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Zehntes Kapitel

Benedikta hatte sich einer ebenso strengen wie angreifenden Kur unterziehen müssen.

Anfänglich, als immer und immer noch kein Erfolg zu bemerken war, hatte sich eine trostlose Stimmung tiefster Niedergeschlagenheit ihrer bemächtigt.

Sie glaubte nicht mehr an eine Heilung, und der bittere Kampf zwischen Lebenslust, inniger Sehnsucht nach dem Glück und einer Resignation, die allem entsagen soll, was sonst das selige Anrecht der Jugend ist, zerriß ihr in manch langer Nacht, während manch stillen Tages das Herz.

Endlich war es, als wollte sich Gott ihres Leides erbarmen. Schon glühte die Sommersonne am Himmel, als Fräulein von Floringhofen zum erstenmal wieder das schwache Echo einer menschlichen Stimme vernahm.

Eine unbeschreibliche Aufregung, ein namenloses Entzücken bemächtigte sich ihrer, und die Bewohner der ganzen Klinik feierten mit aufrichtiger Teilnahme dieses Freudenfest mit der jungen Dame, die sich so allgemeiner und herzlicher Sympathien erfreute.

Langsam aber stetig schritt die Besserung fort, und Jean Baptiste schrieb einen langen Gratulationsbrief im Namen des Ministers und gesamten Schlosses, in dem er versicherte, daß Exzellenz volles Verständnis für die frohe und beglückende Kunde gezeigt und seit langer Zeit zum erstenmal wieder Teilnahme für ein Ereignis bewiesen habe. Der alte Herr sei seit letztem Winter doch beängstigend abständig geworden, und der Arzt hoffe sehr, daß Baroneß bald wieder kommen dürfe, die Sehnsucht des Großvaters zu stillen!

Tränen rannen über Benediktas Wangen, auch sie überkam ein unbeschreibliches Heimweh, und der Gedanke an den einsamen, alten Mann, der in ihr alles entbehrte, was ihm das Leben noch lieb machte, erfüllte sie mit größter Wehmut.

Der Professor schüttelte mahnend den Kopf. »Ich bitte Sie um alles, Baroneß, sich keinen traurigen Stimmungen hinzugeben! Jede Gemütserregung, jeder Nervenreiz ist Gift für Sie und ein Rückschritt auf dem Wege Ihrer Genesung! Noch wenig Wochen Geduld! Dann wird die Freude an dem gesunden Enkeltöchterchen den Herrn Großvater wieder verjüngen!«

Und abermals zogen die Wochen dahin.

Benediktas Leiden schien tatsächlich der Kunst dieses vortrefflichsten aller Spezialisten weichen zu wollen. Schon konnte man sich durch das Sprachrohr vollkommen mit ihr verständigen, und einzelne besonders durchdringende Stimmen vernahm sie auch ohne dasselbe in beglückender Deutlichkeit.

Seit Benedikta, von aller Welt abgeschlossen, nur den strengen Satzungen ihrer Kur lebte, hatte sich so vieles in der Außenwelt ereignet, was ihr aufrichtig naheging und woran sie doch keinen Anteil nehmen konnte und durfte.

Nach der Premiere der neuen Oper hatte sie die Jugendgenossin nur einmal noch ganz flüchtig wiedergesehen, als Marga in hochgradiger Erregung die Baroneß bitten wollte, bei Onkel Dallberg ein fürsprechendes Wort einzulegen. Derselbe wollte absolut nichts von einer so übereilten Hochzeit wissen, und Roman dränge so sehr darauf! Schon habe es zu Konflikten zwischen beiden Herren geführt und vorläufig mit der Drohung des Brautpaares geendet, wenn die Erlaubnis verweigert würde, seien sie fest entschlossen, sich ohne den Segen des Onkels und Vormunds in England trauen zu lassen.

