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Fünfzehntes Kapitel

Welch schöner, goldiger Sonnenschein! Schon seit früher Morgenstunde waren alle Einwohner der Klinik auf dem freien Platze vor dem Gebäude versammelt, dem Prinzen eine glückliche Reise zu wünschen.

Die Equipage stand wartend vor der Tür, das Gepäck war bereits zur Bahn transportiert. Der Schritt des hohen Herrn klang auf der Steintreppe wider, er erschien in Begleitung seines Adjutanten, den man sonst sehr wenig, fast nie, an der Seite Percys sah.

Es war auch eine seiner menschenfreundlichen Liebenswürdigkeiten, daß er dem jungen Offizier gestattet hatte, zu heiraten und sich eine eigene Häuslichkeit in der Stadt zu gründen. Er beanspruchte seine Dienste lediglich bei offiziellen Gelegenheiten und überließ den jungen Ehegatten sonst vollkommen seinem Glück, von dem er sich hie und da leutselig durch einen Teebesuch überzeugte.

Eine ehrfurchtsvolle Begrüßung seitens seiner Patienten empfing den Fürsten am Portal, und der Blick des Scheidenden schweifte mit freundlichem Gruß von einem zum andern, wie suchend den Kreis der Dichtgedrängten durchforschend.

Ein Ausdruck der Enttäuschung lag auf seinem Antlitz, er wandte sich kurz dem Wagen zu. Da grüßte Herr von Tümmern noch einmal nach der Eckseite hinüber, und Percy wandte das Haupt. Er stand jählings still, wie ein Aufleuchten ging es durch sein Auge, Drüben, unter den zartgrünen Schleiern des Fliedergesträuchs stand Marga Daja und sandte voll bescheidener Höflichkeit einen letzten Gruß. Wie schlank und vornehm zeichnete sich ihre Gestalt ab, wie wunderlich verstand sie es, das Köpfchen zu neigen, nicht wie in unterwürfiger Demut, sondern mit der stolzen Grazie einer Dame, die durch solchen Gruß nur der Pflicht genügen und ihren Dank aussprechen will. Percys Blick weilt sekundenlang auf ihrem Antlitz, es scheint, als wolle er ihr entgegentreten, sich zu verabschieden, – dann zuckt sein Haupt jählings in den Nacken, er lüftet noch einmal grüßend den Hut vor ihr und springt in den offenen Wagen.

Der Adjutant folgt.

Noch einmal: »Glückliche Reise! Auf Wiedersehen, Hoheit!« - aus dem Kreis der Leute, dann ziehen die Pferde an.

Prinz Percy neigt sich noch winkend zurück. Da sieht er, wie Dr. Hobrecht eilig zu Marga Daja schreitet und ihr die Hand entgegenreicht.

Er deutet nach dem Park, er scheint zu fragen, ob er sich der Promenade der jungen Dame anschließen darf. – Ein wunderliches, nie gekanntes Empfinden zuckt durch die Brust des Abreisenden.

Ihm ist's, als griffe eine kalte Hand nach seinem Herzen, als überkomme ihn ein seltsames Unbehagen. Dr. Hobrecht ist ein junger, hübscher Mann, er nimmt augenscheinlich das lebhafteste Interesse an seiner Patientin und scheut sich nicht, es ihr zu zeigen.

Wird er sich ernstlich in die junge Dame verlieben? Warum nicht?

Marga Daja ist sehr hübsch, sehr sympathisch, und wenn der Schein, der sie umgibt, kein Schein, sondern Wahrheit ist, so ist sie auch ein weißer Rabe unter ihren Kolleginnen und ein sehr tugendhaft und ernst denkendes Mädchen.

Und wenn Hobrecht es nicht ehrlich und aufrichtig meint? Wenn er in Marga Daja nur die Bühnenkünstlerin mit der laxen Moral und dem weiten Gewissen vermutet und nur einen flüchtigen »Liebestraum« träumen will?

Arme Marga Daja, wie wäre es so schade um dich und deine keuschen Mädchenaugen!

Eine fiebrische Unruhe überkommt den Denker, wie mit Zaubergewalten zieht es ihn nach Hause zurück, in den stillen, frühlingsduftigen Park zu stürmen und zwischen zwei Menschen zu treten, um die alle Liebesgötter des blühenden Frühlings ihre Zauberfäden spinnen.

Nach Hause! – – Und dennoch rollt der Wagen haltlos dem seinen Ziele zu, – dennoch gibt es keinen, gar keinen Grund, der ihn zurückhalten könnte, ohne daß er sich lächerlich macht.

Sein Blick trifft den Adjutanten. Auch er sitzt still und gedankenverloren neben ihm, das Haupt tief zur Brust geneigt.

Wie blaß und vergrämt sieht er aus! – Der Prinz sieht ihn zum erstenmal im hellen Tageslicht aufmerksam an.

»Sind Sie krank, lieber Tümmern?« fragt er hastig.

