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Zweites Kapitel

Die Fröhlichkeit wirkt ansteckend, und da Benedikta auf verschiedentliche, dringende Fragen doch nur den einen übermütig gesungenen Refrain: »Hold wie das Morgenlicht lächelt die Ferne« zur Antwort erhielt, lachte sie schließlich mit und tat ihrer glückseligen Lehrerin gern den Gefallen, in die liebejauchzendsten Weisen einzustimmen.

Die Tür öffnete sich leise.

Pannkeuken, der alte sächsische Diener, erschien auf den Fußspitzen und durchschritt – die Lautlosigkeit zu erhöhen – mit möglichst einwärts gesetzten Füßen den Salon.

Sein rundes Gesicht mit den glänzend roten, wie lackiert erscheinenden Bäckchen, mit den ebenso runden, pfiffig vergnügt blinkernden Äuglein und dem breitgezogenen bartlosen Mund wandte sich währenddessen, gleich einer Sonnenblume, dem Licht zu, dem gar zu angenehmen Licht, das die beiden anmutigen jungen Gestalten verklärte.

Pannkeuken liebte die Musik und die Jugend, und wenn sein Blick, wonneglänzend, von einem der jungen Mädchen zu dem andern hinübereilte, dann beschlich ihn ahnungslos dasselbe Gefühl, wie einst den Dichter Heinrich Heine, – auch er erachtete sich gleich dem Esel zwischen zwei Bunden Heu.

Heute deuchte ihm die Baroneß bei weitem schöner, morgen taten es ihm Margas schwärmerische Augen wiederum an; in diesem Augenblick hätte er, ohne zu zaudern, die Palme des Sieges nur Benedikta überreicht, um sie im nächsten Moment der Elfengestalt im weißen Kinderkleidchen zu Füßen zu legen. Pannkeukens Haar war auch schon grau, wie sich das für einen Bediensteten des Schlosses Floringhof gehörte, aber unter der Asche seines Herzens glühte dennoch ein Funken, den die Zeit noch nicht zu löschen vermochte.

Mit breitem Schmunzeln, langsam, sehr langsam, durchmaß der Alte den Salon, um sich möglichst lange an dem Kaminfeuer schaffen zu machen. Die beiden Kinderchen sangen derweil so schön, daß ihm das Herz lachte, und weil Pannkeuken nebenbei noch eine Bestellung auszurichten hatte, so verweilte er so lange vor dem Feuer, bis das »hibsche Stickchen« fertig gesungen war.

»Heizen Sie tüchtig ein. Alterchen!« winkte ihm Marga lustig zu, »damit sich unsre Seele, die wir in den Liedern aushauchen, keinen Schnupfen holt!«

Pannkeuken grinste: »Jemersch! Das wäre e schlechter Spaß! – Nachen müssen de Dämchen aber dichtig Obacht geben, daß jede och ihre richtige Seele wieder erwischt, wenn Se se wieder einfangen woll'n!«

»Haha! Vielleicht wäre es ganz dienlich, wenn Baroneß einmal mit mir austauschen wollte –«, lachte Marga mit neckischem Seitenblick. »Der meinen sind rosige Schwingen gewachsen, die voll freudiger Zuversicht in lachende Fernen hinausstreben, – Benediktas Seele aber ist vorläufig noch ,matt wie Luisens Limonade', sie wagt keinen glückseligen Ausflug, sondern bindet sich selber ihre schillernden Flügelchen mit Trauerflor.«

Pannkeuken starrte die Sprecherin voll freundlicher Neugierde an: »Wie meinen Se denn das ejendlich, Freilein Dallberg? – Das habe ich Sie nämlich ganz und gar nicht gapiert!«

»Ich muß hinaus! Ich muß zu dir!« trällerte Marga mit ausgebreiteten Armen.

