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Sechzehntes Kapitel

Noch nie hat Percy die Tischstunde so ungeduldig erwartet, wie heute.

Er steht am Fenster und blickt in den Park hinaus, in dem Marga Daja um diese Zeit zu weilen pflegt.

Noch hat die Glocke nicht zum Essen gerufen, aber das junge Mädchen kehrt doch schon zum Hause zurück. Nicht allein, – Dr. Hobrecht schreitet an ihrer Seite. Sie unterhalten sich.

Der junge Arzt scheint die verkörperte Galanterie und respektvolle Liebenswürdigkeit, Marga Daja trägt das Haupt so stolz wie eine Königin. Sie ist nicht unliebenswürdig, sie spricht und antwortet, aber sie markiert es in ihrer unbeschreiblich vornehmen Art und Weise, daß sie nicht einen Hauch mehr sagen will wie höfliche Worte,

Gerade das scheint Hobrecht zu gefallen. Sein Blick hängt wie verklärt an ihrem schönen Antlitz.

Marga Daja scheint keinen Wert auf die Vorzüge des jungen Mannes zu legen, der ihr doch so deutliche Beweise seines Interesses und seiner Berechnung gibt. Oder ist das wohlberechnete Koketterie, die Öl in das Feuer gießen will, um die Flamme zu vergrößern?

Es ist kaum glaublich, daß eine Sängerin, die in derart ärmlichen Verhältnissen lebt, wie sie, nicht voll dankbaren Eifers die Hände nach einer Heirat ausstrecken sollte, die sie mit einem Schlag aller Not entreißt und ihr eine Stellung in der Welt, an der Seite eines angenehmen, braven Mannes gibt, wie sie leicht keiner andern geboten wird. Ein wenig Wehren spornt das Begehren!

Sollte Marga einer solch kaltherzigen Berechnung fähig sein? – Nein!

Prinz Percy schüttelt jählings das Haupt. Dann würde sie wohl jede Gelegenheit wahrgenommen haben, um auf den Verehrer einwirken zu können, sie gab aber sehr deutlich zu verstehen, daß sie die Gegenwart des Dr. Wacknitz derjenigen Hobrechts bei Tisch vorzog. – Sollte er, Percy, etwa selber das Ziel ihrer Wünsche sein?

Sein Herz zuckt auf. – Abermals nein. Die Zeitungen haben sich in letzter Zeit wieder viel mit seiner Heirat beschäftigt. Man hat behauptet, der Prinz sei am Totenbett des hochseligen Vaters verpflichtet worden, die Prinzessin Johanna, minderjährige Tochter des Königlichen Hauses, heimzuführen. Es würde die beste Regelung und Lösung eines schwebenden Erbschaftskonfliktes sein. Der Prinz solle warten, bis die junge Fürstin das achtzehnte Lebensjahr erreicht habe, was in zwei Jahren der Fall sei. – In Hofkreisen nehme man dieses Projekt als verbürgte Tatsache an. – Ein jäher Gedanke blitzt durch das Haupt des Denkenden. Er will Marga Dajas Pläne und Absichten erforschen. Er will sehen, ob er sie den Hobrechtschen Bewerbungen, wohl geneigter machen wird.

Er eilt hastig in den Salon; sein Herz schlägt hastig, wie bei einem Spieler, der sein Alles auf die Karte der Coeurdame setzt.

Mit unsicherer Hand schließt er den Schreibtisch auf und wühlt in einem Pack Photographien, die in einer kleinen Schublade verwahrt liegen. – Es sind nur Mitglieder fürstlicher Familien.

Endlich findet er, was er sucht.

Ein Kabinettbild der Prinzessin Johanna. Es ist eine neuere Aufnahme und zeigt die zierliche Gestalt der Vierzehnjährigen in ganzer Person. Ein hübsches, lachendes, rundes Kindergesicht, mit schelmischen Augen, einem kecken Näschen und etwas eigensinnigem Mund,

Es ist herzig und zum Verlieben, – aber nur nicht nach Prinz Percys Geschmack, der allem Übermut und aller heiteren Lebenslust in Frauengesichtern von jeher abhold war. – Er ist ein Sonderling, für die meisten Menschen unbegreiflich.

