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VII. Handwerk

 

Hic nos frugilegas aspeximus agmine longo
Grande onus exiguo formicas ore gerentes
Rugosoque suum servantes cortice callem.

Ovid, Met. VII, 627.

 

Ameisenberufe

Bei manchen Erdengeschöpfen finden wir eine Kunst, ein Handwerk, einen Beruf oft bis zur Vollendung entwickelt. Aber allein bei den Ameisen und den Menschen finden wir nicht eines oder das andere, sondern gleich eine ganze Anzahl.

So gibt es in der Ameisenheit: Spinnerinnen, Holzschnitzerinnen, Papierarbeiterinnen, Dachdeckerinnen, Jägerinnen, Ackerbäuerinnen, Bäckerinnen, Bergarbeiterinnen, Viehzüchterinnen, Küferinnen, Steinpflasterinnen, Pilzzüchterinnen, Tapeziererinnen, Gärtnerinnen, Schnitterinnen, Ammen, Kinderfrauen, Krankenschwestern, Soldatinnen, Kundschafterinnen, Wächterinnen – es gibt berufsmäßige Sklavenhalterinnen, Diebinnen, Räuberinnen, Schmarotzerinnen.

Gewiß kennt die Menschheit manches andere noch; aber auch bei den Ameisen gibt es Berufe, die wieder der Mensch nicht hat: der Beruf als Lebendige Tür, wie ihn die Zimmermannsameise, oder der als Lebendiges Faß, wie ihn die Honigameise kennt, ist ihm ebenso völlig fremd, wie der der zwangsläufigen Königsmörderin.

Gärtnerinnen und hängende Gärten

Wenn in den Urwäldern des Amazonenstromes die Pilzzüchterinnen – Blattschneiderinnen vom Attastamme – ganze Bäume entlauben, um das nötige Dungmus für ihre Treibhäuser heranzuschaffen, wenn die majestätische Schönheit der Dickichte oft empfindlich genug durch diese Ameisen leidet, so sind es doch auch wieder Ameisen, die dem Urwalde eine phantastische Schönheit verleihen, die man sonst nirgends in der Welt finden mag. Der üppige Urwald hat auf dem Boden keinen Platz für bunte Pracht, nur schattenliebende Pflanzen mögen da gedeihen. Was aber die Sonne liebt, muß hinauf in die Kronen der Bäume. So hängen die Orchideen von den alten Stämmen herab, so ranken sich Lianen hoch hinauf.

Da sieht man nun, oft und wieder, dichte Ballen von Blumen und Pflanzen hoch auf den Bäumen. Sie wirken wie mächtige Kronleuchter oder auch wie Ampeln, über und über mit Blumen gefüllt. Aber diese Pflanzen sind nicht Schmarotzer, wie die Orchideen sind, wachsen nicht auf den Bäumen selbst. Sie wurzeln vielmehr in starken Erdklumpen zwischen und rundherum um die Äste der Bäume.

Wie künstlich wirkt diese seltsame Pracht – und künstlich ist sie auch. Nur ist es nicht der Menschen Kunst, die die Blumenampeln in den Urwald hängte, sondern die der Ameisen.

Verschiedene Emsenarten kennen wir, die solche schwebenden Blumengärten anlegen, darunter die geschenkelte Buckelameise und mehrere vom Geschlechte Azteka. ›Olithrix‹ wird eine Art dieser Aztekenameisen benannt: das heißt die Haarzerstörerin. Haar des Waldes – also das Laub. Nur: ich sehe nicht recht ein, was sie zerstören soll – wunderbare Locken flicht sie vielmehr auf die Häupter der Urwaldriesen!