Der junge Offizier schrickt leicht empor. »Durchaus nicht«, stottert er.

»Sie sehen so jammervoll aus, – reisen Sie etwa ungern?«

Der Gefragte errötete. – »O Hoheit – ich ... ich...«

»Nur heraus mit der Sprache! Ist etwa Ihre Frau Gemahlin nicht ganz Wohl?«

Da zuckte es wieder über das gebräunte Antlitz. »Allerdings, Hoheit ... aber ... das hilft doch nun einmal nichts –«

»Torheit! – Was fehlt ihr? – Ich bitte um die volle Wahrheit!« Die Stimme des Sprechers klingt sehr erregt, er legt die Hand fest auf den Arm des neben ihm Sitzenden.

Tümmern blickt eben auf, sein Blick ruht in dem des hohen Herrn. Strahlende Glückseligkeit, Sorge und Sehnsucht sind sein Gemisch.

»Wenn wir heimkehren, Hoheit, hoffe ich mein Erstgeborenes an die Brust drücken zu können!« sagt er hochatmend.

Ein leiser Ausruf der Überraschung, des Schreckens.

»Mensch! Tümmern – sind Sie denn von Gott verlassen, daß Sie mir so etwas nicht sagen?«

»Ich glaubte, Hoheit wüßten darum?« stotterte er.

»Keine Ahnung! Woher soll ich so etwas wissen! Ich mustere die Damen nicht allzu genau, wenn ich sie sehe, – können das auch von einem zerstreuten Professor nicht verlangen! – Da ... da ist ja Ihre Wohnung, – richtig – und die arme, kleine Frau mit tränenüberströmtem Gesichtchen am Fenster. – Konrad! – Halt! – Halt!«

Die Equipage hielt mit scharfem Rucke, und Percy grüßte hastig zu der Gemahlin des Adjutanten empor. Dann faßte er seinen Begleiter an der Schulter. »Marsch heraus mit Ihnen, Sie Rabenvater, der den Stammhalter nicht an der Wiege begrüßen will! Schnell zu Ihrer Frau, diese vielen Tränen zu trocknen!«

Tümmerns Gesicht strahlte, dennoch zauderte er. »Hoheit können unmöglich allein reisen –.«

»Beabsichtige ich auch nicht. Werde meine Reise bis nach der Taufe verschieben. Gottlob ist sie ja durchaus nicht dringlich. Und nun steigen Sie aus! Soll ich denn ganz und gar bei der kleinen Baronin in Ungnade fallen?«

So heiter und wohlgelaunt hatte der junge Offizier seinen Fürsten noch selten gesehen. Er sprang mit tiefgerührtem Dank zur Erde, und Percy faßte ihn an dem Arm und schnitt alles weitere ab, indem er ihn lachend zur Haustür schob. Dann wandte er sich an den Kutscher.

»Fahren Sie schleunigst zur Bahn! Und Sie, Wasmuth, sorgen dafür, daß das Gepäck zurückbefördert wird. Frau von Tümmern ist erkrankt, und ich werde meine Reise bis nach ihrer Genesung verschieben.«

»Befehl, Hoheit.«

Wasmuth stand noch erwartungsvoll neben dem Wagenschlage.

»Zufahren!« befahl der Prinz, »ich gehe die kurze Strecke zu Fuß zurück.«

Der Wagen sauste davon, und Percy wandte sich eilig und schritt die Straße hinab. Sein ganzes Gesicht lachte, und sein Herz schlug so leicht, als wolle es mit den jubelnden Vöglein zum Himmel steigen.

Nun wollte er über Marga Dajas Glück wachen, sie sollte unter seinem Dach nicht auch noch an ihrem Herzen zur Bettlerin werden.

Hat Hobrecht ernste, reelle Absichten, so mag er in Gottes Namen versuchen, das schöne Mädchen zu gewinnen, andernfalls wird Prinz Percy seine Hand über sie breiten, ritterlich und ehrenhaft für sie einzustehen.

Als er sich der Klinik näherte, zögerte er, die Promenade geradeaus zu verfolgen und durch das Hauptportal zurückzukehren. Es deuchte ihm amüsanter und besser, die Ahnungslosen einmal zu überraschen.

Er wandte sich rechts ab und schritt an dem Parkgitter entlang, bis zu einer eisernen Tür, von der ihm zwei Löwenköpfe grimmig die Zähne entgegenfletschten.

Der Prinz griff durch die Stäbe, ein kleiner Ruck an dem Schloß, und das niedere Tor sprang auf. Hastig betrat er den stillen, duftigen Park, über dessen junger Schönheit das Sonnenlicht wie geschmolzenes Gold dahinwogte.

Sein Blick schweift unruhig durch die Anlagen. Wo mögen sie sein? Sie gingen wohl fraglos zusammen in den jungen Lenz hinein.

Er sucht vergeblich.

