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XIII. Zusammenhausen

 

Cosi per entro loro schiera bruna
S'amusa l'una con l'altra formica
Forse a spiar lor via e lor fortuna.

Dante, Purgatorio, XXVI, 32.

 

Zwei Völker in einer Stadt

Wenn gesellschaftliche Gebilde mit vollem Recht national genannt werden können, so sind es die Ameisenvölker. Jede Ameise arbeitet viel weniger für sich selbst, als vielmehr für das ganze Volk. Der Bau gehört allen gemeinsam, wie das Nutzvieh, die Pilzgärten, die Kornkammern, ja die Nahrung, die jede einzelne in ihrem Kropfe trägt, dem Gesamtvolke gehören. Gemeinsam ist die junge Brut, gemeinsam die Königin-Mutter, die in sich den Volksgedanken verkörpert. Alle Liebe jeder Ameise gehört nur ihrem Volk; verfolgt wird alles, was nicht zu ihrem Volk gehört – wobei es gleichgültig ist, ob das andere Insekten, Ameisen fremder Art oder auch andere Völker des eigenen Stammes sind.

Nun haben wir bereits gesehen, daß es von dieser Regel Ausnahmen gibt. So haben einige Ameisenarten eine ihnen oft verderblich werdende Vorliebe für fremde Gäste, wie die goldgelockten Fransenkäfer. Auch zwischen den Ameisen untereinander kommt es zuweilen zu andern Beziehungen, als nur zu feindseligen; ja, es kommt sogar zu Zusammenschlüssen.

Hierzu finden wir bei der Menschheit schlagende Ähnlichkeiten. In vielen Menschenstaaten hausen neben dem ›herrschenden‹ Volke ein oder mehrere andere Völker – die Beziehungen untereinander sind dabei von so weitgehender Verschiedenheit, daß man dicke Bände darüber geschrieben hat. Wir finden äußerst friedliche Beziehungen, wie in der Schweiz, wo seit langen Jahren Deutsche, Franzosen und Italiener einträchtig und gleichberechtigt als Schweizer Bürger miteinander hausen. Wir haben auch das Gegenteil, wie in der Türkei, wo Kurden und Armenier in ewigem Kampfe liegen. Und zwischen diesen beiden gibt es unzählige Abstufungen – wir nehmen keine Zeitung in die Hand, in der nicht die eine oder andere nationale Frage des Gastvolkes zu seinem Wirtsvolke besprochen wird. Bald ist es, in Nordamerika, die Frage der Neger in den Südstaaten, der Japaner in Kalifornien, der Indianer in den ihnen überlassenen Landstrichen, bald, in Großbritannien, die irische, bald, in Osteuropa, die jüdische Frage. Es gibt deutsche Fragen in allen Grenzländern, eine Lappenfrage in Schweden, eine Baskenfrage in Spanien, eine Zigeunerfrage überall – manche Staaten haben gleich zwei, drei, ein halbes Dutzend solcher ungelöster Nationalitätenfragen. Nun, wenn die Ameisen Zeitungen hätten, so würden diese tagtäglich dasselbe Lied singen!

Es ist leider nicht wahr, daß die Erde ›Raum für alle‹ habe. Sie hat entschieden viel zu wenig Raum für die stets wachsende Menschheit wie für die nicht minder wachsende Ameisenheit.

Nicht jeder Platz scheint den Ameisen geeignet, eine Stadt anzulegen; der eine entspricht diesen, der andere jenen Anforderungen nicht. So kommt es, daß ein besonders guter Platz dem einen wie dem andern Volke gefällt, daß, etwa unter einem günstig liegenden Steine oder in morschen Baumstrünken mehrere junge Völker oft verschiedenster Art ihre Wohnung aufgeschlagen haben. Werden die Nester größer, so mögen sie ineinander wachsen, ja, eins mag das andere völlig umschließen. Kämpfe finden in solchen aneinandergrenzenden oder ineinandergebauten Nestern immer statt; doch werden öfter die Völker dieser ewigen Streitereien müde. Sie mögen einen stillschweigenden Waffenstillstand schließen und sich gegenseitig nach Möglichkeit unbeachtet lassen. Solche, häufig und überall vorkommenden, verbundenen Nester verdanken mehr dem Zufall ihre Entstehung. Wird dann ein Volk stärker und mächtiger, so kommt es vor, daß es das andere aus seiner Wohnung vertreibt. Die Nester selbst sind stets voneinander getrennt, sodaß eine Begegnung im Nest kaum vorkommt; der Waffenstillstand gilt also eigentlich nur für außerhalb. Zerstört man solche zusammengesetzten Nester, so greifen die Völker einander sofort heftig an: jedes in dem Glauben, daß die unliebsame Störung von dem anderen Volke herrühre.

Ein wenig weiter gehn einige Arten amerikanischer Ameisen, die ohne scheidende Nestwände beieinander hausen. Es sind friedliche, furchtsame Stämme. Sie bewohnen in dem Neste, etwa einem verlassenen Termitenbau, verschiedene Stellen, führen getrennten Haushalt, bekümmern sich nur um die eigene Brut. Aus der Öffnung aber ziehen die artverschiedenen Völker gemeinsam aus, trennen sich erst draußen, um ihren Geschäften nachzugehn, die einen etwa, um ihre Viehherden zu melken, die andern, um Körner zu sammeln. Auch diese Wohnungsgemeinschaft scheint zufällig, da all diese Arten in der Regel ihre eignen Nester für sich allein haben.

Eine Absichtlichkeit aber ist schon vorhanden, wenn einige Ameisenarten in oder dicht bei dem Neste eines fremden Volkes sich einmieten, um von diesem Vorteile für sich zu ziehen. Sie mögen Nutzen haben von der besseren Bauart der andern, oder auch nur einsehen, daß man sich alle Bauarbeit spart, wenn man fremde Räume einfach mit Beschlag belegt – wir Menschen haben ja von dieser liebenswürdigen Ameisengewohnheit in den letzten Jahren einiges gelernt. Die Hochachtung vor fremdem Eigentum hat in der Ameisenheit stets nur dann etwas gegolten, wenn der Eigentümer seinen Besitz auch zu schützen verstand – diesen Grundsatz macht sich die Menschheit mehr und mehr zu eigen. Solche Enteignungen sind in der Ameisenheit eine alltägliche Sache: eine Art wird von einer fremden aus ihrer Wohnung – oder einem Teile derselben – hinausgeworfen; die neuen Besitzer müssen vielleicht nach kurzer Zeit wieder einem dritten stärkeren Volke Platz machen. Daß bei solchem Besitzwechsel den Vertriebenen auch nebenher die Brut fortgenommen wird, ist selbstverständlich: sind doch fremde Ameiseneier und Larven stets eine beliebte Kostzugabe.

In andern Fällen haben die Eindringlinge es weniger auf die Wohnung, als vielmehr auf eine dauernde gute Beutegelegenheit abgesehen.