»Nu eben! Das wollte ich Sie nämlich och grade den gnädigen Freileinchen vorschlagen! Konrad ließ nämlich gehorsamst anfragen – ob'r vielleicht e bißchen mit'n Schlitten komm' sollte? – Dorthin in' königlichen Forste is Se nämlich heit 'ne Saujagd ... und da meente Konrad, wär's für die jungen Dämchen doch sehre hibsch, wenn se die Reitersch in den roten Röcken möchten vorbeireiten sehn!«

»Richtig! Herzog Hans Friedrich hält in Altenfähre die Jagden ab!«

»Es sollen viele auswärtige Gäste da sein, verschiedene Prinzen und Fürstlichkeiten!«

»Es wäre sehr nett, könnten wir die Jagdgesellschaft vorüberreiten sehen! – Würde es Ihnen Vergnügen machen, liebe Marga?«

»Fraglos! Ich sah im Leben noch keine Jäger zu Pferd!«

»Weiß Konrad, nach welcher Gegend sich die Jagd hinziehen wird, Pannkeuken?«

»Na aber nadierlich! Heite jagen se auf'n Dohlenkamp bis nunter nach'n Pfaffengraben! Wenn mer mit'n Schlitten so sacht'chen bis an' Kulm fahren, sehen mer'sche grab über de Hude reiten!«

»Und das Wetter ist herrlich! Ein wenig Schnee erhöht die Poesie!«

»Buddeln Se sich aber dicht'g ein, gnädge Freileins! – Es geht eenen doch ludermäß'gt kalt an de Beene, wenn mer so e Weilchen in Schnee romlatscht!«

»Selbstredend, Pannkeuken! Wir wickeln uns in Watte!«

»Am Ende och'n Tichelchen um de Ohren? Un 'ne heeße Flasche in' Beenebeitel!«

»Eine Wärmflasche? Hahaha! Wenn wir fünfzig Jahre älter sind, Pannkeuken!«

»Schnickschnack, Baroneßchen! De Jugend muß och – un erscht recht – hibsch warm in' Neste sitzen! Na – das woll' mer allens schon herrichten! – Un wie wärsch denn mit Gummischiechen?«

»Gewiß, gewiß! Wir wickeln uns dreifach in Flanell! Eilen Sie sich nur, Alterchen, und lassen Sie Konrad rechtzeitig anspannen, damit wir auch etwas von der Jagd zu sehen bekommen!«

»Nadierlich! Ich spute mich ja reene wie närrsch!« – versicherte Pannkeuken in seiner unverwüstlichen Gutmütigkeit und schlurrte langsam, ganz langsam durch das Zimmer zurück, dieweil die beiden jungen Damen eilig die Noten zusammenpackten und den Flügel schlossen.

Marga war wieder völlig »das Kind«, klatschte in die Hände und freute sich mit einer Naivität, von der die Residenzler behaupteten, sie sei bei einer Bühnensängerin doch etwas allzu selten, um echt zu sein! –

Der Schlitten fliegt wie auf Sturmesflügeln dahin durch die winterliche Pracht.

Wie ein Märchenbild, von weißem Duft überhaucht, liegt der Wald zu beiden Seiten.

Die bereiften Zweige neigen sich graziös unter der blendend hellen Last des immer höher und höher fallenden Schnees; von den kleinen Fichten- und den niederen Tannenbäumchen sind nur noch formlose, weiß umhüllte Klumpen zu sehen, und auf dem Erdboden türmen sich die flimmernden Massen, als wollten sie jedwedem Leben Weg und Steg in die traumhaft stille Einöde versperren.

Kein Laut nah und fern.

Nur der Wind fährt leise klingend durch das Gezweig und schüttet einen Sprühregen dicht wirbelnder Sternchen auf das einsame Gefährt hernieder, – nur das Schellengeläute und zeitweise Ausschnaufen der Pferde unterbricht die grabestiefe Ruhe.

