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Neunzehntes Kapitel

Prinz Percy saß auf dem laubumwachsenen Balkon und blickte über die Zeitung hinweg in das Blattgewirr der Klematis hinein.

Eine heiße, unbezwingliche Sehnsucht nach Waldesluft und Waldeseinsamkeit überkam ihn. Er hatte sich in diesem Jahre noch keine Erholung gegönnt, und doch war er derselben bedürftiger wie je.

Gerade jetzt war wohl der passendste Zeitpunkt für eine Reise.

Wohin?

Er wird überall einsam und verlassen sein. Nur bei ihr kann er noch Nutze und Frieden finden, wo aber weilt sie?

Sie hat ihn verlassen, – heimlich, ohne eine Angabe ihrer künftigen Adresse. Sie wollte dieselbe vor ihm verheimlichen, sie wollte ihm entfliehen. Warum?

Weil er ihr in unbedachter Regung des Herzens gesagt hatte, daß er sie liebe.

Das hatte sie davongetrieben.

Nein, sie war nicht gekommen, um Herzen zu erobern, nicht um mit einem Prinzen zu kokettieren und ihn für sich zu gewinnen, sie verschmähte ihn und seine Liebe ebenso wie alle andern.

Und darum liebte er sie um so mehr.

Die Achtung und Verehrung bauten dieser Liebe einen heiligen Altar.

Oft ist es wie ungestüme, leidenschaftliche Sehnsucht über ihn gekommen, hinauszustürmen in die weite Welt und sie zu suchen. – Ihre Spur muß sich finden lassen!

Soll er an das Stadttheater zu H. schreiben, woselbst sie zuletzt engagiert war? Soll er sich an die dortige Polizei wenden?

Ist Marga Daja nicht in das Ausland entflohen, muß sie gefunden werden.

Aber wozu dies?

Wäre es eine Möglichkeit, daß sie sich seiner Liebe erbarmen wollte und könnte, würde sie ihn nicht verlassen haben.

Sie liebt einen andern, – und das ist die schwarze, unerbittliche Wolke, die ihm den Stern des Glückes verhüllt, – für immerdar.

Prinz Percy erhebt sich und rührt die Schelle, um die nötigen Befehle zu erteilen: schon steht Wasmuth auf der Schwelle, eine Visitenkarte auf silbernem Tablett präsentierend.

Mechanisch greift Perch danach.

Er liest: »Roman Ermönyi, Komponist.« Ah – der Name klingt bekannt: was aber will er?

Der Komponist erscheint in der Tür und verneigt sich sehr tief.

Er besteht die Kritik, die der scharfmusternde Blick des hohen Heim über ihn verhängt, nicht sonderlich gut. Nicht, weil er trotz aller Bemühungen, sich stutzerhaft zu kleiden, doch sehr verwahrlost aussieht, sondern weil sein Gesichtsausdruck den verkommenen Menschen kennzeichnet.

»Sie wünschen mich zu sprechen, Herr Ermönyi«, sagt er zurückhaltend. »Womit kann ich Ihnen dienen?«

Abermals eine Verneigung. »Es ist ein etwas sonderbares Anliegen, Hoheit, das mich hierherführt, und ich bitte im voraus alleruntertänigst um Vergebung, – da aber meine Frau Eurer Hoheit ehemals einen so großen Dienst geleistet hat, der ihr selber sehr teuer zu stehen kam, so dachte ich –«

Percy hob befremdet das Haupt. »Mir einen Dienst geleistet? Darf ich fragen, wo und wann? Ich entsinne mich nicht, jemals im Leben einer Frau Ermönyi begegnet zu sein!«

»Sehr wohl, Hoheit, dermalen führte meine Frau noch ihren Mädchennamen – Marga Daja – und ...«

»Marga Daja!« Der Prinz wiederholte es wie einen Schrei. Leichenfahl stützte er sich auf die Kante des Tisches. »Marga Daja Ihre Frau?« wiederholte er tonlos, mit weit aufgerissenen Augen. »Und welchen Dienst hat sie mir erwiesen? Sprechen Sie!«

