Ferdinand Emmerich
Jenseits des Äquators
Ferdinand Emmerich

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Fünftes Kapitel

Ein überflüssiger »Luxus«

Dr. Güßfelds Auftrag. – Antonio ist anderer Meinung. – Gewitter zwischen Dornen und Klapperschlangen. – Spuk in der Nacht. – »Mensch, Sie können noch lachen?!«

Als unser kleiner Dampfer im Hafen von Puno anlegte, winkte uns Dr. Güßfeld schon von der Landungsbrücke aus lebhaft zu.

»Endlich, Gott sei Dank!« das war seine erste Begrüßung, und er schüttelte mir fast den Arm aus dem Gelenk. »Ich fürchtete schon, daß Sie sich durch unser Revolutiönchen ganz und gar hätten abschrecken lassen, und das wäre mir aus verschiedenen Gründen sehr schmerzlich gewesen! Aber nun kommen Sie rasch, in meinem Gasthof sind Sie sehr gut untergebracht, und wir können die wenigen Tage meines Hierseins noch gründlich ausnutzen!«

Das geschah denn auch. In ausgiebigen Sitzungen, die teils ernsten wissenschaftlichen Problemen galten, teils beim Glase Wein alte Erinnerungen zurückriefen, verliefen die nächsten Tage nur allzu schnell. Erst am Abend vor seiner Abreise kam Dr. Güßfeld auf eine Angelegenheit zu sprechen, die ihm viel Kopfschmerzen bereitete. »Ich bin aus der Heimat gebeten worden«, so erzählte er, »hier nach einem jungen Deutschen zu forschen, der zwecks geologischer Studien an den Titicacasee gereist ist, und von dem man nun schon sehr lange keine Nachricht mehr erhalten hat. Ich habe Ost-, Süd- und Westufer des Sees durchforscht, bin aber nirgends auf eine Spur gestoßen. Nach dem Nordufer komme ich nicht mehr, und deshalb wollte ich Sie bitten, dort Ihrerseits nach Möglichkeit Umschau zu halten. Ich fürchte allerdings...«

»Was fürchten Sie? Daß alles vergebens ist?«

»Jedenfalls, daß Sie ihn nicht mehr am Leben finden. Ich glaube, der eigentliche Zweck seiner Reise war weniger wissenschaftlicher Natur. Gerade in den letzten Jahren spuken wieder die vergrabenen Schätze der alten Inkas in den abenteuernden Köpfen. Überall stößt man in Peru und Bolivien auf ›Geologen‹, ›Bergingenieure‹ und wie sie sich sonst nennen. Es sind meist Individuen, die vor keinem Mittel zurückschrecken, wenn sie sich irgendwelche Hindernisse – oder Konkurrenten aus dem Wege räumen wollen, und wenn der junge August Berckmüller auch vom Goldfieber ergriffen worden und etwa in solche Hände geraten ist, dann dürfte er wohl endgültig verschollen sein.«

»Wir wollen jedenfalls unser möglichstes tun«, versprach ich. »Es trifft sich günstig, daß wir gerade nach Norden wollen.«

»Welchen Weg werden Sie nehmen?«

»Wir wollen zunächst an der Nordküste entlang segeln. Mein Freund Perez studiert die Geschichte seiner längst vergangenen Vorfahren, der Aymara, und ich schließe mich dem an. Wir haben bereits ein unversehrtes altes Grabmal gefunden und möchten nun auch die Gebirgsschluchten im Norden daraufhin untersuchen. Beim Dorfe Huancane wollen wir den Landweg wieder aufnehmen und einstweilen bis zum Axapasee vordringen.«

«Hm – das klingt auch so, als ob...«

»Wir ebenfalls nach goldenen Schätzen suchen wollten?« rief ich lachend. »Nein, Doktor, unsere Schätze bestehen aus alten Knochen und deren Beigaben. Wenn wir davon recht viel finden, sind wir vollkommen zufrieden.«

»Aber gerade am Axapasee vermutet man vergrabene Schätze.«

Illustration: Karl Strattl

»So? Davon wußten wir nichts, und danach werden wir dort auch nicht suchen.«

»Sie könnten dort oben aber vielleicht Spuren von dem jungen Berckmüller finden.«

»Wir werden selbstverständlich die Augen offenhalten für jedes Anzeichen, und ich würde mich von Herzen freuen, wenn wir ihn finden würden. Vielleicht sehen Sie doch zu schwarz und der junge Mensch ist nur zu weit abseits von allen Verbindungsmöglichkeiten.«

»Hoffen wir es –«, aber Dr. Güßfeld sah nicht sehr hoffnungsvoll aus, als er uns nun gute Nacht sagte.

