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Dreiundvierzigstes Kapitel

Das Schicksal

Sie hörten, daß die Haustür geöffnet wurde und ein Mensch im Begriff war, sich durch den dunklen Flur vorwärtszutasten. Indessen sagte Krag:

»Gnädige Frau« – aber er hielt die ganze Zeit seinen Blick unverwandt auf den Apachen gerichtet – »jetzt kommt Ihr Gatte. Ich höre bereits seine Schritte. Ich habe ihm geschrieben, daß er Sie hier treffen kann, er ist also auf eine Begegnung mit Ihnen vorbereitet. Ich habe ihn gebeten, so beherrscht wie möglich zu sein, und habe angedeutet, daß wir uns mitten in einer großen Abrechnung befinden. Sie sehen ein, nicht wahr, daß die Lage etwas ungewöhnlich ist? Ich halte den Menschen dort mit meinem Revolver fest. Wir dürfen nicht gestört werden. Sie müssen Ihren Gatten im Flur begrüßen. Er tastet sich soeben durch die Dunkelheit vorwärts. Gehen Sie zu ihm hinaus! Ich erwarte Sie hier.«

Frau Sonja eilte hinaus. Und durch die geschlossene Tür konnten die beiden Männer, die sich gegenüberstanden, einen verwirrten Lärm von Tränen und Stimmen und Liebkosungen hören.

»Jetzt, wo wir allein sind,« sagte der Apache, »möchte ich die Gelegenheit benutzen, Ihnen zu sagen, daß Sie sich sehr dumm benommen haben.«

»Was Sie sagen! Finden Sie vielleicht, daß ein Mann, der machtlos vor dem Revolverlauf eines andern steht, sich klüger benommen hat?«

»Sie hätten viele Tausende auf Ihren Teil bekommen können.«

»Auf meinen Teil kommt nur die Anerkennung, daß ich einen Schurken wie Sie an die französische Polizei ausliefere.«

»Wir pflegen uns nicht verhaften zu lassen.«

»Sie sind waffenlos, und ich stehe mit dem Revolver in der Hand. Sie sind bereits verhaftet.«

»Wir pflegen uns nicht lebend verhaften zu lassen.«

»Dann meinetwegen tot. Ich habe meinen Entschluß gefaßt, Sie haben keinen Ausweg mehr.«

»Ich möchte nur wissen, wie Sie die Dame, die Sie Frau Sonja nennen, davor schützen wollen, daß sie mit ins Unglück hineingerissen wird. Was glauben Sie, wird ihr Mann dazu sagen, wenn die Welt erfährt, daß seine Frau, die Mutter seines Kindes, an den Abenteuern französischer Banditen beteiligt ist?«

»Diese Seite der Angelegenheit habe ich auch schon in Betracht gezogen,« antwortete Krag. »Sie unterschätzen mich.«

»Sie sehen also ein, daß ich hier im Vorteil bin.«

»Wie meinen Sie das?«

»Ich bin bereit, mit Ihnen zu unterhandeln.«

Krag wollte gerade antworten, als die Tür geöffnet wurde und Sonja und der Advokat hereinkamen. Asbjörn Krag, der die ganze Zeit den Franzosen im Auge behalten mußte, konnte den Eintretenden nicht sehen. An seinem heftigen Atmen und seinen unruhigen Bewegungen aber merkte er, daß er in starker Erregung war. Sonja ging schnell durchs Zimmer.

Krag sagte, indem er zu dem Advokaten sprach:

»Dort steht der Mann, der das Unglück über Ihr Haus gebracht hat. Er hat den Versuch gemacht, Ihre Frau zu treffen, indem er Sie und Ihr Kind traf. Sie ist bereits seit mehreren Monaten in seiner Gewalt gewesen. Sie hat ihm Tausende gegeben, um ihn zu verhindern, seine Drohungen wahr zu machen. Schließlich wollte er sie dazu zwingen, Verbrechen zu begehen. Da verschwand sie. Ihre Frau wird Ihren vielleicht später selbst erzählen, was sie gelitten hat.«

»Ich habe ihr verziehen,« flüsterte der Advokat.