Die Wegelagerinnen

Die Ernteameisen des nordamerikanischen Westens sind vortreffliche Baumeister, deren gewaltige Nester schon den Neid anderer Arten erregen können. Rings über dem Nest ist ein geebneter freier Raum, der sanft ansteigende flache Krater erhebt sich darin. Und diesen Krater haben die mächtigen Völker der Prärieameisen sorgfältig mit kleinen Steinen gepflastert, oder, besser gesagt, gedeckt, da mit den Steinen ja nicht der Boden, sondern das Dach der Ameisenstadt belegt ist. Innerhalb des Erdnestes befinden sich nur in besondern Kammern noch Steine, alle andern sind aus der Erde herausgeholt und zum Dachdecken benutzt. Zuweilen finden sich auch versteinerte Knochen und Muscheln als Dachziegel, ja, man hat gelegentlich Goldkörner gefunden, sodaß hier die sagenhafte Geschichte des Plinius von den indischen goldsammelnden Ameisen eine Art Bestätigung findet. Die Steinchen sind dicht nebeneinander gelegt und bilden einen ausgezeichneten Schutz gegen Regen. Kein Wunder also, daß ein Nest der Dachdeckerinnen allen möglichen Ameisenarten ein sehr begehrenswerter Aufenthalt scheint.

Die Ernteameisen der Prärien sind nun, im Gegensatz zu ihren texanischen Basen, recht geruhigen Gemütes; sie lassen sich fremde Einmietung im allgemeinen still gefallen. Kommt es freilich einmal zu einem Kampfe, so zeigen sie, was sie können, bleiben stets Siegerinnen. Unter den Einmieterinnen in der Prärieemsenstadt befinden sich nun stets Ameisen, die recht eigentlich vom Wegraub leben.

Diese Raubritterinnen bauen sich kleine Kegel auf dem hübsch gereinigten Hofraum, der die kunstvoll bedachte Präriestadt umgibt. Sie gehn zwar auch, wie jeder gute Raubritter, selbst auf die Jagd, aber sie haben daneben das Wegelagern in großem Stile eingeführt. Die Schnitterinnen ziehen in gewaltigen Scharen aus, um Ähren zu schneiden und die Samen heimzutragen.

Darauf nun haben die kleinen Räuberinnen es abgesehen. Sie lauern in Scharen beim Neste, warten ab, bis gerade eine fleißige Bäuerin schwer beladen zurückkommt und stürzen sich auf sie, um sie von ihrer Last zu erleichtern. Der Angriff geschieht so plötzlich, daß die Ernteameise kaum Zeit zur Überlegung hat; dabei mag sie, im Gefühl des großen Reichtums ihres mächtigen Volkes auch denken, daß man den kleinen Frechlingen die Bröckchen schon überlassen könne. Jedenfalls kommt es im allgemeinen nicht zum Kampfe. Die Räuberinnen untersuchen auch die großen Abfallhaufen der Präriestadt und finden da manches noch Eßbare; sie rauben ferner, wenn sie Gelegenheit haben, das ungesehen tun zu können, von der jungen Brut des Wirtsvolkes. Ihre Frechheit geht so weit, daß sie die großen Prärieemsen, wenn diese auf dem Heimwege über ihr kleines Nest laufen, als Störenfriede betrachten und sie voller Wut anfallen – dann freilich setzt sich die starke, schwerfällige Bäuerin zur Wehr. Recht komische Kämpfe entspinnen sich, bei denen doch wenig herauskommt – die behenden Davidlein vermögen der mächtigen, bärtigen Goliathin ebensowenig anzuhaben wie diese ihnen. Eine faßt wütend ein Bein der Riesin, andere greifen die andern Beine und die Fühler – im Augenblicke ist die Große von einer ganzen Schar der Zwerge bedeckt und wälzt sich mit ihnen in einem wirren Knäuel am Boden herum. Die starke Bäuerin ist froh, wenn sie die Kleinen abgeschüttelt hat; sie zieht sich zurück und kämmt sich den zerzausten Bart.

Das alles lassen sich die sehr gutmütigen Prärieemsen ruhig gefallen. Obendrein aber verderben die Wegelagerinnen durch ihre kleinen Nestkrater ihnen auch noch ihren schön geglätteten Hof und die ausgezeichnet angelegten Straßen, sodaß diese fortwährender Ausbesserung bedürfen. Allmählich hat ihre Gutmütigkeit doch ein Ende; sie beschließen, dem unerträglich gewordenen Zustand ein für allemal ein Ende zu machen. Und sie gehn genau so vor wie die mittelalterlichen Städte gegen die Raubritter. Da hatte es wenig Zweck, den einen oder andern aufzuknüpfen – ganz abgesehen davon, daß die Nürnberger und alle andern Städter keinen hängen konnten, den sie nicht zuvor gefangen hatten, was durchaus keine einfache Sache war. Sie hielten es daher für zweckmäßiger, die Raubritterburgen zu brechen. Auf diesen schlauen Gedanken sind die reichen Bürgerinnen der Präriestädte auch gekommen. Nach echter Bürgerart schwärmen sie nicht für Sturm und Kampf. Wenn die Städter die Raubritternester ausräucherten, eine Ausgangsstelle freilassend, um den Rittern und ihrem Troß ungehinderten Abzug zu gewähren – so machen die Präriebürgerinnen es nicht viel anders. Feuer haben sie freilich nicht – aber sie haben etwas, was das reichlich ersetzt. Unter ihren Abfallhaufen hausen viele Regenwürmer – so ist der Boden bedeckt mit den schwarzen Kügelchen, die diese Würmer machen. Solche Kügelchen sammeln die Ackerbäuerinnen in großen Mengen und werfen sie in die Öffnungen der Raubburgen. Ein Tor nach dem andern wird verrammelt; je mehr die belagerten Wegelagerinnen sich bemühen, einen Ausgang wieder freizumachen, um so dichter hageln die schwarzen Kugeln hinab. Schließlich bleibt den diesmal doch geschundenen Raubrittern nichts anderes übrig, als mit Sack und Pack, mit Kind und Kegel die stolze Burg zu verlassen. Die Präriestädterinnen machen dann gleich gründliche Arbeit: nicht eine, sondern alle Raubburgen in ihrem Stadtbezirk werden verschüttet – für eine Weile sind sie die Plage der frechen Landstörzerinnen los.

Die texanische Ernteameise, die langbärtige, ist nicht so sanfter Natur wie die Präriestädterin des Westens; sie läßt sich daher von den Wegelagerinnen lange nicht so viel gefallen. Auch bei ihr sind die frechen Raubritterinnen stets die Angreifer, die keinen Funken von Achtung oder Furcht vor den doch so überaus wilden und starken Langbärtigen haben. Da bei solch frechem Gesindel alle Einzelkämpfe nichts nutzen, so greifen schließlich auch die Texanerinnen zu dem Mittel, die Raubburgen zu verschütten.

Bettlermücken und Straßenräuberfliegen

Übrigens sind die kleinen Raubritterameisen nicht die einzigen Insekten, die brave Bürgerinnen auf ihren Straßen anfallen und berauben. Auf Insulinde, wo die goldlockige Loreleiwanze zuhause ist, die die armen Emsen erst berauscht und dann aussaugt, lebt auch eine bettelnde Mücke und eine wegelagernde Fliege.

Diese Raubritterfliege setzt sich dicht an der Ameisenstraße auf einen Stein; sie wählt den Platz, wo sie weiteste Aussicht hat. Kommt eine Emsenjägerin mit Wild beladen daher, so fliegt sie flugs auf sie zu, entreißt ihr die Beute und ist weggeflogen, ehe die Ameise noch weiß, was ihr geschah.