Benedikta hat mit großen, ernsten Augen geradeausgeschaut; sie schrickt leis zusammen, als Marga plötzlich ihren Arm an sich preßt und mit unterdrücktem Jubel sagt: »Wenn ich einmal eine Hochzeitsreise mache, so muß es im Schlitten durch einen solch verschneiten Märchenwald sein, wie dieser hier! Können Sie sich ein solches Glück ausmalen, Benedikta, mit dem Herzallerliebsten Arm in Arm durch dieses menschenleere Paradies – im warmen, bequemen Pelz dahinzufliegen?«

Fräulein von Floringhoven lächelte: »Nein, ich kann mir eine solche Seligkeit nicht ausmalen, kleine Schwärmerin, denn dazu gehört in erster Linie das Bild eines geliebten Mannes, den man an seine Seite wünschen möchte. Da ich aber keinen, keinen auf Gottes weiter Welt wüßte, den ich momentan anstatt Ihrer hier neben mir sehen möchte, so versteigt sich auch meine Phantasie zu keinen Traumbildern, die sich ja doch niemals verwirklichen werden. Aber es ist gut, daß Sie unser interessantes Thema wieder berühren. Glauben Sie, mich mit ein paar flüchtigen Stichworten abspeisen zu können, wenn es sich um Ihr ganzes Lebensglück handelt? Gewiß nicht. ES ist keine neugierige Indiskretion von mir, sondern das warme, aufrichtige Interesse der Jugendgespielin, das eine ausführliche Beichte verlangt. Wer Roman Ermönyi ist, weiß ich, denn der Name des genialen, feuerblütigen Komponisten, sowie Auszüge seiner Werke sind mir rühmlichst bekannt; wie man aber einen Mann auf das erbittertste hassen und ihn kurze Zeit danach leidenschaftlich lieben kann, das ist mir vorläufig noch ein Rätsel, das Sie mir lösen müssen, Marga!«

»Das Kind« lachte und wickelte sich fester in den Pelz, so daß das rosig überhauchte Gesichtchen beinah hinter dem goldgelben, langmähnigen Löwenfell ihres eleganten Mantels untertauchte.

»Es ist eine wunderliche Welt!« kicherte sie, »ebenso verrückt wie die verliebten Menschen, die sie bewohnen! Warum ich Roman haßte? Sehr einfach. Er studierte seine neue Oper persönlich mit uns ein. Für mich hatte er die kleinste, jämmerlichste, undankbarste Rolle ausgesucht, die darin vorhanden war. Er behauptete, ich hätte nicht das Temperament, um eine heißblütige, racheglühende Südländerin verständnisvoll zu verkörpern. – Das Kind sei nicht Weib genug, um wie eine teuflische Sirene die Männer zu betören.«

»Das war viel eher eine Schmeichelei als eine Unart, die er Ihnen sagte!«

»Vielleicht; – vielleicht auch nicht. – Später dachte und glaubte ich es auch, aber anfänglich erbitterte und verletzte es meinen Künstlerstolz auf das Peinlichste. Als er mir vorgestellt wurde, drehte ich mich auf dem Hacken um und würdigte ihn keines Blickes. Darauf sollte – sollte er spottend zu den Umstehenden gesagt haben: ›Fräulein Daja präsentiert sich doch stets von ihrer vorteilhaftesten Seite!‹ – Das war in meinen Augen eine tödliche Beleidigung, die mich vor allen Kollegen lächerlich machte. – Ich haßte ihn darum und ich zeigte es ihm, ich ballte die Hände, – und er lachte. – Ich sang in den Proben unter aller Kritik. ›Ich dachte es mir ja gleich, daß sie nichts kann!‹ spottete er abermals, daß ich es hören mußte, ›wie gut, daß ich ihr keine bedeutende Rolle anvertraute‹. – – Ich schäumte! – Nun sang ich gut. ›Sie lernt etwas bei mir‹, mokierte er sich. Ich hätte ihn morden können. – Das Kostüm bei der Aufführung stand mir besonders gut. Sie kennen mein Bild darin, Benedikta! Ich hatte mir vorgenommen. so schlecht, so schlecht zu singen, daß seine ganze Musik zuschanden wurde, gleichviel, ob ich mir selber dadurch die Zukunft verderben würde oder nicht. Mit haßsprühenden Augen erwartete ich ihn. Er trat aus den Kulissen, sein Blick schweifte suchend über die Bühne, er traf auch mich. Wie ein Blitz flammte es durch sein Auge. Er starrte mich ein paar Sekunden an – aber er trat mir weder entgegen, noch grüßte er mich. Das Blut kochte in meinen Adern, und ein fremdes, ganz wunderliches Gefühl preßte mein Herz zusammen. Tränen zornigen Wehs schossen mir in die Augen. Wie schön, wie schön war er! Ich wollte es nicht zugestehen, aber ich mußte es. Sie Augen flammten wie große, schwarze Sonnen in dem bleichen Antlitz, die Lippen wölbten sich so stolz wie bei einem Gott – aber ein feiner, sarkastischer Zug gab dem Gesicht ein Gepräge, das mir in jenem Augenblick noch viel teuflischer als göttlich vorkam. Die Erregung des Premierenfiebers schien ihm fremd, er war äußerlich dieselbe Marmorstatue – der ›steinerne Gast‹, wie ich ihn genannt – wie alle Tage vorher; aber in seinem Blick, da brannte ein Funken – der verriet dennoch, welch ein Feuer tief unter dieser Maske von Gleichgültigkeit loderte. – Und wie er mich ansah mit diesem seelenmordenden Blick, da hätte ich ihn töten mögen. Er trug einen Strauß roter Rosen in der Hand. – Für wen? – Natürlich für die Diva! Die Heldin! Das Weib, das ihm feuerblütig und leidenschaftlich genug zur Verkörperung seiner Titelrolle gewesen! – Ich biß die Zähne zusammen und wandte mich trotzig ab, – ich wollte – ich konnte es nicht ansehen, wie er jener andern die Rosen in die Hände drückte.