»Es ist ein Telephon im Hause,« fuhr Krag fort. »Darf ich Sie bitten, der Polizei zu telephonieren?«

Da erhob der Franzose warnend die Hand.

»Erst müssen Sie mich anhören,« sagte er. Wenn ich verhaftet werden soll, dann verlange ich, daß diese Frau mit mir ins Gefängnis wandert. Sie hat uns verraten; ich habe kein Mitleid mit ihr. Hier in Ihrem Land habe ich kein Verbrechen begangen, kann hier also nicht festgehalten werden. Man muß mich an Frankreich ausliefern. Und dann ist diese Frau nicht mehr zu retten. Die französische Obrigkeit wird ihre Auslieferung sofort verlangen. Und jetzt frage ich Sie, ihren Gatten, wünschen Sie, daß Ihr Haus von dieser Katastrophe betroffen wird?«

»Es ist entsetzlich,« flüsterte der Advokat.

Der Franzose lächelte triumphierend.

»Ich bin vielleicht doch nicht so machtlos,« sagte er. »Es lohnt sich mit mir zu unterhandeln.«

»Was wünschen Sie,« fragte der Advokat.

»Ich wünsche dieses Haus als freier Mann zu verlassen.«

»Und dann?« fragte Krag.

»Der Zug ins Ausland geht in wenigen Stunden,« antwortete er. »Ich werde unverzüglich nach Frankreich zurückkehren.«

»Und Sonja bei Ihren Freunden verklagen?«

»Nein, ich verspreche, daß ich sie vergessen werde.«

»Das ist nur ein Versprechen,« sagte Krag. »Welche Bürgschaft können Sie uns geben?«

»Mit diesem Versprechen rette ich mein Leben. Das werde ich nie vergessen, andere Bürgschaft kann ich nicht geben.«

»Herr Advokat,« sagte Krag, »darf ich Sie noch einmal bitten zu telephonieren?«

Der Advokat rührte sich nicht vom Fleck.

»Sie wollen nicht?« fragte Krag.

»Nein,« antwortete der Advokat. »Ich kann nicht.«

Krag konnte seiner Stimme anhören, wie verzweifelt und ratlos der Mann war. Aber Krag war selbst in diesem Augenblick verwirrt. Er wußte nicht, ob der Apache wirklich ein großer Verbrecher war. Durch verschiedene Drohungen hatte er eine Andeutung davon bekommen, aber er wußte es nicht mit Bestimmtheit. War er ein Mörder? Ein Räuber? Er hatte Bonnets Namen gehört. War er einer von den Automobilbanditen? Plötzlich fiel ihm die Waffe ein, die Sonja in ihrem Ärmel versteckt hatte, und er faßte den kühnen Plan, das Schicksal Richter sein zu lassen.

»Wenn wir ihm heute abend die Freiheit schenken,« sagte er, »haben wir keine Sicherheit, daß er nicht schon morgen die Rache vollführt, mit der er gedroht hat.«

Der Advokat rang die Hände.

»Es bleibt uns keine Wahl,« murmelte er, »und jetzt, wo ich die Gefahr kenne, kann ich meine Frau besser beschützen. Als ich Sonja heiratete, wußte ich, daß sie Anarchistin gewesen war. Sie warnte mich und sagte, daß Zeiten kommen könnten, wo sie meinen Schutz nötig hätte. Sie teilte mir mit, daß ihr Leben dunkle, unheimliche Punkte habe. Ich habe die Verantwortung auf mich genommen. Ich kann sie nicht verlassen. Ich liebe sie und will sie zum Leben zurückführen.«

»Ich aber stehe hier als Polizeibeamter,« sagte Krag, »Sie übersehen, daß es etwas gibt, was Pflicht heißt.«