Er hat nie daran gedacht, Prinzessin Johanna eine zärtliche Neigung entgegenzubringen; er würde es als Sünde erachtet haben, dieses strahlend fröhliche, Welt und Leben heischende Kind an sich, den nur ernst denkenden und ernst strebenden Mann zu fesseln.

Jetzt aber soll dieses Bildchen zu dem magischen Schlüssel werden, der ein geheimnisvolles Mädchenherz erschließt: der verrät, ob in seiner Tiefe ein köstlicher Schatz edler Wahrheit oder nur ein Stücklein gleißender Theatertand ruht, hinter dessen Maske Komödie gespielt wird.

Der Prinz stellt die Photographie sehr auffällig auf eine Staffelei mitten auf eine Etagere und rückt ein Glas voll blühender Rosen so nahe herzu, daß es aussieht, als ob die duftigen Kelche in zarter Huldigung zu Füßen der lieblichen Königstochter niedergelegt seien.

Er steht bereits harrend am Fenster des Salons, als die Sängerin eintritt.

Der heitere Frühlingshimmel hat sich bezogen, graue Schatten huschen über die schlanke Gestalt, als ob unsichtbare Trauerschleier darüberhin wehten.

Prinz Percy ist heiter, beinahe etwas gewaltsam heiter. Da die Suppe noch nicht aufgetragen ist, nimmt er noch nicht an dem Tische Platz.

»Ich habe mich soeben über dieses Seestück gefreut!« sagt er unvermittelt, nach einem sehr schönen Wandgemälde »Sr. Majestät Schiff Nymphe im Sturm« empor weisend: »Die momentane, etwas düstere Beleuchtung kommt ihm prächtig zu statten. Sehen Sie, wie wacker sich das Schiff durch Sturm und hohe Flut kämpft! Mir deucht, ich atme die frische Seeluft, ich höre es im Tauwerk pfeifen und schrillen, die Segel klatschen und die Wogen donnernd gegen den Bug prallen. – Die Stimmung des Bildes bedingt einen solch grauen Himmel, wie er in diesem Augenblicke durch die Fenster dräut. – Interessieren Sie sich für Gemälde, Fräulein Daja?«

»Ich liebe die Schönheit in jeder künstlerischen Gestaltung und Wiedergabe –«, Benedikta, sieht gedankenvoll in das gemalte Unwetter empor, »und liebe es, mich von der Phantasie eines Gottbegnadeten in Welten und Situationen versetzen zu lassen, die mir und der eignen Anschauung verschlossen sind. Das Reisen ist so billig und bequem –« sie lächelt – »und so bar aller üblen Zugaben von Seekrankheit und schlechten Hotels, wenn man es an der Hand eines Malers vom behaglichen Sessel aus tun kann!«

»Vortrefflich, – so reisen Sie mit der schwergeprüften Nymphe direkt nach Tunis!« – Percy trat seitlich vor ein andres Gemälde: »Sie genießen hier einen herrlichen Blick auf den Hafen und ersparen sich die Sonnenhitze, die auf dieses bunt wimmelnde Volk herabglüht. – Dort können Sie sich auch mitten in eine winterliche Sauhatze hineinträumen, Eis ... Schnee ... rotröckige Reiter – sahen Sie jemals eine Parforcejagd?«

Zufällig schweift sein Blick von dem Gemälde ab und streift ihr Antlitz. Trotz der dämmerigen Beleuchtung sieht er, daß es heiß erglüht. Überrascht starrt er sie an, aber es bleibt ihm keine Zeit zu einer Frage. Die junge Dame wendet sich hastig ab und versucht zu scherzen. »Brr, wie kalt! – Ich freue mich, daß des Winters Regiment zu Ende ist, und sehe lieber die Frühlingsrosen als jenen verschneiten Wald!«

Percy tritt mit aufleuchtendem Blick an ihre Seite vor die Etagere.

