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Dreizehntes Kapitel

Die Frühlingssonne lachte in das Stübchen, als Marga die ersten Schritte – auf Benediktas Arm gestützt – machte. Das schmale Gesichtchen hatte sie wieder gerundet, eine zarte Röte überhauchte die Wangen, und die großen Kinderaugen blickten wie verklärt in die Welt. Der große Strom banger Scheu und Angst vor dem Wiedersehen mit Floringshof war in einem Meer von Liebe untergegangen.

Ihr Herz schlug so ruhig und friedlich, wie bei einem Kinde, das nach verbüßter Strafe zum erstenmal wieder in dem weichen Arm der Mutter ruht und die Augen in dem seligen Bewußtsein zum Schlafe schließt: »Was du verschuldet hast, ist vergeben und vergessen; die Liebe ist größer gewesen als der Zorn!«

Eckert ist so harmlos lustig, als sei jedes Rückerinnern an die Schreckensnacht am See aus seinem Gedächtnis gelöscht; kein Wort, keine Silbe erwähnt die Vergangenheit, kein Blick enthält irgendeinen Vorwurf oder Tadel, – lauter Liebe, frische, belebende Liebe lacht ihr entgegen und scheucht die letzten Sorgenschatten, die ihren Sinn umdüstern.

Als die Kinder, das herrliche Frühlingswetter benutzend, in den Garten herabgebracht waren, setzt sich der Pächter noch ein paar Augenblicke zu den Damen, ehe er auf die Felder hinausritt.

Marga verschlang in wiederkehrender Erregung die abgezehrten Hände. »Ihr lieben, treuen Menschen sprecht von der Zukunft, als solle ich euch Jahr und Tag hier zur Last liegen. Das ist ja eine Unmöglichkeit! Ich muß wieder in die Welt hinaus und es versuchen, für Ada und mich das Brot zu verdienen. Wüßte ich nur erst wie! Ach, dieses ›Wie‹ ist eine furchtbare Frage und trug allein die Schuld an der Verzweiflung, die mich Hilflose und Verlassene zu dem unverzeihlichsten aller Verbrechen trieb –«

Benedikta und Eckert wechselten einen schnellen Blick, keines nahm Notiz von dieser letzten Bemerkung, die Fräulein von Floringhof mehr geahnt als verstanden hatte.

»Wie um alles in der Welt können Sie sich solch nutzlose Gedanken und solch törichte Skrupel machen!« lächelte sie. »Wenn Sie gesund und wieder bei Kräften sind, wird Ihre Stimme, die Sie ja nur momentan durch Kummer und Aufregungen verloren haben, wiederkehren, liebste Marga, und Sie werden Ihre Laufbahn als Sängerin neu beginnen können!«

»Niemals! Niemals!« schüttelte die junge Frau mit einem Schauder das Haupt.

Benedikta nickte hastig Beifall: »Ich habe diese Angelegenheit auch schon bedacht und einen Ausweg gefunden, den Sie vielleicht fürerst zur Aushilfe annehmen, liebe Marga. Die Mamsell ist sehr alt und hilfsbedürftig, es ist unmöglich, daß sie das große Schloß, die Leinenkammern usw. allein noch in Ordnung hält. Da dachte ich, Sie können ihr als Stütze zur Hand gehen, kleine Frau. Ein festes Jahrgehalt, freie Station für Sie und das Kind –«

Mit einem lauten Freudenschrei faßte Marga die Hand der Sprecherin, sie stürmisch, mit glückstrahlenden Augen an die Lippen zu ziehen; Eckert aber hob jählings das Haupt.

»Ich gönne Ihnen neidlos alles denkbare Gute, Baroneß!« sagte er lächelnd, »und bin überzeugt, daß auch Sie das gleiche mir gegenüber tun. Ihre Leinenkammer, Vorratsgewölbe und Wirtschaftsräume sind zwar recht respektable Dinge, aber Sie können zur Not mit weniger Liebe und Sorge fertig werden wie zwei kleine Kinder, und darum bitte ich, auch meinen Vorschlag gütigst anzuhören! – Willy und Gretel wachsen gottlob so tüchtig heran, daß die alte Hanne nicht mehr Schritt mit ihnen halten kann. Es wird Zeit, daß die Kinder unter die sorgende Pflege einer Dame gestellt werden, denn der Einfluß eines dauernden Dienstbotenverkehrs ist bei diesem Alter kein guter mehr. Ich habe nun schon seit Wochen den Wunsch gehegt, eine Dame zu gewinnen, die die Leitung meines Haushaltes und die Erziehung meiner Kinder übernehmen möchte.«

Eckerts Blick haftete wie in bangem Forschen auf Margas Antlitz, über das haltlos die Tränen rannen.