Am nächsten Morgen reiste er mit dem Dampfer ab. Dr. Perez und ich hatten eine Segelbarke gemietet, für deren Führer, einen wettergebräunten Mischling namens Antonio, unser Gastwirt in großem Wortschwall alle möglichen Garantien gegeben hatte. Uns gefiel er nicht so ganz unbedingt. Aber die Auswahl war nicht groß, und schließlich war kaum anzunehmen, daß er uns drei kräftigen, gut ausgerüsteten Männern einen heimtückischen Streich in der Art seiner Kollegen von Maiquia spielen würde.

Vor unserer Abreise hieß es noch, von unserem braven Carlos Abschied nehmen, der uns nicht weiter begleiten konnte. Jetzt, in der Stunde der Trennung, merkten wir erst, wie sehr uns der brave Bursche ans Herz gewachsen war. Lange, lange sahen wir ihn noch am Ufer stehen und erwiderten seine Abschiedsgrüße mit herzlichem Winken.

Unsere erste Landung in einer wildromantischen Bucht diente nur einem Jagdzug. Aber während wir in dem zerklüfteten Gelände auf Rehe pirschten, stießen wir unversehens auf eine Chulpa. Sie lag in den spitzen Winkel zweier Feldgrade eingebettet, war über und über mit Gesträuch bewachsen, und es bedurfte schon des geschulten Auges eines Fachmannes, um hier ein Werk von Menschenhand zu entdecken.

Sofort beschlossen wir, in das Innere der Chulpa einzudringen. Wir wußten nur nicht recht, wie wir unser Vorhaben vor den Schiffern verbergen konnten. Da beide anscheinend Abkömmlinge der Aymara waren, würden sie uns kaum bei einem Besuche der Grabstätte unterstützt haben. Sie betrachteten unsere Instrumente und die Sammelgerätschaften übrigens schon lange mit argwöhnischen Augen. Auch ließen die hartnäckigen Fragen des jungen Burschen darauf schließen, daß unsere Angabe, wir seien »Naturalistas«, nur geringen Glauben fand. Der junge Mann begriff ebensowenig wie mancher unserer Landsleute im lieben Vaterlande, daß es wirklich Menschen gibt, die jahrelang in der Welt umherreisen, sich den größten Entbehrungen aussetzen, täglich ihr Leben wagen, einzig und allein, um »ein paar alte Knochen und Scherben« heimzusenden, oder gar, um »einige Schachteln voll Schmetterlinge, Fliegen und Käfer auf Nadeln zu spießen, die daheim dann von den Schaben gefressen werden«. Antonio fand sich übrigens bald damit ab. Er erklärte uns kurzerhand für »verrückt« und befolgte glücklicherweise den Grundsatz, daß man dieser Sorte von Zweifüßlern ihren Willen lassen müsse.

Bei der Landung hatte uns Antonio dringend ans Herz gelegt, recht bald wieder an Bord zu kommen. Er befürchtete, daß die absteigende Sonne uns den gestrigen Sturm zurückführen könne, und in dem Falle war unser Segler gerade an dieser klippenreichen Küste allerdings schwer gefährdet.

