Ferdinand Emmerich
Jenseits des Äquators
Ferdinand Emmerich

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Siebentes Kapitel

Häuptling Ahunda

Auf der Suche nach Berckmüller. – »Häuptling Ahunda wird Ihnen mehr sagen können.« – Auf dem Wege zum Häuptling. – Ahunda berichtet.

Vor einer frischen Brise schoß das schlanke Fahrzeug rasch durch die Wellen. Mehr und mehr zeigten sich die höheren Bergrücken, denen ich traumverloren nachblickte. Zuviel unangenehme Erinnerungen knüpften sich an jene grünen Hänge, und wie nach Zeugenschaft suchend, betrachtete ich meine zerfetzten Hände und Arme.

Noch am gleichen Abend liefen wir in eine Bucht ein, der das gleichnamige Eingeborenendorf Huancane den Namen gegeben hat.

In dem Dorfe selbst hatten wir nichts zu tun. Wir strebten den Ufern des fünfzig Kilometer nördlicher gelegenen Axapasees zu und waren nur hier hinübergesegelt, um uns den beschwerlichen Landweg zu ersparen. Gleichzeitig wollten wir auch das Dr. Güßfeld gegebene Versprechen einlösen. Ich begab mich daher zu dem Alkalden, einem freundlichen Mulatten mit weißem Haar, dessen feuriges Auge eine ungewöhnliche Intelligenz verriet.

»Den Mann habe ich hier gesehen«, sagte er, als ich ihm das Lichtbild zeigte. »Seinen Namen kenne ich nicht. Das heißt, ich habe ihn vergessen, weil meine Zunge das Wort nicht aussprechen konnte.«

»Und wo ist er geblieben?«

»Quien sabe! (Wer weiß es?)« lautete die alles und nichts besagende Phrase. »Der Deutsche war zuerst allein hier. Er kletterte in den Bergen herum und klopfte überall Steine ab, von denen er ein paar Brocken mit der Post fortschickte. Dann kam er eines Tages mit dem alten Ahunda, dem Häuptling eines in den Bergen hausenden Indianerstammes, hierher. Sie nahmen ein Boot und fuhren bei Nacht in östlicher Richtung auf den See. Drei oder vier Tage später kehrten sie zurück. Der Deutsche kaufte viele Lebensmittel, die er auf drei Lamas verpackte. Dann zog er mit dem Indianer in seine Berge. Er ist nie wiedergekommen. Vielleicht weiß der alte Ahunda, wo er geblieben ist.«

»Wo finde ich den Häuptling?«

»Das ist schwer zu beschreiben. Das Dorf liegt ganz versteckt in den Bergen. Es gehört schon zum Nachbarstaat Bolivien. Wenn Sie nordöstlich über die Bergkette gehen – Sie sehen von hier den Sattel, über den ein Weg führt –, dann kommen Sie zu einem kleinen See. Dort finden Sie gegen Abend fischende Indianer. Die können Ihnen den Aufenthaltsort des alten Ahunda sagen – wenn sie wollen.«

»Warum sollten sie nicht wollen?«

»Weil der Stamm den Weißen feindlich gesinnt ist.«

»Warum das?«

»Man hat die armen Menschen aus ihrem Eigentum vertrieben. Der Stamm war früher am Seeufer ansässig. Es war ein mächtiges Fischervolk, dem großer Grundbesitz zu eigen war. Da entdeckte man eines Tages auf dessen Eigentum reiche Kupferadern. Weiße kamen, und – das Unglück heftete sich von dem Tage ab an die Fersen der armen Indianer. Ein weißer Ingenieur brachte eines Tages viele weiße Arbeiter mit. Sie stellten Maschinen auf, leiteten Bäche ab und verwüsteten dadurch die Felder der Indianer. Ahunda machte sein Eigentumsrecht geltend. Man lachte ihn aus. Und als er sich mit Gewalt sein Recht verschaffen wollte, brannten die schurkischen Eindringlinge die blühenden Dörfer nieder, mordeten und raubten, was ihnen vor Augen kam und zwangen die Überlebenden, in die Berge zu flüchten. Dort wohnen sie jetzt noch in tiefster Armut.«

