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IX. Viehzucht

 

Where are you going, my pretty maid?
I'm going a milking, Sir! she said.

Nursery Rhyme.

 

Milchmädchen

Als vor undenklich langen Zeiten die ersten Menschenstämme vom Waidwerk allmählich zur Viehzucht übergingen, geschah es, weil sie herausfanden, daß ihnen manche Tiere lebendig viel nützlicher sein konnten, als tot. Ein totes Tier kann man nur aufessen, ein lebendiges aber, das Milch gibt, kann man täglich melken und schließlich immer noch verzehren. Genau dieselbe Erfahrung machten die Ameisen.

Die nur Fleisch fressenden Jägervölker kennen keine Viehzucht; das sind bei unseren Insekten die Familien der Stachelameisen und der Wanderameisen. Bei allen übrigen Stämmen aber finden wir die Viehzucht mehr oder weniger entwickelt und zwar überall auf der Erde – genau wie bei der Menschheit. Wir Menschen gewinnen die süße Flüssigkeit von Kühen und Ziegen, von Schafen und Eseln, von Renntieren und Kamelen – die Ameisen kennen nicht weniger Geschöpfe, die ihnen zum Melken geeignet erscheinen.

Wie bei uns die Kühe, so erfreuen sich bei ihnen die Blattläuse der größten Beliebtheit; daneben werden Blattflöhe, Buckelzirpen, Schildläuse, die Raupen der Bläulinge, Leuchtzirpen gehalten und gemolken.

Was freilich die Emsen ihrem Vieh entmelken, ist nicht eben Milch. Es ist –

Wenn jemals Goethe etwas recht Anfechtbares niederschrieb, so war es, als er behauptete: ›Namen ist Schall und Rauch!‹

Namen – das ist vielmehr alles; es ist das Wichtigste, was es gibt! Bei keinem Ding der Welt wird das klarer als bei dem Erzeugnis, das die Emsen von den Läusen gewinnen.

Man sehe sich nur so ein Wort an – und spreche es dazu noch berlinerisch aus: Lausescheiße!

Gräßlich! Widerlich! Ekelhaft! (Und ich hätt's ja auch garnicht hingeschrieben, wenn nicht der Goethe es auch mal getan hätte. Nur reimte der es – frankfurterisch – auf ›Beweise‹!)

Nennen wir aber dasselbe Ding mit anderm Namen: Honigtau – so wird im Handumdrehen etwas Süßes, Liebliches, Poetisches daraus. Und bezeichnen wir es gar mit dem biblischen Namen: Manna, so gilt es allen frommen Seelen als die herrlichste, göttlichste Speise, die der Mensch sich denken kann, kaum mit Nektar und Ambrosia noch zu vergleichen.

Die Blattläuse – und die andern von den Ameisen als Vieh benutzten Tiere – saugen mit ihrem Rüssel den Saft aus den Pflanzen, oder fressen, wie die Bläulingsraupen, die jungen Blätter selbst. Sie fressen oder trinken sehr viel und verdauen wenig, der süße Saft wird beim Durchgang durch ihren Leib noch süßer. Sie stoßen ihn in kleinen farblosen Tropfen aus – diese Tropfen fallen auf Blätter und Pflanzen und trocknen an der Luft sehr schnell. Das ist, was die Alten ›Ros melleus‹, Honigtau, nannten; sie glaubten, wie Israel in der Wüste, daß es vom Himmel gefallen sei.

Wenige Wochen erst war Israel geflohen aus Ägypten; lagerte nun in der Wüste, zwischen Elim und Sinai. Aber die Vorräte waren knapp geworden; man sehnte sich zurück nach den ägyptischen Fleischtöpfen und murrte laut. Da schickte der Herrgott Wachteln und Manna. Dieses Manna sah aus: ›klein und rund wie Reif, weiß und wie Korisandersamen; es schmeckte wie Semmel mit Honig. Wenn aber die Sonne heiß schien, zerschmolz es.‹

