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Elftes Kapitel

Ehe die verschiedenen Umwandlungen in Floringhof vollendet und die junge Schloßherrin ihre Angelegenheiten geordnet hatte, war der Winter in das Land gezogen.

Mit der unfreundlichen Witterung schien sich auch das Ohrenleiden Benediktas wieder zu verschlechtern. Sie hörte zeitweise nur durch Hilfe des Rohres und empfand es selbst in guten Tagen doch noch sehr peinlich, daß sie wohl die laute Sprache des einzelnen verstehen konnte, daß aber alle Laute zu einem unverständlichen Geräusch verschmolzen, sowie mehrere Personen gleichzeitig in einem Zimmer sprachen. Dieser Umstand machte sie für einen Verkehr mit der großen Welt immer noch untauglich, und der heiße Wunsch, eine vollständige Genesung zu erzielen, regte sich mehr denn je in ihr.

Sie schrieb an den Professor und fragte an, wann sie zur Fortsetzung der Kur bei ihm eintreffen dürfe.

Die Antwort ließ erstaunlich lange auf sich warten; endlich traf ein Brief ein, der die Schriftzüge des ersten Assistenzarztes trug.

Die Nachricht, die er brachte, wirkte wie ein vernichtender Schlag auf alle Hoffnungen, die die einsame Herrin von Floringhof gehegt.

Anläßlich einer Reise nach England hatte sich der Professor eine starke Erkältung zugezogen, die er anfänglich wenig beachtet, bis sie in eine sehr bedenkliche Lungenentzündung ausgeartet sei. Die letzten Telegramme seien hoffnungslos gewesen, und man erwarte in der Klinik schweren Herzens und tief bekümmert die nächsten entscheidenden Tage.

Tränen aufrichtigen Schmerzes füllten Benediktas Augen; es deuchte ihr, als hielte sie mit diesen wenigen Zeilen das Todesurteil ihres Glückes und ihrer Jugend in der Hand.

Am nächsten Tage schon brachte die Zeitung die telegraphische Nachricht, daß Professor H. in Cambridge einer bösartigen Lungenentzündung erlegen sei.

Tiefe, verzweifelte Mutlosigkeit überkam die Lesende. Was nun? – Die rettende Insel, auf welche sich ihre Zuversicht nach all dem Sturm und Todesweh geflüchtet, versank unter ihren Füßen, und man stieß sie abermals in den Kampf mit ihrem jungen, glückheischenden Herzen zurück, das noch viel zu warm und lebensfrisch schlug, um schon jetzt in die Todesnacht ewiger Einsamkeit versinken zu wollen!

Zum ersten Male las sie anläßlich der Beerdigung des allgemein so sehr beliebten und verehrten Arztes eine Notiz über Prinz Percy. – Nach langer Zeit die erste Nachricht wieder von ihm.

Der hohe Herr hatte es sich nicht nehmen lassen, dem hochverehrten Freund und Lehrer persönlich die letzten Ehren zu erweisen.

Es ward der Zeit gedacht, während der der Prinz in der Klinik des Professors studiert und sich unter der Leitung des tüchtigen Spezialisten ganz außergewöhnliche Kenntnisse erworben hatte.

Der Bericht sprang auf die zeitweilige Tätigkeit Seiner Hoheit über. Die Privatklinik für bedürftige Ohren- und Halskranke war im Bau begriffen und machte unter persönlicher Leitung des Prinzen schnelle Schritte zur Vollendung. Man hoffte, sie bereits im kommenden Frühjahr eröffnen zu können, zu welcher Feier die gesamte herzogliche Familie sowie verschiedene Mitglieder des regierenden Königlichen Hauses ihre Anwesenheit zugesagt hatten. – Der Gedanke an die Vermählung des Prinzen sei mit der Zeit mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt. Hochderselbe lebe so ausschließlich seinen ernsten und gesegneten Studien, daß ihn fürerst eine Heirat mit den damit verbundenen gesellschaftlichen und offiziellen Verpflichtungen allzusehr aus der einmal eingeschlagenen Bahn drängen würde.

