Ferdinand Emmerich
Jenseits des Äquators
Ferdinand Emmerich

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Drittes Kapitel

Der »Leichenraub« rächt sich an uns

Ein ungemütlicher Nachtmarsch. – Am gefährlichen Engpaß. – »Wartet, ihr Teufel, noch habt ihr mich nicht!« – Ich stürze ab... in eine Chulpa. –

»Ob Don Fernando schon tot ist?«

Felipe berichtete, daß er unten in dem kleinen Fischerdorf Maiquia ein Häuschen für uns gemietet und unser Gepäck der Obhut eines Zollbootsmanns anvertraut hatte.

Ich wäre am liebsten sofort dorthin abmarschiert. Wie lange schon ersehnte ich einen ruhigen Tag und die Gelegenheit, meinen äußeren Menschen wieder einmal richtig in Ordnung zu bringen. Auch in meinen Tagebüchern war vieles nachzuholen, was nicht in Vergessenheit geraten durfte. Aber ich mußte mich schon gedulden, bis die kostbare Ausbeute des eben bestandenen Abenteuers wohlgeborgen war. Noch einmal selbst in die Chulpa hinabzusteigen – dazu konnte ich mich denn doch nicht entschließen. Ich übernahm also die Wache, während Dr. Perez mit unseren beiden Begleitern den »Leichenraub« besorgte.

Fünf volle Stunden vergingen, ehe alles wohlverpackt zum Abtransport bereitstand. Es begann schon zu dunkeln, als wir das von mir inzwischen bereitete Mahl verzehrt hatten und zum Aufbruch bereit waren. Sollten wir nun doch lieber die Nacht hier zubringen? Ich selbst drängte fort. Die andern drei aber wollten wenigstens einige Stunden ruhen und dann mit dem Mondaufgang den Marsch antreten.

In diesem Meinungsstreit entschied ein – – Indianer!

Ich hatte den Blick über die Hänge schweifen lassen, an denen die letzten Strahlen der sinkenden Sonne ihr Spiel trieben. Da begegnete ich den starr auf uns gerichteten funkelnden Augen eines Indianers, der den Bogen vor sich auf den Stein gelegt hatte und augenscheinlich bemüht war, auf Pfeildistanz an uns heranzukriechen. Ohne meine Stellung zu verändern, hob ich wie spielend die Büchse und feuerte eine Schrotladung auf den Gegner.

Erstaunt fuhren meine Begleiter herum.

»Aber warum schießen Sie denn, Don Fernando?« rief es wie aus einem Munde.

»Um uns den Weg an den See freizuhalten, amigos«, antwortete ich. »Siehst du dort in den Steinen das Braunfell, Felipe? Dem bin ich zuvorgekommen!«

»Bravo, Don Fernando!« – »Aber der Kerl lebt ja noch!« riefen Felipe und der Doktor.

»Hoffentlich! Es waren nur Schrote im Lauf, aber sie scheinen doch ihren Zweck zu erfüllen. Seht nur, wie er davonschleicht. Der kommt in dieser Woche nicht wieder.«

»Quien sabe! Nun komme ich selbst zu der Ansicht, daß wir besser abrücken. Lange wirkt der Schwindel mit den Soldaten nicht mehr. Die Indianer werden längst ausgekundschaftet haben, daß die Truppe mit uns nichts zu tun hat.«

Es war ein unangenehmer Nachtmarsch, den wir mit den geraubten Leichen durch die wilden Berge machten. Wir wußten uns von nichts weniger als freundlichen Indianern verfolgt, deren Pfeile uns aus jedem Busche bedrohten. Auf baumlosen Ebenen sahen wir die gespenstischen Schatten der Verfolger blitzschnell über die freie Fläche gleiten. Wenn wir auch, um unsere Wachsamkeit zu beweisen, in solchen Fällen ein paar Schrotschüsse abfeuerten, so erhöhte das unsere Sicherheit keineswegs. Am gefährlichsten wurde unsere Lage, als der aufgefundene Saumpfad in einen Flußlauf auslief. Dort zwängten sich die Felsen bis auf kaum zwei Meter Breite aneinander und bildeten so einen Engpaß, in dem wir leicht durch hinabgeworfene Steine vernichtet werden konnten. Zum Unglück trat auch der Mond hervor und überflutete die Enge mit fast tageshellem, silberweißem Licht.