Viel hinaus ins Freie werden die Juden in Ägypten nicht gerade gekommen sein. Sonst wäre ihnen der Honigtau nicht gar so unbekannt geblieben, daß sie einander fragten: ›Man hu? – was ist das?‹ Und damit der süßen Speise ihren Namen gaben. Alle andern Völker kannten den Honigtau längst und schätzten ihn als Leckerbissen; wenn auch alle, wie die Juden, annahmen, daß er als Tau vom Himmel gefallen sei, und kein einziges sich – bis auf unsere Zeit – seinen Ursprung erklären konnte. Die mannaspendende Schildlaus von Sinai (mannifera) lebt auf den Tamarisken, sie wirft ihren Honigtau, genau so wie die Bibel es beschreibt, nicht nur auf die Blätter, sondern auch auf die Erde hin. Noch heute sammeln die Araber diese Speise, noch heute nennen sie sie wie zu Mosis Zeiten Manna; noch heute verkaufen die Mönche des Sinaiklosters ›biblisches‹ Manna, so wie man überall in Persien ›gewöhnliches‹ Manna kaufen kann.

Der hübsche Traum, daß Manna vom Himmel falle, hat sich, sicherlich mehr gestützt auf die große Autorität der Bibel, als auf alle arabischen, griechischen, römischen Wundergeschichten, durch Jahrtausende erhalten. Erst Réaumur, der das Thermometer erfand, erkannte vor noch nicht zweihundert Jahren, wie der Himmel aussah, aus dem dieser köstliche Tau kam: eines grünen Läuschens rundliches Hinterteil.

Schmeckt nun Manna darum weniger gut, seitdem wir wissen, was es eigentlich ist? Nun: die Kinder, die überall hinter ihm her sind, haben ja wenig Ahnung davon, und die großen Leute, die wissen, wie Schnepfendreck auf Toast schmeckt, haben gewiß kein Vorurteil dagegen. Die Nahrung des Blattläuschens ist jedenfalls sehr viel reiner und appetitlicher als die der Schnepfen.

Manche Bauminsekten bringen Manna in unglaublichen Mengen hervor. Wenn man sieht, welche Schaffensfreude sie auf der Libanonhalbinsel entfalten, ist man geneigt, die Angaben des sechzehnten Kapitels des zweiten Mosisbuches für durchaus richtig zu halten. Jeder, heißt es da, sollte soviel Manna am Tage sammeln, als er zu essen imstande wäre. Manche Juden nun sammelten mehr ein und verwahrten es über Nacht: da ›ward das Manna stinkend und wuchsen Würmer darinnen‹. Ganz richtig: Sporen von Schmarotzerpilzen hafteten sich oben auf dem Honigtau fest, entwickelten sich – Meltau entstand!

Die australischen Mannaspenderinnen, Blattflöhe, liefern den bei allen Eingeborenen ebenso wie bei den Kindern der Weißen äußerst beliebten ›Sugar-Lerp‹ – drei Pfund kann ein Mensch bei einigem Fleiße täglich davon sammeln, gewiß mehr, als er zu essen vermag. Denn auch vom Manna kann man zuviel bekommen und deshalb war es gescheit, daß der liebe Gott dem Volk Israel nebenher auch noch Wachteln sandte – eine Speise, die ich persönlich auch dem besten Manna bei weitem vorziehe.

Ich hoffe, daß die meisten meiner Leser Wielands prächtiges Märchen vom Prinzen Biribinker kennen – die, die es nicht kennen, beneide ich, da ihnen, wann sie nur wollen, ein köstliches Stündchen noch bevorsteht. Gütige Feen standen an des jungen Prinzen Wiege und die Gescheiteste unter ihnen säugte ihn mit Honig von Pomeranzenblüten. Da roch sein Atem so lieblich wie Jasmin, sein Speichel war süßer als Kanariensekt und seine Windeln –! Die Königin konnte das Konfekt für die Hoftafel sparen; der kleine Biribinker gab soviel Süßigkeiten von sich, daß sich alle Damen bei Hofe daran labten. Sowie diese Leckermäuler heraushatten, wie gut das schmeckte, was in dem prinzlichen Nachttöpfchen sich vorfand, vergaßen sie allen hofdamenhaften Abscheu vor diesem Möbelstück. Er war eben ein Mannaprinz, der Biribinker; er hatte in dieser Beziehung eine Kultur erreicht, die sonst nur den edelsten Blattläusen möglich ist.