Benediktas Haupt sank tief, tief zur Brust.

Abermals wollte sie die leidenschaftliche Sehnsucht nach ihm und seiner Hilfe überkommen! Sie glaubte an ihn, sie war überzeugt, daß nur er allein ihr die volle Genesung zurückschenken könne, aber wie sollte sie es ermöglichen, von ihm ärztlich behandelt zu werden?

Seine Kenntnisse standen ja nur in dem Dienst der Armut, und Benedikta war wohl die reichste Erbin im Herzogtume. Außerdem durfte er niemals ihren Namen erfahren, aus all jenen schon so oft erwogenen Gründen, aus denen ihr Takt und Zartgefühl den Mund verschlossen.

Eine neue Nachricht löste sie aus ihrer tiefen Niedergeschlagenheit.

Ein gedrucktes Zirkular teilte ihr mit, daß nach Übereinkunft mit den Erben die Klinik des Professors H. genau in der bestehenden Weise fortgeführt werden solle, und daß die bisher unter dem Professor arbeitenden und von ihm ausgebildeten Ärzte die Behandlung der Patienten genau in dem Sinne des Professors fortsetzen würden. Eine kleine Nachschrift des nunmehrigen Leiters der Anstalt setzte Baroneß Floringhoven in Kenntnis, daß ihrer Ankunft in der Klinik nichts im Wege stehe, und daß diese jederzeit erfolgen könne.

Ein schwacher Hoffnungsschimmer erhellte abermals die Leidensnacht Benediktas.

Sie meldete umgehend ihren Aufenthalt in der Anstalt an und traf sofort alle Vorbereitungen zur Abreise.

Sie hatte eine letzte Unterredung mit Eckert gehabt. Er war auf ihren ausdrücklichen Wunsch mit seiner Familie in die ehemals Dallbergsche Wohnung in dem linken Schloßflügel übergesiedelt und schien neu aufzuleben in der beglückenden Tätigkeit seiner nunmehr selbständigen Stellung. Sie gab ihm mit einem Schlage alles wieder, was er ehemals verloren, die Stellung und die Mittel, seiner Erziehung und Ausbildung gemäß zu leben.

Zwar war alles unverändert, schlicht und einfach in dem Haushalt des Witwers, und er selber ging nach wie vor jeglicher Arbeit, genau wie zu Zeiten des Inspektors, sorgsam und äußerst gewissenhaft nach, keine Arbeit scheuend und überall mit seinen herkulischen Kräften anfassend und helfend; und dennoch war er ein andrer geworden.

Ein unsichtbarer Druck, der bleischwer auf ihm gelastet, war gewichen und ließ ihn hoch aufatmen wie einen Erlösten.

Strahlende Glückseligkeit leuchtete von seinem Antlitz und trat nie auffallender zutage, als in jenen Augenblicken, wo er seine Kinder voll leidenschaftlicher Zärtlichkeit herzte.

Nun war die Stunde des Abschieds gekommen. Eckert hatte das Notwendigste für die nächste Zukunft mit seiner Gutsherrin besprochen, und Benedikta reichte ihm zum Lebewohl die Hand: »Gott erhalte Sie und Ihre Kinder gesund! – Hüten Sie mir Floringhof!« –

Alles wie ehemals und dennoch so anders! – Mit dem klugen, treulich wachenden Auge des Professors schien der gute Stern der Anstalt in Nacht und Dunkel versunken zu sein. Wohl bemühten sich die leitenden Ärzte der Klinik, ihr Möglichstes zu tun und das Unternehmen im Geist und Sinn des Entschlafenen zu erhalten, aber gerade dieser Geist fehlte bei allem, und die Hand des bedeutendsten und geschicktesten Spezialisten war nicht zu ersetzen.

Monate waren vergangen.