Jede der Arten baut andere Gärten. Bei einiger Übung erkennt man sie leicht auseinander, im großen Bilde des Urwaldes aber wirken ihre hängenden Gärten gleich phantastisch. Sie finden sich überall, bald sehr hoch in den Kronen der Bäume, bald unten in den Sträuchern, nicht allzu weit vom Boden entfernt. Jedes Körnchen Erde tragen die Emsen einzeln hinauf, befestigen es in der Gabelung von Zweigen oder auch zwischen der Rinde. Ein Körnchen klebt sich an das andere, immer mehr wächst der Erdklumpen. Bald ist er so groß wie eine Kinderfaust, bald wie ein Kopf so groß. Und nun schleppen die Ameisen Samen hinauf, den sie in die Erde säen. Mit dem Erdballen wachsen auch die Pflanzen. Ananasgewächse mit gelben und weißen Blüten, andere Pflanzen, unseren Gloxinien verwandt, mit weißvioletten, glockenförmigen Blumen. Dann Arumgewächse, Philodendren, die lange Luftwurzeln schlagen zur Erde hinab, Pfefferpflanzen, eine Kaktusart dazwischen und eine wilde Feige. Auch diese Feige schickt, wie die Philodendren, Luftwurzeln von ihren Ästen aus, die den Baum, der den Garten trägt, eng umklammern. Zu den Klammerwurzeln tragen dann die Ameisen wieder Erde hin – neue Ameisengärten entstehn an solchen Stellen.

Die Gärtnerinnen säen die Samen; freilich säen sie nicht, um zu ernten. Sie bauen oben in der Luft ihre Nester, um gegen Überschwemmungen geschützt zu sein. Aber der Erdbau ist zerbrechlich genug; ein starker Wind oder gar eines der orkanartigen mit Wolkenbrüchen geeinten tropischen Gewitter würde ihre luftige Stadt im Nu herunterfegen. Da helfen ihnen nun die Pflanzen, die mit ihren Wurzeln den Erdballen überall durchdringen und ihm so Stütze und Halt geben. Innerhalb des Gartens, zwischen dem engverzweigten Wurzelwerk ist das Nest, das aus Gängen und Kammern besteht und in seiner scheinbaren Kunstlosigkeit sich nach den Wurzeln richten muß.

Es nimmt nicht weiter wunder, daß der Wissenschaft diese hängenden Ampeln ein böser Dorn im Auge sind. Wegleugnen kann man sie nicht gut; wer sie nicht selbst im Urwald sehen konnte, kann sie leicht auf photographischen Abbildungen betrachten – sie gehören zu dem Schönsten an tropischem Wachstum, was das Auge überhaupt erblicken kann. Also da sind sie, ich selbst habe Dutzende gesehen. Auch läßt sich leicht nachweisen, daß die Ameisen jedes einzelne Körnchen Erde auf die Bäume tragen, um ihren Ballen dort oben zu formen, ebenso, daß sie den Beerensamen, wo sie ihn finden, aufnehmen und zu ihrem Neste hinauftragen. Das alles muß jeder Wissenschaftler zugeben, mag er nun wollen oder nicht.

Aber, aber: das Säen!

Gibt man das zu, so würde man ja – vielleicht – den Ameisen Intelligenz zusprechen müssen und eine gewisse Voraussicht. Und das darf um Himmelswillen nicht sein, sonst könnte man ja in den Geruch kommen, anthropomorph zu arbeiten, wie der alte Brehm, dieser Pfuscher!

Was tun also die Herren Gelehrten? Sie retten die Intelligenzlosigkeit der Ameisen, indem sie fröhlich drauflos behaupten, die Ameisengärten verdankten ihre Entstehung – dem reinen Zufall! Die Ameisen, sagen sie, wollen da oben nur ihr Erdnest bauen. Sie tragen nur zu Nahrungszwecken Samen ein. Daß dann aus dem Nest sich die wundervolle Blumenampel entwickelt, erklärt sich ganz einfach so, daß eben die eingetragenen Samenkörner keimen und Wurzeln schlagen. Oder aber: der liebe Wind weht die Samenkörner in das hängende Nest hinauf.

Trefflich! Nur: allen Tatsachen ins Gesicht schlagend. Das ist ja gerade die große Kunst aller körnersammelnden Emsen, daß sie es verstehn, ihre Samen am Keimen zu verhindern. Und der liebe Wind sucht sich die Samenkörner nicht erst besonders aus, die er in der Luft herumwirbelt. In der Tat wachsen aber in den hängenden Gärten der Ameisen nur ganz bestimmte Pflanzen; so sehr bestimmt, daß einmal die meisten dieser Pflanzen außerhalb der Ameisengärten völlig unbekannt sind und daß zweitens eine jede der Gärtnerinnenarten ihre besondern Pflanzen bevorzugt. Nur eine der Philodendrenarten findet sich sowohl in den Ampeln der Aztekengärten, wie in denen der Buckelameise.