Felipe riet von der Fortsetzung des Marsches ab. Alles deutete darauf hin, daß wir hier abgefangen werden sollten. Einige herabfallende Steinchen hatten uns verraten, daß uns die Indianer folgten und droben in den Felsen größere Blöcke lockerten, mit denen wir zerschmettert werden sollten. Etwaige Nachforschungen der Behörden konnten in dem Falle nur den »Unglücksfall« feststellen. Die Eingeborenen hatten also kaum einen Mordverdacht zu befürchten.

Kurz vor dem Engpaß sammelten wir uns. Ringsum waren die Berge terrassenförmig aufgebaut. Jeder Stein bot hier dem Feinde gute Deckung; es konnte kein geeigneterer Platz für einen Überfall gefunden werden. Allerdings kam auch uns diese Terrainunebenheit zugute, und ich schlug vor, die Feinde, wer es auch sei, von hier aus im Rücken anzugreifen. Während des dann entstehenden Kampfes sollte einer von uns die Maultiere durch den Paß treiben und schnell die Ebene zu erreichen suchen. Das Los traf Carlos. Wir andern verteilten uns über die Hänge zu beiden Seiten der Schlucht und krochen langsam aufwärts. Beim dritten Schuß sollte Carlos den Durchbruch wagen. Mir war eine steile, steinige Böschung zugefallen. Im unteren Teile fand ich gar keine Deckung. Der blanke Mond schien hell auf mich und mein blitzendes Gewehr. Ich lag zwar flach auf dem Bauche und schob mich so rasch als möglich vorwärts, aber ein einigermaßen wachsamer Mensch mußte mich sehen. Dies wurde mir auch dadurch bestätigt, daß plötzlich ein Stein in großen Sprüngen den Abhang hinuntersauste und nur wenige Zentimeter von mir vorbeischoß. Gern hätte ich dem Kerl dort oben eins aufgebrannt, aber ich fürchtete, zu früh das Signal für Carlos zu geben. –

Ein zweiter und dritter Stein kam. Nun wurde mir die Sache zu bunt. Ich sprang auf, hob die Büchse und zielte. Das half. Sofort hörten die Steinwürfe auf. Für die Pfeile war ich noch zu weit von den Schützen entfernt. Etwa zwanzig Meter höher sah ich größere Blöcke, die mir Deckung bieten würden. Wenn ich die erreichte! Ich versuchte es, immer die Büchse schußfertig gehoben.

Auf einmal schwirrte ein Pfeil von rechts. Er traf den Schaft meines Gewehres, fiel aber kraftlos zu Boden. Noch war die Entfernung zu groß, ich aber war gewarnt. Ging der Schütze einen Schritt vor, dann war es um mich geschehen.

Ich machte einen Sprung vorwärts und hörte auch in demselben Augenblick, wie ein Pfeil dicht an mir vorbeischwirrte. – Jetzt machte ich eine Bewegung, als ob ich getroffen wäre, und ließ mich in die Steine fallen, den Blick scharf auf die Stelle gerichtet, wo ich den Schützen vermutete. Unmittelbar darauf hoben sich zwei dunkle Gestalten aus den Steinen und liefen auf mich zu. Ich zielte langsam und drückte ab. Auf den Schuß sank der eine in die Knie, während der zweite seinen Bogen hob und auf mich anlegte. Ich kam ihm um den Bruchteil einer Sekunde zuvor. Im Fallen noch mußte er den Pfeil abgeschossen haben, der dicht über meinem Kopf ins Leere ging.

Von meinen Kameraden hörte ich noch immer nichts. War ich jetzt gezwungen, auch den dritten Schuß abzufeuern, dann konnte Carlos in eine böse Lage kommen. Ich mußte also den Aufstieg auf den Felsen erzwingen, ohne zu schießen. Rasch entschlossen lief ich in die Deckung. Kaum lag ich da, da sah ich, wie die Indianer eiligst den Berg wieder hinunterkletterten. Halt, dachte ich, die wollen Carlos überfallen. Jetzt galt es. Noch sah ich einige Schatten vorbeihuschen, dann feuerte ich den dritten und vierten Schuß ab.