»Sie meinen diese Rosen?« fragt er wie von ungefähr, auf das Glas vor Prinzessin Johannas Bild weisend. »Je nun, sie sind auch ein Stilleben und des Ansehens wert, ein Meisterstück, das der Lenz gemalt!« Und nach der Photographie greifend und sie Benedikta darreichend, fragt er unvermittelt: »Wer so viel verschiedene Charaktere auf der Bühne verwirklicht, muß ein großes Teil Menschenkenntnis besitzen: Wie gefällt Ihnen dieses Gesichtchen? Und wie würden Sie den Charakter nach den Gesetzen der Physiognomik daraus deuten?«

Er sieht sie erwartungsvoll an. Ist sie eine Komödiantin, eine geschickte Komödiantin, so wird sie jetzt angeblich keine Ahnung haben, wen das Bildchen darstellt, und wird die Gelegenheit benutzen, gegen die Rivalin zu intrigieren! Dann wird es sich zeigen, warum Marga Daja hierher kam. Sein Blick brennt auf ihrem geneigten Antlitz, das in der zarten Röte, die es noch immer überhaucht, doppelt lieblich aussteht.

Ein weicher, sinnender Ausdruck liegt darauf.

»Welch ein anmutiges, sympathisches Bild!« sagte sie nach kurzer Pause; »aus diesen klaren Kinderaugen kann man nur das Beste lesen, eine unberührte, reiche Seele, der ein gutes und freundliches Herz zur Seite steht. – Sie wird fraglos zum Segen eines jeden werden, der das Glück hat, ihr nahezutreten.«

»Wissen Sie, wen das Bild vorstellt?« – Seine Stimme klingt wunderlich, und Benedikta schlägt die Augen voll auf und blickt ihn ehrlich an. »Prinzessin Johanna!« – sagte sie leise, und abermals steigt es heiß in ihre Wangen empor.

Percy wendet sich zur Seite und ordnet ein paar Bücher und Albums, die auf dem kleinen Tischchen liegen.

»Woher ist Ihnen die Prinzessin bekannt?« fragt er kurz,

Sie lächelt. »Man hat in letzter Zeit viel von ihr in den Zeitungen gelesen, und ihr Bild war in den meisten Buchhandlungen ausgestellt; ich habe es damals schon voll Interesse und warmer Bewunderung angesehen, Hoheit.«

Er wirft das Buch, das er just erfaßt, hart auf die Marmorplatte zurück. – »So, so!« – nickte er, wendet sich zurück und fährt in völlig verändertem Ton fort: »Endlich die Suppe! Mein Hunger ward auf eine harte Probe gestellt. – Darf ich bitten, Fräulein Daja! Sie wissen, daß in dieser Junggesellenwohnung Salon und Speisesaal verschmolzen ward!«

»Ich sehe es mit stets neuer Beschämung und tiefster Dankbarkeit. Hoheit.«

Er nimmt ihr gegenüber Platz und legt die Hände zusammen. »Ganz wieder wie daheim!« – bittet er mit weicher Stimme.

»Sie haben mir übrigens noch so wenig von ›daheim‹ erzählt, und dennoch würde es mich lebhaft interessieren, etwas Näheres über Ihren ›Werdegang‹ zu erfahren! Wo lebte Ihr Großvater eigentlich?«

Wieder erglühte das junge Mädchen bis auf den weißen Hals herab. – Sie zögerte, und die Hand, die auf dem weißen Damasttuche lag, bebte.