Heiße Glut war in ihre Wangen gestiegen, sie schlug die Augen voll auf und sah ihn an: »Ich danke Ihnen, Sie treue, opfermutige Seele! Gott segne Sie für dieses Werk der Barmherzigkeit, das ich mit allen Kräften, die das Elend mir gelassen, vergelten will!«

Die Tür öffnete sich, ein Mädchen brachte die Briefschaften.

Mit schnellem Blick überflog Adalbert die Adressen, zögerte und hielt ein Schreiben unschlüssig in der Hand, verstohlen auf Fräulein von Floringhofen schauend.

Marga aber richtete sich erbleichend empor und streckte die Hand danach aus: »Geben Sie! Geben Sie mir!« sagte sie mit heisrer Stimme. »Ich kenne ... seine Schrift.«

Benedikta legte hastig die Hand auf den Arm der jungen Frau. »Nicht lesen, Teuerste!« bat sie dringlich, »Keine neue Aufregung! Sie sind noch nicht stark genug!«

Marga lächelte bitter. Ihre bebenden Finger lösten den Umschlag. »Nun ich von diesem Brief weiß, würde mich ein Nichtlesen mehr aufregen als wie die Hiobspost, daß er meine Spur gefunden.« Mit schnellem Blick überflog sie den Inhalt der wenigen Zeilen, flammende Nöte stieg in ihre Wangen, und die erloschenen Augen leuchteten auf. »Herrgott des Himmels, ich danke dir!« schrie sie schluchzend auf, reichte den Brief der Jugendfreundin und preßte die Hände, wie in höchstem Aufatmen der Erlösung, gegen die Brust. Überrascht blickte Eckert in Benediktas Antlitz, die mit lauter Stimme las: »Da ich Dich nichtswürdiges, untaugliches Geschöpf, das zu all seiner bettelarmen Erbärmlichkeit auch noch von frechem Undank beseelt ist, bei Deiner lieben Sippschaft in Floringhof vermute, teile ich Dir hierdurch mit, daß Deine heimliche Flucht meiner Langmut ein Ende gesetzt hat. Ich klage gegen Dich auf Ehescheidung wegen böswilligen Verlassens. Wenn Du Dich nicht weiter dagegen sperrst, sondern die Angelegenheit eine schnelle Erledigung finden läßt, will ich Dir das Kind überlassen, – solltest Du mir aber die mindesten Schwierigleiten in den Weg legen, werde ich mich bemühen, Dich auch wieder anzuärgern und Dir Deine kleine Kröte vom Herzen zu reissen! Verstanden? Ich verlange umgehende Nachricht über Deinen Aufenthaltsort, damit die verfluchten Bande zerrissen werden können, die Dich Ballast noch an mich ketten!

Roman Ermönyi.«

Ein unartikulierter Laut rang sich aus Eckerts Kehle. Er hob die bebenden Fäuste, als wolle er sich zermalmend auf den Elenden stürzen, der voll gewissenloser Nichtswürdigkeit ein hilfloses Weib und Kind als »bettelarmen Ballast« von sich abschütteln will.

»Lassen Sie mich auf diesen Brief antworten! Lassen Sie mich diesen Buben finden, um mit ihm abzurechnen!« – knirschte er.

Marga faßte erschrocken seinen Arm. »Niemals! Um Himmels willen nicht! Wollen Sie mir den Weg zur Freiheit verschütten? Wollen Sie mein Kind in die Hände dieses Erbärmlichen liefern?« klagte sie voll jäher Angst. »Gebt mir Feder und Papier! Ich fleh euch an!« bat Marga in fiebernder Erregung. »Laßt mich ihm die gewünschte Antwort senden –«

»Aber vorsichtig die Worte abwägen! Lassen Sie mich bei diesem Briefe helfen, von ihm hängt möglicherweise noch alles ab!«

»Sie haben recht. Benedikta! Vor allen Dingen muß ich ihm mitteilen, daß Onkel und Tante Dallberg Floringhof verlassen und sich vollkommen von mir losgesagt haben, damit er nicht eine neue Geldquelle in ihnen vermuten kann. Ferner werde ich ihm sagen, daß ich irgendeine Stellung suche, um mich und das Kind zu ernähren, und daß es in diesem Fall wohl besser wäre, ungebunden zu sein!«

»Vergessen Sie auch nicht zu erwähnen, daß die Stimme endgültig verloren ist –!«

»Gewiß nicht! Diese Hiobspost muß obenan stehen. Ach, wie hätte ich mir jemals träumen lassen, daß dieses Schreckgespenst all meiner Gedanken, ›eine Sängerin ohne Stimme zu sein‹, noch einmal das goldene Sternlein des Glücks sein würde, das über dem dunklen Pfad zur Freiheit strahlt!«

Welch ein weicher, warmer Frühlingsabend!