Dann knallte es auch auf der andern Seite. Gottlob, nun ist Carlos durch, dachte ich und stürmte auf die Kuppe. Sie war leer! Große Massen von Steinen deuteten darauf, daß unsere Vernichtung im Engpaß geplant war. Jenseits des Spaltes tauchte nun auch der Doktor auf. Er rief mir zu, daß Carlos in Sicherheit sei, am Passe unten wimmele es aber von Indianern.

»Dann will ich ihnen den Durchgang mit ihren eigenen Waffen versalzen!« rief ich und begann einen Hagel von Steinen in die Tiefe zu schleudern. Mitten in der besten Arbeit tauchte drüben Felipe auf, während der Doktor verschwunden war.

»Haben Sie viel Munition, Don Fernando?« rief er.

Ich zählte die Patronen.

»Sechzehn Schrote und zehn Kugeln für den Revolver! Aber warum fragst du? Brauchst du welche?«

»Nein, das nicht. Aber ich fürchte, wir sind abgeschnitten, und die Munition wird kaum genügen, die Bande zu verjagen. Es müssen mindestens fünfzig Mann sein, die den Paß besetzt halten.«

»Hm, das ist schlimm. Können wir denn nicht zurück?«

»Wir hier auf dieser Seile vielleicht. Ihnen aber dürfte es schwer werden, denn an der andern Seite fällt die Wand steil ab. – Aber wir werden Ihnen Luft machen. Versuchen Sie nur, so schnell als möglich von dort fortzukommen. – Glück zu, Don Fernando!«

Das waren reizende Aussichten. Wieder einmal saß ich in der Mausefalle. Ich lief auf die andere Seite des Felsens und blickte hinunter. Eine graue, felsige Masse grinste mir aus unergründlicher Tiefe entgegen und ließ mich zurückweichen. – Mit großen Sprüngen eilte ich den Abhang wieder hinunter. Ich trachtete den Einstieg zu gewinnen und dann...

Ein teuflisches Geheul bannte meinen Fuß. Da – dreißig Meter etwa vor mir hielt eine Masse dunkler Gestalten, bereit, mich einzusaugen, wenn ich in ihre Nähe käme.

Zähneknirschend hemmte ich den Schritt.

»Wartet, ihr Halunken, noch habt ihr mich nicht!«

Ein Busch und dahinter ein großer Stein boten mir Deckung. Kniend zielte ich und gab Schnellfeuer mitten in den Haufen. Zwei Schüsse mit je zwölf Rehposten und fünf Revolverkugeln rissen ein gewaltiges Loch in die Schar. Auf eine derartige Verteidigung waren die Indianer sichtlich nicht vorbereitet. Ich benutzte die Verwirrung und lief bis an den Rand der Wand, im Laufe wieder ladend. – Ein kurzer Blick belehrte mich, daß auch hier noch keine Rettung möglich war. Die Indianer kannten ihre Falle!

Wieder kniete ich nieder und feuerte dieselbe Ladung in die Richtung der Feinde, die nun in sichere Deckung flohen. – Als ich von neuem geladen hatte, stürmte ich weiter den Abhang hinunter, bis eine neue Steigung mich zwang, den nächsten Hügel zu erklettern. – Vorher prüfte ich nochmals die Höhe der Wand. Ich schätzte sie auf acht Meter, doch verbargen Dornen mir den Grund der Schlucht.