Perez und ich versuchten uns daher in dem bekannten Selbstbetrug:

»Was halten Sie vom Wetter, Doktor?« fragte ich den Gefährten, als Felipe mit dem erlegten Rehbock verschwunden war. »Glauben Sie, daß der Sturm in zweiter Auflage erscheint?«

Da der Gefragte die Gegend genau so lange kannte wie ich selbst, also etwa drei Wochen, konnte auch die Antwort nur so lauten, wie ich sie selbst gegeben haben würde:

»Ich glaube, daß Antonio die Ausrede nur gebraucht hat, um schneller heimzukommen. Er stammt aus Huancane und freut sich, die Seinigen auf unsere Kosten einmal wiederzusehen. An eine Rückkehr des Sturmes glaube ich nicht!« sagte Dr. Perez mit dem Tone vollster Überzeugung.

»Dann muß Antonio einfach hier auf uns warten. Er kennt die Ufer genau und wird schon eine geschützte Stelle finden, wo er die Nacht verbringt. Wir gehen einfach nicht an Bord zurück, dann muß er wohl warten.«

»Und wenn er es nicht tut? Wir haben weder genügend Munition noch Lebensmittel, um im Notfalle am Lande zu lagern.«

»Aber, bester Doktor, wozu brauchen wir denn das alles?« rief ich. »Wir steigen in der Nacht in die Chulpa ein. Dabei würde uns größeres Gepäck nur hinderlich sein, und Munition werden wir hoffentlich nicht brauchen. Die Eingeborenen streifen nachts nicht gern um die alten Gräber.«

Unschlüssig wiegte mein Freund das Haupt: »Wir brauchen mindestens Wachslichte und die Strickleiter«, sagte er. »Haben Sie denn schon vergessen, wie es uns in der letzten Chulpa erging?«

»Wenn Antonio uns einmal an Bord hat, segelt er auch ab«, gab ich zurück. »Er wird sich dann kaum durch unsere Reden zum Bleiben bewegen lassen – und, Doktor, offen gestanden, ich tät' es auch nicht! Es ist eine verteufelt kitzlige Bucht, in der die 'Misericordia' liegt, und ich kann es dem Schiffer nachfühlen, daß er drängt, aus den Klippen herauszukommen.«

»Wenn wir aber erst einmal abgesegelt sind, werden wir kaum je wieder hierher zurückkommen. Und gerade diese Chulpa sieht so verlockend aus. Die ist sicher noch unberührt. Denken Sie nur an die Ausbeute...«

»Gut, bleiben wir hier!« unterbrach ich den Doktor. »Gehen Sie an den Strand hinunter und versuchen Sie, das nötige Gerät heraufzuschaffen. Felipe muß aber an Bord bleiben, denn sonst sehen wir unsere Habe in diesem Leben nicht wieder. Ich erwarte Sie unterdessen hier zwischen den Myrtenbüschen, wo ich mir die Zeit mit Insektensammeln vertreibe. Solange ich nicht aufzufinden bin, wird der Schiffer wohl oder übel warten müssen!«

Die Worte waren noch nicht verhallt, als uns ein lustiger Gesang die Ankunft des Bootsmannes meldete.

»Aha! Der soll uns holen!« rief ich. »Also auf Wiedersehen, Doktor! Bleiben Sie nicht zu lange aus und bringen Sie mir ein tüchtiges Stück Rehbraten mit herauf.«

Dann tauchte ich in den Büschen unter und beobachtete die angeregte Unterhaltung zwischen dem Doktor und dem Schiffsknecht. Letzterer schien bestimmte Aufträge in bezug auf meine Person zu haben, denn immer wieder machte er den Versuch, seine Nachforschungen weiter fortzusetzen. Ein paarmal schrie er auch aus Leibeskräften sein »Ohé! Don Fernando!« über den Hang. Wohlweislich blieb ich ihm die Antwort schuldig.

Als die beiden meinen Blicken entschwunden waren, richtete ich meine Schritte gegen das alte Grabmal. Es lag inmitten einer starren Mauer von gewaltigen Dornbüschen, die derart mit stachelbewehrten Schlingpflanzen durchwuchert waren, daß ich anfangs ganz ratlos vor diesem grünen Panzerwall stand. Bevor ich den ersten Schlag gegen die Wand führte, umging ich den Platz, in der Hoffnung, an anderer Stelle leichteren Zugang zu finden. Aber an den Seiten hinderten brüchige Felsen jede Annäherung an das vollständig unter der ungewöhnlich üppigen Vegetation vergrabene Bauwerk.