Noch frecher treibt es die Bettlermücke. Auch sie lungert auf Ameisenstraßen herum, und zwar bevorzugt sie solche, die eine Ammenameise, vom Hängebauchgeschlecht, anlegt. Sie bettelt diese an, nach Emsenart, streichelt und betrillert sie, sodaß die gutmütige vollbusige Hängebauchige, im Glauben, daß es eine hungrige Schwester sei, ihr gern aus dem Kröpfchen etwas abgibt. Nicht genug damit, die Bettlerin beginnt, sie auch noch am Busen zu lecken. Alle Ammen, sagt man, sind ein wenig begriffsstutzig, und die Ammenameise macht davon keine Ausnahme. Sie reicht also der Bettelmücke die strotzende Brust und läßt sie von der schönen Honigmilch saugen.

Freilich tut sie das garnicht aus besonderer Vorliebe zum Mückengeschlecht, sondern nur, weil sie die kleine Bettlerin für eine Schwesteremse hält. Wenn sie dieselbe Mücke ein wenig später über den Weg laufen sieht, hübsch sattgefressen, sodaß sie nicht nach schmeichlerischer Ameisenart bettelt – dann betrachtet sie sie als ein Stück Wild wie jedes andere Insekt. Fängt sie, zerreißt sie, frißt sie auf.

Die Diebsameisen

Stehlen ist dem Menschen, der's unbelästigt durch Gesetz und Gewissen tun kann, eine sehr liebe Beschäftigung, dem andern, der bestohlen wird, etwas sehr Zuwideres. Gestohlen und geraubt wird tagtäglich überall in der Welt, meistens von Einzelnen, seltener von geschlossenen Banden. Daß aber ganze Völker sich drauf verlegen und nur von Bestehlen und Berauben anderer Völker leben, das ist der Ameisenheit vorbehalten.

Freilich sind die Diebsameisenvölker weder durch Gewissen noch durch Gesetz beschwert. Das einzige Gesetz der Ameisen ist, alles für das Wohl ihres Volkes zu tun – da nun durch Raub und Diebstahl dem eigenen Volke nur genützt wird, so begehn dabei die Ameisen nicht verbotene und verabscheuenswerte, sondern erlaubte und lobenswerte Handlungen. Es stiehlt und raubt gelegentlich jede Ameise, doch haben die Diebsameisen daraus ein ihre zahlreichen Völker gut ernährendes Handwerk gemacht.

Die Diebsameisen legen ihre Nester dicht bei oder in den Nestern anderer Ameisen an. Es sind sehr kleine Tiere, die kleinsten uns bekannten Ameisen überhaupt. Die Gänge ihrer Nester, die stets in die Nester der Großen einlaufen, sind so schmal, daß diese kaum ihre Fühler hineinstrecken können; sowie also die Diebsemse einen ihrer Gänge erreicht hat, ist sie sicher vor jeder Verfolgung. Doch finden sich in ihren Nestern auch viel größere Kammern, die notwendig sind für die Geschlechtstiere – denn Männchen und namentlich Weibchen sind bei ihnen sehr viel größer als die Arbeiterinnen. Die Königin – oder die Königinnen, denn die Diebsvölker haben stets eine ganze Reihe befruchteter Königinnen – sind ihrem mächtigen Hinterleib entsprechend sehr fruchtbar; infolgedessen sind die Völker gewaltig groß, zählen in die Hunderttausende, ja in die Millionen.

Diese gewaltigen Völker ernähren sich auf Kosten ihrer Wirtsvölker, und zwar ist es deren Brut, die Eier, Larven und Puppen, auf die sie es abgesehen haben. Insofern ist die wissenschaftliche Bezeichnung ›Diebsameise‹, wie in so vielen andern Fällen, eine recht unglückliche. Wir Menschen würden ganz gewiß nicht andere Menschen, die unsere Kinder stehlen, um sie aufzufressen, als Diebe bezeichnen! Schließlich sind Namen und Bezeichnungen doch dazu da, daß man sich etwas darunter denken soll – und zwar etwas Zutreffendes und nicht etwas Falsches. Aber davon hält die Wissenschaft garnichts – im Gegenteil: je irreführender ein Name ist, um so schöner deucht er sie. So führt die europäische Diebsameise den Beinamen: ›Fugax‹, die Flüchtige – vermutlich, weil sie garnicht flüchtig , sondern sehr langsam in allen ihren Bewegungen ist. Ja, sagt dann die weise Tante Wissenschaft, dies flüchtig bezieht sich ja auch garnicht auf die Bewegungen, es bezieht sich darauf, daß diese Ameise das Licht flieht. Bloß: die kleine Ameise denkt garnicht daran, das Licht zu fliehen. Freilich haust sie fern vom Lichte, lebt unterirdisch, da nur unter der Erde die von ihr erstrebten leckeren Bissen zu finden sind; braucht also das Augenlicht nur sehr wenig und sieht fast nichts. Aber gerade weil das Licht keine Einwirkung auf sie hat, ist sie durchaus nicht ›lichtscheu‹, im Gegensatz zu den meisten andern Ameisen. Man kann sich davon im künstlichen Neste leicht überzeugen: sie legt ihr Nest mit Vorliebe dicht an den dem Lichte am meisten ausgesetzten Glaswänden an. Das weiß die Wissenschaft natürlich so gut wie ich, denn ich bin ja nicht der Einzige, der die Diebsameisen mal im künstlichen Neste beobachtet hat. Aber es ist ihr gleichgültig, sie nennt die Ameise fröhlich drauf los: Fugax, die Flüchtige – die garnicht flüchtig ist! Fugax, die Lichtscheue – die das Licht kein bißchen scheut!

Mögen die Ammen der Wirtsvölker noch so gut auf ihre Brut aufpassen, sicher ist diese in ihren Wiegen nie vor der Kinderräuberin. Diese gräbt sich Kanäle durch die Erde; hat sie erst einmal Zugang zu einer Kinderstube gefunden, so steigt sie in gewaltigen Scharen hinein und richtet ein fürchterliches Blutbad an. Gewiß nehmen die Räuberinnen auch andere Nahrung, aber nur, weil die leckerste Speise gelegentlich Abwechslung erfordert. Sie verzehren tote oder lebende Insekten; sie halten auch manchmal Wurzelläuse, um sie zu melken. Vermutlich werden sie, falls ihre Wirtsvölker Nutzvieh halten, auch dieses melken oder auffressen – aber all das sind nur Zutaten zu ihrem Speisezettel: die Hauptsache bleibt die fremde Ameisenbrut.

Natürlich lassen sich die beraubten Ameisen das nicht gefallen, sie suchen sich zu wehren, so gut es geht. Aber es geht eben garnicht gut, selbst solch große, tapfere, starke, bissige Ameisen wie die Blutroten unterliegen ihnen. Unendlich viel größer und kräftiger, als die winzigen Zwerge, sind sie im Kampfe doch stark benachteiligt. Zunächst ist es sehr schwer, die Kleinen zu bemerken, die sofort mit Berserkerwut angreifen und sich an Beine und Fühler hängen. Dann aber hat die Räuberin einen Stachel, der ein starkes Gift ausspritzt; davon gestochen, sinkt die Riesin hin und wälzt sich in Zuckungen. Ihr Biß geht meist fehl; erwischt sie freilich eine der Räuberinnen, so ist diese sofort von den starken Oberkiefern in Stücke geschnitten.