Freilich, ganz so gescheit wie die Emsen benahmen sich die schleckerhaften alten Jungfern vom Hofe nicht; höchstens redeten sie dem Prinzlein hübsch zu, wenn es auf seinem Töpfchen saß, und streichelten ihm, unter devoten Hofknixen, ein wenig die Wangen.

Die alten Jungfern vom Ameisenstamme benehmen sich viel klüger, wenn sie von ihren Biribinkerchen Konfekt haben wollen!

Sehr naschhaft sind sie und sehr verschleckt, alles Süße zieht sie mächtig an. Ihren Ururahninnen in frühesten Zeiten, wilden Jägerinnen, schmeckten die süßen Blattläuse äußerst lecker, sie galten als besonders beliebtes Wild. Dann aber fanden die Ameisen den Honigtau – der noch viel besser mundete, als alle Blattläuse. Sie begriffen – manche Millionen Jahre, ehe die Menschheit das erkannte – was eigentlich dieser Honigtau sei; sie begriffen auch, daß es viel bequemer sei, den noch flüssigen Tropfen aufzuschlecken, als die schon erhärtete süße Speise abzuknabbern. So kamen sie auf den Gedanken, sich Manna gleich von der Quelle, von dem mannaspendenden Tiere selbst zu holen.

Dieser Gedanke aber war viel klüger als der, den die Menschheit hatte, als sie anfing, Kühe und Ziegen zu melken. Die Menschenfrau nährte ihre Jungen, wie alle Säugetiere das taten; tagtäglich sah man dies Schauspiel. Was dem Menschenkinde, dem Kälbchen und Zicklein schmeckte, was es stark und kräftig heranwachsen ließ, das mußte auch dem erwachsenen Menschen heilsam genug sein: so begann man, Milch zu gewinnen, begann zu melken. Gewiß zunächst mit dem Munde saugend, wie alle Jungen – später erst lernte man den Gebrauch der Hände und des Milcheimers. Der Mensch sah, was in der Natur vorging, und tat nichts anders, als das nachzuahmen.

Die Ameisen aber sahen nichts dergleichen, ahmten nichts nach. Ihre Entdeckung, daß man Blattläuse melken könne, ist in ihrem eigenen Hirne gewachsen.

Die Blattläuse – wie alles andere Vieh der Ameisen – sind sanfte und dabei äußerst seßhafte Geschöpfe, von so stiller, freundlicher Gemütsart, wie man von dem lieben Rindvieh nur wünschen kann. Sie leben dazu herdenweise, sind starke Fresser, die darum ungeheure Massen des süßen Stoffes hervorbringen können – kurz, sie erfüllen alle Bedingungen, die die Emsen nur an sie stellen können. Ja, es macht den Eindruck, als ob die von den Ameisen ihnen geschenkte Aufmerksamkeit ihnen recht angenehm sei, genau so, wie es den Kühen eine Erleichterung ist, von der Last ihrer Milch befreit zu werden.

Wie die Ameisen es anstellen, ihr Vieh zu melken, davon kann sich jeder leicht überzeugen. Blattläuse gibt es überall – wo sie sind, da fehlen die Ameisen gewiß nicht. Die Blattlaus sitzt auf ihrem Blatt recht fest, da sie ihren Saugrüssel tief eingegraben hat. Hinter sie stellt sich nun die Emse und beginnt den grünen Leib mit ihren Fühlern zu streicheln und zu kitzeln. Sofort senkt die Blattlaus demütig den Kopf, hebt das Hinterteil und streckt ihre beiden Hinterbeine hoch in die Luft, um dem Milchmädchen die Arbeit zu erleichtern; kurz darauf gibt sie ein klares Tröpfchen von sich, das die Emse sofort aufsaugt. Diese fährt fort mit ihren sanften Fühlerschlägen, bald rechts und bald links, bis das brave Tierchen ihr ein zweites und drittes Tröpfchen Manna beschert. Ist es ausgemolken, so geht die Ameise zur nächsten Blattlaus, melkt eine nach der andern, bis ihr Milcheimer zum Rande gefüllt ist. Der Milcheimer – das ist ihr Gesellschafts-Kropfmagen, den sie so auszudehnen gelernt hat, daß ihr Hinterleib mächtig anschwillt, sodaß sie manchmal nur mühsam wackelnd heimkehren kann.