»Glauben Sie, daß Ahunda uns empfangen wird?«

»Der verschwundene Don Agosto war sein Freund. Vielleicht ist er bei ihm in seinem Dorfe. Dann wird es nicht so schwierig sein, zu ihm zu gelangen. Sie tun auch gut daran, einige Geschenke mitzunehmen.«

»Könnten Sie uns vielleicht einen Führer und ein Lama verschaffen, Señor Alkalde? Wir bezahlen gern einen guten Führerlohn.«

»Mein Sohn wird den Herren zur Verfügung stehen. Wenn Sie morgen mit Sonnenaufgang hier aufbrechen, können Sie gegen Abend im Dorfe der Indianer sein.«

Eine so erschöpfende Auskunft hatte ich gar nicht erwartet. Zum Dank dafür lud ich den Alkalden ein, uns in dem primitiven Wirtshause bei einem Abendtrunk Gesellschaft zu leisten, zu dem später auch Antonio erschien.

Schon während unserer vorhergehenden Zwiesprache hatten mich der Alkalde und seine zahlreichen Familienmitglieder fortwährend mit verwunderten Blicken angesehen. Ich schrieb das meiner Aussprache des Spanischen zu, das von dem landesüblichen Dialekt bedeutend abwich. Als der Wein aber die Zungen gelöst hatte, fragte mich der Alkalde endlich, woher denn die zahlreichen Risse und Stiche in meinem Gesicht und an meinen Händen stammten. Ob das eine Rasseeigentümlichkeit sei.

Wir drei lachten schallend. Der Doktor erklärte: »Bei diesem Herrn ist es ein chronischer Zustand. Sobald die Wunden auch nur halbwegs zu heilen beginnen, sorgt er dafür, daß sie von neuem aufbrechen.«

Verwundert fragte der Alkalde: »Warum denn das? Woher stammen denn die Risse?«

»Er wirft sich mit dem Gesicht in die dichtesten Dornen und dreht sich einige Male darin um. Dann ist er zufrieden. Sie sollten nur den Körper einmal sehen!«

»Nun ist's genug, Doktor«, unterbrach ich den Gefährten. Erklärend fügte ich hinzu: »Ich sammle nämlich Insekten und andere Seltenheiten. Dabei gerate ich oft in die Dornen. Das ist alles.«

»Dann sind Sie also ›Naturalistas‹?«

»Ganz richtig. Auch mein Freund, der Doktor, sammelt. Nur verlegt er sich auf alte Steine mit Inschriften und Ähnliches.«

»Zum Beispiel Chulpas«, ergänzte Perez.

Da war es heraus! Die Wirkung war, wie ich vorhergesehen. Bei Erwähnung der Grabmäler Verfinsterte sich das Gesicht des Alkalden, und er sagte in merklich verändertem Ton: »Das ist ein gefährliches Geschäft. Ich hoffe nicht, daß die Herren in meinem Bezirk eine Chulpa zu öffnen versuchen. Das dürfte ich nicht dulden. Kamen Sie zu dem Zweck nach Huancane?«

Der Doktor stand im Begriff, eine neue Dummheit zu begehen. Ich aber kam ihm zuvor und versicherte, daß uns einzig und allein die Sorge um unsern Landsmann hierhergeführt hätte. Ob er mir das glaubte, weiß ich nicht. Jedenfalls konnten wir keinen Schritt mehr unternehmen, ohne daß uns ein Begleiter auf den Fersen folgte.

Dem Doktor machte ich ernste Vorwürfe, als wir später auf unsern Matten den Schlaf suchten. Sie schienen aber keinen großen Eindruck auf ihn zu machen, denn er antwortete nur: »Jetzt weiß ich wenigstens, daß hier herum noch Chulpas sind.« – – –

Es war später Abend, als wir vor dem Dorfe des Häuptlings Ahunda eintrafen. Siegreich durchbrach der Vollmond die dichten Dunstschichten über dem See und übergoß die schneebedeckten Gipfel der umliegenden Berge mit bläulichem Licht. Eine wohltuende Ruhe lagerte über der ganzen Landschaft, und fast überkam mich ein leises Bedauern darüber, daß wir mit unserm Trupp als Störenfriede in das Dorf einziehen würden.

