braucht – so ist das von Amazonen und Chinesinnen beliebte Verfahren von ihrem Standpunkte aus durchaus intelligent und nur die Gelehrten können das nicht begreifen! Goethe begriff es recht gut:

»Wenn ich sechs Hengste zahlen kann,
Sind ihre Kräfte nicht die meine?
Ich renne zu und bin ein Mann,
Als hätt' ich vierundzwanzig Beine!«


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