Er wendet sich und schreitet einen andern Weg in den Park hinein. Er hat ganz vergessen, daß er sein Zimmer aufsuchen wollte; ihm deuchte, es sei der eigentliche Zweck seiner Rückkehr nur der gewesen, Marga Daja, zu suchen.

Hinter ihm klingen Schritte. – sie nahen den schmalen Taxusweg von der Klinik herunter.

Hobrecht! – Er allein.

Der Prinz bleibt stehen und streicht über die Stirn. Er kommt allein, – das junge Mädchen hat die Morgen- Promenade wohl abgelehnt. – So sieht das Gesicht des Nahenden auch aus, – halb niedergeschlagen, halb ärgerlich.

»Guten Morgen, Doktor!«

»Hoheit! –« Der Assistenzarzt steht wie angewurzelt und starrt auf die überraschende Erscheinung. Der Prinz lacht. »Diesmal hieß es ›rückwärts, stolzer Cid!‹ Noch vor Torschluß mußte ich die Reise aufschieben, weil Frau von Tümmern bedenklich erkrankt ist!« – Er wandte bei diesen Worten das Haupt und blickte sehr angestrengt auf ein Beet hernieder, als ob ihn nichts lebhafter interessiere, als wie die Krokus, Primel und Veilchen, die es schmücken.

»Das ist ja eine außerordentliche und frohe Überraschung für uns alle!« stottert Hobrecht.

Percy streicht mit dem Batisttuch über die Stirn und behält den Hut in der Hand.

»Es ist ein köstlicher Morgen! Ich bin erstaunt, nicht einen einzigen unsrer Kranken hier im Freien zu sehen!

»Es soll soeben die Andacht im Saal gelesen werden!«

»Ah so, – ganz recht, das vergaß ich. Werden alle daran teilnehmen? Fräulein Daja wird noch nicht viel verstehen von dem Vortrage, sie hätte lieber eine Predigt hier unter Gottes freiem Himmel lesen sollen!«

Hobrecht blickte lebhaft auf. »Hoheit sind also auch dieser Ansicht! Ich sagte es der jungen Dame ebenfalls und bat sie, das schöne Wetter zu genießen, aber leider vergeblich: sie hielt es für ihre Pflicht, dem Morgensegen beizuwohnen, um den andern Patienten kein böses Beispiel zu geben!«

»Sehr brav gedacht. – So müssen Sie nun, allein hier promenieren?«

Hobrecht ward dunkelrot und starrte in das lächelnde Gesicht des Sprechers. Dann nickte er treuherzig und seufzte leise auf. »Leider, ich hätte gern ein wenig mit der jungen Dame geplaudert, denn, ehrlich gestanden, Hoheit – sie interessiert mich und erweckt den Wunsch in mir, sie näher kennenzulernen.«

»Sehr begreiflich. Nun – es wird sich noch oft genug Gelegenheit finden, das Versäumte nachzuholen!«

Hobrecht grub die Zähne in die Lippe und schüttelte traurig das Haupt. »Ich fürchte, nein, Hoheit. Fräulein Daja hat eine Art und Weise, mir zu markieren, daß sie am liebsten allein ist, die man nicht übelnehmen, aber auch nicht mißverstehen kann!«

»Ah! Sie überraschen mich! – Inwiefern das?«

»Ich fragte sie, ob ich mir erlauben dürfe, sie heute nachmittag spazieren zu fahren, um ihr die schöne Umgebung unsrer Stadt zu zeigen –«

»Und sie lehnte ab?«

»In einer so entschiedenen, würdevollen und doch liebenswürdigen Weise, daß ich ihr nie einen ähnlichen Wunsch zum zweitenmal aussprechen werde!«

»Seltsam! – Für gewöhnlich denken die Damen vom Theater nicht so prüde!«

»Ich fürchte, Hoheit, Fräulein Daja hat mein sehr ehrlich und harmlos gemeintes Anerbieten falsch aufgefaßt und fühlt sich verletzt dadurch; das würde mir unsagbar schmerzlich sein, denn ehrlich gestanden, habe ich selten einer Dame gegenüber so viel Hochachtung und Respekt empfunden, wie vor dieser Sängerin!«

»Und Sie haben damit durchaus richtig gedacht und gefühlt.« Der Prinz blickte mit leuchtenden Augen geradeaus in das knospende Grün; ein sonst ihm unbekannter Zug weicher Milde verklärte sein Antlitz, und gleichsam, als wolle er diese Stimmung benutzen, fuhr Hobrecht bittend fort: »Ich würde Hoheit zu außerordentlichem Dank verpflichtet sein, wollten Sie Fräulein Daja von meiner respektvollen Gesinnung überzeugen! Ein Wort aus dem Munde Eurer Hoheit genügt, mich in Ihren Augen zu rehabilitieren!«