Geizig sind die Ameisenkühe nicht, sie geben gern und reichlich von ihrer süßen Gäbe. Ist eine leer gemolken und wird von einem andern Milchmädchen besucht, so muß dies eben eine kleine Weile warten. Dabei haben die Blattläuse gelernt, wie man den Emsen die süße Gabe fein artig verabreichen muß. Wenn sie nicht gemolken werden, spritzen sie ihre Tröpfchen weit von sich, schlagen dabei aus, wie ein störrischer Maulesel, gemolken aber lassen sie das Tröpfchen hübsch langsam austreten, sodaß die Emse es bequem aufsaugen kann. Sie haben ferner gelernt, brav zu warten, bis die Hirtin kommt, sodaß ihr erster Tropfen recht groß ist; noch mehr: sie fressen mehr und spenden infolgedessen mehr Manna, wenn sie von den Ameisen zum Melken besucht werden, als wenn sie als ›freie‹ Viehlein leben. All das mögen sie von sich gelernt haben – wahrscheinlicher ist jedoch, daß ihre Herrinnen, die Ameisen, es ihnen irgendwie beigebracht haben. Jedenfalls ist sicher, daß unsere rußhaarigen Gartenameisen vielmehr Mannamilch aus ihrem Vieh erzielen als jede andere Ameise. Es ist das unschwer festzustellen: je mehr Manna die Läuschen spenden, um so mehr Saft müssen sie saugen, um so mehr müssen die Pflanzen darunter leiden. Keine Bohnenstaude aber leidet mehr, als die, auf denen das ausgezeichnete Hirtenmädchen vom Volke der Rußhaarigen seine Herden hält. Das Melken muß eben gelernt werden, bei den Kühen der Menschen wie bei denen der Ameisen. Darwin war ein schlechtes Milchmädchen: er versuchte als erster, den Ameisen das Blattlausmelken nachzuahmen – es mißglückte ihm. Seither hat es der Mensch gelernt, das Kitzeln der zarten Emsenfühler nachzuahmen: willig gibt dann das grüne Kühlein seine Milch.

Die Beziehungen zwischen den beiden Tieren beschränken sich durchaus nicht auf das Melken, wenn dies auch der einzige Grund für die Liebe der Ameise zur Blattlaus ist. Wenn man Vieh hält, muß man es auch zu schützen verstehn – und das tun die Ameisen.

Gewiß sind die Blattläuse nicht ganz schutzlos. Sie haben am Hinterleibe Drüsen, die in Öffnungen enden; aus diesen spritzen sie eine Flüssigkeit. Noch Linné glaubte, daß aus diesen Drüsen der Honigtau käme. Erst später fand man, daß Honigtau nichts anders sei, als – des Prinzen Biribinker Konfekt. Aus diesen Drüsen spritzen die Blattläuse vielmehr einen klebrigen, wachsähnlichen Stoff aus – ihre einzige Waffe gegen ihre zahlreichen Feinde. Das klebrige Zeug wird dem angreifenden Feinde ins Gesicht gespritzt, wo es sofort trocknet; das feindliche Insekt hat dann eine Zeitlang zu tun, sich von dem Schmutz zu befreien. Viel nutzt das zwar der armen Blattlaus nicht; sie kann, mit ihrem Rüssel im Blatte steckend, nicht so schnell fort, aber immerhin mag in der großen Mördergrube Natur, wo stets das Größere das Kleinere auffrißt, in der Zwischenzeit dem Feinde ein neuer Feind kommen, um sich an ihm gütlich zu tun.