Nicht nur bei fremden Ameisenarten, auch in den Termitenstädten hausen die Diebsameisen und benehmen sich dort ebenso, wenn nicht noch räuberischer. Wenn man, rein menschlich gesehen, die Eier, Larven und Puppen der Ameisen, die sich ja garnicht oder nur sehr wenig bewegen, noch nicht als eigentliche Kindlein betrachten will, so fällt dieser mildernde Umstand im Termitenneste ganz weg. Die Termiten kennen keine eigentliche Larven- und Puppenzeit; aus den Eiern kriechen Junge heraus, die den Erwachsenen gleichen und nur mehrere Häutungen durchmachen. Die Räuberinnen der Termitenbrut also haben den Bethlehemitischen Kindermord mit anschließender Mahlzeit recht eigentlich zum Zweck und Inhalt ihres Lebens gemacht. Und dies Mörderleben bekommt ihnen so gut, daß sie es sich leisten können, ihre Geschlechtstiere zu wahren Ungetümen heranzuzüchten. Die Emsen selbst müssen ja sehr klein bleiben, um ihrem räuberischen Handwerk nachgehn zu können – so ist ihr ganzer Stolz die Mutter-Königin. Einige Arten, wie die Carebara, haben es gar fertig gebracht, Königinnen zu haben, die über achttausendmal – rauminhaltlich gerechnet – so groß sind, wie die gewöhnlichen Emsen, sodaß diese bei ihrem Reinigungsdienste auf ihr herumkrabbeln, wie Flöhe auf einem Fleischerhund.

Echte Diebsameisen

Übrigens findet man in Termitenstaaten auch eine wirkliche Diebsameise, eine solche, die in der Tat diesen Namen verdient und die nicht nur eine Räuberin und Brutmörderin ist. Diese, die einzige bisher bekannte echte Diebsameise lebt bei einer Art von pilzzüchtenden Termiten Ceylons; sie haust und nistet in den Pilzgärten. Sie raubt nicht die Brut, frißt nicht die Jungen, sondern stiehlt lediglich aus den Pilzgärten. Sie ist eine Verwandte der Pharaoameise, jener kleinen Hausameise, die sich im Laufe der Jahrhunderte über die ganze menschenbewohnte Erde verbreitet hat und die nun bei Menschen und nicht bei Termiten oder andern Ameisen ihr Diebshandwerk treibt. Sie kann uns unangenehm genug werden, wenn auch die Menschenbrut ein allzugroßer Bissen für sie ist, sodaß wir ihr in dieser Beziehung wenigstens nichts vorzuwerfen haben.

Die Gastameise

Wenn ich jemanden zu Gast habe, so stelle ich – wenn ich ein feiner Mann bin und mir sowas leisten kann – ihm meine Räume zur Verfügung, daneben Essen und Trinken, auch Schlafanzug, Rasiergerät und was sonst noch nötig ist: nur das Zahnbürstel muß er sich selbst mitbringen. Die alten Griechen pflegten eine großzügige Gastfreundschaft, die höchstens von einigen Indianerstämmen und Negervölkern noch übertroffen wird, welche dem Gastfreunde noch obendrein ihre Frauen und Töchter zur freundlichen Benutzung überlassen und beleidigt sind, wenn man davon keinen Gebrauch macht. Der Herr Professor aber, der der Gastameise ihren griechischen Namen gab und sie ›Formicoxenus‹, d.h. Ameisengastfreundin taufte, muß einen höchst merkwürdigen Begriff von Gastfreundschaft und besonders von der unter den Hellenen üblichen gehabt haben.

Denn die Gastameise genießt bei ihrem Wirtsvolke auch nicht die allergeringste Gastfreundschaft. Sie bekommt keine Wohnung, erhält garnichts zu essen, ja sie steht mit den ›sie bewirtenden‹ Ameisen nicht einmal auf Grußfuß. Allerdings baut sie ihre eigenen, winzigkleinen Nestchen mitten im großen Neste der andern, benutzt auch deren Neststraßen – sie hat sich eben in der fremden Stadt höchst bescheiden einquartiert und mag im besten Falle als eine Schutzbefohlene gelten.

Die Nester der Gastameise sind die einzigen in der Ameisenheit, die mit vollem Recht diesen Namen tragen: sie erinnern an Vogelnester. Sie sind so groß etwa wie eine halbe Haselnuß und haben die Form eines winzigen Näpfchens. Auch werden alte, verlassene Käferpuppen benutzt, besonders die des Goldkäfers, der seine Puppenzeit gern in Ameisennestern zubringt. Die Gastameisen sind größer als die Diebsameisen; aber ihre Geschlechtstiere sind viel kleiner als die dieser Art, ja nicht größer als ihre Arbeiterinnen. So sind auch ihre Völker sehr klein, betragen nur einige Hundert Seelen, unter denen unverhältnismäßig viele Männchen sind. Schon die Weibchen gleichen den Arbeiterinnen, doch sind sie meist geflügelt – die Männchen aber, die ungeflügelt sind, haben völlig die Form von Arbeiterinnen angenommen.

Die Gastameisen sind harmloser Natur; ihr größtes Vergnügen ist Huckepackreiten. Eins setzt sich auf das andere, umfaßt mit den Kiefern dessen Hals und hält sich daran fest. Und es ist gerade wie bei den Weibern der guten Stadt Weinsberg – oben sitzt stets ein Männchen, und als Reittier wird stets ein Weibchen benutzt: so scheinen diese komischen Reitereien vorbereitende Liebesspiele zu sein.

Da die Männchen ungeflügelt sind, so ist ein Hochzeitsflug nicht denkbar; die Massenhochzeit findet daher auf der Oberfläche des Nestes der Wirtsameisen statt, die ihres Hauses Dach den kleinen Einmietern für diesen Zweck für ein Stündchen gern zur Verfügung stellen. Beobachtet man solche Massenhochzeit, so sieht man mit einigem Erstaunen, daß die Männchen nicht nur die geflügelten Weibchen, sondern auch – Arbeiterinnen besteigen. Doch tut man Unrecht, wenn man die Männchen für so dumm hält, daß sie nicht zwischen Weibchen und Arbeiterin unterscheiden könnten: diese umarmten vermeintlichen Arbeiterinnen sind in der Tat auch Weibchen, die freilich, ungeflügelt, den Arbeiterinnen völlig gleichen. Die Gastameise hat eben zwei verschiedene Weibchenformen.

Innerhalb der großen Stadt führen die bescheidenen Gastameisen ein abgeschlossenes Leben. Die Wirtsameisen haben erkannt, daß diese kleinen glänzenden Tierchen völlig harmlos sind, und lassen sie gewähren; bekümmern sich aber auch weiter nicht um sie. Wenn eine der Waldameisen, bei denen sie hausen, einer von ihnen begegnet, läuft sie achtlos vorbei, wobei die Kleine gelegentlich einen unbeabsichtigten Fußtritt mitbekommt, der sie auf die Seite kullern läßt. Sie läßt sich das ruhig gefallen und denkt garnicht daran, nach echter Emsenart, sich zu rächen und die Große sogleich anzufallen. Ab und zu hält eine der Waldameisen die behende Kleine an, als ob sie erkunden wolle, was sie denn eigentlich in der Stadt treibe; befühlt sie, nimmt sie in die geöffneten Kiefer. Der glänzende Knirps hält sich dann mäuschenstill, stellt sich tot – und benutzt die erste Gelegenheit, die ihr die Große gibt, um schleunigst auszureißen. Dieselbe ängstliche Demut und furchtsame Geduld zeigt sie auch gegenüber im Neste hausenden Käfern; was immer über ihr Napfnestchen trampelt und es beschädigt, was immer ihr selbst unversehens einen Stoß oder Tritt versetzt, wird von der Kleinen als eine Schickung des Himmels betrachtet, gegen die man nichts machen kann. So bewirkt ihr friedfertiges Gemüt, daß man sie duldet: sie gilt in der großen Stadt eben als ein solch armseliger Nebbich, daß es sich nicht weiter lohnt, mit ihr anzubinden.