Drüben fielen jetzt ebenfalls Schüsse. Dem Schall nach über mir am jenseitigen Hang. Ich überlegte, ob ich durchbrechen und den Kameraden Entsatz bringen oder ob ich doch den Sprung in die Tiefe wagen sollte. Während ich, an einen schwankenden Strauch geklammert, noch einen Blick in die Schlucht warf, knackten plötzlich vor mir die Büsche. Ich wollte einen Satz zurück machen, glitt aber aus, und bei der unwillkürlichen Bewegung nach einem Stützpunkt fiel mir das Gewehr aus der Hand und die steile Wand hinunter in die Tiefe. Jetzt riß ich den Revolver aus dem Gürtel und feuerte die Trommel ab. Noch sehe ich die wutverzerrten Gesichter der Indianer, wie sie langsam zurückwichen und die Getroffenen fortschafften. Rasch wollte ich wieder laden. Mit dem linken Arm umklammerte ich den dünnen Stamm und griff in die Tasche – da wich plötzlich der Boden unter mir, und ich stürzte die steile Wand hinunter in die Schlucht. Mit mir fielen ein gewaltiges Stück Erdreich und Steine, die mir wie Geschosse um die Ohren sausten. Krachend und splitternd wich das Buschwerk unter mir. Spitze Dornen drangen mir ins Fleisch – dann schlug ich dumpf auf.

Finstere Nacht umgab mich. Als ich mich von dem Sturz erholt hatte, tastete ich meine Glieder ab. Jeder Knochen brannte wie Feuer, gebrochen aber hatte ich, Gott sei Dank, nichts. Bei jeder Bewegung fühlte ich aber das empfindliche Stechen kleiner Dornen, und ich konnte nicht mehr daran zweifeln, daß ich nicht nur in einem Dickicht, sondern in einer Art Brunnen oder Schacht lag, dessen Wandungen ich ringsum wahrnehmen konnte. Wie tief der Schacht war, wußte ich natürlich nicht. Da kein Lichtstrahl bis zu mir drang, obgleich der Mond fast taghell leuchtete, mußte ich auf große Tiefe schließen.

Meine Gedanken nahmen wieder eine bestimmte Richtung an. Ich griff nach dem Revolver. Die Tasche war leer. Das Messer fühlte ich jedoch unter mir. In dem Bestreben, es aus der Scheide zu ziehen, machte ich eine Drehung. Sofort rieselte eine ganze Ladung modrigen Schuttes über mich und drang mir in Mund und Augen. Ich hatte aber das Messer in der Hand. Vorsichtig, um nicht noch weiter verschüttet zu werden, schnitt ich nun die Zweige über meinem Kopf weg. Jede Zerrung einer Ranke löste einen feinen Rieselregen aus. – Endlich hatte ich mich so weit freigeschnitten, daß ich mich auf die Knie stemmen konnte. Die aber waren dermaßen zerschunden, daß ich zurücksank. – Nach einer Weile wagte ich es noch einmal. Und diesmal kam ich sogar auf die Füße.

Weiter und weiter schnitt ich in die zähen Dornen. Um mich her türmte sich das stachlige Gewirr zu dichtem Haufen. Aber immer noch drang kein Lichtstrahl in meine Finsternis. Auf einmal fand mein Arm über mir einen Widerstand. Ich fühlte mit der Messerklinge durch die Dornen und stellte fest, daß ein Stein über mir lag. – Nun beschlich mich ein unheimliches Gefühl. Wenn der Stein nachgab, war es möglich, daß er mich unter seiner Last zerquetschte.

Ich begann nun seitlich die Dornen zu lichten. Nach der einen 35 Seite stieß das Messer bereits nach wenigen Stößen auf eine harte Wand.

Vorsichtiger setzte ich nun meine Arbeit nach der andern Seite fort. Jetzt mußte ich ganz langsam schneiden, denn ich lief Gefahr, bei einem starken Ruck das rieselnde Erdreich ins Rollen zu bringen.

So hieb ich mir denn in mühevoller Arbeit einen Wall von dornigen Ästen um mich herum frei. Ich drückte sie, trotz der wahnsinnigen Schmerzen, zu einem Haufen zusammen und setzte die Füße darauf. – Da stieß mein Tritt auf einen Widerstand. Ich ließ die Hand an meinem Bein hinuntergleiten und hob den Gegenstand auf. Er war hart und rund, merkwürdig glatt. Da kein Lichtstrahl eine Prüfung des Fundes erlaubte, stieß ich ihn seitwärts in die Büsche und schnitt weiter.