Benedikta hatte sich so gewissenhaft wie ehemals der Kur und allen ihren strengen Vorschriften gefügt, dennoch wollte die Genesung nicht fortschreiten. Die Heilung war bis zu jenem Grade gediehen, den noch des Professors Kunst erreicht, nun trat ein Stillstand ein und ließ sich trotz allen Mühens nicht überwinden.

Und der Winter verging, ohne wesentliche Fortschritte in ihrer Heilung gebracht zu haben. Die Ärzte zuckten schließlich selber die Achseln und sprachen ihre Ansicht aus, daß die Genesung den höchstmöglichen Punkt erreicht habe, und alles Menschenwissen und alle Kunst nicht imstande sei, eine Schranke niederzubrechen, die die Natur verhindernd aufgestellt.

So kehrte Fräulein von Floringhoven aller Hoffnung bar auf ihr einsames Gut zurück, und die ersten Blütenbäume des Frühlings streuten ihre weißen Schleier über das junge Haupt, als ob sie eine Himmelsbraut weihen wollten, die sich, von der Welt geschieden für ewige Zeit, in den Klosterfrieden ihres Dornröschenschlosses flüchtet. –

Eine sehr entfernte Verwandte, der der Minister ein Legat im Testament ausgesetzt, und die seit kurzer Zeit verwitwet war, folgte dem freundlichen Ruf Benediktas und siedelte nach Floringhof über, der früh Verwaisten eine liebe und sehr sympathische Gesellschafterin zu sein. Gräfin Lotzenburg hatte viel in der großen Welt gelebt, an verschiedenen Fürstenhöfen verkehrt und reiche, bunte Memoiren gesammelt.

Ihre heiter angelegte Natur bildete einen angenehmen Ausgleich zu Benediktas ernstem Wesen, und darum war die Gräfin doppelt beseligt, als sie wahrnahm, mit welch regem Interesse das junge Mädchen ihren Erzählungen aus der Zeit des Hoflebens lauschte und wie sie besonders der herzoglichen Familie eine so warmherzige Verehrung zollte.

Tante Lotzenburg kannte die Prinzen und Prinzessinnen des Hauses seit frühester Jugend auf.

Sie hatte der Einsegnung des Prinzen Percy persönlich beigewohnt und all seine Studien, von den ersten Examinas an, mit besonderer Teilnahme beobachtet. –

Das Trauerjahr war beendet, zum erstenmal hatte Gräfin Lotzenburg weiße Spitzen getragen, und es schien, als ob dieser zarte Schimmer einen Reflex in ihr lebensfrohes und menschenliebendes Herz geworfen. Sie hatte schon öfters versucht, Benedikta mit dem Gedanken vertraut zu machen, daß ein Winteraufenthalt in Floringhof wohl für die Länge der Zeit unerträglich sein würde.

Ihre Jugend und Lebensstellung bedinge den Verkehr mit der großen Welt. Es sei die höchste Zeit, daß die Enkelin des einst beliebtesten Ministers, die Erbin seines Namens und seines Besitzes bei Hofe präsentiert und der Gesellschaft zugeführt werde.

Mit beinahe entsetzten Augen starrte Benedikta die Sprecherin an.

»Aber, liebste Tante, wie wäre es denkbar, daß ich armselige Invalidin mich in den Kreis anspruchsvoller und intoleranter Menschen wagen könnte! Ich bin für die große Gesellschaft direkt unbrauchbar! Wie laut und anstrengend mußt du sprechen, um dich meinen tauben Ohren verständlich zu machen, und wie unmöglich ist es, daß ich in einer Unterhaltung mit mehreren Personen auch nur das mindeste heraushöre! Ehe mein Leiden nicht vollständig gehoben ist, werde ich nie den Mut haben, mich als lästige Bürde einer Gesellschaft aufzudrängen, die in diesem schnell lebenden Fin de siècle keine Zeit und kein Verständnis für Stiefkinder des Glückes hat!«