Der Komponist verbeugte sich abermals sehr unterwürfig. »Es ist allerdings schon längere Zeit her, und Hoheit werden sich kaum noch entsinnen, es war anläßlich einer Parforcejagd, als Hoheit mit dem Pferd stürzten –«

»Meine Frau weilte dermalen zu Besuch der Baroneß von Floringhoven, Enkelin Seiner Exzellenz des Ministers auf Schloß Floringhof« – fuhr Roman in renommistischem Ton fort, »sie hatte gerade eine Schlittenfahrt unternommen und kam just zu der furchtbaren Katastrophe recht. Sie sprang aus dem Schlitten, bändigte voll Geistesgegenwart das scheuende Roß, das im Begriff stand, Eure Hoheit zu Tode zu schleifen, und nahm sich alsdann voll treuer Aufopferung des Schwerverletzten an. Sie löste ihren Kopfschal, verband damit Ihre Wunden, allergnädigster Herr, und ließ Sie in dem Schlitten nach dem Jagdschloß transportieren, dieweil sie selber mutterseelenallein einen Weg von beinah drei Stunden durch den verschneiten Wald zu Fuß zurücklegte. Ein furchtbarer Schneesturm überraschte sie, und so zog sich die Arme, die unbedeckten Hauptes das Wetter über sich ergehen lassen mußte, eine furchtbare Erkältung zu, die an dem Leiden die Schuld trug, das die unglückliche Frau jetzt an den Bettelstab gebracht hat.«

Der Sprecher schwieg und blickte erwartungsvoll auf den Prinzen, der abgewendet vor ihm stand und die Hand gegen die Stirn preßte.

Dann wandte er sich jählings dem Komponisten zu, und dieser schrak zusammen bei dem Ausdruck dieses Gesichts, das seiner Ansicht nach einen grenzenlosen Zorn ausdrückte.

»Wissen Sie, daß Ihre Frau fünf Wochen lang hier in meiner Klinik war und dieselbe vor vierzehn Tagen erst verlassen hat?«

Ermönyi zuckte zusammen und entfärbte sich. Das hatte er nicht erwartet. Die schlaue Person hatte ihm den Rang abgelaufen, und er stand nun als entlarvter Scheinheiliger vor dem Prinzen, nachdem sie den Nutzen allein gezogen hatte. Sein Blick funkelte scheu zu dem hohen Herrn auf.

»Nein, Hoheit, das weiß ich nicht, das hat mir das nichtsnutzige Weib verheimlicht«, stieß er zischend hervor. »Und unter diesen Umständen habe ich nichts mehr zu sagen, denn Marga wird nicht schlecht über mich räsoniert und gelogen haben –«

»Halt – Sie bleiben! – Ihre Frau hat heimlich die Klinik verlassen und ich suche ihre Spur.«

Ermönyi schnellte empor, ein triumphierender Blick der Überraschung brach aus den listigen Augen: »So? Hat sie?« höhnte er, »nun, darin scheint sie ja Übung zu haben, Hoheit, mir ist die schlechte Person auch bei Nacht und Nebel durchgebrannt, und auf Grund dessen habe ich meine Scheidung von ihr beantragt.«

»Scheidung?«

»Nun, ich müßte doch wohl verrückt sein, wenn ich diese Gelegenheit nicht benutzen wollte, mir den Klotz von dem Bein loszubinden!« stieß Roman brutal hervor: »Ich habe selber nichts zu reißen und zu beißen und soll ein Weibstück und ein Kind durchfüttern?«

»Ein Kind? – Sie hat ein Kind?« – Der Prinz stieß es durch die Zähne hervor, seine Glieder bebten wie im Fieber.

»Wo befindet sich Ihre Frau und – und das Kind zur Zeit?«

Ermönyi zuckte die Achseln: »Sie wird wohl bei den Verwandten in Floringhof untergekrochen sein: ein Brief, der vorgestern ankam, war von dort adressiert.«

»Und wann soll Ihre Scheidung stattfinden?«

Der Komponist schielte verlegen zur Seite: »Sie ist bereits mit dem gestrigen Tage von seiten des Gerichts bestätigt.«

Ein tiefes Aufatmen hob Percys Brust. Er strich mit dem Batisttuch über die feucht perlende Stirn und antwortete nicht alsogleich.