Gräfin Lotzenburg hatte Marga beiseite genommen und schritt nun mit ihr durch den abendstillen Park.

Seitdem die Scheidung mit Ermönyi eingeleitet war, erschien sie wie ausgewechselt. Sie blühte wieder auf. Ihre Wangen rundeten und röteten sich, die blauen Augen leuchteten so klar wie ehedem, und der Ausdruck starrer Verzweiflung war einem lächelnden, sinnigen Ernst gewichen, der nur dann zu der alten jubelnden Heiterkeit der Marga Daja von ehemals ward, wenn sie ihr Kind auf den Armen hielt und mit Willi und Gretchen um die Wette spielte.

Auch jetzt blickte ihr Gesicht so frisch und verklärt im Mondenschein zu der Gräfin auf, daß diese plötzlich stehenblieb: »Gott sei Lob und Dank, Sie haben sich so prächtig erholt und sind im Hause Eckert so unentbehrlich geworden, liebe Marga, daß Sie niemals Gebrauch von der Empfehlung eines Armenarztes mehr machen werden!«

Betroffen schaute die Genannte auf. »Von der Empfehlung – wie erfuhren Sie von diesem Geheimnis, Frau Gräfin?«

»Auf die einfachste Weise. Ich barg es vor fremden Blicken und bewahre es noch immer in meinem Schreibtisch für Sie auf – das heißt nicht für Sie, sondern für andere, und dieses, mein Geheimnis, möchte ich Ihnen jetzt anvertrauen, kleine Frau, und Sie von Herzen bitten, meine Mitverschworene und Verbündete zu werden, da es sich um nichts Geringeres, als um Benediktas Glück handelt!«

»Um Benediktas Glück?«

»Sie sagen es, und nun hören Sie zu. Obwohl das Leiden schon sehr gemildert und die Baroneß nicht mehr völlig taub ist, bildet sie sich dennoch ein, absolut untauglich für die menschliche Gesellschaft zu sein.« Die Gräfin neigte sich tiefer noch und flüsterte eifrig in Margas Ohr.

»Herrlich, herrlich, eine ganz brillante Idee!« rief diese lachend. »Oh, wenn der Prinz ahnte, welch eine Perle diese unscheinbare Namensmuschel birgt! Sollte die Empfehlung des Arztes nicht ausreichen, so besitze ich auch noch den Brief der Theaterdirektion, die mir anzeigt, daß ›mein Leiden‹ – es ist glücklicherweise nicht bezeichnet – ein ferneres Auftreten als Sängerin unmöglich mache.«

»Vortrefflich! Das wäre ja ein unbezahlbares Mittel, sein Mitleid vollends zu erwecken! Schnell, schnell, schaffen Sie den Brief herzu, damit wir ihn auf seine Brauchbarkeit prüfen können ... wie zum Beispiel ist die Anrede? ›Etwa Frau Ermönyi‹? Dann würden wir ihn nicht benutzen können!«

Nein, nein! Soviel ich mich entsinne, bin ich nur mit ›Euer Wohlgeboren‹ angeredet, im Laufe des Briefes nennt man mich noch einmal ›wertgeschätzte Kollegin‹. – Nun, und das Kuvert mit der Adresse braucht Benedikta ja nicht vorzuzeigen!«

»Bewahre! Und unsrer vereinten Überredungskunst muß sich Benedikta fügen! Willigt sie ein, reisen wir umgehend nach W. ab, damit sie sich zuerst von dort aus schriftlich an den Prinzen wendet, ehe das Datum der Briefe allzusehr veraltet. Die größte Eile ist geraten. Also ich verlasse mich auf Sie, liebe Marga.«

Die junge Frau blieb einen Augenblick lächelnd und sinnend stehen. »Ich glaube ein Mittel zu wissen, die Baroneß fraglos zu bestimmen. Wenn sie anfänglich unsern Bitten Widerstand entgegensetzt, was sie fraglos tun wird, dann gebe ich Ihnen einen Wink, Frau Gräfin, und Sie lassen uns ein paar Minuten allein! – Darf ich darum bitten?«

»Gewiß, gewiß!« lachte die Kammerherrin glückselig, – »hypnotisieren Sie – bezaubern – behexen Sie, – nur kommen Sie zu günstigem Resultat!«


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