Benedikta war sehr bestürzt und unangenehm von diesem schroffen Benehmen der jungen Leute berührt. Sie sah aber bald ein, daß es durchaus fruchtlos sein würde, durch Güte oder Vernunft auf den Eigensinn der »berühmten selbständigen Diva« einzuwirken. Sie empfand mehr denn je einen heftigen Widerwillen gegen Roman, der sich absolut nicht benahm, wie es einem vernünftigen, ehrenhaften Manne zukam. Obwohl sie für Margas Zukunft das Traurigste fürchtete, machte sie sich andrerseits doch klar, daß in diesem Falle ein Ankämpfen gegen Verblendung und kindischen Trotz noch schlimmer sei als ein resigniertes Nachgeben. Das erstere hätte lediglich eine Flucht nach England und den abscheulichen Zeitungsskandal der heimlichen Trauung zur Folge gehabt, die auf die sowieso leicht bemäkelte Ehre einer Bühnenkünstlerin das häßlichste Licht werfen würde, und außerdem wäre wohl ein Bruch mit Marga und ihren Angehörigen unvermeidlich gewesen.

Beides aber wollte Fräulein von Floringhoven gern verhüten.

Sie schrieb sehr ehrlich und ausführlich an Herrn Dallberg, teilte ihm mit, daß, auch sie berechtigte Zweifel in das Glück dieser Ehe setze, daß aber Wohl vergeblich gegen die baldige Vereinigung der jungen Leute eingeschritten würde.

Die Gesinnungen des rücksichtslosen Dirigenten und der unbeugsam kindische Starrsinn Margas garantierten den unüberlegtesten Streich. Es sei unmöglich, das junge Mädchen in ihrer Stellung derart zu überwachen, um eine Flucht nach England verhüten zu können, die Rätin wenigstens sei durchaus nicht die geeignete, energische Persönlichkeit dazu.

So, wie die Angelegenheit leider stehe, sei es wohl das ratsamste, durch ein erzwungenes Nachgeben noch viel größeren Unannehmlichkeiten vorzubeugen.

Der Pächter von Floringhof antwortete in einem innig dankbaren, sehr bekümmerten Schreiben. Der Einfluß Ermönyis zeigte sich schon jetzt in einer geradezu erschreckenden Weise. Er habe schon jetzt aus dem lieben, fügsamen, treuherzigen Kind ein undankbares, jähzorniges, allen Respekt gegen die Pflegeeltern vergessendes Wesen gemacht. Wie tief dieser Kummer ihm und seiner armen Frau in das Herz schnitte, könne wohl Benedikta am besten ermessen, sie, die Zeuge all der endlosen Sorge und Mühe und Kosten, die die Erziehung der Waise verursacht, gewesen, sie, die es wisse, mit welch aufopfernder Liebe Marga von ihnen verhätschelt und gehalten sei. Nun habe ein böser Geist von dem Herzen der armen Verblendeten Besitz ergriffen und reiße sie los von allem, was ihr sonst lieb und teuer gewesen. Der Ruhm und Lorbeer eines Mannes sei doch nicht Gewähr für seinen Charakter! Roman Ermönyi sei ihnen allen völlig unbekannt, und wenn ja auch die Rätin viel Lobenswertes über ihn geschrieben, so stehe sie doch zu sehr unter dem Einflusse Margas, um ein klares Urteil fällen zu können. Alles andre aber, was er, Dallberg, in der Residenz über den jungen Komponisten erkundet habe, spreche nicht sehr für ihn. Er lebe leichtfertig, mache Schulden, sei ein brutaler und unberechenbarer Mensch, der überall Streit und Konflikte habe, – ja, viele wollten ihm sogar den künstlerischen Wert absprechen und behaupteten, er zehre einzig noch an dem berühmten Namen des Vaters. Dallberg habe Marga in diesem Sinne Vorstellungen gemacht und sie gewarnt; ihre Antwort sei derart beleidigend und impertinent gewesen, daß er mit der jungen Dame fertig sei. Möge sie tun, was sie nicht lassen kann. Die Verantwortung falle auf sie zurück, wenn sie seine Einwilligung zur Ehe erzwinge. Er müsse sie ja geben, um eine noch größre Schande von dem betörten Mädchen abzuwenden.