Da wandte ihm Percy das Gesicht zu. Ernst, durchdringend traf ihn sein Blick. »Ich werde es tun, lieber Hobrecht, und es wird mir leicht fallen, meine eigene gute Meinung über Sie mit Fräulein Daja zu teilen. Aber ich hoffe, mich alsdann auch fest darauf verlassen zu können, daß der vollkommenste Respekt stets der Grundzug Ihres Benehmens gegen die junge Dame bleiben wird!«

»Das bedarf wohl keiner Versicherung, Hoheit; verbindlichsten Dank.«

»Wo gedenken Sie hinzugehen?«

»Ich werde den schönen Sonntag zu einer Dampfschiffahrt benutzen und bitte gehorsamst um Urlaub für den ganzen Tag.«

»Gewiß, gewiß. Wir haben gottlob keinen Schwerkranken im Hause. So leben Sie wohl und amüsieren Sie sich!«

»Untertänigsten Dank, Hoheit!«

Die Schritte Hobrechts verklangen, und der Prinz wandte sich dem Hause zu. Es lag ein eigenartiger Ausdruck auf seinem Antlitz, Freude, Genugtuung und dennoch ein leichter Schatten, der eine seine Linie zwischen die Brauen grub.

Hobrecht war auf dem besten Weg, sich zu verlieben, und Marga Daja auf dem richtigen Weg, diese Liebe zu einer ehrlich werbenden zu gestalten. – Musikklänge tönten ihm aus den geöffneten Saalfenstern des Parterres entgegen. Harmonium? Wer spielt es noch, seit Dr. Reicher nicht mehr anwesend ist? – Und jetzt ... jetzt ertönt Gesang, – eine wundervolle, glockenreine Stimme, weich und seelenvoll, erbebend in tief innigstem Gefühl, – Marga Daja! Nur sie allein kann es sein. – nur sie allein ist es!

Einen Augenblick steht der Prinz und preßt schweratmend die Lippen zusammen. Warum singt sie?

Er hat ihr den Flügel im Salon schon vor zwei Tagen zur Benutzung anbieten lassen, und sie machte keinen Gebrauch davon, obwohl sie wußte, daß er sowohl wie Hobrecht jeden Laut ihres Gesanges hören würden, – jetzt wähnte sie beide Herren fern, und sie setzte sich an das Harmonium und sang.

Für wen? Für die armen Kranken, für Leute aus den untersten Volksschichten, für Menschen, die kaum ein Urteil über Musik haben, die keine Schmeicheleien sagen und den Ruhm der Sängerin in die Welt tragen können. – für diese sang sie, – und für sich selbst.

Das war keine Koketterie, das war nicht die bezahlte Sängerin, die berechnende und spekulierende Künstlerin, die vor ein Publikum tritt und Gefühle heuchelt, die sie nicht empfindet.

Langsam, wie im Traum, schreitet der Prinz herzu, steigt die Treppenstufen empor und tritt in die Saaltür. Man bemerkt ihn nicht. Alle Köpfe sind voll tiefer Andacht gesenkt, oder die Blicke haften wie gebannt in Bewunderung und Ergriffenheit an der Sängerin.

Das junge Mädchen sitzt vor dem Harmonium und begleitet sich selber.

Percy sieht sie im Profil. – Wo hat er dieses Bild schon einmal gesehen?

In Dresden, in der Galerie. – Die heilige Cäcilie. Welch eine wunderbare Ähnlichkeit! Es ist beinahe ein und dasselbe Gesicht, es sind auch dieselben weißen, edelgeformten Hände, die auf den Tasten ruhen, derselbe schlanke, zart gebogene Nacken, der sich voll Andacht und Frömmigkeit neigt, derweil ein kurzes, getragenes Zwischenspiel den Gesang unterbricht.

Nur die Lilien und der Heiligenschein fehlen; dafür liegt ein Strauß junges Frühlingsgrün auf den Knien der Musizierenden, und die Sonnenlichter umstrahlen das Köpfchen und zittern auf den Haarlöckchen, daß es dennoch aussieht, als schwebe die volle Glorie um das Haupt der Heiligen.

Und nun erklingt abermals die herrliche Stimme. Schlicht, ohne jede künstlerische Beigabe, ernst und seelenvoll wie ein Gebet.

Die Klänge des Harmoniums schwellen an und erbrausen mächtig unter den schlanken Händen, Prinz Percy aber deucht es, über ihm strahle ein Stern, ein großer, leuchtender Stern, den in Zukunft kein Dunsthauch der Welt mehr verdunkeln kann. – Er kennt ihn nicht, er hat ihn nie zuvor gesehen.

Prinz Percy wendet sich lautlos, wie er gekommen, und tritt zurück in die blühende Frühlingspracht.

Er kann nicht sein enges, schwüles Zimmer betreten, jetzt nicht.

Es muß sonnenhell – weit und grenzenlos um ihn her sein, er muß Lenzesodem trinken wie ein Verdurstender, der auf langer, einsamer Pilgerfahrt durch das Leben nach einer Erquickung verschmachtet.