Plötzlich wurde es licht über mir. Eine dünne Pflanzenschicht hob sich gewebeartig von einem bleigrauen Himmel ab. Sie war rasch durchschnitten, und ich sah, daß der Morgen dämmerte.

Ich blickte um mich. Zunächst sah ich über mir eine hohe, glatte Wand. Wohl dieselbe, an der ich abgestürzt war. In einem zusammengeschlagenen Schacht unterschied ich ringsum Mauerwerk. Über mir den Rest eines bearbeiteten Steines. Suchend irrte mein Auge durch den Raum und haftete überrascht auf dem gefundenen Gegenstande – einem Schädel, und zwar einem Aymaraschädel! – Kein Zweifel, ich saß in einer halbzerstörten Chulpa.

Fast hätte ich aufgelacht. Tücke des Zufalls! Die Stücke, um die wir mit Blut gekämpft, fielen mir hier ohne mein Zutun in den Schoß.

Ich machte nun alle Anstrengungen, um dem Schacht zu entrinnen. Gegen Osten, wo der Eingang zu sein pflegt, war das Grab verschüttet. Ich wand mich nun dem Schuttgerinnsel zu und fand dort zuerst mein Gewehr, an einem Zweige hängend. Dann suchte ich festen Fuß zu fassen, was mir aber erst nach unzähligen Versuchen gelang. Langsam, Schritt für Schritt, erkletterte ich den Erdhügel, und dann sah ich auch die Stelle, an der ich oben abgerutscht war.

Dieser Anblick rief mich in die rauhe Wirklichkeit zurück. Wo waren meine Kameraden? Ich sprang vollends aus meinem »Grabe« und lief trotz meiner Schmerzen durch das Dickicht auf eine Stelle, die mir freien Ausblick bot. Eben hob sich in hehrer Pracht das Tagesgestirn aus dem See und tauchte den Sonnentempel in flüssiges Gold.

Tiefe Stille umgab mich. Nirgends regte sich ein Lüftchen. Ich öffnete mit frohem Rufe weit die Arme. Hell schallte das Echo in den Felsen hundertfach zurück.

Ich erschrak, warf mich zu Boden und untersuchte mein Gewehr. »Esel«, schimpfte ich im stillen, »wenn hier Indianer versteckt lägen.«

Minutenlang wartete ich mit angehaltenem Atem, dann erhob ich mich und steuerte der Ebene zu, die sich weit vor mir öffnete. An den Büschen prangten rote Himbeeren, die ich hungrig verschlang. Wachteln flohen ängstlich rufend in das schützende Gras. Ich wagte aber nicht zu schießen. Hinter jedem Busch konnte mich eine unliebsame Überraschung erwarten.

Ein letzter Ausläufer des Berges stieß einen harten Arm in die saftige Wiese. Den wollte ich ersteigen, um einen Überblick zu gewinnen. Halb hatte ich den Hang bereits bezwungen, da trug mir der leichte Luftzug Rauch in die Nase. Rasch warf ich mich auf den Bauch und schob mich lautlos die Höhe hinan. Ein Feuer knisterte. Ich vernahm das Zischen bratenden Fleisches. Noch hörte ich keinen Laut menschlicher Wesen. Ich wagte es, meinen Kopf über den scharfen Rücken zu heben, und...

«Guten Morgen, Freunde!«

Dort lagen in friedlichem Schlummer Dr. Perez und Felipe – beide über und über blutig, zerrissen und sichtlich erschöpft.

Sie antworteten nicht auf meinen Gruß. Wie die Toten lagen sie am Feuer hingestreckt. Ihre Lage deutete darauf hin, daß sie mitten in ihrer Arbeit einfach vor Müdigkeit umgefallen waren.

Ich ging leise an die Feuerstelle und wendete das Fleisch, das ich dadurch gerade noch vor dem Verbrennen rettete. Dann trank ich beide Flaschen leer und verschlang den ganzen Vorrat an Schokolade, den ich in den Satteltaschen fand. Sie schmeckte entsetzlich bitter, denn die Küstenindianer kennen unsere verfeinerte Art der Herstellung nicht. Aber ebendarum ist die sogenannte Indioschokolade das wertvollste Zahlungsmittel, weil sie sich sehr leicht verdaut und gut zu verpacken ist.