Alonzo, der Führer, übernahm es, uns bei dem Häuptling anzumelden. Er fügte aber gleich hinzu, daß er unsern Besuch erst für den nächsten Tag ansagen würde, damit er es dem Häuptling erspare, uns mit der Verpflegung auf die eigenen Lebensmittel zu verweisen.

Wir zogen uns in einen dichten Baumbestand zurück, der sich bis an das Ufer des Sees erstreckte, und zündeten dort ein helles Feuer an. Felipe übernahm es, das mitgebrachte Fleisch zu braten, während der Doktor und ich die auf dem Rücken des Lamas mitgeführten Geschenke so verteilten, daß der Häuptling den für seine Person bestimmten Anteil für sich behalten konnte – falls ihm dies genehm war.

Wider Erwarten brachte Alonzo den Alten mit. Er hatte kaum gehört, daß ihn ein Deutscher besuchen wolle, als er von seinem Lager aufsprang, ein paar Männer zusammenrief und eiligst nach unserm Ruheplatz aufbrach. Trotz seines hohen Alters – er mußte weit über siebzig Jahre zählen – kam er zu Fuß. Zum Ärger Alonzos, der natürlich auch nicht reiten durfte.

Sein Erscheinen brachte uns ein wenig in Verlegenheit. Wie der Alte vor uns stand, von den Flammen grell beleuchtet, bot sein ausdrucksvoller Kopf mit den schneeweißen, langen Haaren, dem kühn blitzenden Auge und der malerischen Tracht ein unbeschreiblich hoheitsvolles Bild. Auf seinen Zügen lag gespannte Erwartung.

»Das ist der Deutsche, der mich mit der Ehre seines Besuches beschenkt«, sagte er mit wohlklingender Stimme, indem er mir die Hand entgegenstreckte. »Warum betritt er nicht meine Hütte, die er als sein Eigentum betrachten möge?«

Ich erwiderte, durch die unerwartete Liebenswürdigkeit etwas außer Fassung, daß wir es als gegen die gute Sitte verstoßend betrachteten, den verehrten Häuptling in später Abendstunde in seinem Hause zu überraschen.

»Dann zwingt ihr mich, die Nacht an eurem Lagerfeuer zuzubringen«, entgegnete er. »Wie heißen die fremden Herren, und wo steht das Haus ihrer Väter?«

Ich stellte uns vor und gab den gewünschten Bescheid.

Nachdem er sich auf einen umgebrochenen Stamm am Feuer niedergelassen hatte, gab er seinen Leuten ein Zeichen, sich zu entfernen. Auch ich winkte Felipe, sich zurückzuziehen.

»Aus welchem Grunde sucht mich Don Fernando auf?« fragte der Häuptling, als wir allein waren.

»Ich möchte mich nach dem Schicksal eines Landsmannes erkundigen, der, wie man mir sagte, die Freundschaft des Häuptlings Ahunda gewonnen hat. Hier ist sein Bild. Kennt Ihr den Mann?«

Ahunda, der wohl nie im Leben etwas von Photographien gehört haben mochte, hatte kaum einen Blick auf das Bild geworfen, als er die Hände vor das Gesicht schlug und ausrief: »Das ist Don Agosto! Wer hat den Zauber gemacht?« Dabei blickte er mit einem so drohenden, feindseligen Ausdruck um sich, daß ich schon für das Mißlingen meiner Mission befürchtete. Es kostete nicht geringe Mühe, dem Alten auseinanderzusetzen, daß es bei uns allgemeiner Brauch ist, solche Bilder anzufertigen. Mit Zauberei habe das nichts zu tun.

Nur sehr schwer beruhigte er sich. Ich mußte ihm endlich unter Eid zusichern, daß das Bild ein altes sei, und daß ich in seine Berge gekommen sei, um etwas über den Verbleib des jungen Mannes zu erfahren.