Ich trat hinter die Kulissen, – dorthin, wo niemand mehr etwas zu suchen hatte, – ich wollte allein sein mit meinem Haß und meinen Tränen. – Und wie ich ein paar Minuten dort auf einem umgeworfenen Pfeiler aus Iphigenias Tempel sitze und mit zitterndem Herzen die schauerlichsten Rachepläne ersinne, – da steht er plötzlich vor mir. – er! Wirklich er. Und zwar nicht aus Zufall. ›Ich suchte Sie, Fräulein Daja‹, sagte er mit einer Verneigung, die mir übertrieben, mit einer Stimme, die mir ironischer wie je klang: ›Da ich weiß, daß Sie dem Komponisten heute abend Ihr Bestes geben werden, – so gestatten Sie ihm einen bescheidenen, vorläufigen Dank!‹ – Und damit reichte er mir die Rosen! – Er mir! – Ich sprang auf: ›Ich denke gar nicht daran, Ihnen mein Bestes zu geben!‹ rief ich mit zornblitzenden Augen – ›ich hasse meine Rolle und werde das beweisen!‹ – Sprach's, schleuderte die Rosen zur Erde und lief davon. – Und als ich hochatmend zwischen all den Kulissenschiebern und Choristen stand, ward es mir so unbeschreiblich weh um das Herz, daß ich am liebsten hätte sterben mögen. Warum nahm ich seine Rosen nicht? Ich fühlte es – ich hätte mein Herzblut für diese Rosen gegeben – das heißt – ich haßte die Blumen um seinetwillen, es tat mir leid, daß ich nicht noch mit den Füßen darauf herumgetreten hatte. Konnte ich's nicht noch? – Leise, atemlos huschte ich zurück. Drunten im Orchester erklangen die ersten Töne der Ouvertüre – Roman Ermönyi saß wohl in der Loge des Intendanten und hob spöttisch die Lippen bei dem Gedanken an das ›kindische Kind!‹ – Ich eilte zu den Rosen zurück – ich stand vor ihnen und wollte sie mit dem Hacken meines Atlasschuhes zerstampfen – aber ich tat es nicht – ich raffte sie jählings empor und preßte sie wie eine Sinnlose an mein brennendes Gesicht, an meine fieberheißen Lippen. Und dann haßte ich ihn nicht mehr, denn er stand neben mir, zog mich ungestüm in die Arme und küßte – küßte – küßte mich – – – – Warum lachen Sie, Benedikta? Meine Geschichte ist furchtbar ernst. Sie haben noch nie einen Mann geküßt, tun Sie es auch niemals, Männerlippen sind giftig, man stirbt an ihnen! Und ich starb auch in jenem Augenblick – aus Liebe! – – Roman sah mich an und lachte, wie nur ein Mann lachen kann, der sehr glücklich ist. ›Nun hast du mir doch dein Bestes gegeben, Trotzköpfchen, dein Allerbestes – dich selbst!‹ – – Und die Musik, seine Musik, brauste zu uns herüber, – das Publikum raste Beifall – er fragte nichts danach, er küßte mich. – Ich habe an jenem Abend gesungen. – In der Kritik stand: ›Fräulein Daja schuf aus ihrer kleinen, an und für sich undankbaren und dennoch musikalisch sehr wichtigen Rolle ein wahres Meisterstück. Wir haben die junge Sängerin noch nie mit derartiger Leidenschaft eine Aufgabe lösen sehen. Die tiefe Innerlichkeit der Musik kam voll zur Geltung, und der Komponist kann mit äußerster Zufriedenheit auf diese Premiere zurückblicken, an der jegliche Rolle in unvergleichlich vollendeter Weise gestaltet wurde.‹ So stand in der Zeitung, – und andern Tags war ich Romans Braut!«