Das war hart. – Tief aufseufzend liess Benedikta den Brief sinken. So weit war es also gekommen!

Der Jammer der braven, alten Leute schnitt ihr in das Herz, um so mehr, als Jean Baptiste in seinem nächsten Bericht über das Befinden des Ministers mitteilte, die arme Frau Dallberg sei kränker als je und sogar bettlägerig, der Arzt fürchte, daß irgendeine Aufregung oder ein Kummer ihr Herzleiden verschlimmert habe; man wisse aber keinen Grund dafür, denn ihre beiden Söhne seien sehr wohlauf und brave Jungens.

Benedikta wußte ihn, Gott sei es geklagt.

Wieviel dachte sie in einsamen Stunden über diese unglückselige Angelegenheit nach!

Nein, Ruhm und Lorbeer allein beglücken nicht. Die, die Roman auch diese einzigen Tugenden noch absprachen, sein Talent und seine Meisterschaft, taten ihm wohl so unrecht nicht.

Mit besonderm Interesse hatte Benedikta die Kritiken der verschiedensten Zeitungen über seine neue Oper gelesen. Keiner räumte dem Komponisten das Verdienst an dem schönen Erfolge der Premiere ein. Alle sprachen sich tadelnd über die seichte, effekthaschende Trivialität seiner Musik aus, die auch diesmal die kleinlichsten Hilfsmittel und »Mätzchen« nicht verschmäht habe; das Publikum habe sich aber momentan verblüffen lassen.

Daß die Oper so glänzend aufgenommen sei, wäre wohl lediglich das Verdienst der Vertreterin der Titelrolle. Für die Eigenart des Fräulein Daja, einer talentierten Anfängerin, sei die Partie allerdings wie geschaffen gewesen, und bei den erfreulichen gesanglichen Fortschritten, die die junge Dame gemacht, sei ihre so überaus anmutige und oft geradezu zündende Wiedergabe der »Todgeweihten« wohl die hauptsächliche Anregung zu dem stürmischen Applaus gewesen.

Spätere Berichte aus andern großen Städten lauteten noch weniger günstig.

Kaum drei Wochen nach der Verlobung lief die lakonische Notiz durch die Zeitungsspalten – unter der Rubrik »Musik und Theater« –, daß die Opernsängerin Fräulein Marga Daja, die mit der Direktion des Theaters zu X. einen zweijährigen Kontrakt abgeschlossen, gestern in der St. Paulskirche mit dem Komponisten Roman Ermönyi den Bund für das Leben geschlossen habe. Ermönyi habe seine Stellung als Dirigent an dem nämlichen Theater bereits angetreten, und diese »musikalische Ehe« der beiden jungen Künstler berechtige zu dem Wunsche, daß dieselbe eine dauernd »harmonische bleibe«.

Benedikta ward bleich vor Überraschung und Schrecken. Sie waren bereits getraut! – Hals über Kopf! Und keine Anzeige, keine Nachricht – keine Zelle einer privaten Mitteilung!

Das schmerzt.

Da Marga weder ihre Vermählung angezeigt, noch sonst an eine Menschenseele irgendwelche Nachricht geschickt hatte, mußte man annehmen, die junge Frau habe ihre Stellung an der X.er Bühne auch bereits angetreten oder lebe doch wenigstens mit ihrem Gatten schon jetzt an dem künftigen Bestimmungsort.

Um so überraschter war Benedikta, kaum drei oder vier Wochen nach der Hochzeit abermals eine Zeitungnotiz zu lesen, die mitteilte, daß Madame Ermönyi an der Oper einer nordischen Hafenstadt in der Titelrolle der neusten Oper ihres Mannes gastiert habe.