Den Ameisen gegenüber gebrauchen die Blattläuse ihre Spritzwaffen nicht, ein sicheres Zeichen dafür, daß sie diese nicht als Feinde ansehen, sondern sich durchaus an sie gewöhnt haben. Und in der Tat ist der Schutz, den ihnen die Emsen gewähren, ein sehr viel sicherer als der ihrer eigenen Verteidigungsmittel. Wird die Blattlaus – für jeden Räuber eine leichte Beute, die dazu noch lecker schmeckt – angegriffen, so verwandeln sich die Ameisen im Augenblick: aus frommen Sennerinnen werden wilde Kriegerinnen, die ihre Herden verteidigen und sich sofort auf den Feind stürzen. Jede Emse kämpft mit den Waffen, die ihrem Volke eigen sind; die rote Waldameise spritzt Wolken von Ameisensäure gegen den Räuber, die blutrote Sklavenjägerin stürzt ohne Besinnen mit den geöffneten Säbelkiefern auf ihn los. Ist die Gefahr eine dauernde, so tragen die Emsen ihr Vieh fort, was garnicht so einfach ist, da die Blattläuse einen starken Saugrüssel haben, der oft dreimal so lang ist als sie selbst – wo sie einmal sitzen, da haben sie den Rüssel tief eingeschlagen und saugen drauflos. Die Ameisen versuchen in solchen Fällen – auch in friedlichen Zeiten, wenn sie sie von ihrem Weideplatz zu einem andern, besseren bringen wollen – ihre grünen Kühlein durch Fühlerschläge zunächst sanft zu überreden, doch loszulassen und sich fortschaffen zu lassen. Meist nützt das, aber manchmal ist die Grüne auch recht störrisch und widerborstig, sodaß die Emse sie zerren und reißen muß, bis sie sie endlich aufpacken kann.

Auf den Weidegründen, oben auf der Alm, auf den fetten Wiesen des Marschlandes, den weiten Pußten, Steppen und Pampas ist unser Vieh manchen Gefahren ausgesetzt. Heute ist das ja nicht mehr so schlimm; wenn mal ein Lämmergeier, ein Bär oder Wolf, oder gar ein verwilderter Hund, der sich zum Bauernschreck ausbildete, ein Stück Vieh reißt, gleich steht's in allen Zeitungen. Aber vor ein paar Jahrhunderten noch mußten der Hirt und seine Hunde überall scharf aufpassen, um die Herde vor Raubtieren zu schützen. Darum schuf die Menschheit die Ställe, in denen das Vieh vor Raubzeug wie vor Wind und Wetter sicher ist – die Ameisenheit machte es genau so. Nach dem Bilde seines eigenen Hauses errichtete der Mensch die Behausungen für sein Vieh. Wer Steinhäuser baute, gab ihnen steinerne Wohnung; wer in waldreicher Gegend sein Heim aus Baumstämmen zimmerte, tat ein gleiches für seine Kühe und Ziegen. Ebenso handelten die Ameisen, obwohl für sie die Baufrage viel schwieriger war. Denn ihr Vieh fraß keine ›Stallnahrung‹, nahm nur, sehr verwöhnt, die süßen Säfte seines Weideblattes: so mußten die Emsen gleich über den ganzen Herden auf den Weidegründen selbst die Ställe errichten.

Diese zeigen große Mannigfaltigkeit. Die Maurerinnen mauern ihrem Vieh Ställe aus Erde und Mörtel, die Papierarbeiterinnen bauen Pappställe, die Spinnerinnen in den Tropen spinnen Blätter mit Seide zusammen: sie bauen Ställe, die bis zu einem halben Meter groß sein können. Ja, zu diesen Ställen hin führen bei einzelnen Arten noch geschützte Gänge, sodaß die Hirtenmädchen ungesehen und ungefährdet zu ihrem Vieh gelangen können. Natürlich dienen diese Ställe – genau wie bei uns – nicht nur dazu, das Vieh vor Raubtieren und Wetterunbill zu schützen; sie haben zugleich den Zweck, das Vieh vom Weglaufen abzuhalten. Auch: davor zu bewahren, gestohlen zu werden. Ein paar starke Viehherden sichern ja die Ernährung eines ganzen Volkes – es ist also nicht weiter verwunderlich, wenn ein Volk dem andern die Herden streitig macht: heiße Schlachten entbrennen um den Besitz des kostbaren Eigentums.