»Er ist tot!« gab er endlich zur Antwort, und eine unendliche Trauer legte sich über das furchenreiche Gesicht. »Er ist tot, und – ich habe ihn gerächt!«

Diese Antwort hatte ich eigentlich erwartet. Es gehen ja so viele kühne Männer in der Wildnis zugrunde, von denen nie wieder eine Kunde in die Heimat dringt. Immerhin regte der Nachsatz in mir die Frage an: »So ist der Arme wohl ermordet worden?«

»Ermordet!« erwiderte er dumpf.

»Dürfen wir erfahren, wie sich das Unglück zugetragen hat?«

»Die Nebel steigen auf. Es ist nicht gut, zu dieser Stunde hier zu weilen. Wenn die Fremden meine Hütte mit mir teilen wollen, dann werde ich alles erzählen, was ich über Don Agosto weiß – und das ist sehr viel.«

Mit den Worten erhob er sich und lud uns ein, ihm zu folgen. Wir benutzten die Gelegenheit, ihm unsere Geschenke anzubieten, die er dankbar, doch ohne jede Ziererei, entgegennahm.

In jener Nacht, in der ärmlichen Behausung eines alten Nachkömmlings der Aymara, erhielt ich die Mitteilungen über das Schicksal eines Geologen, die ich nachstehend in zusammenhängender Form so wiedergebe, wie sie mir im Gedächtnis haften blieben.

Ahunda erzählte: »Vor vielen Monden erregte ein junger Weißer die Aufmerksamkeit meiner Leute. Er war überall in den Bergen zu finden. Mit einem kleinen Hammer schlug er Steine auseinander, betrachtete sie und warf sie dann wieder fort. Wir sahen seinem Treiben mit Mißtrauen zu. Durch böse Erfahrungen gewitzigt, sahen wir ein großes Unglück für unser Dorf voraus, falls der Weiße hier auf Kupfer oder anderes Metall stoßen sollte. – Das mußte verhindert werden. Acare, mein Sohn, der Unterhäuptling, berief die Männer zusammen. Es wurde beschlossen, den Weißen von unsern Leuten beobachten zu lassen. Sollte er Glück haben und ein Metall finden, dann – durfte er diese Berge nicht mehr verlassen!

Wie zufällig trafen nun unsere jungen Männer mit dem Weißen zusammen. – Er schritt sofort auf unsern Kundschafter zu, bot ihm Tabak und zeigte ihm ein paar bunte Steine, die er gefunden hatte. Auf die Frage unseres Mannes, was der Weiße in den Bergen eigentlich suche, antwortete er freimütig: seltene Steine und versteinerte Tiere!

Letztere kannten wir nicht. Keiner von uns hatte je ein solches Tier zu Gesicht bekommen. Wir glaubten ihm nicht und überwachten den Weißen weiter. Besonders seine kleine Hütte, die er sich an dem Wasserfall erbaut hatte, wurde täglich genau durchsucht. Nun fand der Fremde täglich andere Männer auf seinem Wege. Mit allen war er freundlich, teilte mit ihnen seinen Tabak und gab jenen, die nach der Stadt hinuntergingen, Geld, damit sie sich neue Pfeifen und für ihn Tabak kaufen konnten. Diesen teilte er dann mit jedem, der sich ihm freundlich näherte.

Unser Mißtrauen schwand langsam. Der weiße Mann suchte wirklich das, was er sagte. Er fand auch einige versteinerte Tiere, worüber er große Freude bezeigte. In solchen Fällen war er besonders freigebig.

Wir beschlossen, die Überwachung aufzuheben. Unsere jungen Männer hatten aber inzwischen mit dem Weißen Freundschaft geschlossen und besuchten ihn oft. Er forderte sie auch auf, des Abends an sein Feuer zu kommen, aber das ging nicht. Die Geister der Nacht, über die der Fremde lachte, würden unsern Leuten ein Leid zugefügt haben.

Da traf es sich eines Tages, daß meine Tochter Niama sich auf dem Rückwege von der Stadt verspätete. Ein böses Unwetter brach noch dazu aus, und die grellen Blitze fielen so dicht, daß das Maultier scheute. Meine Tochter wurde hart gegen das Gestein geworfen und blieb dort mit gebrochenem Bein liegen, während das Reittier in der Nacht verschwand.