»Aber Herzchen! Welch ein Ausdruck! Du, die mit allen Glücksgütern gesegnet ist, wirst überall mit offenen Armen aufgenommen, und ich gehe jede Wette ein, daß du mit deinem kaum noch bemerkbaren Gebrechen mehr Männerherzen eroberst, als alle die feinhörigsten Dämchen, die nichts in die Schranken führen können, als gesunde Glieder und Sinne!«

Ein herbes, beinahe bitteres Lächeln zuckte um die Lippen Benediktas: »Ich würde diese Herzen erobern? Nein, Tantchen, ich nun und nimmermehr, – höchstens meine Goldsäcke, die die Augen der heiratslustigen Herren derart blenden würden, daß sie als fatales Anhängsel selbst eine taube Frau mit in den Kauf nehmen würden!«

»Wie kann ein junges Wesen wie du derart pessimistische Ansichten haben, Darling! Du kennst die amüsante lustige Welt noch gar nicht und urteilst wie der Blinde über die Farbe! Wer spricht von Heiraten! Diese Verfügung über Herz und Hand liegt ja ganz und gar in deinem freien Willen, und ein paar Winter Hofluft atmen, Walzer tanzen und die schönste und umschwärmteste Dame der Saison zu sein – nun ..., mein Gott ... çela n'engage à rien

Fräulein von Floringhoven hob langsam das Köpfchen, zartes Rot schimmerte auf ihren Wangen. »Ich glaube, daß ich in dieser Beziehung Geschmack und Ansichten des Prinzen Percy teile!« lächelt sie. »Der Trubel rauschender Feste würde mich auf die Dauer nicht reizen, und, um nur einen flüchtigen Versuch zu wagen, lohnt es die Mühe der Vorbereitungen nicht. – Sollten es andre Menschen auch momentan vergessen, daß sie zu tauben Ohren reden, ich würde dessen doppelt eingedenk sein und mit all dem Mißtrauen und der scheuen Reserve meiner Leidensgenossen doch nur unablässig die Dornen zwischen all den Rosen suchen und finden!«

»Und wenn du vollständig geheilt würdest?«

Ein feucht glänzender Blick der Sehnsucht schweifte aus den dunklen Mädchenaugen in die stille Schneelandschaft hinaus. »Ja dann! – Aber diese Hoffnung ist ausgeschlossen.«

»Warum das? Du hast erst einen einzigen Spezialisten konsultiert!«

»Er war der bedeutendste von allen, und außer ihm existiert wohl kein andrer.«

»Das wäre erstaunlich! Hast du dich nie nach andern Ärzten erkundigt?«

Benedikta wandte das Haupt zur Seite. »Nein, es wäre ja doch vergeblich.«

»Welch eine Marotte, Kind, es ist unglaublich! Sowie dein Doktor das nächste Mal hierher kommt, werde ich das Nähere mit ihm besprechen.«

»Das geschah bereits, Tantchen, und er nannte einzig einen Professor in Wien, den Lehrer des Prinzen Percy, wenn du dich seiner aus verschiedenen Zeitungsnotizen entsinnst!«

Die Gräfin schnellte in ihrer lebhaften Weise empor. »Percy! Mein Gott, der Prinz ist ja auch Spezialist für Kopf- und Gehörleiden! Und wie allgemein behauptet wird, hat er bereits ganz erstaunliche Kuren in seiner Klinik gemacht! Das ist ein superber Gedanke, Herzchen! – Ich werde sofort von meinen alten Beziehungen zu ihm und seiner Kinderstube Gebrauch machen und an ihn schreiben. In die Armenklinik kannst du natürlich nicht gehen, – schauderhafter Gedanke! Aber er behandelt dich vielleicht privatim –«

Benediktas Antlitz hatte sich mit dunkler Glut gefärbt und ihre Lippen zitterten. »Tantchen, – ich beschwöre dich –! Du wirst dich unter keinen Umständen an den Prinzen wenden!«