Die Waldameisen und Waldwiesenameisen, bei denen die kleine Fremde sich einmietet, haben gar keinen Vorteil von ihr, auf der andern Seite hat diese nur den Nutzen, einen gewissen Schutz zu genießen. Immerhin scheint ihr das etwas sehr Erhebliches und Notwendiges zu sein, denn sie nistet nie allein, sondern stets nur innerhalb fremder Städte. Ja, wenn die Beschützerinnen ihre Stadt verlassen, um anderswo eine neue zu gründen, so zieht die Kleine samt ihrer Brut mit aus, richtet ihr bescheidenes Plätzchen im neuen Neste neu her.

Die Bettlerin

Im Nordosten der Vereinigten Staaten und in den angrenzenden Landstrichen Kanadas lebt in fremden Emsenstädten eine Ameise, die etwa der europäischen, fälschlich so benannten Gastameise entspricht. Nur kann diese kleine Ameise vom Geschlecht der ›Schmalbrüstigen‹ sich mit mehr Recht eine Gastfreundin nennen. Sie baut in der fremden Stadt ihr eigenes Nestchen, in dem sie selbständig haust und ihre Brut aufzieht; es ist durch Wände vollkommen abgetrennt, hat jedoch schmale Zugänge. Aus diesen eilen die Kleinen in die Stadt hinaus, um sich ihre Nahrung zu holen – und sie tun das durch regelrechten Bettel.

Dazu haben sie freilich ihr eigenes Verfahren erfunden. Sie klettern nämlich der nächsten Bürgerin, die sie antreffen, auf den Rücken und beginnen eifrig, deren Kopf abzulecken. Zugleich betrillern sie sie mit ihren Fühlern und bitten um eine milde Gabe. Beleckt zu werden, ist jeder Ameise höchst angenehm und versetzt sie stets in gnädige Laune.

Wo was zu holen ist, weiß die Bettlerin recht gut; sie macht sich mit Vorliebe an diejenigen heran, die gerade nach Hause zurückkommen. Die Wirtsameisen sind reiche Viehzüchterinnen, die Heimkehrenden haben eben ihre Herden gemolken und tragen den Milcheimer, ihren Kropfmagen, zum Überlaufen voll. So öffnet denn die Bürgerin ihren Mund und gibt der Bettlerin, die so hübsch bitten kann, gerne ein Tröpfchen Manna mit.

Nicht, als ob die Bettlerinnen die Kunst, selbständig zu essen, verlernt hätten und nun lebensnotwendig darauf angewiesen wären, sich füttern zu lassen. Hält man sie allein im künstlichen Nest, so gehn sie, ein wenig furchtsam zuerst, zum Futternapf, um sich zu sättigen. Sowie man aber Emsen ihres Wirtsvolkes wieder zu ihnen setzt, fallen sie in die liebe Gewohnheit des Bettelns zurück, rühren den Futternapf nicht mehr an und lassen sich füttern.

Nun ist freilich im gewissen Sinne eine jede Ameise eine Bettlerin, jede spricht ihre Schwester um Nahrung an: es scheint, daß es ihnen besser schmeckt, wenn das Essen in einem Kuß gereicht wird. Nur: dieses Um-Nahrung-bitten, dieses Küssen und Füttern ist streng beschränkt auf das eigne Volk – so geliebt der Mund der Schwester ist, so verhaßt ist der jeder andern Ameise. Die schmalbrüstige Bettlerin ist die einzige in der Ameisenheit, die, diese starre Regel durchbrechend, von einer Fremden Speise erbittet; ihre freundliche Wirtin die einzige, die einer Fremden, die ihr eigen Nest und ihre eigne Brut hat, Nahrung reicht.

Beide Völker also haben mit dem alten Ameisenherkommen gebrochen, in jeder Fremden einen Feind zu sehen. Sie leben friedlich und freundschaftlich miteinander; die Wirtsameise – vom Stamme der Knotenameise – empfindet die Bettelei der Kleinen durchaus nicht als Zudringlichkeit, sondern freut sich sichtlich, von ihr beleckt zu werden und ihr dafür von ihrem Überfluß abgeben zu können. Sie stattet sogar der Bettlerin selbst in ihrem Neste Besuche ab, wobei sie freilich, da sie durch die schmalen Gänge nicht durchkann, die Mauern einreißen muß. Die Bettlerinnen nehmen ihr das nicht weiter übel, sie beginnen sogleich die Fremde, die nun zu ihnen zu Gast gekommen ist, zu belecken und dafür um ein Futtertröpfchen zu bitten. Dennoch sehen sie den Besuch als solchen nicht gerade gerne, sie betrachten ihre eigene kleine Wohnung als durchaus privat und versuchen daher, die Besucherinnen mit sanfter Gewalt an den Beinen zerrend, diese hinauszudrängen. Gelingt ihnen das, so bauen sie sogleich die zerstörten Scheidewände wieder auf.

Aber auch auf diesen letzten Ameisenehrgeiz, ein eigen Heim zu besitzen und darin die eigene Brut aufzuziehen, lernen sie verzichten, wenn das nötig ist. Gibt man ihnen in einem künstlichen Neste keine Erde, entzieht ihnen also die Möglichkeit, ein eignes Nest zu bauen, so geben sie völlig jede Volksselbständigkeit auf. Sie erlauben dann den Wirtsemsen, ihre Eier und Larven mit den andern zusammenzutun und gemeinsam zu pflegen: die beiden stammesfremden Völker leben nun völlig durcheinander in einem gemischten Staate, in dem nur noch die geschlechtlichen Beziehungen innerhalb der beiden Völker beschränkt sind.

Von gemischten Völkern

Solches Verschmelzen zweier Ameisenvölker zu einem vermag man auch bei manchen anderen Arten im künstlichen Neste ohne allzugroße Mühe zustandezubringen. Von einer wirklichen Blutmischung kann allerdings niemals die Rede sein. Wenn bei den Menschen ein Volk sich mit einem anderen verschmolz, wenn etwa die erobernden Franken und Burgunden mit den bodensässigen gallisch-keltischen und romanischen Volksteilen sich verbanden, oder die Angeln, Sachsen und Normannen mit den Pikten, Gaelen, Skoten, so entstanden im Laufe der Jahrhunderte allgemeine Blutmischungen: Franzosen und Engländer. Die Voraussetzung dazu ist, daß in tausenden und Millionen Fällen zwischen einzelnen Individuen Geschlechtsverbindungen stattfinden konnten, eine Voraussetzung, die wohl für die Menschheit, nicht aber für die Ameisenheit zutrifft. Denn bei der Menschheit ist jeder einzelne Geschlechtstier, bei der Ameisenheit aber ist deren Anzahl eine sehr beschränkte. Zwar kann, während beim Menschen das einzelne Weibchen nur eine außerordentlich kleine Nachkommenschaft hat, das Ameisenweibchen ganze Riesenvölker aus seinem Leibe entstehn lassen, aber gerade das weibliche Geschlechtstier der Ameisen ist die Trägerin des völkischen Bewußtseins und gibt sich nur Männchen seines eigenen Volkes hin oder auch, um Inzucht zu vermeiden, zurzeit des Hochzeitsfluges solchen seiner eigenen oder einer nahverwandten Art. Wir Menschen züchten zwar seit langen Zeiten Maulesel, dem alten Hagenbeck gelang es gar, ein paar prächtige Löwentiger zu züchten und großzuziehen – aber keinem Ameisenweisen ist es bisher gelungen, Männlein und Weiblein fremder Ameisenrassen zu einer Umarmung zu bewegen. Blutvermischt sind also gemischte Völker niemals; bei einem zusammenhausenden Mischvolk, etwa zwischen den ›Blutroten‹ und den ›Rotbärtigen‹, gehört stets das eine Tier zum einen, das andere zum andern Stamme.