Also zurück! An der Dornenmauer begann ich ohne langes Besinnen mit der Arbeit des Durchbrechens. Ich beabsichtigte, einen Kanal durch den grünen Wall zu treiben. Er brauchte nur so weit zu sein, daß er ein Durchkriechen ermöglichte. Fanden wir später reiche Beute, so konnte der Gang entsprechend erweitert werden.

Mit wuchtigen Hieben legte ich Bresche in die äußere, ziemlich brüchige Pflanzenschicht. Schon nach einer Viertelstunde war das Loch so tief, daß ich mich bis zum Gürtel in den Kanal hineinschieben konnte. Jetzt wurde die Arbeit mühsamer. Auf dem Bauche liegend, konnte ich mit dem schweren Messer nicht so weit ausholen. Die immer stärker werdenden Stämme der Sträucher ließen sich auch nicht so leicht abhauen. Anstatt, wie bisher, zu schlagen, mußte ich hacken. Dabei traf ich mehrmals auf sogenannte Ameisenbäume, die mir dann auch prompt ihre Bewohner, die großen, bissigen, braunen Ameisen, über den Kopf schütteten. Um die wütenden Tiere loszuwerden, war ich gezwungen, den Rückzug anzutreten und mich zu entkleiden.

Als mir das zum dritten Male zustieß, benutzte ich die Gelegenheit, um nach meinem Freunde Ausschau zu halten. Er war noch nicht an der verabredeten Stelle, obwohl Zeit genug verstrichen war, um bis zum See und wieder zurückzugelangen.

Ein wenig verärgert kehrte ich zu meinem Arbeitsplatz zurück. Beim Überschreiten eines Hügels wandte ich zufällig den Blick und sah nun, daß das tiefe Blau des Sees einer glasigen, grauen Farbe gewichen war. Sofort dachte ich an den Sturm. Aber der Himmel wölbte sich in seinem azurnen Glanze über mir, so daß ich den Gedanken wieder fallen ließ.

Beim Hineinschlüpfen in den Gang hörte ich das warnende Rasseln der Klapperschlange. Ich sah sie eben noch in dem Dickicht vor mir verschwinden. Um ihr Zeit zum Rückzug zu lassen, blieb ich eine Weile liegen und bewegte mit dem Büchsenlauf die Büsche. Dann setzte ich die mühselige Arbeit fort. Strauch auf Strauch löste ich aus seiner Verbindung mit der Erde. Dann folgte die Trennung rechts und links, und zuletzt schnitt ich die Pflanze auch nach oben hin ab. Dabei ging es nicht ohne blutige Risse ab.

Eben hatte ich wieder einige Händevoll Buschwerk hinter mich befördert, da drang ein dumpfer Ton an mein Ohr. Ich lauschte. Sollte mein Gefährte einen Signalschuß abgefeuert haben? Wie unvorsichtig!

Um ihn am weiteren Schießen zu hindern, kroch ich schnell zurück, indem ich das lose Strauchwerk vor mir herschob. Dabei bemerkte ich mit Erstaunen, daß der Tag bereits zur Neige ging. Ich hätte darauf geschworen, daß mir noch mindestens zwei Stunden bis zum Untergang der Sonne blieben.

Endlich erreichte ich den Ausgang des etwa vier Meter langen Kanals, vor dem schon ein ansehnlicher Haufen dorniger Gewächse Zeugnis von meinem Fleiße ablegte. Als ich mich eben aufrichtete, flammte es plötzlich grell vor mir auf. Ein ohrenbetäubender Krach ließ mich zurücktaumeln, und nun brach das Unwetter los. Blitz folgte auf Blitz, und in das Geknatter des nicht endenden Donners mischte sich das Heulen des Sturmes. In gewaltigen Sätzen suchten die Tiere das schützende Dickicht...

Na, das hat gerade noch gefehlt, dachte ich. Wenn Antonio jetzt noch in den Klippen weilt, ist er verloren.