Der Große Geist führte das Tier vor die Hütte des Weißen. Dieser sah den leeren Sattel und ahnte ein Unglück. Er nahm sein ›wandelndes Licht‹ (Laterne) und führte das Maultier, trotz des furchtbaren Wetters, auf die Straße zurück. Er hoffte, das kluge Tier würde ihn zu seinem Reiter geleiten. Wieder aber ließen gewaltige Donnerschläge das Tier scheuen und davonlaufen.

Der Fremde suchte die Straße ab und fand meine Tochter Niama, die der Schmerz fast bewußtlos gemacht hatte. Da er die Sprache des Mädchens nicht verstand, wollte er es in seine Hütte tragen. Zufällig sprach aber meine Tochter den Namen Ahunda aus, und nun wußte der Weiße, wohin er die Verunglückte zu führen hatte. Er tat etwas, was kein anderer getan haben würde. Weder ein Indianer noch ein Peruaner noch ein Franzose. Er verband das Bein meiner Tochter, nahm sie in seine Arme und trug sie viele, viele Stunden weit durch das fürchterliche Unwetter bis zu meinem Dorfe. Hier legte er die Kranke vor meiner Hütte nieder, weckte uns und ging, ohne einen Dank abzuwarten, davon.

Von jenem Tage an liebte ich den Weißen wie meinen Sohn. Er mußte bei uns wohnen, und meine Leute halfen ihm beim Suchen der Steine.

Eines Tages kam er voller Freude zu mir und zeigte mir ein Stückchen weißes Metall. Dabei sagte er: ›Wenn ich davon genug fände, dann könnte ich meinen Eltern eine große Freude machen. Dann hätten ihre Sorgen ein Ende, und ich könnte heimkehren in mein Vaterland.‹

Bei diesem Ausruf meines jungen Freundes wurde mein Herz weich. Ich gedachte der Lebensrettung meiner Tochter und sagte: ›Wenn dir dieses Metall so große Vorteile bringen kann, dann werde ich dir einen Ort weisen, wo du viele Säcke voll davon wegnehmen kannst, ohne daß es weniger wird.‹

›Du willst doch damit nicht sagen, daß du eine Silbermine kennst, Vater Ahunda?‹ fragte er ungläubig.

›Ich kenne eine solche, Don Agosto. Sie liegt weit von hier, in der Nähe unseres früheren Wohngebietes. – Du sollst sie kennenlernen, wenn du mir eines versprichst: Du darfst keine weißen Männer holen, die das Silber forttragen. Nur was du selbst tragen kannst, soll dir gehören. Das Geheimnis des Ortes darf nie über deine Lippen kommen, das mußt du mir schwören.‹

Don Agosto war ehrlich. Er antwortete mir: ›Ich will dir alles versprechen, was du verlangst. Nur das eine kann ich heute noch nicht sagen: ob ich allein imstande bin, irgendeinen größeren Nutzen aus der Mine zu ziehen. Was nützt mich das Silber, wenn ich nur so viel davon forttragen kann, als ich zum Leben benötige? Du mußt mir wenigstens einen oder einige Männer geben, die mir helfen, das Silber herausschaffen, sonst hat es für mich keinen Wert. Ich will dann lieber die Mine gar nicht kennenlernen, sonst würde ich nur unter meinem Versprechen leiden.‹

Damit er mich verstand, erzählte ich ihm folgendes: ›Der Große Geist hatte sie meinem Vorfahren gezeigt, als er einst in einem starken Unwetter auf dem See an die Küste geworfen wurde. Er hat die Kenntnis weitervererbt, und ich erfuhr sie von meinem Vater, als die ersten weißen Männer auf ihren Kanus in unser Gebiet kamen. Da die Weißen gierig nach dem weißen und gelben Metall suchten, so befahl mir mein Vater, die Felsspalte, die zu dem weißen Metall führt, mit Schutt und Geröll so auszufüllen, daß sie für keinen Uneingeweihten mehr kenntlich war. Mein Vater glaubte nämlich, daß die weißen Räuber unser Land wieder verlassen würden, wenn sie kein Metall fänden. Wir haben uns getäuscht. Sie fanden zwar weder weißes noch gelbes Metall, aber Kupfer. Sie vertrieben uns, töteten unsere jungen Männer und verschonten Frauen und Kinder nicht – bis wir der rohen Gewalt wichen und hierher zogen.‹

›Und mir willst du die Stelle zeigen?‹ fragte Don Agosto.