Nun hat er sie gefunden, – für Leib und Seele. Die heilige Cäcilia ist auf rosigen Wolken von dem Himmel niedergeschwebt und hat ihm selber einen Becher an die Lippen gehalten, in dessen Labetrunk der Pfingstgeist heiliger und zaubermächtiger Liebe wundertätig gewesen.

Prinz Percy setzt sich auf eine Bank, fernab im Gebüsch, nieder und stützt das Haupt so fest in die Hände, als wolle er gewaltsam die Gedanken hinter seiner Stirn festhalten, damit sie sich nicht in allzu unmögliche, unerreichbare Fernen verirren möchten! –

Höher und höher stieg die Sonne.

Die dicken Knospentrauben des Flieders wiegten sich im Lufthauch, ein Fink schmetterte sein Begrüßungslied aus dem grünen Kastanienwipfel hernieder. Drüben, jenseits der breiten Rasenfläche, trat langsam eine Gestalt aus dem Laubengang und schritt gesenkten Hauptes in den goldigen Sonnenglanz hinaus. Der Prinz zuckte unmerklich zusammen. – Marga Daja.

Mit scharfem Blick schaut er zu ihr hinüber. Sie bleibt vor einem Beet stehen und blickt auf die blauen Cyllas und die kleinen Osterblumen, die es schmücken, nieder. – Ein Ausdruck sinnender Traurigkeit liegt auf ihrem schönen Antlitz.

Schlägt ihr Herz etwa nicht ruhig in der Brust? Hinter dem stillen, beinah kühlen Antlitz würde man nie eine Leidenschaft, ein Hangen und Bangen in schwebender Pein vermutet haben.

Auch jetzt ist es noch immer das weihevolle, hoch über alles Irdische entzückte Bild der heiligem Cäcilie, das drüben an dem Rand der Wiese wandelt, und was Percy gestern – ja vor einer Stunde noch als das einzig Wahre und Schöne erschienen, das erschreckt ihn jetzt und beunruhigt ihn, weil er selber verwandelt ist und begonnen hat, anders zu denken und zu fühlen als vordem.

Seine Abneigung gegen die Frauen, sein starres, überstrenges Urteil, seine schroffen Ansichten über Liebe und Leidenschaft waren Unnatur gewesen, – nun ist ein fremder, wundersamer Stern über ihn aufgegangen, der hat die Nacht erhellt und die Blindheit von seinen Augen genommen, – er sieht! Er erkennt nicht nur seinen eignen Irrtum, sondern sieht auch, daß Marga Dajas Herz und Sinn noch in demselben Todesschlaf liegen, aus dem er soeben erwacht ist!

Das junge Mädchen bleibt stehen. Vor ihr glänzen als frühlingsholde Boten die weißen Gänseblümchen, denen der Gärtner die Ehre angetan sie als Saum um ein Primelbeet zu pflanzen.

Sie zögert, – neigt sich ein wenig– – weicht wieder zurück – und bückt sich dennoch und pflückt eines der weißen Sternchen ab.

Sekundenlang hält sie es sinnend in der Hand. Und dann ... Prinz Percy hat sich langsam erhoben und starrte auf die sich so völlig unbeobachtet Wähnende wie auf ein holdes Wunder – dann zupft sie langsam die Blättchen ab: wie silberne Flöckchen rieseln sie an dem schwarzen Kleide nieder.

»Er liebt mich – er liebt mich nicht – er liebt mich –.«

Um welch eines Faustes willen befragt dieses holde Gleichen solch Orakel?

Es schießt heiß empor in die Wangen des Lauschers, Gilt es Hobrecht? Dennoch ihm? ... Oder einem fernen Unbekannten, der schon vor ihm die Wege Marga Dajas gekreuzt und zu ihrem Schicksal geworden ist? – Oder ... oder ...

Prinz Percy streicht langsam mit der Hand über die Stirn, er atmet schwer auf. Warum ist sie in seine Klinik gekommen? Warum fragt sie die weiße Blume?

Rasch entschlossen erhebt sich Percy. Wenige hastige Schritte, und er erreicht, von dem Gebüsch gedeckt, das junge Mädchen.

Scharf um die Ecke biegend, wie aus der Erde gewachsen, steht er vor ihr.

Marga Daja schreit nicht auf vor Schrecken, aber die Hände, die sie wie beschwörend gegen einen Spuk erhebt, zittern, und ihr Gesicht wird leichenblaß. – Eine Sekunde blickt sie ihn mit weitgeöffneten Augen an, – dann, als er ihr mit höflichem Gruße entgegentritt, flammt es glühendheiß über Wangen und Stirn.