»Und warum nicht, du Närrchen? Fürchtest du dich vor dem gekrönten Doktor?«

»Ich fürchte mich vor seiner abweisenden Antwort!«

»Es ist ja nicht nötig, deinen Namen zu nennen, Liebchen, damit deinem Stolz in keinem Falle zu nahegetreten wird! – Aber den Versuch kann man doch immerhin wagen; bedenke, wieviel für dich davon abhängt!«

Benedikta verschlang krampfhaft die bebenden Hände, ein jäher Aufblick traf die Sprecherin. »Du meinst, es sei möglich, daß er meinen Namen nicht zu erfahren braucht, daß er mich als Unbekannte behandeln kann?« fragte sie atemlos.

Gräfin Lotzenburg zuckt in ihrer sorglosen Weise die Achseln und sieht nach der Uhr. »Warum nicht? Die Anfrage kann ich auf alle Fälle ›namenlos‹ gestalten. Ich sage ihm, daß ›eine meiner Nichten‹ an einem Ohrenleiden erkrankt und all ihre Hoffnung in seine so meisterlich bewährte Kunst gesetzt habe, – ein paar schöne, schmeichelhafte Redensarten ... voilà, es ist elf Uhr vorbei! – Wenn ich augenblicklich schreibe, kann der Postbote ihn nachher mitnehmen ... den Brief nämlich ...«

Benedikta legte jählings die Hand auf den Arm der Sprecherin und versuchte, sie in dem Sessel zurückzuhalten. »Schreib nicht, Herzenstante – ich – ich kann mich durchaus nicht an diesen Gedanken gewöhnen, Patientin des Prinzen Percy zu werden!«

Wie Gräfin lachte leise auf, schlang die Arme um die schlanke Gestalt der jungen Dame und blickte heiter in das auffallend erregte Antlitz derselben. »Ich glaube wahrhaftig, petite, du hast Klinikfieber! Unbesorgt, diesmal wird deine Tante dich begleiten und dir mit beiden Händen die Äuglein zuhalten, damit dich Kron' und Purpur nicht blenden können.«

»Du wirst auf jeden Fall meinen Namen verschweigen? – Ich will erst den Brief lesen, ehe du ihn abschickst –!« – Die Gräfin wandte sich lachend zur Tür.

»Gewiß, kleine Tyrannin! Ich werde dir mein Skriptum zuvor unterbreiten! Aber nun störe mich nicht mehr, es ist die höchste Zeit, daß ich meine untertänigste Bitte zu Papier bringe!«

Als die Gräfin nach geraumer Zeit wieder eintrat und der Herrin von Schloß Floringhof mit sehr zufriedenem Lächeln ein Schreiben in »Großformat« überreichte, vermochte es Benedikta kaum mit den bebenden Händen zu fassen.

Sie trat an das Fenster, schob den schweren, dunkelblauen Samtvorhang noch weiter zurück und las. Anfänglich mit angstvoller Spannung in den Zügen, bald aber mit einem beinahe heiteren Lächeln, das ihr die gewohnte Ruhe und Selbstbeherrschung zurückgab.

Sie unterbrach sich und wandte das Haupt zu der Gräfin zurück, die voll sichtlicher Erwartung näher getreten war und schmunzelnd der »Kritik« harrte.

Fräulein von Floringhoven lachte: »Welch eine geschickte Diplomatin bist du doch, liebe Tante, und wie ganz brillant verstehst du es, dem Prinzen etwas vorzuflunkern! Nach diesem Brief muß man deine ›arme Nichte‹ allerdings für sehr arm halten. – Welche Augen würde der hohe Herr aber machen, wenn er in dieser Hilfsbedürftigen die Erbin des reichsten Ministers kennenlernt!«

Die Gräfin lachte sehr vergnüglich. » Wenn er es erfährt, ist es zu spät, um seine milde Hand wieder von dir zurückziehen zu können. Daß er uns die kleine List verzeiht und die begonnene Kur nicht wieder unterbricht, – dafür laß mich nur sorgen! Sein edles Herz und sein Interesse für den ›schweren und außerordentlichen Krankheitsfall‹ werden unsere Verbündeten sein!«

Kein anderes Thema ward zwischen den Damen seit Stunde an verhandelt.