Als der Braten die richtige Bräune ansetzte, stellte ich die Becher an das Feuer und rührte Mehl und Wasser an. Bald war der Kuchen gar, und der Kaffee verbreitete seinen würzigen Duft. Nun mußte ich die Schläfer wecken. Ich schüttelte zuerst den Doktor – vergebens! Dann zupfte ich Felipe am Ohrläppchen. Wie von der Viper gestochen fuhr er in die Höhe, und im gleichen Moment blitzte auch schon das Messer.

»Guten Morgen, Felipe! Das Frühstück ist fertig, komm, iß und trink!« sagte ich möglichst gleichmütig.

Ganz verstört blickte er mir ins Gesicht. Er rieb sich immer wieder die Augen, als ob er seinen Sinnen nicht traue. Dann sprang er auf mich zu und umarmte mich.

»Sie leben wirklich, Don Fernando?« jubelte er.

»Ich habe so den Eindruck, Felipe! Allerdings fehlte nicht viel, und die Indianer hätten mich erwischt. Aber erst komm mit mir zum Essen, dann erzählen wir. – Hallo, Doktor! Kommen Sie, der Kaffee ist fertig.«

Der arme Kerl war jedoch nicht zu erwecken. Er murmelte nur ein paar Worte und schlief weiter.

Beim Mahle erzählten wir.

»Der Leichenraub ist uns schlecht bekommen, Felipe! Sind wenigstens unsere Tiere in Sicherheit? Ist Carlos gesund?«

»Carlos ist vor einigen Stunden schon nach Maiquia geritten. Er holt Lebensmittel und Arzneien, denn der Doktor ist ernstlich verletzt. Auch mein Fell ist böse durchlöchert.«

»Wie seid ihr denn mit den Indianern auseinandergekommen?«

»Durch einen Zufall! Gerade in der höchsten Bedrängnis trafen die Soldaten ein, die wir gestern bemerkten. Das unausgesetzte Schießen hatte sie herbeigerufen. Der Doktor lag schon gefesselt am Boden, und mich hätten die Braunen in der nächsten Minute überwältigt. Es war die höchste Zeit! – Jetzt ist eine Patrouille hinter den fliehenden Indianern her, die Sie retten soll. Ich versprach ihnen eine gute Belohnung, wenn sie Erfolg hätten.«

»Nun, die sollen sie haben. Ich bin nur froh, daß ich dich und den Doktor wiederhabe. Ich hatte schon an eurer Rettung gezweifelt, denn der Wald wimmelte ja von den Burschen. Was die Menschen wohl so aufgebracht hat gegen uns? Vorher waren sie doch noch ganz manierlich?«

»Sicher der Raub der Toten!« meinte Felipe. »Es ist undenkbar, daß die hier umherstreifenden Wilden nicht wissen, was in dem Bau steckt. Sie halten die Mumien jedenfalls für Überreste ihrer Vorfahren und wollten deshalb den Raub rächen.«

»Das kann ich ihnen schließlich nicht verdenken!«

Jetzt regte sich der Doktor und verlangte Wasser. Er streckte den Arm aus, um nach der Flasche zu greifen, traf dabei aber auf meine Hand, die er fest umklammerte. Seufzend flüsterte er mit schwacher Stimme: »Armer Kerl, armer Fernando! Ob er schon tot ist?«

»Gewiß nicht, lieber Doktor«, antwortete ich. »Stehen Sie nur auf! Der Braten wird kalt.«

Sein Haupt sank wieder auf den Arm und blieb sekundenlang regungslos liegen. Mit einem Male schien ihm aber die Wirklichkeit zu dämmern. Ruckweise hob sich sein Körper, bis er aufrecht saß. Die halbgeschlossenen Augen, von der Sonne geblendet, irrten suchend über uns, dann streckte er beide Arme von sich und rief mit abgewendetem Gesicht: »Nein, bitte, keine Scherze! Laßt mich sterben, o Gott, sterben.« Und schwer sank der Leib auf die Seite.