Am höchsten entwickelt ist die Viehzucht bei einigen Arten mehr unterirdisch lebender Ameisen. Wenn die Milchmädchen ausziehen, Blattläuse finden und melken, wenn sie über den Herden Ställe bauen, so ist das noch nicht eigentlich Viehzucht – diese setzt erst dann ein, wenn die Jungen regelrecht großgezogen werden. Auch hier war die Frage für den Menschen weit einfacher. Seine Kuh kalbt; das Kälbchen wächst auf, gibt Milch und kalbt wieder, so ziehen wir bequem Geschlecht um Geschlecht auf. Die Ameisen haben es weit schwieriger mit ihrem Vieh, das zu einer Zeit seines Lebens ja geflügelt in der Luft herumkutschiert. Aber sie verstehn es dennoch, richtige Zucht zu treiben.

Im Herbst werden die Eier der Blattläuse eingesammelt und in das Nest gebracht; dort werden sie genau so gepflegt wie die eigene Brut. Sowie die Jungen im Frühjahr ausgeschlüpft sind, tragen die Emsen sie an die jungen Graswurzeln – in kalten Nächten oder bei schlechtem Wetter schaffen sie die Tierchen vom Weidegrund in die wärmern Nestkammern zurück. Sowie andere Pflanzen wachsen, werden die Läuschen an deren zarte Wurzeln gelegt. Schon nach wenigen Tagen legen die Läuse – die sämtlich Weibchen sind – in Jungfernzeugung Eier. Aus diesen kriechen nach sehr kurzer Zeit Junge heraus, wieder nur Weibchen, die nun ebenfalls an Würzelchen gelegt werden. Auch dies neue Geschlecht pflanzt sich durch Jungfernzeugung fort und das geht so weiter. Die Läuse können in einem Sommer anderthalb Dutzend Geschlechter hervorbringen, von denen zwei Drittel zu gleicher Zeit leben. Ist ein Würzelchen ausgesaugt, so wird das Vieh auf das nächste gesetzt, so von einer Pflanze zur andern.

All diese Geschlechter sind ungeflügelt. Im Spätsommer jedoch, wenn die Wurzeln hart und holzig werden, also nicht mehr genug Nahrung abgeben, erscheint plötzlich ein neues Geschlecht von Blattläusen, das zum Teil aus flügellosen, zum Teil aus geflügelten Tieren besteht. Die flügellosen, wieder nur Weibchen, setzen die Emsen, wie vorher, auf Wurzeln, die noch Nahrung geben, die geflügelten Tiere aber lassen sie ruhig ausschwärmen, ja schaffen ihnen Öffnungen, daß sie bequem hinaus können in die frische Luft. Diese geflügelten Läuse nun sind teils männlichen, teils weiblichen Geschlechts. Eine dauernde Fortpflanzung durch jungfräuliche Geburt kennt die Natur nicht: diese letzte Sommergesellschaft also nimmt die normale Befruchtung wieder auf und sorgt so für die Erhaltung der Rasse.

Seit wann weiß die Menschheit von diesen Dingen? Seit kaum einem Viertel Jahrhundert. Aber seit undenklichen Zeiten ist das Geheimnis der Ameisenheit bekannt. Sie weiß: die Geflügelten müssen hinaus, müssen draußen in der Luft einander befruchten – wie das ja auch bei den Ameisenvölkern gang und gäbe ist. Das Vieh, das man eignet, stirbt zum Winter – will man neues haben zum Frühjahr, so muß man allem, was Flügel hat, die Freiheit geben: darum öffnet man ihnen weit alle Tore.