Der Erfolg sei ein unbestrittener gewesen. Die Sängerin, die körperlich und stimmlich ganz besonders für die Eigenart dieser Rolle prädestiniert schien, habe die sonst wertlose Oper in erstaunlicher Weise gehalten; es sei aber fraglich, ob es eine andre Sängerin des Theaters ihr auf die Dauer nachtun könne. Madame Ermönyi beabsichtige, eine größere Gastspieltournee zu unternehmen, um dem Werk ihres Gatten überall den nötigen Eingang zu verschaffen. Ihrer so überaus anmutigen und bestrickenden Erscheinung und Stimme dürfte ein solches Unternehmen wohl glücken, daß aber der Oper dadurch ein dauernder Platz auf den Bühnen gesichert werde, liege außer aller Wahrscheinlichkeit.

Marga unternimmt Gastspiele!

Ob ihr Gatte sie begleitet? – Unmöglich, er war vor zwei Tagen als Orchesterdirigent anläßlich der Eröffnungsfeier des Theaters zu X. genannt. – Marga reist allein. Ob sie es will, oder ob sie es muß? Ob sie von dem spekulativen Gatten als »Erwerbsquelle« von Bühne zu Bühne gehetzt wird, die neue Oper durchzudrücken, oder ob sie aus eignem Antrieb, die neue Freiheit der »Frau« benutzend und auskostend, zu eignem Vergnügen diese anstrengenden Fahrten unternimmt?

Marga war stets etwas bequem und apathisch beanlagt, sie liebte keinen Reisetrubel und stöhnte, wenn sie die Koffer nur zu einer kleinen Fahrt nach Floringhof packen sollte – und nun dieser ruhelose Wanderzug von Nord nach Süd, von Ost nach West! – Ob sie ihre Verbindlichkeiten zu der X.er Bühne gelöst hat, oder ob sie nur einen längeren Urlaub genommen?

Brennende Fragen, die niemand lösen kann.

Benedikta schneidet die Zeitungsberichte aus und schickt sie an Dallberg mit der Bitte, ihr doch Nachricht über Margas Ergehen zu geben.

Die Antwort lautet trostlos und kommt von Eckert. Marga existiert nicht mehr für die Pflegeeltern, ihr Benehmen war derart empörend und verletzend, daß alle Beziehungen zu ihr gelöst sind. Auch in Floringhof hat man die Vermählung nur durch die Zeitung erfahren. Das war zu viel des Schmerzes. Frau Dallberg liegt schwerkrank, der Arzt befürchtet das schlimmste. Mann und Kinder sind bei ihr, – die Haare des Pächters sind weiß geworden. Möge der liebe Gott die herben Tränen nicht an der heimsuchen, die sie verschuldet.

Die Leserin preßt in herbem Unmut die Zähne zusammen, ein Gefühl der Entrüstung gegen Marga überkommt sie, während innige Teilnahme für die Familie ihres Gutspächters ihr die Seele bewegt. Wie ist es möglich, daß ein böser Einfluß sich so schnell, so vollkommen geltend machen kann? Wie vermochte Ermönyi in verhältnismäßig so kurzer Zeit eine derartige Wandlung zum Schlechten in dem Charakter dieses jungen Wesens zu bewerkstelligen! Marga war stets ein haltloses, leicht zu bestimmendes »Kind« gewesen; daß sie sich aber in dieser Weise aus allen Bahnen der Pflicht und des Rechts reißen lassen würde, ohne daß ihr gutes Herz dagegen siegreich ankämpfte, das hatte Benedikta nimmermehr für möglich gehalten.

Und wieder vergingen etliche Wochen.

Das Laub färbte sich, ein früher Herbstwind schüttelte es zur Erde.

Mit tiefem Schmerz hatte Benedikta kaum die bleichen Totenkränze für Frau Dallberg winden lassen, als eine neue Schreckensnachricht ihre Einsamkeit erreichte.