Während ich mir in Gedanken die möglichen Anordnungen des wetterkundigen Schiffsführers durch den Kopf gehen ließ, lag ich auf dem Bauche in dem trockenen Gange und blickte nachdenklich in die immer größer werdenden Pfützen, die sich um meine Dornenhaufen bildeten. Große Blasen tauchten auf und vergingen wieder. Über meinem Kopfe prasselte es, als ob Erbsen in einen Blechlopf geschüttet würden. Es mußte aber lange regnen, bis die Tropfen zu mir gelangten. – Mechanisch durchdrang mein Auge den nassen Vorhang, den das Wetter über den Hang gelegt hatte. Ich beobachtete die kleinen Rinnsale, die aus den Kronen einiger hoher Kiefern, an dem Stamme entlang, zur Erde strebten. Blickte in das Dunkel weißblühender Myrtenbüsche und ließ den Blick durch das seltsam geformte Gestein schweifen...

Alle Wetter! Instinktiv barg ich das Gesicht hinter dem dornigen Wall. Stand da nicht ein Indianer?

Vorsichtig hob ich den Kopf. – Die Stelle war leer. Und doch hätte ich darauf geschworen, daß dort unter dem überhängenden Stein soeben die hagere Gestalt eines halbbekleideten Eingeborenen gestanden hatte.

Mit einem Ruck fuhr ich in die Höhe. Unbekümmert um den strömenden Regen sprang ich in weiten Sätzen zu der Stelle. Richtig! Dort waren ein paar nackte Füße scharf in den feuchten Lehm eingepreßt. Hier stand er. Dorthin wandte er sich zur Flucht. Die weiteren Spuren verloren sich in dem triefenden Grase.

»Das kann nett werden!« sagte ich zu mir selbst, als ich die unliebsame Entdeckung unzweifelhaft festgestellt hatte. Dabei zogen in bunter Reihe alle die Zwischenfälle wieder vor meinen Augen vorüber, die uns bei den früheren Besuchen der Gräber das Leben so sauer gemacht hatten. »Wenn der braune Heide seine Freunde holt, dann...«

Über das dann Folgende zerbrach ich mir in jenem Augenblick nicht lange den Kopf. Ich schulterte meine Büchse und lief durch den nebelgrauen Schleier den Abhang hinunter. Am Ufer des Sees konnte ich ruhiger schlafen als dort oben an dem Orte meines geplanten Raubes. Denn daß ich hier allein die Nacht verbringen mußte, unterlag keinem Zweifel.

Je mehr ich mich dem Strande näherte, um so dichter wurde der Nebel. Bald konnte ich meine nächste Umgebung nicht mehr unterscheiden. Nur das hohle Rauschen der gegen die Klippen brandenden Wellen leitete mich.

Dort, wo die Lichtung in das saftige Grün des Ufersaumes überging, setzte ich mich auf einen Stein. Der hastige Lauf hatte mich stark erhitzt, und da ich auch durch den heftigen Regen bis auf die Haut durchnäßt war, befand ich mich in jener fatalistischen Stimmung, die eine gewisse Gleichgültigkeit gegen alles, was noch kommen kann, hervorruft.

Die Ruhe dauerte indessen nicht lange. Ich begann zu frösteln und mußte daran denken, mich irgendwo für die Nacht häuslich einzurichten.

Während ich noch überlegte, ob ich mich am Ufer niederlegen oder lieber in die Felsen zurückkehren sollte, hörte ich in meiner Nähe ein Geräusch. Einige kleine Steine kollerten den Hang hinunter und blieben dicht neben mir liegen.

Das kann nur ein Mensch sein! schoß es mir durch den Kopf. Ich machte die Büchse schußbereit, kniete hinter dem Stein nieder und wartete.

Wieder rollten kleine Brocken durch das Gras. Da sie nicht, wie das erstemal, hüpften, mußte der Mensch meinem Versteck nähergekommen sein. Der Umstand, daß der Unbekannte mir langsam und mit großer Vorsicht nachschlich, überzeugte mich vollends, daß mich Indianer verfolgten.