Ohne ihn anzusehen antwortete sie: »Ich war seit meinem zweiten Lebenstage an ohne Mutter, seit dem Feldzuge gänzlich verwaist. Mein Großvater lebte in der Residenz, nahm mich zu sich und erzog mich; außer ihm habe ich nie eine verwandte Seele gekannt.«

»Was war Ihr Herr Großvater?«

Wieder ihr ratloses Verstummen und Zaudern. Dann klang es leise von ihren Lippen: »Ministerialbeamter«, und es deuchte Percy, als husche ein feines Lächeln dabei um ihren Mund.

»Er trug einen andern Namen? ›Marga Daja‹ ist doch vermutlich Ihr nom de guerre

»Er ist es, Hoheit.«

Erwartungsvoll sah er sie an, ob sie nicht ihren wahren Namen hinzusetzen werde, – da sie aber beharrlich schwieg, deuchte ihm eine wiederholte Frage indiskret, und dennoch würde er viel darum gegeben haben, sie beantwortet zu hören.

»Waren Sie schon bei Lebzeiten Ihres Großvaters Sängerin?«

»Nein, Hoheit.«

»Aber Sie empfanden stets Liebe zur Kunst und hegten schon damals den Wunsch, zur Bühne zu gehen?«

»Durchaus nicht, Hoheit. Ich habe niemals Interesse oder besondere Neigung für das Theater gehabt« – wieder hielt sie momentan inne, dann fuhr sie leise fort: »Nur die dringendste Not hat mir den Namen Marga Daja aufgebürdet, und ich versichere Hoheit, daß ich ihn ungern, bitter ungern trage!«

Sie schlug die Augen auf und sah ihn an. Die stolze, erregte Wahrheit ihrer Worte leuchtete darin.

Wunderbar, – welche Rätsel und Widersprüche in ihrem ganzen Wesen! Daß sie aus guter Familie stammte, sah er an ihrem ganzen Wesen, an ihrer tadellosen Erziehung, an ihrer Art und Weise, die nicht als Bühnenschliff erlernt sein konnte, sondern die eine vortreffliche Kinderstube verriet.

Warum renommierte sie nicht mit ihrem Namen und ihrer Familie, eine Schwäche, die doch allen verarmten Leuten eigen ist, allen denen, die in untergeordneter Stellung mit Vorliebe auf die bessern Tage pochen, die sie einst gesehen?

Ist Marga Daja zu stolz dazu? Ist ihr Namen wirklich zu gut, daß sie lieber auf eine persönliche Genugtuung verzichtet, als wie ihn preiszugeben? Oder ist das Gegenteil der Fall? Geniert sie sich, ihn zu nennen, weil er nicht tadellos ist? Schämt sie sich der Vergangenheit? – Nein! Die ruhige, selbstbewußte Würde ihres Wesens ist keinem eigen, der einen Schandfleck vor der Welt zu verbergen hat. So wie Marga Daja sieht kein böses Gewissen, keine Scheu und kein niederdrückendes Bewußtsein der Schuld aus.

Er hob jählings das Haupt und blickte sie fest an.

»Sie sprechen nicht gern über Ihre Familie und Ihre Vergangenheit, Fräulein Daja?«

Sie erwiderte seinen Blick eben so offen und ehrlich.

»Wenn ich es frei bekennen darf, Hoheit, nein! Es hat etwas Schmerzliches und Verletzendes für mich, daran erinnert zu werden, daß ich gezwungen bin, einen Künstlernamen zu tragen, daß die Not mich ... zur Komödiantin machte. So Gott will, nicht mehr für lange Zeit: – ich leide unaussprechlich unter den momentanen Verhältnissen und empfinde es am schmerzlichsten, daß die Stellung, die ich einnehme, eine unwürdige ist.«

»Welch ein Wort! – Ihre Erbitterung gegen das Schicksal läßt Sie zu schwarz sehen! Wenn Sie jedoch irgendwelche Hilfe oder einflußreiche Fürsprache bedürfen, um Ihr Leben künftighin freundlicher zu gestalten, so wenden Sie sich, bitte, ohne jede Scheu an mich: was in meinen Kräften steht, soll geschehen, Sie von der Bürde –« er lächelte – »Ihres Künstlernamens und Ihrer Lorbeeren zu befreien!«