»Ich habe Sie erschreckt, Fräulein Daja?«

Da lächelt sie und nickt. »Gewaltig erschreckt, Hoheit«, stößt sie atemlos hervor. »Ich vermutete Sie bereits viele Meilen entfernt von hier!«

»Zwingende Gründe veranlaßten meine Rückkehr. Ich hatte aber gehofft, meine Patienten würden ›freudig‹ bei solcher Überraschung erschrecken, Fräulein Daja!«

Sie senkte wie schuldbewußt das Köpfchen und schwieg, nur die Röte ihrer Wangen vertiefte sich. Ein Aufflackern der Unruhe ging durch sein Auge.

»Und Ihr Erschrecken spiegelte nur Betroffenheit!« fuhr er mit leichtgefalteten Brauen fort: »Kam ich Ihnen so ungelegen?«

Sie lächelte abermals und blickte ihn ehrlich an, aber sie sah durchaus nicht so ruhig aus, wie sonst. »Allerdings, Hoheit, – in diesem Augenblicke sehr ungelegen!« sagte sie leise.

Sein Blick leuchtete auf, er trat einen Schritt näher und lächelte ebenfalls. »Weil ich Ihre Frage an die kleine Gretchenblume belauschte? Sie können unmöglich leugnen, das weiße Sternchen in Ihrer Hand verrät Sie!«

Wieder spiegelte sich tiefe Verlegenheit auf ihrem Antlitz. – sie neigte das Köpfchen tief zur Brust. »Ich fühle mich sehr schuldig. Hoheit!«

Er lachte. »Schuldig? Sie wissen, daß die Menschen eine Frage an das Schicksal frei haben!«

Sie blickte erstaunt auf. »Diese Frage erachte ich auch nicht als Schuld, Hoheit« – bekannte sie offen, »sie war wohl recht kindisch und töricht, – aber mit dem Frühlingssonnenschein und dem Lenzeswehen wachen alle lieben Kinderinnerungen auf. Das erste Gänseblümchen, das man sieht, soll man fragen, ob es Glück bringt! Verargen Sie einer Kranken, der ihr Leiden das größte Unglück deucht, und, die alle ihre Hoffnungen auf den Frühling in diesem Hause gesetzt hat, – eine solche Frage nach dem Glücke der Genesung?«

Ihre Stimme klang verschleiert und nicht so fest wie sonst, auch blickte sie den Gefragten nicht an, sondern sah auf die halbentblätterte Blume in ihrer Hand nieder.

Ein Schatten der Enttäuschung flog über Percys Antlitz. »Nein – diese Frage ist allerdings keine Schuld.«

Langsam nahm er die Blume aus ihrer Hand und sah darauf nieder. Ein heitres Zucken ging um seine Lippen. »Ob der Frühling Ihnen Glück bringt, sollten diese weißen Blättchen verraten? Lassen Sie sehen, wie diese ›Stimme der Natur‹ entscheidet.« Und Prinz Percy fuhr fort, die kleinen Blütenflocken abzurupfen: »ja, nein, ja, nein.«

Sie trat lachend näher und sah zu.

»Die Verhandlung ist doch öffentlich?« scherzte sie.

»Nein – nur unter vier Augen!« gab er in gleichem Ton zurück.

»Ja, nein, – ja, nein – o weh – das letzte Blättchen –! Es heißt nein!«

»Pardon, Fräulein Daja –« der Prinz blies gegen das gelbe Staubfädenknöpfchen, von dem noch ein schmales, weißes Blättchen abstand – »Sie irren sich, es sind noch zwei Blätter! Sehen Sie wohl? Aber so innig verbunden, daß sie als eins erscheinen. Auch im Menschenleben gehen oft Glück und Unglück so innig Hand in Hand, daß man beim ersten Blick kaum die feine Grenzlinie unterscheiden kann. Was im einen Augenblick ein vernichtendes Nein scheint, wird im nächsten ein beglückendes Ja! Und was wir anfänglich für ein Unglück hielten, birgt oft heimlich ein großes Glück. – Wer weiß, wie wahr diese Blättchen gesprochen!« Wieder traf sie der seltsame, lange Blick: »Mein Schatten, der so jählings auf Ihren Weg fiel, erschreckte Sie zuerst, und dennoch barg er das Glück in sich« – abermals ein schnelles Lächeln –, »daß ich Ihnen sagen kann: Sie stehen von heute an über den Gesetzen des Gartens und haben die Erlaubnis, so viele Sträuße zu pflücken, wie Sie für sich ... und andre gebrauchen.«

Er hob den Hut kurz über dem Haupt, grüßte und schritt hastig weiter. Den Blumenstengel mit den gelben Staubfäden hielt er noch in der Hand, und als er ihn zwischen seine Finger schob, sah es im Sonnenschein aus, als glänze ein breiter Goldreif daran.

Prinz Percy hatte kaum Zeit gefunden abzulegen und einen Blick in die Zeitung zu werfen, als ihn die Pendüle auf die Speisestunde – die der junge Fürst mit seinen Patienten teilte, aufmerksam machte.