Plötzlich knackten die Zweige in meiner Nähe. Die kaum erkennbaren Umrisse einer menschlichen Gestalt zeichneten sich auf die Nebelwand – um sofort zu verschwinden. Deutlich erkannte ich die lange Lanze. Die Eingeborenen kannten ohne Zweifel Lage und Bedeutung des alten Bauwerkes und schienen entschlossen, den fremden Eindringling zu vertreiben. Lange lauschte ich in die dicke graue Wand hinaus. Aber nichts unterbrach mehr die Grabesruhe, die durch das gleichmäßige Grollen der nahen Brandung nur noch unterstrichen wurde.

Meine Lage war mehr als übel. Durch das unbewegliche Ausharren auf meinem Platze wurde das Frostgefühl immer unerträglicher. Meine Zähne schlugen hörbar aufeinander. Dazu gesellte sich ein nagender Hunger, den ich vergeblich durch Kauen von Blättern zu stillen suchte. Da ich mir sagen mußte, daß ich an dieser Stelle unmöglich bleiben konnte, beschloß ich, an den Strand hinunterzugehen. Durch ein Bad in dem verhältnismäßig warmen Wasser des Sees hoffte ich das Kältegefühl aufzuheben. Dann – nun, dann würden wir schon weiter sehen.

Vorsichtig wand ich mich durch das triefende Buschwerk. Nach jedem Schritt lauschte ich gespannt auf die Geräusche der Umgebung. – So näherte ich mich endlich dem Strande und ging so weit vorwärts, bis die schäumenden Wellen meine Füße überspülten.

Vor allen Dingen legte ich meine triefenden Sachen ab und warf sie auf den Sand, sie durch ein paar Steine am Wegschwimmen hindernd. Nässer, als sie schon waren, konnten sie ja doch nicht mehr werden. Nur mein Gewehr und das breite Buschmesser verwahrte ich sorgfältig auf einer größeren Klippe.

Das Seewasser war ganz erträglich warm, und mit dem zunehmenden Wärmeempfinden kehrte auch der Humor zurück.

Allmählich verschwand die Nebeldecke. Die Nacht wurde heller, und ich konnte bis auf etwa zwanzig Meter Entfernung noch recht gut sehen. Der gelbe Sand gab jede Unregelmäßigkeit deutlich wieder, Nur nach der Seeseite lag es noch dick wie Watte, in einer nur meterhohen Lage, die dennoch den Wasserspiegel verhüllte.

Um besser sehen zu können, kletterte ich auf eine höhere Klippe. In demselben Augenblick erhob sich in kurzer Entfernung von mir eine Gestalt und rannte in gebückter Stellung dem Ufersaume zu.

»Ah, da schau her!« entfuhr es mir, und unwillkürlich brachte ich die Büchse an die Backe. – Ich warf sie aber gleich darauf wieder auf die Achsel. Wer weiß, was der Kerl da machte? Ich ging auf die Stelle zu, wo der Mann gelegen haben mochte. Dort fand ich aber keinerlei Eindrücke. Als ich mich dann umwandte, um zu meinen Kleidern zurückzukehren, sah ich auch dort eine Gestalt im Sande herumkriechen. Sie bewegte sich rasch vorwärts und mußte jedenfalls vor mir zu meiner Habe gelangen.

»Halt, du brauner Heide!« schrie ich und richtete gleichzeitig den Lauf meiner Büchse auf den Mann. Dieser schnellte sofort in die Höhe, blickte sekundenlang zu mir hinüber und – war im nächsten Augenblick im Wasser verschwunden!

Vor allen Dingen brachte ich nun meine Kleidung in Sicherheit. Da ich den nassen Anzug aber unmöglich anziehen konnte, schnallte ich mir nur den wasserdichten Ledergürtel, der meine Papiere, Uhr, Geld, Munition u.a.m. barg, um die Hüften. In dieser Aufmachung hätte jeder Beobachter seine helle Freude an mir haben müssen. Mit dem Kleiderbündel unter dem Arm wandte ich dem See den Rücken und suchte in dem Schatten der dichten Uferbüsche ein Lager für die Nacht. Auf den so nötigen Schlaf mußte ich wohl oder übel verzichten. Wachsamkeit war höchstes Gebot. – Jedoch auch hier galt der alte Spruch: Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach!...