Ihre Augen strahlten auf: »Das tun Hoheit bereits mit jenem Tag, der mir meine Gesundheit zurückschenkt. Kein größeres Glück, keine andre Wohltat kann mir erwiesen werden, als diese. Kann ich wieder hören wie andre Menschen, bleibt mir nichts andres weiter zu hoffen und zu wünschen auf der Welt!«

Wie seltsam starrt er sie plötzlich an. »Weiter ist nichts – gar nichts andres zu Ihrem Glück notwendig?« fragt er gepreßt.

Sie senkt das Haupt abermals tief, sehr tief zur Brust, aber Percy sieht dennoch, wie das Blut aus ihren Wangen weicht, wie ihre Lippen beben.

»Nein, Hoheit,« antwortet sie ruhig, »ich erwarte kein andres Glück mehr. Die Ansichten darüber sind so verschieden, und die meine ist vielleicht unnormal. Es müssen in dem großen Glücksspiel auch Nieten gezogen werden, und die, die sie treffen, dürfen nicht murren, sondern müssen in dem Gedanken resignieren, daß sich eines nicht für alle schickt.«

Seine Stirn hatte sich wieder geglättet, als ob eine milde Hand darübergestrichen habe. Er lachte sogar.

»Ah so! Nur Bescheidenheit und Entsagung! So haben schon viele junge Damen gesprochen und zogen doch noch das große Los!« Er hob sein Glas ritterlich empor: »Die kleine Frühlingsblume im Garten war doch auch ein Orakel, und die Antwort schloß die schönsten Verheißungen ein: Auf daß sie sich erfüllen möchten, Fräulein Daja! Auf daß Sie die Psalter des Glücks nicht nur hören, – sondern aus vollem Herzen darein einstimme«, können! – Übrigens, – meine Gedanken sind heute wie die Irrlichter! – Haben Sie den Brief richtig erhalten, den ich Ihnen gestern durch Wasmuth schickte?«

Einen Augenblick schien sie nicht zu verstehen, welch einen Brief er meinte. »Ach so! Die Mittagspost! Gewiß, Hoheit, ich empfing ihn umgehend.«

»Und er brachte gute Nachricht?«

»Soweit die Briefe eines Vormundes gut oder interessant sein können!« lächelte sie.

»Ah richtig – ein Vormund! Sie bedürfen seiner noch! Er beschäftigt sich mit Ihrer Zukunft?«

»Deren Gestaltung überläßt er mir. Aber über mein Befinden wünscht er Nachricht.«

»Berichten Sie, daß ich sehr zufrieden sei und hoffe, Sie völlig herzustellen.«

»Bis wann, Hoheit? Wie lange muß ich Ihrer übergroßen Güte noch lästig fallen?«

Er schüttelt beinahe heftig den Kopf und gräbt die Zähne in die Lippe.

»Davon ist noch keine Rede; an eine Abreise kann fürerst noch gar nicht gedacht werden!« sagte er kurz. »Wird Ihnen die Zeit hier zu lang?«

»Hoheit!«

»Nun, dann üben Sie sich darin, ›das Unvermeidliche mit Würde zu tragen‹. Übrigens ... wenn Sie irgendeine Zerstreuung lieben ... die Theater sind noch nicht geschlossen, – meine Loge steht zu Ihren Diensten.«

»Ich danke, Hoheit, ich trage durchaus kein Verlangen danach.«

»Aber Konzerte?«

»Ich danke ebenfalls.«

»Was beginnen Sie eigentlich jeden Abend?«

»Ich arbeite.«

»Stickereien?«

»Je nachdem.«

»Sind sie sehr wichtig oder eilig?«

»Durchaus nicht: sie sind ein Zeitvertreib.«

»Würden Sie Ihre Arbeiten eventuell vernachlässigen können, um mir einen Gefallen zu erweisen?«

Erstaunt blickte sie auf. »Selbstverständlich. Hoheit!« sagte sie erfreut.