Er schob das Papier beiseite und strich über die Augen. Er war zerstreut und wußte kaum, was er las. Seine Gedanken waren weit anders beschäftigt, und seine Lippen lächelten. Er war besiegt, – und dennoch erfüllte ihn eine so hohe, reine Freude, als sei er triumphierend aus dem Kampf hervorgegangen. Marga Daja hatte ihm einen schönen, frommen Kinderglauben zurückgeschenkt, den Glauben an die lautere, engelsreine Weiblichkeit.

Es ist hell und froh in seinem Herzen geworden.

Er wird schon um Hobrechts willen der jungen Dame nähertreten. Hat er nicht versprochen, zugunsten des jungen Arztes bei ihr zu reden? Er versprach es und wird sein Wort halten. Warum ist es ihm so wehmütig zu Sinn dabei? – So ergeht es einem Hungernden, der sein letztes Stücklein Brot einem andern geben muß. – – wie einem Dürstenden, der endlich den langersehnten Quell gefunden und sich doch nicht daran erquicken darf, weil ein andrer vor ihm gekommen und den Weg gesperrt hat.

Warum beklagt er es? – Es muß so sein, – es darf ja niemals anders sein.

Seiner Gewohnheit gemäß schritt der junge Fürst nach dem Salon, woselbst er, seit Marga Dajas Anwesenheit, sein Mittagbrot serviert bekam. Als er die Tür öffnete, blickte er auf Benediktas schlanke Gestalt, die unschlüssig zaudernd an dem Tisch stand, dessen weißes Damasttuch nur ein Gedeck aufwies.

Als der Prinz eintrat, wollte sie sich hastig entfernen und mit stummem Gruß an ihm vorüberschreiten, aber noch stand er auf der Schwelle und vertrat ihr den Weg. In jähem, blitzartigem Erinnern kam ihm der Gedanke, daß er für die Zeit seiner Abwesenheit Fräulein Daja das Recht eingeräumt hatte, anstatt seiner hier zu dinieren.

In dem Trubel seiner überraschenden Rückkehr war es versäumt worden, diese Anordnung wieder rückgängig zu machen. Momentan schimmerte ein feines Rot der Betroffenheit über die Wangen des fürstlichen Professors, aber er faßte sich sofort und fragte höflich: »Wo soll der Weg noch hinführen, Fräulein Daja? Ich sehe, es ist bereits für Sie angerichtet?«

Zögernd trat Benedikta näher. Auch über ihr schönes Gesicht huschte ein Lächeln: sie sah nicht verlegen und ungeschickt aus, die vornehme Ruhe und Gelassenheit ihres Wesens kamen selten besser zur Geltung, als wie in diesem Augenblick.

Der Prinz drückte auf den Knopf der elektrischen Klingel.

»Lassen Sie noch ein Gedeck auflegen, Wasmuth; Fräulein Daja hat die Güte, ihr Mittagbrot mit mir zu teilen.«

»Befehl. Hoheit.«

»Und nun nehmen Sie bitte Platz!«

Der Prinz sprach seine Freude an dem Erfolge ihrer Kur aus. »Ich habe soeben ziemlich leise gesprochen und Sie verstanden mich dennoch!«

Sie errötete vor Freude. »Doktor Wacknitz war heute morgen auch sehr zufrieden mit mir,« antwortete sie lebhaft, »und wenn dieses gute Wetter nun beständig bleibt, so wird es fraglos auch seine Wirkung nicht verfehlen, ich habe es beobachtet, daß es die Heilung unterstützt.«

»Fraglos, Sie müssen es auch soviel wie möglich genießen. Doktor Hobrecht klagte mir im Vorübergehen, daß Sie seine Einladung zu einer Spazierfahrt abgelehnt haben, – warum das?«

Ihr Köpfchen hob sich wieder so hoch und unnahbar auf dem Nacken, daß sich in dieser Bewegung allein die Antwort ausdrückte. Ihr Antlitz war sehr ruhig und ernst. »Weil ich es nicht als passend erachte, mit einem Herrn, noch dazu einem so völlig fremden Herrn, allein eine Promenade zu unternehmen, gleichviel, ob zu Wagen oder zu Fuß!«

Er blickte auf seinen Teller nieder. »Ich glaube für die Ehrenhaftigkeit Hobrechts bürgen zu können, Fräulein Daja; er ist ein Kavalier, der nie eine Dame kompromittieren wird!«

Sie errötete. »Das bezweifle auch ich nicht, Hoheit, und es war durchaus kein persönliches Mißtrauen, sondern ein ganz allgemeiner Begriff von Sitte und Form, der mich jedem Herrn gegenüber diese Weigerung aussprechen lassen würde!«

»Ich verstehe Sie vollkommen und billige durchaus die Antwort, die Sie dem Doktor gegeben, ich möchte nur einem Mißverständnisse vorbeugen, das den vortrefflichen Mann in Ihren Augen herabsetzen könnte!«

Eine kurze Pause.