Ein lautes Krachen in meiner Nähe schreckte mich aus dem verbotenen Schlaf. Wie eine Spukgestalt floh ein Reh in weiten Sprüngen über den Sand... Verwundert blickte ich um mich. Der Himmel war klar. Das südliche Kreuz stand in seiner hehren Pracht aufrecht am Firmament. Ein empfindlich kalter Luftzug strich über den See.

Der Morgen war nicht mehr fern. Ich hatte geschlafen! Stundenlang hatte ich inmitten aller Gefahren friedlich geschlafen und neue Kräfte gesammelt. Ich hielt Umschau nach unserm Segler. Weit und breit war keine Spur davon zu entdecken...

Er wird schon wiederkommen, dachte ich und hüllte mich zunächst einmal in meine feuchten Kleider. Dann suchte ich in den Büschen nach etwas Eßbarem. Und da erlebte ich eine neue Überraschung.

Vorsichtig, den suchenden Blick in stetem Wechseln, wie es dem Forscher zur Gewohnheit wird, schritt ich den Strand entlang. In der Hoffnung, auf Nester der zahlreich hier hausenden Wildenten zu stoßen, bog ich geräuschlos die Büsche auseinander. Lange vergeblich. Endlich entdeckte ich inmitten einer Anzahl bewachsener Klippen etwas Weißes. Mein Herz schlug schneller. Wenn ich hier ein Nest mit Möweneiern fände...

Behutsam kroch ich auf allen vieren durch die schützenden Büsche. Einmal knackte trotz aller Vorsicht ein dürrer Zweig. Ich erwartete, den Vogel auffliegen zu sehen, aber nichts rührte sich. Und doch vernahm ich ein leises, pfeifendes Geräusch. Jetzt war der Stein erreicht, langsam hob ich den Kopf – hätte aber vor Überraschung beinahe laut aufgeschrien, denn vor mir lag in tiefstem Schlummer – mein Gefährte, Dr. Perez.

Meine erste Sorge war, den Revolver aus dem Bereich seiner Hände zu bringen. Dann erlaubte ich mir den Scherz, ihn mit einem Halme in der Nase zu kitzeln, wobei ich den Stein als Deckung benutzte. – Sofort fuhr er in die Höhe, und nun zeigte es sich, wie angebracht meine Vorsicht gewesen war, ihm den Revolver zu nehmen.

Ich erhob mich und blickte in ein verstörtes Gesicht.

»Guten Morgen, Doktor!« sagte ich lachend. »Schon ausgeschlafen? Schönes Wetter heute!«

Mit einem Verzweiflungsschrei stürzte er sich auf mich.

»Mensch! Sie können noch lachen? Wo ich zu Tode gehetzt werde?«...

Und nun folgte eine Flut von Vorwürfen, Klagen und Berichten, aus der endlich der tragikomische Sachverhalt unserer beiderseitigen nächtlichen Abenteuer auftauchte: wir waren nämlich sozusagen gegenseitig voreinander ausgerissen!

Der Schatten im Nebel war Dr. Perez gewesen und kein Indianer. Und als wir uns zum zweitenmal am Seeufer begegneten, glaubte er in der nackten Gestalt auf der Klippe einen Feind zu sehen.

Nur der dritte Fall, der in die See flüchtende Mensch, blieb unaufgeklärt.

»Wissen Sie, lieber Freund, das war nun eigentlich ein höchst überflüssiger Luxus«, sagte ich endlich, nachdem wir genug geschimpft und gelacht hatten. »Wir haben wirklich genug mit anderen Sachen zu tun und brauchen uns nicht noch gegenseitig 65 den Kopf heiß zu machen. Aber nun geben Sie vor allen Dingen was zu essen her, mir ist schon schwindlig vor Hunger!«

Zum Glück hatte Dr. Perez eine wirklich ausgezeichnet gebratene Rehkeule mitgebracht, die zunächst alle meine Gefühle und Gedanken für sich in Anspruch nahm. Erst als nur noch der spiegelglatte Knochen vorhanden war, hatte ich wieder Sinn für weitere Beschlüsse.


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