›Du hast mir und meinem Volke nur Gutes erwiesen, deshalb will ich dir das weiße Metall zeigen. Du sollst als glücklicher Mann in dein Vaterland zurückkehren und in deinem Glück an deinen alten Vater Ahunda denken.‹

›Wann werden wir aufbrechen?‹ fragte der junge Mann weiter.

›Sobald du die nötigen Werkzeuge beschafft hast. Auch ein großes Kanu brauchen wir, denn ich nehme einige meiner Leute zur Bewachung mit mir.‹

›Dann reise ich morgen nach Huancane ab und besorge alles. Wenn ich damit fertig bin, hole ich dich‹, rief Agosto, der nun vor Ungeduld keine Nacht mehr bei uns bleiben wollte.

›Hüte deine Zunge!‹ war mein letzter Rat.

Acht Tage später traf ich mit Don Agosto in der kleinen Bucht hinter Huancane zusammen. Ich nahm acht meiner besten Leute mit mir. Agosto war mit Schießwaffen versehen, denn er fürchtete, überrascht zu werden, und war entschlossen, mich und mein Geheimnis mit seinem Leben zu verteidigen.

Es war ein stürmischer, rauher Abend. Als das Kanu eben den offenen See erreicht hatte, wurde der Wind so heftig, daß meine Leute das Boot nur mit größter Anstrengung zu halten vermochten. Es sprang auf den Wellen wie das Maultier auf steinigem Boden. Dann fiel Regen. So dicht, daß wir vom Lande nichts mehr erkennen konnten. Aber so sehr sich der Sturm auch unserer Fahrt entgegenstemmte, die Kraft meiner Leute vermochte er nicht zu brechen.

Endlich glaubte ich, weit genug gegen Sonnenaufgang vorgedrungen zu sein. Ich befahl meinen Leuten, die Richtung der Küste wieder aufzunehmen. In demselben Augenblick aber drehte sich auch der Wind. Ein gewaltiger Stoß warf uns zu Boden. Die nächste Welle drückte das Kanu unter das Wasser, und alle trieben in den tosenden Wogen.

Meine Leute waren im Wasser zu Hause. Sie trugen keine Kleidung und wußten sich durch Zurufe beisammenzuhalten. Der weiße junge Mann aber hatte sich zum Schutz gegen das rauhe Wetter in seinen Poncho gehüllt, der ihn unter Wasser ziehen mußte. Wir vernahmen auch bald seine verzweifelten Hilferufe, und nach vieler Mühe gelang es Acare, den Sinkenden aufzufinden und ihn von seiner schweren Kleidung zu befreien. Nun schwamm er neben uns dem Strande zu, auf dem wir das von einem meiner Krieger aufgefischte Kanu wiederfanden.

In einer geschützten Höhle am Strande betteten wir den völlig erschöpften Weißen auf ein schnell bereitetes Lager von duftenden Myrtenbüschen. Ein großes Feuer spendete uns Wärme, und nachdem wir die geretteten Decken und die Kleidung unseres jungen Freundes getrocknet hatten, legten wir uns zum Schlafe nieder.

Mit Tagesanbruch legte sich der Sturm. Rasch beruhigte sich der See. Meine Leute tauchten nach den verlorenen Werkzeugen, und es gelang ihnen, den größten Teil wieder aufzufischen. Die Lebensmittel waren aber verloren. Diesen Umstand nahm ich zum Vorwand, um den Tag an der Landungsstelle zu verbringen. Ich führte Don Agosto in die höher gelegenen Teile der Küste und bat ihn, einige Stück Wild zu schießen. Nach kurzer Zeit schon erlegte er einen Hirsch und ein Reh, das wir zum Feuer schafften. Hierauf nahm ich meinen jungen Freund mit in die Uferbüsche und sagte ihm dort: ›Wir sind in der Nähe des weißen Metalls. Trotz der Dunkelheit und des schlechten Wetters habe ich den richtigen Landungsplatz wiedergefunden. Noch in dieser Nacht, wenn der Mond aufgegangen sein wird, brechen wir auf. Sage aber meinen Leuten kein Wort von unserm Vorhaben. Sie dürfen nichts davon erfahren, auch Acare nicht. Da du jetzt in den Besitz des Schatzes trittst, soll auch jener nichts davon wissen. Im andern Falle wäre die Mine in sein Eigentum übergegangen.‹