Der Minister war an einem Schlaganfall hoffnungslos erkrankt.

Nach Aussage des Arztes zählte sein Leben wohl nur noch nach Tagen, und da er in den Momenten wiederkehrenden Bewußtseins voll schmerzlicher Erregung nach der Enkelin verlangte, hielt es die Umgebung für dringend notwendig, Baroneß Floringhoven davon in Kenntnis zu setzen. Benedikta eilte in schmerzlichster Erregung sofort zu dem Professor, um ihm den Entschluß, nach Floringhofen abzureisen, unverzüglich mitzuteilen.

Der alte Herr wiegte eine Sekunde lang wie in ernstem Erwägen das Haupt. Dann nickte er hastige Zustimmung.

»Reisen Sie mit Gott, meine liebe, teure Patientin!« sagte er bewegt, »und kehren Sie mit guten Nachrichten zurück. So es der Wille des Höchsten ist, erholt sich Exzellenz noch einmal, so aber seine hohen Jahre ihr Recht fordern, verzagen Sie nicht in Ihrem Leid, meine liebe Baroneß! Es wird dem wackeren alten Kämpen wohl sein, endlich von all dem vielen Guten und Edeln, was seinen Namen unvergeßlich gemacht, auszuruhen. Lassen Sie dem Alter sein Recht widerfahren, aber schmälern Sie auch dasjenige der Jugend nicht. Unsre Kur wird gerade jetzt in ihrer besten Entwicklung unterbrochen, kehren Sie sobald wie möglich zu mir zurück, damit Sie ganz und völlig genesen!«

Benedikta versprach es und nahm bewegten Herzens Abschied.

Lag es nur in ihrer düsteren, sorgenvollen Stimmung, daß ihr auch der Abschied von diesem alten Herrn, der während so manch schwerer Stunde zu ihrem väterlichen Freund geworden, ein ewiger deuchte?

Wie in banger Vorahnung hielt sie seine Hand, sie wieder und immer wieder voll herzlicher Dankbarkeit zu drücken.

Wie anders schied sie aus diesem Hause, als wie sie es zuerst betreten hatte!

Sie konnte sich wieder verständigen, sie hörte die Worte, die ihr mit lauter, scharf markierter Stimme gesagt wurden.

Allerdings hatte die Besserung seit Wochen keine Fortschritte mehr gemacht.

Es schien, als sei ein Stillstand eingetreten, als müsse Natur und Nerv erst neue Kraft sammeln, die letzten schweren Hindernisse auf dem Pfad der Heilung zu überwinden.

Mit welch unbeschreiblichen Gefühlen betrat sie Floringhof!

Der Reif war nicht nur über Feld und Wald gefallen, er hatte auch die Häupter und Herzen derer getroffen, die ehedem glücklich und still zufrieden unter diesem Dache gelebt.

Leise, leise, über weiche Teppiche gleitet Benedikta zum Lager des Kranken.

In bitterem Schmerz beißt sie die Zähne zusammen, als sie sich mit ausgebreiteten Armen über den Sterbenden neigt.

Er blickt ihr mit vollem Bewußtsein mit großen, angstvoll forschenden Augen entgegen.

»Benedikta – Wasser!« ruft er ihr so laut, wie es die alte Lunge gestattet, entgegen.

Die Genannte greift hastig nach dem Glas, das auf dem Marmortischchen seitlich des Bettes steht, und reicht es dem Dürstenden entgegen, dieweil Jean eilig herzugleitet, den schwachen, gelähmten Körper aufzurichten.

Aber der Minister will nicht trinken. Er starrt in Benediktas Antlitz, und ein Lächeln, unbeschreiblich in stiller Glückseligkeit, strahlt über sein bleiches Gesicht.