»Drohen Sie nur!« sagte der Advokat. »Ich werde sie gegen Sie in Schutz nehmen. Ich habe einen angesehenen Namen in Skandinavien, ich werde wie ein Löwe für sie kämpfen. Sie dürfen nicht vergessen, daß sie dänische Untertanin ist. Sie hat nichts verbrochen. Und da die Sache dieses Mannes in gewisser Hinsicht auch ihre Sache ist, will ich auch ihn verteidigen. Mir bleibt keine andere Wahl. Was hat dieser Mann getan? Wer ist er? Was wissen Sie von ihm?«

Während der berühmte Advokat sprach, wurde der Franzose immer eifriger und nickte im Takt zu seinen Worten.

»Ich höre an Ihrer Stimme,« sagte Asbjörn Krag, »daß ein tief verzweifelter Mann spricht. Sie nehmen also sein Angebot an? Und übernehmen das Risiko?«

»Ja.«

»Dann werde ich Ihnen beweisen, daß ich in erster Linie Mensch und dann erst Polizeibeamter bin.«

Er machte einige hastige Bewegungen mit dem Revolver. Klirrte etwas darin?

»Im übrigen haben Sie recht,« fuhr Asbjörn Krag fort, »ich kenne diese Dame nicht und weiß nichts von diesem Mann.«

Er hörte, wie der Advokat in tiefer Qual einen Dank stammelte.

»Dann werden Sie mir erlauben,« sagte er, »daß ich mich aus diesem Haus zurückziehe, wo ich nichts mehr zu schaffen habe. Es ist sehr spät geworden. Sie haben wohl nichts dagegen, daß ich das eine Auto benutze?«

Krags Mantel hing über einem Stuhlrücken in der Nähe.

Als er ihn nahm, um ihn anzuziehen, legte er den Revolver auf den Tisch und kehrte dem Apachen den Rücken. Und in diesem Augenblick fällte das Schicksal das Urteil.

Der Apache stürzte einige Schritte vor und stieß einen triumphierenden Ruf aus, indem er den Revolver ergriff.

Als Krag sich umwandte, schoß der Apache auf ihn, aber der Revolver versagte.

Da sah Krag dem Apachen, der den Revolver in der Hand hielt, frei ins Gesicht. Als der Franzose Asbjörn Krags ruhigen und sicheren Blick sah, ging ein heftiges Entsetzen über sein Gesicht. Merkte er in diesem Augenblick, daß er verspielt hatte?

Der Apache wollte zum zweitenmal schießen. Da fiel aus einer andern Ecke des Zimmers ein Schuß, und der Apache stürzte zur Erde, in den Kopf getroffen.

Sonja hatte den Schuß abgegeben. Sie stand zitternd da, die rauchende Waffe in der Hand.

»Es ist Ihre Schuld,« rief sie. »Warum haben Sie den Revolver aus der Hand gelegt!«

»Ich danke Ihnen,« sagte Krag und beugte den Kopf. »Sie haben mir vielleicht das Leben gerettet. Niemand wird Sie wegen dieses Schusses zur Rechenschaft ziehen, denn Sie haben in der Notwehr gehandelt.«

»Das Schicksal hat es so gewollt,« sagte der Advokat bewegt. »Hörten Sie nicht, daß der Revolver versagte?«

Krag streckte seine rechte Hand aus und öffnete sie. In der Höhlung der Hand lagen zwei Revolverpatronen.

Es entstand ein Augenblick der tiefsten Stille. Die drei Menschen sahen sich an. Plötzlich wurde dem Advokaten die Sache klar.

»Sie haben sie selbst herausgenommen,« sagte er, »Sie haben es so gewollt?«

Krag nickte ruhig und legte die Patronen auf den Tisch.

Der Advokat folgte seiner Bewegung mit aufmerksamen Blicken.

»Ihre Hand zittert,« sagte er.

»Ja, wahrhaftig,« antwortete Krag verwundert, »meine Hand zittert.«

 

Ende.


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