Erstaunt blickten wir uns an. Eine furchtbare Ahnung packte mich. Ich faßte den willenlosen Doktor um den Hals, flößte ihm heißen Kaffee ein und sprach ihm eindringlich zu. Sein Kopf sank an meine Brust. Ein inneres Schluchzen durchschüttelte ruckweise den ganzen Körper. Die Nerven des Armen mußten schwer gelitten haben. – Nach einer Weile schlug er die Augen auf. Langsam kam ihm das Bewußtsein zurück. Er schob mich langsam von sich und sagte freudig lächelnd: »Don Fernando!«

Dann sank er wieder in tiefen Schlaf.

Nun machte sich auch bei mir das Bedürfnis nach Ruhe geltend. Ich bettete mein Haupt auf einen Packsattel und schlief, bis mich eine Unterhaltung weckte.

Carlos war zurückgekommen. »Grüß' Gott, Carlos! Fein, daß du wieder da bist«, rief ich ihn an. Der Doktor saß am Feuer und verband eben Felipes Wunden. Er selbst war halb entkleidet und voller Pflaster. Während ich nochmals meine Erlebnisse erzählte, sagte ich beiläufig: »Sie, Doktor, ich habe wieder eine Chulpa entdeckt. Mein Revolver liegt noch da. Auch einen Aymaraschädel habe ich schon auf die Seite gebracht. Ein herrliches Stück!«

Nun sahen mich alle drei an, wie man einen Menschen anblickt, der im Kopfe nicht richtig ist.

»Reden Sie denn im Ernst?« fragte nach langer Pause der Doktor. »Sie saßen in einer Chulpa, während uns die Indianer umzingelt hatten? Wie ist so etwas nur möglich?«

Nun erzählte ich ausführlich meine Landung in der Grabkammer. Ich bestand auch darauf, noch mal dahin zurückzukehren, denn es interessierte mich, den Ort genauer zu betrachten. Aber nur Carlos ritt mit mir.

Das erste, was uns auffiel, als wir an der über und über mit Dornen überwucherten Chulpa ankamen, waren eine Anzahl von Pfeilen, die man mir nachgesandt hatte. Ich sammelte sie zur Erinnerung an den denkwürdigen Tag. Leicht fand ich auch die Stelle, an der ich, von oben kommend, wie eine Granate in den Dornbusch gesaust war. Ich stieg über das Geröll und glitt nochmals in das Loch. Gleich oben in dem Zweiggewirr lag der Revolver. Unten stieß mein Fuß auf eine glatte Steinplatte. Es war die Hälfte des Dachabschlusses der Chulpa. Man hatte bei diesem Grabmal zwei aneinandergelegte Steinplatten zum Verschlusse der Kammer verwendet. Die Folge davon war, daß sie den Jahrhunderten keinen Widerstand geleistet hatten. Vor wer weiß wie langer Zeit war die eine Hälfte hinuntergestürzt, und die Zeit hatte ihr Zerstörungswerk nahezu vollendet. Außer dem Schädel und ein paar wertlosen Knochen fand ich nichts von Bedeutung.

Noch eine Nacht mußten wir an der gleichen Stelle zubringen. Nach einem erquickenden Bade in dem schäumenden Flusse, in dem wir auch noch einen Zitterrochen fingen, fielen wir in tiefen Schlaf, über den der treue Carlos sorgsam wachte.

Am nächsten Abend aber – o Wonne! – durften wir endlich einmal in einem regelrechten Bett auf einer weichen Matratze aus Lamawolle schlafen! – Was kümmerte es uns, daß diese primitiven Bettstellen so ziemlich das einzige Mobiliar des von Felipe gemieteten Häuschens darstellten?! Sich ausstrecken! Weich und warm zugedeckt schlafen! Keine Wache ausstellen müssen! Keinem Indianerpfeil ausgesetzt sein! – – Schlafen, schlafen, schlafen!

Drei Tage verbrachten wir so in süßem Nichtstun. Die ankommenden Soldaten erinnerten uns erst wieder an den Zweck unseres Hierseins. Sie bekamen natürlich reichlich die ihnen von Felipe für meine Rettung versprochene Belohnung und verabschiedeten sich mit überschwenglichen Dankesworten.


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