Zwischen seliger Hoffnung und bangen Zweifeln zogen die Tage dahin.

Jede Postsendung wurde voll fiebernden Interesses in Empfang genommen, und die Hände der jungen Schloßherrin zitterten, wenn sie den Schlüssel in dem Schloß der schwarzen Ledermappe drehte, die die Briefschaften nach Floringhof übermittelte.

Manch reitender Bote ward heimlicherweise von der Gräfin noch bei Nacht und Nebel zur Stadt geschickt, die ersehnte Antwort zu holen, und dennoch vergingen volle acht Tage, ehe sie diese in den Händen hielt.

Mit einem leisen zitternden Aufschrei freudiger Überraschung hielt Fräulein von Floringhoven den Brief in der Hand, der dieselben Schriftzüge trug wie jener eine, der als teuerstes Kleinod bei den Juwelen der Baroneß verborgen lag. Die Gräfin sah sehr geschmeichelt aus.

Benedikta war in einen Sessel niedergesunken. Ihre bebende Hand lag auf dem Herzen. »Lies, Thea! Ich bitte dich – lies!« stieß sie schweratmend hervor. Und Gräfin Lotzenburg öffnete voll fliegender Hast das Schreiben.

»Meine gnädigste, hochverehrte Gräfin!

Eine ganz besonders freudige und angenehme Überraschung war es mir, nach langer Zeit von Euer Hochgeboren eine Nachricht zu erhalten, und ich bedaure nur die traurige Veranlassung dazu. Obwohl die Klinik zur Zeit derart überfüllt ist, daß ich noch etliche Kranke privatim in meinem Hause unterbringen mußte, wird es mir dennoch eine angenehme Pflicht sein, der jungen Dame, die Frau Gräfin meiner Behandlung empfahlen, die Aufnahme zu ermöglichen. Da ich in den Regeln der Klinik, die strengstens innegehalten werden müssen, absolut keine Ausnahme machen darf, um jedweden Konflikt zu verhüten, bitte ich, mir das Attest eines Armenarztes oder Kreisphysikus einzusenden, laut dem die junge Dame als mittellose Kranke der Unterstützung von seiten meiner Anstalt empfohlen wird.«

Die Leserin ließ, aufs höchste bestürzt, den Brief sinken und schlug die Hände zusammen: »Herr des Himmels, das ist eine schöne Geschichte! Für die reichste Erbin des Landes das Attest eines Armenarztes!«

Benediktas anfänglich so heiß glühendes Antlitz war tief erbleicht. Es neigte sich wie der Kelch einer verschmachtenden Blüte auf die Brust: »Ich ahnte es!« flüsterte sie, »das Geld ist für mich ja stets das Hindernis auf dem Weg zum Glück! Ehe ich es nicht von mir werfe, ehe ich nicht in der Tat die Bescheinigung eines Armenarztes aufweisen kann, werde ich es nicht erreichen.«

»Narrheit!« brauste die Gräfin ärgerlich auf. »Du harmloses, junges Ding wärst imstande, den Unfug zu begehen und dich eines fürstlichen Vermögens zu entäußern, lediglich um in der Armenklinik des Prinzen Percy behandelt zu werden: – Laß mich nachdenken, wie wir den königlichen Doktor dennoch überlisten können,« – grollte sie mit gefurchter Stirn.

Und dieses Sinnen und Grübeln bildete fortan ihre Hauptbeschäftigung, allerdings ohne jegliches Resultat. Der Winter streute seine Schneeflocken und deckte all die schönen Pläne und Träume, die für kurze Zeit die Herzen der beiden einsamen Damen höher schlagen ließen, mit dem weißen Bartuch des ewigen Entsagens zu.


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