Romans Blick hing lauernd an seinen verstörten Zügen, in den er eine hochgradige Mißstimmung gegen Marga Daja zu lesen wähnte.

Von neuem hub er mit schmeichelnder Stimme an: »Wie sehr beklage ich es, daß Hoheit auch so traurige Erfahrungen mit der infamen Person machen mußte! Natürlich hat sie nicht bezahlt? Oh, es ist empörend! Ich bin ja auch der reingefallene, mich hat sie ja auch zugrunde gerichtet, jener Schneesturm auf der Altfährner Heide hat ja auch mich zum Bettler gemacht! Seit die Frau nicht mehr verdienen konnte, habe ich ja darben und entbehren müssen. Du lieber Gott, unsereiner heiratet ja doch nicht aus sentimentaler Liebe, Hoheit, sondern um eines guten Auskommens willen! Ich mußte auf Geld sehen, und so lange Marga berühmt war und singen konnte, verdiente sie ja recht gut. Seit sie aber Euer Hoheit gerettet hat, kamen wir alle so ganz und gar herunter!«

Percy wandte sich voll Ekel ab. Der Schnapsgeruch wehte aus dem Mund des Sprechers bis zu ihm herüber.

Er trat an den Schreibtisch, entnahm seinem Portefeuille einen Geldschein und warf ihn auf den Tisch.

»Hier, nehmen Sie; künftighin wünsche ich nicht wieder belästigt zu sein!« sprach er mit der Miene eines Menschen, der einen räudigen Hund von sich weist.

Ermönyis Augen funkelten bei dem Anblick des hohen Scheins. Er raffte ihn gierig auf und verneigte sich bis zur Erde. – »Hoheit sind der großmütigste Herr, unter der Sonne, und wenn –«

»Schon gut – gehen Sie!«

Percy drückte auf den Knopf der elektrischen Schelle, und Wasmuth trat ein.

Eine stumme Geste – der Bittsteller war entlassen. –

Und wieder war der Prinz allein. Er riß die Fenster des Salons auf, um den Alkoholgeruch zu beseitigen, dann trat er auf den Balkon zurück und sank wie gebrochen an Leib und Seele auf den Sessel nieder.

Wie Fiebergebilde wirbelte es hinter seiner glühenden Stirn. Er preßte den Kopf in den Händen, um das Unglaubliche nur fassen und begreifen zu können!

Marga Daja das Weib dieses verkommenen, ehrlosen, gemeinen Menschen! – Marga Daja die Mutter seines Kindes!

»Unglückselige! – Arme, arme Frau!«

Wie Schleier zerreißt es vor seinen Augen.

Nun begreift er es, warum sie das Geheimnis über sich und ihre Schicksale bewahrte, die Scham schloß ihr den Mund.

Nun versteht er ihr ganzes Wesen und Sein; und ihr stilles Dulden, ihr Ertragen ohne Klagen, ihr Leiden ohne Haß und Schmähung gegen den Erbärmlichen, der zur Geißel ihres Lebens geworden; ihr vornehmes Schweigen hebt sie noch mehr in seinen Augen und fordert aufs neue seine Bewunderung und Verehrung für sie heraus.

Und nun gar die Enthüllungen über jenen Schneesturm! Wie Lachen und Weinen geht's durch seine Seele! – Ja, nun weiß er es, wo er Marga Daja schon einmal geschaut, nun weiß er es, warum er sie lieben muß.

Die Erinnerung an jene Stunde war längst verwischt und verschwommen, er war zu krank gewesen, um sich jener kurzen Lichtblicke, die seine Bewußtlosigkeit erhellten, noch klar zu entsinnen.

Jetzt plötzlich tritt ein Bild wie aus dichtem Nebel hervor, das Bild jenes dunkeläugigen Mädchens, das sich mit unaussprechlichem Blick der Angst und Sorge über ihn neigt, – dasselbe Bild, wie er es jüngst im Park, so rätselhaft bekannt, wiedergeschaut.