»Sie hört! Sie versteht mich!« ringt es sich wie leises Schluchzen von seinen Lippen. »Herrgott im Himmel, ich danke dir dafür!«

Und dann faßt er die Hand der geliebten Enkeltochter, wendet das Haupt zur Seite und atmet tief auf. »Nun will ich schlafen!« lächelt er.

Das junge Mädchen sitzt neben ihm. Die letzten matten Strahlen der Herbstsonne zittern wie ein Himmelsgruß durch das stille Gemach.

Das Haupt mit den spärlichen weißen Löckchen sinkt friedlich gegen ihren Arm; die Uhr auf dem Sims, die so manche frohe, stürmisch bewegte, schmerzvolle und glückselige Lebensstunde für den stillen Träumer geschlagen, singt ihm ein letztes Wiegenlied – da schläft er ein – für immer. –

Das stürmische Herbstwetter fesselte die junge Herrin an das Zimmer, und da vorläufig so viel des Geschäftlichen erledigt werden muß, tritt der Gedanke an ihre Rückkehr in die Klinik stets mehr in den Hintergrund.

Herr Dallberg kränkelt auch seit einiger Zeit, und der Arzt hält es für unratsam, daß er länger in einer Umgebung verweilt, die durch ihre so traurigen Erinnerungen seiner Hypochondrie täglich neue Nahrung bietet. Ein Wohnungswechsel, neue Umgebung und neuer Verkehr sollen wohltuend auf ihn einwirken, und da mit dem Oktober sein zwanzigjähriger Pachtkontrakt abgelaufen, entschließt sich Dallberg nach schweren Seelenkämpfen, Fräulein von Floringhoven seinen Entschluß, in die Stadt zu den Söhnen übersiedeln zu wollen, mitzuteilen.

Benedikta reichte ihm bewegt beide Hände dar. Sie verstand und billigte seinen Wunsch. Wußte sie jetzt doch selber am besten, wie schwer es war, in Räumen zurückzubleiben, die man sonst mit lieben Menschen geteilt.

An dem Abend desselben Tages ward der Inspektor zu der jungen Gutsherrin beschieden. Benedikta erhob sich von dem Schreibsessel und schritt langsam über den Teppich. Über ihr strahlten die matten Glaskuppeln der Hängelampe und verklärten das schöne, friedliche Angesicht, das ihm mit den großen Schwarzaugen seltsam forschend entgegenblickte.

Die unbewußte, hoheitsvolle Würde ihres Wesens trat mehr als je hervor, und Eckert blickte mit einem Gefühl verehrungsvoller Ehrfurcht auf die schlanke Gestalt, die in ihre vornehme Umgebung paßte, wie ein edles Bild in kunstvollen Rahmen.

»Ich habe eine Bitte an Sie, Herr Inspektor, – darf ich unumwunden und ohne Umschweife sprechen?«

»Ich bitte darum, gnädiges Fräulein.«

»Sie wissen, daß Herr Dallberg seinen Pachtkontrakt nicht erneuern möchte, und daß ich mich demzufolge in Verlegenheit wegen eines neuen Gutspächters befinde?«

»Ich weiß es, Baroneß.«

»Ich habe nun selber nach eigenem Ermessen und bester Überzeugung diesen neuen Pächter ausgewählt und würde sehr glücklich sein, wenn derselbe meinem Wunsche entgegenkäme.«

Eckert blickte die Sprecherin ruhig und offen an: »Befehlen Sie, gnädiges Fräulein, daß ich die Sache vermittele oder in die Hand nehmen soll?«

Benedikta lächelte und bot ihm jählings die schlanke Rechte entgegen: »Ja, lieber Eckert, nehmen Sie die ganze Angelegenheit und mit ihr die Zügel der Floringhofer Regierung in die Hand! Wer sollte besser in die Stellung eines neuen Pächters passen als Sie? Ich biete Ihnen dieselbe an und hoffe zuversichtlich, daß Sie mich nicht im Stich lassen werden.«