Kann da noch von Zufall, vom Spiele des Windes die Rede sein? Eine voraussehende Intelligenz muß es schon sein, die die herrlichen Blumenampeln in den Urwald hängt. Und, bei aller Hochachtung vor dem Winde, entscheide ich mich, trotz der herrschenden Meinung der Wissenschaft, nicht für ihn, sondern für die Ameisen!

Spinnerinnen und Spinnrocken

Die Tatsache, daß Emsen spinnen können und daß sie dazu Spinnrocken und Webschiffchen benutzen, just wie die Menschen das tun, ist ein anderer Greuel in den Augen der Gelehrten. Als vor ein paar Jahrzehnten diese Kunde von Reisenden heimgebracht wurde, weigerten sie sich, sie zu glauben, erklärten sie für ein freches und frommes Märchen. Stets darauf aus, die Ameisen als Wesen darzustellen, denen Voraussicht völlig mangelt, mußte ihnen eine Nachricht höchst unwillkommen sein, die eine solche zu bekräftigen schien. Leider: die seltsame Kunde bestätigte sich. Freilich veranlaßte sie nicht einen der dreimal Weisen, von seiner Ansicht abzugehn – zwang ihn höchstens, um seine herrschende Meinung dennoch unentwegt hochhalten zu können, wieder einmal die possierlichsten Purzelbäume zu schlagen.

Die Spinnerinnen, der Familie der Buckelameisen angehörig, sind Tropenbewohner; wir kennen australische, afrikanische, asiatische und amerikanische Arten. Eine Art baut ihr Nest in der Erde, während die meisten auf Bäumen hausen; jede aber hat ihre eigentümliche Weise des Nestbaues. So baut eine Art der ›Langgewirbelten‹ auf Ceylon das Nest für ihr kleines Volk auf einem Baumblatte – sie benutzt dazu Pflanzenteilchen und Steinchen, die mit einem feinen Gespinst von Seidenfäden zusammengesponnen sind. Ein anderes Geschlecht der Langwirbligen gebraucht die Seidenfäden nicht nur zum Zusammenhalten, sondern baut zwischen Blättern ein Nest, das innen völlig mit Seidengewebe austapeziert ist. Eine dritte Langwirblige geht noch weiter; sie verzichtet auf alle Zwischenstücke und spinnt aus Fäden das ganze Nest frei zusammen, das in einem in die Erde gegrabenen Loche, wie ein sich unten erweiternder Schlauch hängt. Die Spinnerinnen der Arten der Blatthausameisen in Afrika und Australien und der brasilianischen Buckelameise, reine Baumbewohner mit zahlreichen Völkern, bauen sehr große Seidennester unter Benutzung von lebenden Blättern und ganzen Zweigen, die auf kunstvolle Weise zusammengebogen und zusammengesponnen werden.

Übrigens: nette Namen, die die Wissenschaft diesen armen Tieren gegeben hat! Freilich: Camponotus senex, Oekophylla smaragdina, Polyrhachis spinigera – das klingt und läutet! Nur kann sich, außer den Fachgelehrten, kein Mensch was darunter vorstellen.

Als die ersten gesponnenen Nester den Weisen vorgezeigt wurden, erklärten diese ihr Zustandekommen als etwas sehr Natürliches und Einfaches. Die Ameisen, erklärten sie, haben eben Drüsen wie die Spinnen; und zwar ist es bei ihnen die Oberkieferdrüse, die die Seide liefert. Diese Speicheldrüse dient ja den Emsen auf die mannigfaltigste Weise; sie benutzen sie, um beim Bauen ihrem Rohstoff den nötigen Kitt zu geben, auch um aus Holz und Speichel Pappe und Papier für ihr Nest zu machen. Das Fadenziehen beim Seidespinnen ist also nichts anders als eine weitere Entwicklung der Papierherstellung: eine rein instinktive Angelegenheit.