Nach kürzester Frist bedecken sich die Pflanzen wieder mit den Geflügelten. Die Männchen gehn zugrunde, fallen ihren vielen Feinden zum Opfer: um die Weibchen allein kümmern sich die klugen Viehzüchterinnen. Haben die Lauseweibchen schon Eier gelegt, so werden diese gesammelt und in die unterirdischen Kammern gebracht. Sind sie gerade mit Eierlegen beschäftigt, so helfen ihnen dabei die Ameisen, wie die Stallmagd der Kuh beim Kalben hilft. Haben sie aber noch keine Eier gelegt, so werden die Weibchen selbst eingefangen. Zunächst schneiden ihnen die Emsen die Flügel ab, um ihnen jede Möglichkeit zu nehmen, noch schnell fortzufliegen, dann aber tragen sie sie hinunter in ihre Ställe. Dort mögen sie Eier legen und dann sterben: für die Viehherden des nächsten Sommers ist gesorgt. Die rußhaarigen Gartenameisen haben es eben nicht so einfach mit ihrer Viehzucht wie wir Menschen. Wir brauchen nur zu wissen: das Vieh, das ein Euter hat, ist weiblich und kann gemolken werden. Das, was kein Euter hat, das ist männlich und ist nur nötig zur Fortpflanzung. Die Ameisen müssen viel mehr wissen. Zwar melken auch sie nur weibliches Vieh, wie wir das tun, denn alle Sommergeschlechter sind ja weiblich. Erst die letzte Generation hat beide Geschlechter – beide sind geflügelt. Was aber Flügel hat, muß man hinausfliegen lassen. Draußen, in der freien Natur, geschieht das große Wunder der Befruchtung – von dem die Emsen selbst, alles alte Jungfern, aus eigener Erfahrung ja nichts wissen; was dann zurückkehrt, wird Eier legen, aus denen im nächsten Jahre neue Mannaspenderinnen herausschlüpfen.

Auch in der Erde selbst jagen die Gartenameisen nach Wurzelläusen, graben nach allen Seiten von ihrem Neste aus Kanäle, in denen sie zur Jagd ausziehen. Die Gefangenen werden an Würzelchen gesetzt, die sorgsam freigelegt werden, rund herum wird ein Stall geschaffen, manchmal auch Galerien, die ganze Herden beherbergen – kann ihnen das Vieh doch gerade so gut tief unten in der Erde geraubt werden, wie oben auf der Alm, auf den Blättern der Sträucher und Bäume.

Was für die Blattläuse gilt, gilt in großen Zügen auch für das andere Vieh der Ameisen, die Schildläuse, die Buckelzirpen und Blattflöhe; sie alle genießen den Schutz und die Pflege der Ameisen, lassen sich dafür melken und spenden den Milchmädchen ihr süßes Manna.

Ein wenig anders liegt der Fall bei den Leuchtzirpen und den Bläulingsraupen. Beide Tiere geben den Ameisen nicht ›Manna‹, nicht ›Backwerk‹, wie Prinz Biribinker den Damen des Hofes; sie spenden ihnen vielmehr rechte Milch, wie unsere Kühe das tun. Die Leuchtzirpen haben nicht weniger als zwölf Drüsen, aus deren Öffnungen sie eine süße Flüssigkeit austreten lassen; sie tun das, wenn sie von den Fühlern der Hirtinnen, genau wie die Blattläuse, gekitzelt werden. Die Bläulingsraupe hat am hinteren Ende des Leibes zwei sackförmige borstenbesetzte Drüsen, die vorgestülpt werden können; aus diesen Eutern spendet sie den streichelnden Ameisen eine süße, farblose Milch. Diese Raupen werden sehr von Schlupfwespen und Fliegen verfolgt, die in sie ihre Eier ablegen; vor diesem Gesindel nun schützen sie die Ameisen. Einige Arten, wie die smaragdgrüne Blatthausspinnerin, bauen ihnen große seidengewebte Blattställe, andere Arten tragen sie in ihre Erdnester, um sie dort zu füttern und zu melken. Im letzten Fall also müssen die Ameisen ihnen auch Nahrung bringen – wie der Bauer seinen Kühen das Futter in den Stall schafft. Allerdings dauert das nicht allzu lange Zeit: die Emsen tragen nur solche Raupen ein, die nahe vor der Verpuppung stehn – als Puppen aber fressen die Tiere nichts. Die Ameisen haben also von diesen Raupen, von denen sich oft eine ganze Anzahl im Nest vorfindet, nur geringen Nutzen – ihre Handlung hat nur den Zweck, die nackten, wehrlosen Puppen vor Feinden zu schützen. Kriecht der Schmetterling aus der Puppe, so erleichtern ihm die Emsen das Ausschlüpfen – auch von ihm haben sie nicht den kleinsten eigentlichen Nutzen. Doch wissen sie gut: diese Schmetterlinge werden draußen Hochzeit feiern und Eier legen, und aus diesen Eiern entstehn wieder Raupen, die man melken kann. Kann man noch mehr von der Voraussicht der Ameisen verlangen?


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