›Dann beraube ich also deinen richtigen Sohn!‹ rief nun Don Agosto. ›Das darf nicht sein! Lasse ihn teilhaben an meiner Ausbeute, Vater Ahunda. Wenn die Mine so reich ist, wie du sagst, dann gibt es dort auch genug Silber für zwei. Sogar deinen ganzen Stamm will ich an der Arbeit beteiligen...‹

›Halt ein, junger Freund!‹ erwiderte ich. ›Dir habe ich versprochen, dir so viel weißes Metall zu zeigen, daß du genug für dein Leben besitzest. Siehe dir die Mine an. Wenn du dann noch glaubst, es sei genug für alle, dann kehre zum Vater Ahunda zurück und sage es ihm. Bis dahin und bis du selbst genügend Silber fortgeschafft hast, muß das Geheimnis auch vor Acare gewahrt bleiben. Ich kenne ihn und meine Leute besser als du!‹

Nun gab Don Agosto nach. Er sah ein, daß ich recht hatte. Am Lagerplatz fanden wir ein saftiges Mahl. Ich ließ einige größere Stücke des Wildbrets beiseitelegen und teilte Acare meinen Entschluß, in der Nacht mit dem Deutschen in die Berge zu gehen, mit. Darauf riet ich Don Agosto, der Ruhe zu pflegen. Ich selbst aber ging eine weite Strecke am Strand entlang, um mich zu vergewissern, daß während meiner langen Abwesenheit kein anderer sich dort niedergelassen hatte.

Als der Mond sich über die Berge erhob, gab ich Don Agosto ein Zeichen. Er warf die Geräte auf die Schulter und schritt neben mir in die Nacht hinein.

Dort, wo die Felsen bis in den See reichen und jede Spur von dem wogenden Wasser verwischt wird, stiegen wir in den Wald. An manchen Stellen, wo herabgestürzte Felsmassen das Dickicht fast undurchdringlich machten, mußte ich meinen jungen Freund an der Hand führen. Die schweren Werkzeuge trug ich, trotz des Widerspruchs des Deutschen, schon längst. So wanderten wir immer höher in die Berge hinauf, bis endlich der Rand des Waldes erreicht war und die schneebedeckten Gipfel der Bergriesen vor uns lagen.

Hier oben mußte ich Don Agosto eine Ruhepause erlauben. Er nahm ein Stück Papier aus seinem Rock und zeichnete die Spitzen der Berge darauf ab. Hierauf folgte er mir in die schwarze Schlucht. Der Gebirgsbach war durch die letzten Regen stark angeschwollen. Wir konnten aber in seinem Bett, trotz des starken Gerölls, das er mit sich führte, aufwärtssteigen. Der Aufstieg dauerte sehr lange. Endlich sah ich die baumlose Stelle, an der die mühsamste Steigung beginnt. Hier ließ ich Don Agosto wieder ausruhen. Er war schon sehr erschöpft, und ich fragte ihn, ob er sich noch die Kraft zutraue, höherzusteigen.

›Ja, Vater Ahunda!' sagte er nur. Er drückte mir die Hand, wobei ich fühlte, daß er seinen ganzen Willen aufbot, um mir nicht zu zeigen, daß ihm die Anstrengung zu groß war.

Illustration: Karl Strattl

Wir mußten über zerrissene Felsen auf den Gipfel eines kahlen Berges steigen. Von dort stiegen wir in ein kleines Tal hinab, in dem einzelne Felsstücke wild durcheinandergeworfen liegen. An einem dieser Blöcke befand sich ein Zeichen, das ich damals in den Stein gehauen hatte.