In der Tat aber entnehmen die Ameisen den Stoff zum Spinnen keineswegs ihrem eigenen Körper. Fäden ziehen können sie nicht, wenn sie einmal erwachsen sind; das können nur ihre Larven. Diese also benutzen sie beim Spinnen. Die Natur hat den Larven die Spinndrüsen gegeben, damit sie sich während der Zeit der Verpuppung mit einer schützenden Hülle umhüllen können – die Emsen also handeln, wenn sie ihre Larven zum Nestspinnen benutzen, gegen die Natur, gehn über das von dieser Gewollte und Bestimmte hinaus.

Es läßt sich kaum etwas Reizvolleres denken, als den Nestbau der Spinnerinnen zu beobachten, etwa der grasgrünen Blatthausemsen.

Wie stets, ist die Arbeitsteilung streng durchgeführt. Zunächst handelt es sich darum, Blätter, die miteinander verbunden werden sollen, nahe aneinander heranzuziehen. Zu diesem Zwecke bilden die Emsen lebende Brücken und Leitern von einem Blatt zum andern, indem jede einzelne den Vordermann – nein das Vorderfräulein! – mit den Kiefern fest um die Taille faßt. Ist das andere Blatt erreicht, so beginnt ein Zerren und Ziehen von beiden Seiten, um den Abstand möglichst zu verkleinern. Wie auf Kommando ziehen sie ruckweise – das ganze erinnert an Tauziehen – immer näher und näher rücken die Blattränder aneinander. Plötzlich kommt eine Schar anderer Emsen heran; jede hat eine Larve um den Leib gefaßt. Sie drückt auf den Blattrand den Mund der Larve auf, zwingt sie durch kräftigen Druck, den fadenziehenden Speichel von sich zu geben. Kaum ist dies geschehen, so eilt sie mit ihrer Last über die lebende Brücke und drückt am andern Blatte den Mund der Larve wieder auf: ein Faden ist gesponnen. Und so geht es unaufhörlich hin und zurück, ein Faden nach dem andern zieht sich von Blatt zu Blatt, immer dichter wird das Gewebe. Die Larve wird nicht viel gefragt, ob sie mag oder nicht – früh genug muß sie lernen, daß in ihrem Volk nichts dem einzelnen Geschöpf, alles nur dem Staatswohl gehört. Über die erste Lage von Fäden wird eine zweite gelegt, eine dritte und vierte, bis allmählich das Gewebe Festigkeit bekommt. Es löst sich nun eine der Ketten, die stets von der Außenseite der Blätter die Verbindung halten, während die Spinnerinnen selbst an der Innenseite ihre lebenden Spinnrocken hin und herführen.

Blatt um Blatt wird so zusammengesponnen, das Ganze innen mit Gewebe austapeziert. Die Fadenmenge, die die einzelne Larve hergeben muß, ist eine ungeheure; in der Tat sind denn auch ihre Spinndrüsen außerordentlich entwickelt. Diese Drüsen ziehen sich, am Munde sich öffnend, in sehr breiten Schläuchen durch den ganzen Körper. Allerdings muß die Larve all ihr Spinnvermögen für den Bau und für Ausbesserungen des Nestes hergeben, für sie selbst bleibt garnichts mehr übrig. Sie muß darauf verzichten, sich in eine warme Hülle einzuspinnen, muß sich vielmehr nackt verpuppen. Das ist wohl der Grund, warum die Emsen zum Spinnen nur mittlere Larven nehmen – die größern, der Verpuppungszeit sich nähernden, haben schon all ihren Vorrat zum Fädenziehen längst hergeben müssen.

Die Spinneremsen bedienen sich also – und das steht einzig da in der Tierwelt – eines Handwerkzeuges. Dies Handwerkzeug aber sind – die Kinder des Volkes: wir haben es also mit einer regelrechten Kinderarbeit zu tun. Freilich, in der Menschheit wird die Kinderarbeit von gewissenlosen Eltern oder Unternehmern ausgebeutet, in der Ameisenheit dient sie nur einem Zweck, der allein sie entschuldigen kann, dem Gesamtwohl des Volkes.

Bei Ausbesserungen des Nestes verfahren die Spinnerinnen auf ganz ähnliche Weise. Sehr vorsichtig wird das alte Gewebe fortgeschnitten und in den Wind geworfen, die getrennten Blätter werden aufs neue zusammengezogen und durch frisches Gespinst miteinander verbunden.