Tief und unauslöschlich hatte es sich in seine Seele geprägt, denn nie zuvor hatte eines Weibes Auge mit solchem Ausdruck auf ihm geruht. Das Antlitz, das Auge war ihm bekannt geblieben, aber der Nahmen, der das Gnadenbild umgab, ging unter in den dunklen Schatten der Bewußtlosigkeit und des Fiebers.

Marga Daja hatte ihm das Leben gerettet, – und sie verschwieg es ihm.

Ihre Tat allein genügte ihr, sie begehrte keinen Dank. – Und sie begehrte ihn doch, denn sie kam zu ihm, auf daß er selber die Wunden heile, die er ihr geschlagen.

Hatte er das getan?

Nein! Tausendmal nein! Ihr körperliches Gebrechen konnte er mit Gottes gnädiger Hilfe von ihr nehmen, wie aber die seelischen Qualen gutmachen, die sie um seinetwillen gelitten?

Der Verlust ihrer Stimme hatte sie um Brot und Stellung gebracht, hatte sie den Mißhandlungen eines brutalen, ehrlosen Wüstlings ausgesetzt. Diese Schuld ist nicht abzutragen, – es sei denn durch Liebe, durch ungemessene, tiefinnige Liebe, die die Dornen der Vergangenheit so überhoch mit Rosen zudeckt, daß selbst keine Erinnerung an sie bleibt!

Marga Daja ist frei! Seit dem gestrigen Tage wieder frei!

Pflicht! Stolz! Ehrgefühl! Drei Riesen sind es, die das Herz eines edlen Mannes bewachen, – die Liebe aber ist ein goldlockiges Weib, die bläst mit einem einzigen Hauch ihres Mundes jene Riesen in den Staub, die entwaffnet ein ganzes Heer von trutzigen Feinden durch einen Blick, einen einzigen flehenden Blick ihrer Augen!

Die Rechtlichkeit tritt an ihre Seite und spricht: »Wehe dem, der die Unschuld verantwortlich machen will für fremde Schuld! Wehe der Grausamkeit, die an der Frau strafen will, was der Gatte gefehlt, wehe dem Undank, der die Hände von seinem guten Engel zurückzieht, weil schwere Ketten den Hilflosen in den Sumpf gezogen!

Prinz Percy hebt voll stolzer Entschlossenheit das Haupt. Er liebt Marga Daja. Hat er zuvor noch an seinen eignen Gefühlen gezweifelt – diese Stunde hat ihm die Gewißheit gegeben.

Er liebt sie – trotz allem und allem.

Und er wird sie auch künftighin lieben, treu und wankellos – für alle Ewigkeit.

Sein Herz ist bereit, der Vernunft die größten Opfer zu bringen. – Er will keinen Schatten auf Kron' und Purpur werfen, aber er will dem Glück auch nicht um ihretwillen entsagen.

Hat ein kaiserlicher Prinz nicht Namen und Titel an den Stufen des Thrones niedergelegt, um namenlos und unbekannt seine Liebe in ein fremdes Land zu tragen? – Hat nicht jüngsthin ein Prinz sein geliebtes Weib im Ausland als schlichter Advokat ernährt, und kann er nicht ein Gleiches als Arzt? Wie es auch kommen mag, – Prinz Percy ist ein Held geworden, der für seine Liebe in den Kampf ziehen will. Marga Daja befindet sich in Schloß Floringhof? Die Besitzung des Ministers liegt in unmittelbarer Nähe des Jagdschlosses Altenfähre, das Eigentum seines Bruders, des regierenden Herzogs ist.

Prinz Percy ist berechtigt, daselbst in beliebiger Weise Aufenthalt zu nehmen.

Altenfähre stand zur Stunde völlig unbenutzt, und es wird ein längerer Aufenthalt eines der Familienglieder dort sehr dienlich sein.

Der Prinz setzte ein Telegramm auf an die Schloß- Verwaltung von Altenfähre: »In aller Stille, ohne daß in der Umgegend etwas davon bekannt wird, soll die Wohnung für Herzogliche Prinzen hergerichtet und bereitgehalten werden. Montag abend wird Prinz Percy zu längerem Aufenthalt in strengstem Inkognito daselbst eintreffen. Wagen an die Bahn zu senden.«


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