»Wie ist das so gemütlich und nett!« sagte er, »ich bin verurteilt, so oft allein zu essen, daß mein Wunsch wohl gerechtfertigt erscheint, einen Wandel in diesem Einsiedlerleben eintreten zu lassen! Wollen Sie mir künftighin, während der Zeit Ihres Aufenthaltes. Gesellschaft leisten, Fräulein Daja?«

»Ich füge mich mit Freuden jeder Anordnung, die Hoheit treffen!«

»Falls es Ihnen angenehm ist und, Sie es wünschen, werde ich Hobrecht bitten, unsre kleine Tafelrunde zu vervollkommnen!«

Diesmal senkte sich eine feine Linie zwischen ihre Brauen und ward durch eine sehr ostensible Bewegung des Kopfes unterstützt.

»Wollen Hoheit darüber bestimmen; mein Großvater lud seine Tischgäste, ohne mich darum zu fragen,«

»Und lud er oftmals Gäste?«

»Nein.«

»Aber hier und da?«

»Bei besondrem Anlaß,«.

»Er tat es ungern?«

»Sehr ungern.«

»Und Sie liebten es auch nicht?«

»Durchaus nicht.«

»Nun, so ist die Angelegenheit wohl erledigt. – Ganz wie daheim! Lassen Sie uns nach diesem Muster auch diesen Tisch hier gestalten.«

Benedikta zögerte. »Alte Herren sahen wir allerdings oft und gern bei uns. – wenn vielleicht Herr Doktor Wacknitz...?«

»Wacknitz ist Familienvater und darf seinen Angehörigen nicht entfremdet werden. Er wird aber gewiß sehr gern ab und zu der dritte in unserm Bunde sein. Und somit lassen Sie sich ›Mahlzeit‹ sagen, Fräulein Daja, und gleichzeitig auf Wiedersehen!«

Nein, – sie liebte Hobrecht nicht, und sie interessierte sich nicht für ihn, das wußte Percy nunmehr.

Nicht ihre kühl abweisenden Worte, ihre Gleichgültigkeit diesem Thema gegenüber hatten ihm die Überzeugung gegeben, – sondern ihr Auge, das nicht lügen konnte, das so warm und innig aufleuchtete, selbst dann, wenn sie es nicht zeigen wollte, und das anderseits wieder ihr kühles, stolzes Herz spiegelte, selbst dann, wenn ihr Mund noch liebenswürdig zu lächeln vermochte.

Eine strahlende Heiterkeit lag auf dem Antlitz des Prinzen, als er gedankenverloren den bläulichen Rauchflöckchen nachsah, die vor seinen Augen zerrannen wie all die Vorurteile, mit denen er Marga Daja unter seinem Dach aufgenommen hatte.

Der Sonnenschein flutete durch das weitoffene Fenster, balsamische Luft trug Lenzesgrüße in das Stübchen, das so viel köstlichen Lorbeer gepflegt und noch niemals Platz für Maienrosen gehabt. Nun sproßten unsichtbar die grünen Reislein dazwischen empor, deren Knospen den Purpurkelch bargen, und nicht der Sonnenschein draußen am Himmel läßt sie wachsen und gedeihen, sondern die Strahlen eines Sterns, der geheimnisvoll über eines Mannes Herzen aufgegangen.

An der Tür klopfte es, – Wasmuth trat ein.

Er trug auf silbernem Tablett die Zeitungen und Briefschaften, die am Sonntag noch immer extra von der Post abgeholt wurden.

Es befand sich alles darunter, was für die Klinik einging, in der Regel nicht viel, denn die Korrespondenz seiner Armenhauspatienten war keine rege.

Der hohe Herr griff nach dem Stoß Briefe und liess sie musternd durch die Finger gleiten.

Plötzlich stutzte er.

»An die Sängerin Marga Daja.«

Ein großer, weißer Brief mit fester, sehr klar geschriebener Adresse.

Eine Männerhand. – Vielleicht Nachricht von einer Theaterdirektion oder einem Agenten? – Nein, diese Briefe tragen meist die gedruckte Firma, oder sie sind mit entsprechendem Stempel geschlossen.

Ein Brief, – von Männerhand geschrieben. – Und Marga Daja steht doch allein in der Welt!

Mit wem korrespondiert sie?

Da zuckt es abermals durch seine Gedanken. Und wie kam Marja Daja stundenlang allein, ohne Schutz und Hülle in den Schneesturm, der ihr schweres Leiden verursachte?

Da zieht eine Wolke vor die Sonne. Wer ist der Absender dieses Briefes? Soll er selber hingehn, ihn abgeben und in Marga Dajas Augen lesen?

Nein, tausendmal nein! Was geht's ihn an! Er gibt den Brief mit kurzer Bewegung an Wasmuth.

»Besorgen Sie!« – und dann erhebt er sich und schreitet ruhelos im Zimmer auf und nieder.

Die Sonne verdunkelt sich, – es droht mit Regen.


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