Überhaupt kann man den Erfahrungen gegenüber, die man durch Versuche im künstlichen Nest gesammelt hat, nicht mißtrauisch genug sein. Jeder Tierfreund weiß, daß in der Gefangenschaft alle Tiere zuweilen ihre ursprünglichen Instinkte abzulegen scheinen; die Ameisen machen davon keine Ausnahme. Alle Versuche im künstlichen Neste sind letzten Grundes nur Spielereien, interessante, gescheite Spielereien – aber dennoch niemals im vollen Maße ernst zu nehmen: das sollte man nie vergessen. Jeder Versuch in der freien Natur ist also dem im künstlichen Neste weit vorzuziehen, die aus ihm gesammelten Erfahrungen sind weit wichtiger.

Wir haben gesehen, wie in der Regel in der Ameisenheit die Gründung eines Volkes vor sich geht. Die junge, beim Hochzeitsflug von mehreren Männchen befruchtete Königin entledigt sich ihrer Flügel, gräbt ein Loch in die Erde, legt Eier und zieht ihre erste Brut groß; ja, sie legt in einzelnen Fällen noch einen Pilzgarten an, der später dem großen Volke ihrer Kinder zur Nahrung dienen soll. Die junge Königin ist in der Tat ein äußerst unabhängiges Geschöpf, das durch lange Zeit, oft noch dazu ohne Nahrung zu sich zu nehmen, eine ungeheure Arbeit leistet. Sind dann ihre ersten Kinder, alles Arbeiterinnen, erwachsen, so wird von ihnen die Höhle nach außen geöffnet und Nahrung hereingeschafft. Von nun an beschränkt sich die Königin-Mutter auf das Eierlegegeschäft, das sie freilich aufs höchste entwickelt; sonst aber ist aus dem unabhängigen Tiere ein sehr abhängiges geworden, das von den Töchtern gefüttert, gereinigt, gepflegt wird und Nestbau, Brutpflege, Nahrungsbesorgung und alles andere von nun an den Arbeiterinnen überläßt.

Es leben also in der Königin-Mutter zwei Instinktgruppen: die eine hat das Bestreben, frei und unabhängig durch eigne und unermüdliche Tätigkeit ein Volk großzubringen, die andere verlangt, alle Kräfte nur auf das Eierlegen und damit auf die möglichst große Vermehrung des Volkes zusammenzufassen und, um das zu können, in jeder andern Beziehung sich, nun völlig abhängig, bedienen, pflegen und ernähren zu lassen.

Wenn nun diese zweite instinktive Erkenntnis, daß es für ihre Tätigkeit als künftige Mutter eines starken Volkes ersprießlicher ist, von Anfang an fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen, die erste und einfachere Instinktregung, selbst für alles zu sorgen, verdrängt, so wird das eben befruchtete Weibchen nach Wegen suchen, baldmöglichst solche fremde Hilfe für ihre Tätigkeit zu finden. Auf der andern Seite wird in den selbst geschlechtslosen Arbeiterinnen derselbe ererbte Instinkt wach sein: sie wissen, daß befruchtete Weibchen die Macht ihres Volkes durch Eierlegen vergrößern, und das um so eher tun können, je mehr ihnen alle andere Arbeit abgenommen wird.

Aus diesem Instinkte heraus sind eine Anzahl gerade der höherstehenden Ameisenarten dazu übergegangen, neben ihrer Mutter, der echten Königin, noch andere Königinnen aufzunehmen. Sie nehmen dazu entweder Weibchen ihres eigenen Volkes, die den Hochzeitsflug nicht erwarten konnten und schon vorher von ihren Brüdern befruchtet wurden, oder auch Weibchen eines fremden Volkes – aber immer der eignen Art – die nach der Hochzeit ergriffen und nun ins Nest geschleppt werden. Sogleich werden diesen Nebenköniginnen die Flügel abgeschnitten; sie werden in eine Königinkammer geleitet, gefüttert und gepflegt, um durch ihr Eierlegen dem erstrebten Wachstum des Volkes zu helfen. Jede einzelne dieser Nebenköniginnen wäre, allein gelassen, vielleicht imstande gewesen, durch eigne schwere Arbeit ein neues Volk zu gründen – dennoch lassen sie sich die Aufnahme durch die Emsen gerne gefallen. Die zweite Instinktgruppe, sich nur auf das Eierlegen zu werfen und dafür alle Unabhängigkeit zu opfern, hat also den ursprünglichen Instinkt in dem Augenblick verdrängt, als sie die zweite Möglichkeit vor sich sahen.

Nun haben einige Ameisenarten in ihren weiblichen Geschlechtstieren völlig die erste Instinktregung zugunsten der andern aufgegeben, so sehr, daß sie nur mit fremder Hilfe ihre Völker begründen. Das befruchtete Weibchen hat hierzu verschiedene Möglichkeiten: es mag entweder von Emsen ihrer eignen oder von solchen einer fremden Art sich aufnehmen lassen, oder endlich sich einer fremden, jungen und dabei arbeitstüchtigen Königin anschließen, mit ihr gemeinschaftlich hausen und von ihr sich ihre Brut aufziehen lassen. Nur in letztem Falle sind die Völker wirklich gemischt und leben in einem dauernden Bündnis, da nur hier bei beiden Völkern nicht nur die Arbeiterinnen, sondern auch Männchen und Weibchen vorkommen.

Wird das befruchtete Weibchen von seinem eigenen Volke oder von einem anderen Volke seiner Art als Nebenkönigin aufgenommen, so hilft es durch seine Nachkommenschaft dem es aufnehmenden Volke; wird es gar von einem Volke seiner Art aufgenommen, dem die Königin fehlt, so wird es nach dem allmählichen Absterben der Arbeiterinnen bald die alleinige Königin und Mutter ihres eignen Volkes. Dasselbe tritt ein, wenn es dem befruchteten Weibchen gelingt, sich von einem königinlosen Volke einer fremden Art aufnehmen zu lassen; der Staat zeigt dann nur eine Zeitlang ein gemischtes Bild. Bei der Aufnahme hat er nur Arbeiterinnen der einen, eine Königin der anderen Art: eine um die andere sterben diese Arbeiterinnen, alles was heranwächst, gehört aber der Art der Königin an, bis schließlich nur ein reines Volk ihrer Art vorhanden ist. Freilich ist es nicht so leicht, in kurzer Zeit ein königinloses Volk zu finden – da bliebe dann für das befruchtete Weibchen nur ein Mittel, um die Herrschaft über ein Volk fremder Art zu erlangen: die Königin zu beseitigen und sich selbst auf deren Thron zu setzen. In der Tat schrecken auch davor die werdenden Mütter nicht zurück.