Leicht freilich ist es nicht, das Nestspinnen zu beobachten. Der einzelne Faden ist für das unbewaffnete Auge ganz unsichtbar. Außerdem ist es auch nicht ungefährlich, die Nase allzunahe in das Nest hineinzustecken. Die Grasgrünen – übrigens sind nur die Königinnen und Arbeiterinnen smaragdgrün, während die Männchen schwarz sind – sind wie ihre Stammesgenossen ein sehr wehrhaftes, zahlreiches und angriffslustiges Volk, das für menschliche Augen und Nasen äußerst unangenehm werden kann.

Die Spinnerinnen beschäftigen sich, wie die meisten Baumameisen, mit der Viehzucht und bauen, wie sie für sich selbst eine Seidenstadt errichten, so auch seidene Ställe für ihr Vieh. Auf den von ihnen bewohnten Bäumen pflegen sie eine ganze Anzahl, oft Dutzende solcher Ställe anzulegen, die meist aus einigen mit Seide zusammengesponnenen Blättern bestehen, welche zugleich dem Vieh als Weidegrund dienen.

Küferinnen und Weinfässer

Bei einigen Maurenstämmen Nordafrikas gilt die allerdickste Frau für die allerschönste. Wenn also ein junges Mädchen aus guter Familie erwachsen ist und heiraten soll – so mit zwölf Jahren – so wird sie während der Brautzeit so schön wie möglich gemacht. Zu dem Zweck sperrt man sie in einen engen Raum, der auch tagsüber ziemlich dunkel gehalten wird – da wird sie durch einige Monate tüchtig angenudelt. Der Erfolg stellt sich unfehlbar ein; die Mastkur und die Bewegungslosigkeit machen aus dem gertenschlanken Mädel ein wahres Wunder an maurischer Mastschönheit, das mit großem Stolz bei der Hochzeit sich bewundern läßt.

Auch manche Ameisenstämme haben solche rundgenudelte Jungfrauen – nur werden diese nicht aus Schönheitsrücksichten so gemästet, sondern aus dem einzigen Grunde, der bei allen Ameisenvölkern allein maßgebend ist – um dem Staatswohl zu dienen.

Man kann seinem Staate auf sehr verschiedene Weise nützen; wir Menschen betrachten es als höchste Tat, wenn einer für sein Volk sein Leben gibt: den Opfertod stirbt. Aber was ist diese Aufopferung, wenn ich sie mit einer andern vergleiche, die die Ameisen kennen: der nämlich, sich sein ganzes Leben lang in einem dunklen Keller an die Decke zu hängen, um als lebendiges Metfaß für die Volksgenossen zu dienen?!

Solch aufopferndes Märtyrertum verlangen die Völker der Honigameisen von vielen ihrer Bürgerinnen als eine einfache Selbstverständlichkeit.

Die Honigameisen gehören – mit Ausnahme einer Art aus der Familie der Langhalsigen – alle den Buckelameisen an; wir finden sie in Australien, Südafrika, Nordamerika, und zwar stets in sehr trockenen Landstrichen. Solche Dürre zwingt die großen Völker dieser Ameisen, ihre Lebenshaltung entsprechend anzupassen, das heißt, in der ziemlich kurzen Jahreszeit, in der reichlich Nahrung vorhanden ist, genügenden Vorrat für die magern Monate anzusammeln.

Wir haben gesehen, daß die Ammenemsen von Luzon, Borneo, Sumatra es gelernt haben, in mächtig aufgeschwollenen Brustdrüsen Honigtau aufzubewahren. Nicht viel anders machen es die Honigameisen; doch nehmen sie den Honigsaft nicht in Brustdrüsen auf, sondern bewahren ihn in ihrem Kropfmagen, dem Gesellschaftsmagen, auf.