»Ich bin leider noch nicht dazugekommen, die vielbesprochene Musik des Parzival Kennenzulernen. Ich habe mich nicht für die Aufführung interessiert, weil mir verschiedenes im Text unsympathisch war.«

»Die Schlange Kundry!« nickte Benedikta lächelnd.

»Ganz recht; die Schlange Kundry und die zudringlichen Blumenmädchen: – ich liebe solch weltliche Beigabe zu einer Karfreitagsmusik nicht. Diese selber aber kennenzulernen, in ihrer hohen, reinen Vollkommenheit und idealen Größe, würde mich dennoch sehr erfreuen. Würden Sie die Güte haben, mich damit bekannt zu machen und mir abends ein wenig vorzuspielen? Hier und da vielleicht durch Angabe einer Arie die Musik gesanglich unterstützend?«

Tiefe Verlegenheit malte sich auf den Zügen des jungen Mädchens. »Hoheit überschätzen mein Können in jeder Weise«, stotterte sie.

»Wieso das? Ich verlange ja keinen Vortrag, sondern ein Probieren! Daß Sie noch nicht in Bayreuth gesungen haben, weiß ich, also ist Ihnen die Musik ebenso fremd wie mir. Immerhin werden Sie diese leichter bewältigen wie ich. Mir wird sie auch in ›versuchsweiser‹ Form ein Genuß sein, und Ihnen ist sie eine dienstliche Übung und Zerstreuung, damit Ihnen die Zeit Ihrer Gefangenschaft nicht allzulang wird!« – Er lächelte und erhob sich, Ihr höflich die Hand zu reichen. »Ich lasse die Noten sogleich besorgen, und damit Sie ganz ungestört darin blättern können, versichere ich Sie, daß heute nachmittag kein kunstsinniges Ohr im Hause anwesend sein wird! Wacknitz und Hobrecht begleiten mich zu einer Konferenz. Also, auf Wiedersehen, heute abend! Der Einfachheit halber wird Ihnen der Tee auch hier im Salon serviert werden!«

Er verabschiedete sich in seiner kurzen Art und ging. Sein feingeschnittenes, geistvolles und ernstes Gesicht hatte selten so animiert ausgesehen, wie in diesem Augenblick, wo er sich noch einmal in der Tür zurückwandte und grüßte.

Ein Geräusch ließ ihn momentan zögern.

Auf der Etagere raschelte und klappte es.

Das Bild der Prinzessin Johanna war durch die Erschütterung, die sein eiliger Schritt hervorrief, von der Staffelei geglitten und zur Erde gefallen. Prinz Percy sah es, aber er kehrte nicht zurück, um es aufzurichten, – sein Schritt verklang auf dem Korridor.

Benedikta zögerte einen Augenblick, dann trat sie schnell neben das Bildchen, hob es auf und stellte es an seinen Platz zurück.

Wie ein Empfinden wehmütiger Rührung überkommt es Benedikta. Sie rückt die Rosen wieder in der Vase zurecht und neigt die duftigen Kelche wie in zarter Huldigung gegen das Bildchen: »Möchtest du als Rose, als dornenlose Rose sein Leben schmücken!«

Ein Schatten ist gegen die Portiere gefallen.

Prinz Percy steht in der Tür.

Er hat sein Zigarettenetui im Salon vergessen und will es holen.

Starr, weitgeöffnet haften seine Augen auf Marga Daja und ihrem pietätvollen Walten. Ein unmerkliches Beben geht über sein Antlitz, und sein Blick leuchtet auf in tiefer, wärmster Empfindung. Dann schrickt er zurück und verschwindet so lautlos wie er gekommen. Draußen aber bricht die Sonne wieder durch die Regenwolken und hüllt die Gestalt Benediktas in strahlenden Glanz.


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