Folgen die jungen Königinnen ihrem ursprünglichen Instinkt, selbst ihre Brut aufzuziehen, so haben sie eine lange Zeit schwerster Arbeit und Entbehrung vor sich; folgen sie dem andern, später erworbenen Instinkt, fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen, so tun sie das auch nur mit großer Gefahr ihres Lebens. Dennoch ist diese Weise von manchen Arten angenommen worden, so von den blühenden und volkreichen Stämmen unserer roten Waldameisen und Waldwiesenameisen.

Waldameisen

Die junge rotröckige Waldkönigin mag ein Sonntagskind sein: dann wird sie gleich nach der Hochzeit von ihren Volksgenossinnen aufgenommen. Das Volk, dem sie entstammte, ist mächtig und zahlreich; die ursprüngliche Mutterstadt hat über den ganzen Waldabhang hin viele Tochterstädte gegründet – alle Bürgerinnen aber betrachten sich als Töchter eines großen Volkes. So mag die junge Prinzessin als Nebenkönigin in eine dieser Städte kommen, mag auch als einzige Königin über eine neugegründete Stadt herrschen.

Gefahrvoller ist es schon, wenn der Hochzeitsflug sie über ihren Waldabhang hinausgetragen hat. Dort wohnen auch rote Waldameisen, doch gehören sie einem andern Volke an. Die junge Königin muß also an fremde Türen pochen. Da mag es geschehen, daß sie schlechtgelaunten Emsen begegnet, die in allen Wesen, die nicht zu ihrem Volke gehören, Feinde erblicken; so mag es vorkommen, daß sie sogleich getötet wird. Wahrscheinlich ist das nicht: aller Waldameisen schönster Traum ist die blühende Macht ihres Volkes, alle wissen, wie sehr jede junge Königin dazu beitragen kann. Sie hat also gute Aussicht, nach einigem Hin und Her freundlich aufgenommen und zur Nebenkönigin erhoben zu werden.

Bös sieht es freilich für die Waldkönigin aus, wenn sie nirgends eine Stadt der Waldameisen findet. Aber sie muß sich entschließen: so sucht sie endlich eine Stadt der schwarzgrauen Ameisen auf.

In der Regel wird jedes Weibchen, das nach dem Hochzeitsflug zufällig auf ein fremdes Nest herniederfällt, angefallen und in Stücke gerissen – in einer volkreichen Stadt ist das unweigerlich der Fall. Dieser Gefahr hat also die junge Königin die Stirn zu bieten, muß aus der ihr von Natur aus feindlich gesinnten Emsenschar fremden Stammes in kurzer Frist Freundinnen zu machen versuchen. Sie tut das, indem sie sich sehr sanft und bescheiden aufführt, alles Böse nur mit Gutem vergilt. Zerren und Reißen läßt sie sich geduldig gefallen, vor einem Schauerbade ausgespritzter Ameisensäure zieht sie sich nach Möglichkeit zurück. Sie betrillert, sobald das angeht, die feindlichen Emsen, füttert sie auch, sowie sie nur Gelegenheit hat. Kurz, sie versucht auf jede Weise, sich in ihre Herzen einzuschmeicheln. Und das gelingt häufig genug der roten Waldkönigin bei den Schwarzgrauen.

Manche Gelehrten nehmen an, daß in den meisten dieser Fälle die junge Königin sich an ein mutterloses fremdes Volk wende, oder auch von einzeln herumstreifenden Emsen aufgenommen werde. Ich bin anderer Ansicht. Ein Volk ohne Königin ist nicht so leicht zu finden. Einmal haben alle Königinnen ein erstaunlich langes Leben, dann auch tun ja die Arbeiterinnen, was sie nur können, um durch Nebenköniginnen ihres Volkes Macht, Zahl und Lebensdauer zu vergrößern. Ich bin vielmehr überzeugt, daß das junge, befruchtete Weibchen sich durchaus nicht scheut, in eine Stadt, die eine oder gar mehrere Königinnen hat, einzudringen. Sie muß eben ihr Glück versuchen – ihre Aussicht, sich am Leben zu erhalten und ein Volk zu gründen, ist ja ohnehin durchaus nicht sicher.

Was aber geschieht dann mit der fremden Königin? Am Leben bleibt sie keinesfalls auf längere Zeit, denn sonst müßten wir ja einen regelrechten Bündnisstaat vorfinden, in dem von beiden Arten alle Formen nebeneinander bestehn würden. In der Tat aber finden wir nur von der Art der jungen Königin alle Formen, von der andern Art aber, die diese bei sich aufnahm, nur die alten Arbeiterinnen.

Möglich ist, daß die alte Königin wirklich schon recht alt ist, zum Eierlegegeschäft nicht mehr recht taugt und bald dahinstirbt. Möglich ist ferner, daß die Emsen, ihre eigenen Töchter, sie nun vernachlässigen und daß sie in der Folge an Mangel von Pflege und Nahrung stirbt. Das wäre allerdings eine ins Gegenteil verkehrte, widernatürliche Instinktregung – aber solche Abirrungen scheinbar tiefst eingewurzelter Gefühle kommen ja in der Ameisenheit ebensosehr vor, wie in der Menschheit. Mit dem Unterschiede nur, daß sie bei den Menschen nur bei Einzelnen, selten bei ganzen Gruppen sich zeigen, während sie bei den so sehr viel sozialer und nationaler, so durchaus gemeinsam empfindenden Ameisen gleich ein ganzes Volk ergreifen. In der Ameisenheit sehen wir die Umkehrung des ursprünglichen Instinkts bei der gefährlichen Liebe, die sie zu fremden Gästen, wie den goldlockigen Fransenkäfern, zeigen.

So ist es denn durchaus möglich, daß zugunsten der neuen jungen Königin die sie aufnehmenden fremden Emsen alles Gefühl für ihre eigene Mutter verlieren, daß sie diese verhungern lassen, ja aus dem Neste heraustreiben oder selbst töten. Nicht nur die roten Waldameisen, sondern auch unsere behaarten Gartenameisen gründen auf solche Weise ihre Staaten.

Ehrlicher und anständiger, vom menschlichen Standpunkte aus, ist es allerdings, wenn die junge Königin, die die alte entthront, deren Erledigung nicht den Töchtern der alten Königin überläßt, sondern mit eigener Hand ihr mit dem Throne auch das Leben nimmt. Und das tut:

Die Königinmörderin

Die Grubenameise gehört wie die Lumpenameise der Gruppe der Langhalsameisen an. Diese Lumpenameisen sind ein rechtes Gesindel; in ihrem ganzen Tun und Treiben weichen sie ab von allen anständigen Ameisen, die etwas auf sich halten. Sie graben nicht; bauen einfach auf den Wiesen hohle Kuppeln, denen Grashalme und andere Pflanzen dann als stützende Säulen dienen. Nur wenige Kammern haben sie, oft überhaupt keine; sie legen dann ihre Brut einfach innerhalb ihrer Erdkuppel auf Blätter und Grashalme. Die Arbeitsteilung ist ihnen unbekannt, geflügelte Weibchen und selbst Männchen beteiligen sich an der Arbeit; ja, sie helfen bei einem Umzug in ein neues Nest – gegen alle Ameisensitte – sogar mit dem Tragen der Brut. Mehr noch: diese liederlichen Geschöpfe lachen über den Ernst eines solchen Umzugs – sie betrachten ihn als gute Gelegenheit zum Liebesspiel. Da klettert so ein lüsternes Männlein mitten auf dem Weg auf ein Weibchen, das hübsch stillhält – reitet dann, eng mit ihm verbunden, weiter zum neuen Nest, während beide noch dazu eine Larve tragen. Zuweilen halten die Lumpenameisen Vieh – aber keine ordentlichen Kühe, sondern höchstens armselige Ziegen, wie es Lumpengesindel eben zukommt. Also nicht fette, wohlgenährte Blattläuse, sondern nur kleine Leuchtzirpen. Flink und behend sind die kleinen Lumpen; setzen sich auch, wenn sie angegriffen werden, stets zur Wehr. Freilich beißen sie nicht, noch stechen sie; sie drehen sich herum und spritzen dem Feinde eine Ladung Gift ins Gesicht. Dies Gift ist aber ihre beste Seite; so unangenehm es dem Feinde sein mag, für uns Menschen riecht es würzig und wohlduftend. Sie fressen alles Aas, das sie finden; sind dazu die rechten Leichenfledderer, Hyänen des Schlachtfeldes. Wo nur ein Kampf zwischen großen und mächtigen Ameisen stattfindet, da sind sicher die Lumpenameisen dabei: sie stürzen sich gierig auf die Toten und schwer Verwundeten.

Das junge Weibchen der Grubenameisen nun fliegt seinen Hochzeitsflug wie andere Ameisenweibchen. Nach den kurzen Stunden des Liebestaumels sieht es sich der rauhen, gefahrdrohenden Wirklichkeit gegenübergestellt. Listig und verschlagen, falsch, grausam und zugleich von unbezähmbarem Mute – wie die fränkischen Frauen aus Merowingischem Königsblute – sucht sie herum, bis sie ein Nest des Lumpengesindels findet. Sie geht keineswegs hinein; sie streift draußen herum, bis sie die Aufmerksamkeit einiger Lumpenemsen erregt, welche sie ergreifen und gefangennehmen. Gefangennahme bei den Ameisen bedeutet: Tod in schlimmster Art, in Stücke reißen bei lebendigem Leibe. Die junge Königin läßt es darauf ankommen. Sie wehrt sich nicht, läßt sich an Beinen und Fühlern ins Nest zerren. Auch drinnen antwortet sie auf alle Mißhandlungen nur mit duldender, liebenswürdiger Freundlichkeit, betrillert, beleckt die Feindinnen, ja versucht es, sie zu füttern. Dabei aber sucht sie baldigste Gelegenheit, sich zu der jungen Brut zu retten, setzt sich auf die Eier und Larven der Lumpenameisen. Es ist fast, als ob dieser Platz eine sichere Freistatt wäre; wenigstens rühren die Emsen sie hier nicht mehr an, vielleicht verdutzt über das merkwürdige Gebaren der Fremden, die auf alle Gehässigkeiten nur mit Freundlichkeiten erwidert. Ein anderes Plätzchen im Lumpennest aber scheint noch sicherer, noch heiliger zu sein: das ist der Rücken der alten Mutter-Königin. Dorthin klettert das Grubenweibchen; streichelt sie, leckt sie, schlingt ihr die Oberkiefer zärtlich um den Hals. Die Emsen fühlen: das muß ein treues, braves, ehrliches Geschöpf sein, das so lieb zu ihrer Königin ist. Zwar eine Fremde – aber gewiß eine sehr gute Freundin: langsam verkehrt sich in ihnen der Haß zu einer anerkennenden Liebe. Ruhig sitzt die gute Fremde derweil auf dem Rücken der alten Königin, eine Stunde lang und manche Stunden lang. Immer enger und immer zärtlicher wird der Griff ihrer Kieferzangen um der Königin Hals: in aller Freundschaft und mit vollendeter Sanftmut sägt sie ihr langsam den Kopf ab.

Die alte Königin stirbt, sinkt in sich zusammen – langsam steigt die Henkerin herab.

Die Königin ist tot – es lebe die Königin! Das betrogene Volk der Lumpenemsen gibt der frechen Kronräuberin der Alten Thron; erkennt sie völlig als deren rechtmäßige Nachfolgerin an.

Diese tritt sofort ihre Herrschaft an. Sie legt Eier und läßt ihre Brut aufziehen. Allmählich sterben die Lumpenemsen aus: die Grubenkönigin ist alleinige Herrscherin über ihr eigen Volk.

Die junge Grubenkönigin aber ist nicht die einzige, die sich durch Mord ihr Königreich erobert; es steht außer Zweifel, daß dies Kopfabschneideverfahren auch bei Kronprätendentinnen anderer Arten beliebt ist.

Grausam? Gewiß ist es das. Aber wir Menschen haben nicht das Recht, mit Steinen zu werfen. War nicht durch Jahrtausende bei den meisten Fürstengeschlechtern der Mord des alten Königs der sicherste Weg, um selbst auf den Thron zu gelangen? Brüder mordeten ihre Brüder, Söhne und Töchter ihre Mütter und Väter, wenn nicht zur Abwechslung einmal ein allzu mißtrauischer Königsvater es umgekehrt machte. Die junge Thronräuberin vom Ameisenstamme aber mordet nur eine Fremde, mordet die Königin eines Volkes, das ihr im Innersten verhaßt ist.

Es ist schon ein Unterschied – und er fällt nicht zugunsten der Menschheit aus.

Es ist noch mal gut gegangen

Mit der Oppenheimbaronin hab ich's verschüttet. Übelnehmen kann ich ihr's ja weiter nicht – denn das hat keine Mutter gern, wenn ihr Bub um ein paar lausiger Ameisen willen beinahe tot geschlagen wird.

Ich ging aus, um ein Nest auszugraben; mit Schaufel und Spaten. Und der Oppenheimbub kam mit; der trug stolz den Sack und die schwere Hacke. Oben auf der Pfarrerwiese, da wo der Weg zu den Ruinen der byzantinischen Basilika San Pietro hinführt, lag unser Nest.

Hart wie Stein ist der rote Inselboden im Sommer; man muß schlagen und hacken und hauen, daß einem der Schweiß in Bächen herunterrinnt.

Da huschte ein Silberfischchen zwischen den aufgeregten Ameisen. Das mußte der Bub sehen, hing seine Nase vor.

In dem Augenblick riß ich die Hacke hoch, traf ihn – in Blut schwamm sein Gesicht.

Ich ließ die Hacke fallen – sehr übel war mir. Aber der Junge war brav, zog sein Taschentuch heraus, wischte das Blut ab. Lachte dazu.

Ich untersuchte ihn. Dicht über dem rechten Auge hatte ich ihn getroffen. Ein langer Riß, aber nur die Haut war zerschnitten; nach wenigen Minuten schon hörte die Blutung auf.

Wie eine stark geschwungene, schwere Hacke schneiden kann, werde ich nie begreifen. Doch ist nicht zu leugnen, daß sie es kann.

Schön rein gewaschen kam der Bub zurück zum Hotel. Nur: die Baronin merkte es doch – es ist nicht leicht, Müttern was vorzumachen.

Seither mag sie nichts mehr wissen von mir. Doch ist sehr anzuerkennen, daß sie sich nicht beschwert hat bei der Hoteldirektion. Meine Stellung ist ohnehin schwer erschüttert; schon ein halbes Dutzend Gäste hält künstliche Ameisennester in ihren Zimmern. Und der Direktor meint, daß die Hotels für Menschen gebaut seien und nicht für Ameisen.

Da hat er ja eigentlich recht.


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