Fast alle Ameisen füttern, Mund an Mund, aus diesem Kropf ihre Schwestern, die sie durch leichte, trillernde Fühlerschläge um Nahrung angehn. Solche Emsen nun, die Honigtau, Nektar und andere süße Pflanzenexsudate sammeln, haben naturgemäß das Bestreben, soviel davon zu nehmen, wie nur möglich; sie füllen also in ihren Kropf, was nur hineingehen mag. Der Kropfmagen läßt infolgedessen den Leib stark anschwellen: je größer die Fähigkeit der Ausdehnung des sozialen Magens ist, um so mehr des süßen Stoffes kann die einzelne Emse davon nachhause tragen. Alle anderen Organe werden dabei auf den engsten Raum zusammengedrängt; der Kropfmagen nimmt fast den ganzen Hinterleib ein.

So können wir denn bei manchen Ameisenarten die Beobachtung machen, daß einzelne Tiere, die gute Futterplätze fanden, bis zum Platzen sich vollstopfen, so sehr, daß diese wandelnden Honigschläuche sich nur hin und her wackelnd mühsam weiterbewegen können. Zuhause angekommen, verfüttern sie freilich alles und sind bald wieder so schlank und so lebhaft, wie sie zuvor waren.

Von diesen Honigschläuchen auf kurze Zeit führt der Weg der Entwicklung, über einige Zwischenstufen, zu den im Keller hängenden Honigtonnen auf Lebensdauer.

Die Arbeitsteilung, die ja überall in der Ameisenheit eine so große Rolle spielt, weist zunächst unter gleichen Tieren dem einen diese, dem andern jene Tätigkeit zu und bringt schließlich besondere, für jede einzelne Arbeit hervorragende geeignete Formen der Arbeiterinnen innerhalb eines Volkes hervor. Bei den Honigschläuchen auf Zeit hat jede einzelne Emse die Fähigkeit, ihren Kropfmagen anschwellen zu lassen; einzelne Arbeiterinnen, die stets zur Nahrungssuche ausziehen, werden diese Fähigkeit dann in höherem Grade besitzen, als andere, die nur die häuslichen Arbeiten zu besorgen haben. Je mehr sich nun einerseits die Aufnahmefähigkeit des Kropfes entwickelt, je mehr andererseits diese Entwicklung sich auf bestimmte Tiere beschränkt, um so mehr nähert sich das Geschlecht dem Zeitpunkte, wo es von vornherein ganz bestimmte Arbeiterformen hat, die überhaupt nicht mehr ausgehn, nie das Nest verlassen, sondern in diesem von den Futterholerinnen angefüllt und immer wieder neu aufgefüllt werden, um ihrerseits aus ihren Bauchfässern die Volksgenossen zwischendurch zu speisen.

Mittlere Stufen kennen wir aus Natal und aus Neu Guinea. Der Leib der Honigfässer dieser Emsen ist schon sehr stark angeschwollen, doch vermögen sie immerhin noch im Neste hin und her zu krabbeln. Völlig ausgeschlossen aber ist jede größere Bewegung bei den riesigen Ballonbäuchen der eigentlichen Honigameisen Nordamerikas und Australiens.

Die Larven der Honigtopfameisen sind, außer in der Größe, nicht voneinander unterschieden; auch zeigen die jungen, eben ausgekrochenen Emsen nur einen Größenunterschied. Nun ist es zwar richtig, daß die meisten der Honigtöpfe zu der großen Sorte der Arbeiterinnen gehören, doch finden wir stets auch mittlere und ganz kleine unter ihnen; die Größe kann also allein nicht bestimmend sein. Wie in den einzelnen Emsen sich plötzlich ihr Beruf zum Honigfaß äußert, wissen wir nicht, doch steht fest, daß die Wahl dieses aufopfernden Berufs schon in frühester Jugend getroffen wird. Eine Reihe der eben ausgeschlüpften Emsen zeigen durch übergroße Nahrungsaufnahme die Neigung, sich dem Schlauchberuf zu widmen, sie werden sogleich mehr und mehr gefüttert, werden gemästet wie maurische Bräute. Eine nach der andern werden sie dann in den Honigkeller geführt, an dessen Decke sie sich – neben die vielen, die dort schon hängen – anhaken.