»Noch ward die Verlobung nicht veröffentlicht?« fragte Fräulein von Floringhoven leise, – es lag wie ein feiner, kaum merklicher Ausdruck der Sorge in ihren priesterlich reinen Zügen.

»Nein, noch nicht!« lachte Marga harmlos. »In erster Linie fehlen uns beiden noch die Mittel, – in zweiter will Roman zuvor noch ein neues Werk vollenden, und drittens hat er sich in den Kopf gesetzt, mich zuvor noch zu einer Berühmtheit zu machen! Auf seinen Wunsch studiere ich noch bei unsern ersten Sangesgrößen, der Reklame wegen! Und wenn ich in der neuen Oper die Titelrolle, die wie geschaffen für mich ist, recht vortrefflich und herzstürmend verkörpert habe, hofft Roman auf eine glänzende Karriere und sehr günstiges Engagement für mich!«

»Gebe Gott, daß sich diese glücklichen Zukunftsträume verwirklichen!« nickte Benedikta nachdenklich; es wollte ihr nicht recht gelingen, daran zu glauben, als Marga ihr ein Medaillon mit dem Bilde Roman Ermönyis entgegenhielt. – Sie herzte und küßte es in ihrer überschwenglich begeisterten Weise und war mit allen Gedanken bei dem Erwählten ihres Herzens, daß sie ganz vergaß zu fragen, ob Benedikta das Bildchen ebenso bezaubernd fände, wie sie. – Vielleicht hielt sie es für selbstverständlich. Aber Benedikta fand es durchaus nicht.

Sie blickte sinnend auf den allerdings recht genialen Männerkopf hernieder, dessen Gesichtsausdruck ihr jedoch durchaus unsympathisch war. Etwas Kaltherziges, egoistisch Berechnendes, – ja sogar etwas Zynisches lag darin, – etwas, was auf Benedikta direkt abstoßend wirkte. – Sie entsann sich auch verschiedener Zeitungsnotizen über den jungen Komponisten, dessen grenzenloser Ehrgeiz, dessen krankhafte Sucht nach Ruhm und Erfolg leider die Veranlassung zu viel gesuchter und effetthaschender Musik sei, die schon jetzt das edle, großangelegte Talent auf falsche Bahnen dränge. Man tadelte wiederholt, daß Roman Ermönyi mit allen möglichen erlaubten und unerlaubten Mitteln arbeite, um einen Erfolg zu erzwingen.

Pannkeuken wandte den Kopf. »Mer missen e bißchen seitwärts an' Graben fahren, Baroneß, – Herr Eckert kommt uns akkrad auf der schmalsten Stelle von'n ganzen Wege entgegen!«

»Herr Eckert!« – Marga barg das Bildchen hastig in der Hand, und Fräulein von Floringhoven atmete unwillkürlich auf, einer längeren Auslassung über die Photographie enthoben zu sein.