Der Inspektor ward blutrot. Aus seinen Augen brach ein Strahl unaussprechlicher Freude; aber nur einen kurzen Moment, dann ward sein Gesicht bleicher denn je, und das Haupt tief zur Brust senkend, antwortete er leise: »Wie sehr Baroneß mich durch diese Offerte ehren, bedarf keiner Beschreibung, und wie unaussprechlich gern ich dieselbe annehmen würde, kann ich mit Worten kaum versichern. Aber dennoch ist es wohl eine Unmöglichkeit. Ein Gut wie Floringhof pachten, bedingt eine Kaution, die für mich ein unerschwingliches Kapital bedeuten würde. Sie wissen aber, gnädiges Fräulein, daß ich über nichts, über gar nichts mehr zu verfügen habe, und daß meine Armut leider Gottes die Klippe war, an die all meine Bemühungen, selbst ein kleines Gut – keine Herrschaft wie Floringhof – zu pachten, scheiterten!«

»Und das Bedenken wegen der Kaution wäre das einzigste, das Sie zu äußern hätten?«

Er sah sie betroffen an. »Allerdings, Baroneß.«

»Sie würden sonst gern hier sein und dem Gute das nötige Interesse für eine selbständige Verwaltung entgegenbringen?«

Wieder erglühte sein Gesicht bis unter die blonden Haare. »Ja, Baroneß, ich hoffe zu Gott, daß der neue Pächter mich im Dienst behält; daß er mit mir zufrieden sein soll, wird mein eifrigstes Bestreben sein.«

Benedikta trat an den Schreibtisch und legte ein paar Papiere auseinander. »Da ich keinerlei Wert auf die Kautionsleistung lege und überzeugt bin, daß es dieser auch absolut bei Ihnen nicht bedarf, Herr Eckert, bitte ich Sie, die Pacht der Herrschaft zu übernehmen und diesen Kontrakt – für vorläufig fünf Jahre – zu unterzeichnen.«

»Gnädiges Fräulein!« – Das war ein Aufschrei unaussprechlicher Empfindung. Der Inspektor stand regungslos; seine zitternden Hände hingen schlaff hernieder, in seinem Antlitz wechselte die Farbe. Er stand und starrte auf die Schriftstücke, ohne sich vom Fleck zu rühren. »Ihr Edelmut ist so groß, Baroneß, daß ich ihn weder annehmen kann noch darf –«, murmelte er mit versagender Stimme.

Benedikta faßte seine Hand und zog ihn mit sanfter Gewalt an den Schreibtisch. »Lesen und unterzeichnen Sie, – ich verlange es von Ihrer Rechtlichkeit, die eine hilflose junge Dame nicht in die Hände unbekannter Glücksritter und Spekulanten liefern wird. Sie sind mir ohne Kaution ein viel sicherer Gewährsmann als alle die andern, unbekannten Herren, die sich mit Einlage eines großen Vermögens melden werden; darum bitte ich Sie, pachten Sie mein Eigentum!«

Er konnte nicht sprechen. Tränen unbeschreiblichen Glückes glänzten in den Augen, die so lange keine Freude mehr gekannt. Er faßte in leidenschaftlicher Erregung ihre Hände und küßte sie.

Sein höchstes Sehnen, der Traum alles für ihn noch denkbaren Glückes war erfüllt und erfaßte ihn wie ein Schwindel: Er – er der Pächter von Floringhof!

Benediktas Schritt verklang auf dem Teppich; sie ließ ihn allein, seiner Aufregung Herr zu werden.

Als sie wieder eintrat, lagen Eckerts gefaltete Hände auf dem unterzeichneten Kontrakt. Er erhob sich langsam und schaute sie mit unbeschreiblichem Blicke an. »Gott segne Sie!« – war der erste Laut, der über die Lippen des neuen Pächters klang. »Gott segne Sie!« – das war ein Gebet, das aus tiefstem Herzen kam, – und Gott der Herr erhörte es.


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