Von Stund' an sind sie, für die Dauer ihres Lebens, Honigfässer und nichts anderes. Aus dem Kropfmagen lassen sie von Zeit zu Zeit Nahrung in ihren kleinen Privatmagen treten, gerade soviel, als genügt, sie selbst am Leben zu erhalten. Das Öffnen und Schließen zwischen beiden Mägen besorgen sie selbst, wie auch das Öffnen und Schließen des Spundloches, denn anders kann man ihren Mund nicht mehr nennen. Eine weitere Beschäftigung haben sie nicht mehr, außer der immerwährenden und ununterbrochenen Tätigkeit, sich mit ihren Beinen – die zu Haken geworden sind – an der Decke festzuhalten und das eigene, unendlich schwere Faßgewicht zu tragen: eine ungeheuerliche Muskelanstrengung, die für uns Menschen schier unfaßlich ist. Während der mageren Monate des Jahres geht jede Emse, die essen will, in den Keller zum nächsten Fasse. Das Faß öffnet sein Spundloch – die Emse trinkt, was sie mag – das Spundloch schließt sich wieder. Während der kurzen Zeit der Fülle aber ist es umgekehrt: die Honigsammlerinnen bringen die süße Flüssigkeit in ihren Kröpfen heim und füllen sie durch das willig geöffnete Spundloch in die lebenden Tonnen.

Jeder Küfer weiß, daß man seine Fässer pflegen und reinhalten muß – lebende Fässer aber bedürfen besonders guter Pflege. Die gewölbten Keller liegen meist ein Drittel bis zu einem ganzen Meter tief unter der Erde, an besonders trockenen Stellen; sie sind an der höchsten Stelle etwa vier Zentimeter hoch, bis zu zehn breit und bis zu fünfzehn lang. Die Decke ist rauh, um den lebenden Fässern das Anhaken zu erleichtern.

Diese Keller – wie die Fässer – müssen stets trocken gehalten werden, weil sich sonst leicht an den Wänden – des Kellers wie der lebenden Tonnen – Schimmelpilze ansetzen könnten. Kleine Emsen dienen als Kellermeister, sie haben darauf zu achten, daß überall peinlichste Sauberkeit herrscht. Es ist gewiß auch die durchaus notwendige Reinheit des Kellergefängnisses, welche die lebenden Fässer zwingt, sich an der Decke aufhängen zu müssen, anstatt, wie alle andern Fässer in der Welt das tun, bequem auf dem Boden auf dem Bauche zu liegen. Die Ameisentonnen müssen sich ja ernähren und also auch Dreck absondern. Angenommen nun, sie würden nebeneinander enggedrängt auf dem Boden liegen, so würde es außerordentlich schwer, ja unmöglich sein, die so lebensnötige Reinhaltung zu besorgen. Selbst völlig hilflos, ist es ausgeschlossen, daß sie den riesigen Ballonleib heben könnten, um den reinmachenden Emsen Gelegenheit zu geben, die Unterseite ihrer Tonnenbäuche und den Boden darunter zu putzen: Schimmelbildung und daraus entstehende Krankheiten würden die Folge des sich anhäufenden Schmutzes sein. So verlangt das Staatswohl, daß die Faßemsen nicht nur – lebenslänglich Gefangene – als lebendige Honigtonnen dienen, sondern dazu noch sich an die Decke hängen, um mit ungeheurer Kraftanstrengung ein Gewicht, das vielmals schwerer ist, als sie selbst, Stunde um Stunde, Woche um Woche, ja Jahr um Jahr unbeweglich zu tragen.

Kann man mehr tun, seinem Volke zu dienen, als diese Emsen tun?

Es kommt vor, daß gelegentlich ein Faß von der Decke fällt, wenn die überanstrengten Haken es nicht mehr halten können. Es ist dann unfähig, sich selbst wieder an die alte Stelle zurückzubegeben: die Küferinnen tragen und schleppen es hinauf – es schlägt seine Haken in die rauhe Decke und hängt da weiter, Monat um Monat.