»Was hat denn der langweilige Philister hier in unserm Zauberhain zu suchen?« grollte die Sängerin mit ungnädigem Blick nach dem massiven Apfelschimmel, der vor ihnen an der Wegbiegung erschien. »Schon genug, daß er mich jeden Mittag und Abend im Pachthaus anödet, – muß er mir auch hier noch die schöne Natur verunglimpfen!«

»Aber Marga, wie kann man so räsonieren, wenn man den ganzen Himmel voll Baßgeigen hängen sieht!« lächelte ihre Nachbarin gutmütig. »Schelten Sie mir nicht auf Eckert! Er ist ein braver, vortrefflicher Mann, der treuste, aufopferndste Vater, den man sich denken kann!«

»Das ist seine Pflicht und Schuldigkeit.«

»Eine Pflicht, die herzlich selten geübt wird. Pst ... er kommt.«

Der Apfelschimmel ward neben dem Schlitten pariert.

Militärisch grüßend legte Inspektor Eckert die Hand an die Pelzmütze. »Wollen die Damen noch weit waldein fahren?« – fragte er mit tief tönender Stimme, den Blick wie gebannt auf Marga heftend: »Es kommt ein bedenklicher Schneesturm herauf, und die Kälte dürfte in ein bis zwei Stunden recht empfindlich sein!«

»So leichte Ware sind wir ja nicht, daß uns ein bißchen Schneesturm wegpustet!« entgegnete Marga schnippisch, das Köpfchen in das Löwenfell ihres Pelzes zurückbiegend. Benedikta aber sah freundlich zu dem Sprecher auf und nickte ihm gütig zu. »Besten Dank für Ihre Warnung, Herr Eckert, die wir leichtsinnigerweise heute ganz und gar nicht befolgen werden! Der Anblick einer königlichen Parforcejagd lockt uns an die Hude! Sehr lange werden wir uns aber nicht aufhalten und hoffen noch vor der schlimmsten Kälte zurückzukommen.«

Der Inspektor verneigte sich respektvoll. Sein frisches, rotwangiges Gesicht mit dem blonden Vollbart lächelte. »Da darf man viel Vergnügen wünschen, denn für gewöhnlich ist wenig Vergnügen für die Zuschauer dabei.« – Wieder traf sein Blick Marga. »Befehlen die Damen, daß ich den Schlitten zum Schutz eskortiere?«

»Danke! Danke! Bemühen Sie sich um Gottes willen nicht!« wehrte Marga voll beinahe unhöflicher Hast ab. »Ihr kleiner Willi möchte aus seinem Mittagsschlaf erwachen und uns blutige Fehde schwören, wenn sein Papa nicht gehorsamst mit der Milchflasche bereitsteht!«

Benedikta zog errötend die Brauen zusammen, und auch über das ehrliche Gesicht Eckerts flog momentan glühende Röte, die einem wehmütigen, beinahe schmerzlichen Ernst wich. Er starrte nach wie vor in das spottende Mädchengesicht, dessen Besitzerin sich mit den Allüren eines Prinzeßchens in die eleganten Polster schmiegte.

»Ich bedaure, Fräulein Dallberg, meine Dienste verschmäht zu sehen!« antwortete er, sich mit kurzem Ruck zu soldatischer Strammheit im Sattel aufrichtend, »aber ich werde andrerseits glücklich sein, sie meinen Kindern widmen zu dürfen. Arme, hilflose, kleine Wesen, denen der liebe Gott so früh die Mutter genommen, bedürfen leider doppelter Vaterliebe, die sich nicht scheut – selbst mit der Milchflasche bereitzustehen.«

Er hob abermals die Hand an die Mütze, grüßte die junge Baroneß mit großer Hochachtung und spornte sein Pferd an, – erst im Abreiten wiederholte er den Gruß vor Marga, und es schien, als wende er gewaltsam das Haupt, um den Blick von ihr loszureißen.

Der Apfelschimmel griff aus, und Eckert mußte seine markige Gestalt tief herniederbeugen, um den Zweigen auszuweichen, die ihm in das Antlitz schlugen. Sie schüttelten den Schnee über ihn, als wollten sie mit weißem Bahrtuch ein sterbend Herz bedecken.


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