›Nun ruhe dich eine Weile aus, junger Freund‹, sagte ich. ›Wie ich sehe, ist hier noch alles, wie ich es vor Jahren verlassen habe. Keines Menschen Fuß hat dieses Tal betreten. Wir können ungestört arbeiten.‹

Das ließ den Deutschen jede Müdigkeit vergessen. Mit Ungestüm drang er in mich, ihm sofort die Stelle zu zeigen.

›Gut‹, erwiderte ich lachend über seine Hast. ›Nimm deine Axt und folge mir.‹

Unter einem inzwischen zu starken Büschen herangewachsenen kleinen Gehölz zeigte ich ihm einen schwarzen Streifen und sagte: ›Schlage deine Axt hier ein!‹

Er griff die Axt auf und hieb in das Gestein, das langsam abbröckelte. Schon nach wenigen Augenblicken hatte Agosto die Öffnung freigelegt.

Ich ließ mir das ›wandelnde Licht‹ von ihm reichen, das er vor Beginn der Arbeit angezündet hatte, und rief ihm zu, mir zu folgen.

Nach kurzer Wanderung durch den langen Gang gelangten wir in die eigentliche Höhle. Als ich hier das Licht erhob, um den Raum zu beleuchten, stieß Don Agosto einen lauten Schrei aus. An den Wänden leuchtete es von allen Seiten von hellem, gediegenem Silber in dicken Adern – wie Don Agosto sich ausdrückte. Er kannte den Wert dessen, was ich ihm zeigte, und er sagte immer wieder, daß sein Vater Ahunda der reichste Mann der Welt sei.

Doch dieser Raum war nur ein Teil der Mine. Drei tiefe Gänge zogen sich noch in das Gestein, und aus jedem blinkte das weiße Metall in armdicken Adern.

Don Agosto nahm mich in seine Arme und wollte mich nicht mehr loslassen. Die Freude machte ihn zum Kinde. Ich forderte ihn auf, sich so viel von dem weißen Metall abzuschlagen, als er tragen könne. Als er seinen mitgebrachten Sack gefüllt hatte, nahm ich meinen jungen Freund bei den Armen und zog ihn mit aller Kraft an die Oberfläche. Er konnte sich nicht mehr von den Gängen trennen.

Die kühle Nachtluft beruhigte den aufgeregten Deutschen, der es nun auch über sich gewann, Speise und Trank zu sich zu nehmen, um sich für den Rückweg nach dem Lager zu stärken. Fast nach jedem Bissen öffnete er den Sack, um einen Blick hineinzuwerfen. Vielleicht hielt er das ganze Erlebnis für einen Traum.

In einem derartigen Zustand wandelte er auch beim Abstieg durch den Wald. Ich nahm ihm den Sack ab. Fast bereute ich es, dem jungen Mann die Mine gezeigt zu haben. Das weiße Metall schien auch seine Sinne zu betören, wie es ja alle weißen Männer schlecht macht, die es bei uns graben. Als wir aber bei unserm Lager eintrafen, zeigte er sich in seiner alten Herzlichkeit. Er warf keinen Blick mehr nach dem kostbaren Schatz, sondern streckte sich mitten zwischen meine Leute zum Schlaf, aus dem er erst gegen Mittag erwachte.

Erst bei der Rückkehr in mein Dorf sprach Don Agosto wieder das erste Wort über das Silber. Er ließ sich ein Stückchen geben, prüfte es mit einer Flüssigkeit und begann dann lange über das Silber und dessen Wert mit mir zu sprechen. Er behandelte die Mine als mein Eigentum. Er nannte mir seine Pläne über die Art, wie man es ausbeuten müsse. Aus seinem Vaterlande wollte er bekannte, brave Männer kommen lassen, die für mich das Metall verwerten sollten.

Ich ließ ihn sprechen. Seine innersten Gedanken wollte ich kennenlernen. Erst als er geendet hatte, sagte ich ihm: ›Junger Freund, die Mine ist dein Eigentum. Ich habe sie dir geschenkt, und ich kenne nur ein Wort. Mache damit, was du für gut erachtest. Nimm meine Leute zur Arbeit. Auch sie sind brav und ehrlich. Aber einen Rat will ich dir geben: Behalte das Geheimnis für dich.‹


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