Freilich geht's nicht immer gut ab, wenn so ein Honigfaß von der Decke herunterfällt. Zuweilen platzt es, ja es kommt vor, daß so ein Ballonbauch zu stark angefüllt ist und platzt, während er noch an der Decke hängt. Dann läuft die ganze Emsenschar zusammen und leckt den süßen Trank auf, wie er aus dem breiten Bauchriß des Faßtieres herausläuft. Das sieht gefühlsroher aus, als es in der Tat ist. Ein mir befreundeter Herr in Colorado-Springs, der Honigameisen aus dem ›Göttergarten‹ in künstlichem Nest hielt, teilte mir mit, daß geplatzte Honigtonnen unter der Pflege ihrer Schwestern wieder vollkommen gesund wurden, allerdings ihre frühere Tätigkeit nicht mehr aufnehmen konnten.

Anders ist das Verhalten des Honigvolkes, wenn eins ihrer Tierfässer stirbt. Es hängt noch immer fest an der Decke; die Küferinnen müssen es dann sorgsam ablösen. Aber keine denkt daran, nun das Faß zu öffnen und den Honig herauszunehmen, obwohl dieser durchaus gut und genießbar ist. Da es schwierig ist, das ganze Tier aus dem Nest zu schaffen, so trennen die Emsen zunächst den Hinterleib, die Tonne also, von dem übrigen Körper. Dieser läßt sich leicht genug hinaustragen; das Faß aber muß mit großer Mühe zu dem weiten Tor geschleppt werden; von dort läßt man es hinunterrollen. Schleppt es dann zum Begräbnisplatz, wo öfter eine ganze Reihe solcher Fässer herumliegen.

Den Honig, mit dem die lebenden Töpfe gefüllt werden, sammeln ihre Schwestern während der kurzen Zeit des Überflusses. Es sind nächtliche Tiere, die die magere Zeit des Jahres über nur im Neste zubringen. Sie besuchen mit Vorliebe Zwergeichen, auf denen kleine Galläpfel einige Tropfen süßen Saftes ausschwitzen; aber sie nehmen auch eigentlichen Honigtau von den Blättern oder melken ihn von den Blattläusen: Wer also eine Honigameise verzehrt, ißt süßen Pflanzensaft, der, ohne von seiner Frische und Süßigkeit zu verlieren, in zwei Tierleibern gewesen ist: in einer Blattlaus und in einer Ameise.

Als großer Leckerbissen gilt das Honigfaß sowohl den Indianern der mexikanischen Hochebene als auch den Australnegern; beide graben sicher nach, sowie sie nur ein Nest finden. Sie verzehren eine nach der andern – und größere Nester haben über sechshundert Honigtonnen – mit dem Ausdruck höchsten Entzückens. Ich habe in beiden Ländern sie versucht – ich gebe gern zu, daß das im Interesse der Wissenschaft ganz überflüssig war und nur aus Neugierde geschah, um zu versuchen, wie eigentlich Märtyrer schmecken. Wenn vielleicht jemand, der dies liest, auch so neugierig sein sollte wie ich, so will ich ihm verraten, daß die australische ein wenig süßer schmeckt als die mexikanische, die dafür aber ein fetterer Bissen ist. Im übrigen – mir ist Kaviar lieber! Immerhin: was den Geschmack angeht, verdienen die Honigtöpfe unter den Ameisen den höchsten Preis. Man versuche nur einmal eine kleine Hausameise – die naschen gern von unserm Zucker und es kommt leicht vor, daß man mal eine mit in den Mund bekommt – viele Stunden lang wird man den widerlichen Geschmack nicht von der Zunge los.

Die mexikanischen Indianer, die aus allem Schnaps machen, was sich nicht wehren kann, brauen natürlich auch aus den Honigtöpfen einen Schnaps, den sie hoch in Ehren halten. Mit Pulque, dem Suff, den sie aus Agaven machen, hält er schon den Vergleich aus und ist gewiß viel besser als ›Baby-Rum‹ ›Witch-Hazel‹, ›Westphals Auxiliator‹ und andere Toilettenwasser und Haarwuchsmittel, die uns im amerikanischen Gefangenenlager als Grundlage zur Silvesterbowle dienten – sonst aber läßt er doch manches zu wünschen übrig. Dagegen scheint der Honig aus den lebenden Fässern, ärztlich angewendet, sehr gut zu sein. Einer meiner Mozos, der sich den Arm gequetscht hatte, rieb sich die stark geschwollene Stelle damit ein, mit dem Erfolge, daß die Geschwulst in kurzer Zeit völlig verschwand.


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