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Vierzehntes Kapitel

Was die Zeitungen schrieben

Hier verlassen wir für einen Augenblick die Hauptpersonen des Dramas. Der Advokat und der Polizeileutnant befinden sich am Krankenlager des Chauffeurs. Niemand als Frau Sonja ist im Hause. Und was die beiden Verbrecher betrifft, so weiß man von ihnen nichts, als daß sie spurlos verschwunden sind.

Asbjörn Krag hat in seinen Notizen über die folgenden Ereignisse nur die kurze, auffällige Bemerkung gemacht, daß die beiden Herren Frau Sonja jetzt wieder allein gelassen haben. Hierin lag der Verdacht einer Gefahr, was bewies, daß Krag bereits zu diesem Zeitpunkt den eigentlichen Zusammenhang des Dramas ahnte. Aber Asbjörn Krag hat seinen kurzen Notizen einige Zeitungsausschnitte beigelegt, die einen ausführlichen Bericht von dem geben, was geschehen war, und was ferner geschah.

Diese Zeitungsausschnitte sind vorzüglich geordnet und geben in ihrer Reihenfolge ein vortreffliches Bild von dem Gang der Handlung.

Der entsandte Berichterstatter des »Reichs« hat von dem Tatort ein ausführliches Telegramm geschickt, aus dem Asbjörn Krag zitiert:

Der Chauffeur ist jetzt zum Bewußtsein gekommen und hat eine kurze Darstellung der unheimlichen, nächtlichen Ereignisse gegeben. Durch seine Aussage wird die Annahme der Polizei bestätigt, daß zwischen dem Einbruch bei dem Advokaten und dem Überfall auf den Chauffeur eine Verbindung besteht. Der Mordversuch ist nämlich von den beiden Banditen verübt worden! Man meint, daß es Polacken sind. Der Chauffeur erzählt, daß Advokat Gade ihn und das beschädigte Automobil ungefähr um 12 Uhr verließ. Die Reparatur des Autos nahm eine Stunde in Anspruch, so daß die Uhr annähernd eins war, als er damit fertig war. Der Chauffeur konnte indessen nicht weiterfahren, weil das Auto sich im Graben festgerannt hatte. Er wollte gerade zu Fuß zum Badeort gehen, um Hilfe zu holen, als in der Dunkelheit zwei Männer auf ihn zukamen. Er fand gleich, daß sie etwas Verdächtiges an sich hatten. Als sie aber vor den flammenden Laternen des Automobils stehen blieben, sprach er sie doch an und bat sie, ihm zu helfen. Nachdem sie einige Worte in einer ihm vollkommen fremden Sprache gewechselt hatten, sagte, der eine von ihnen, daß sie ihm zur Hand gehen wollten. Mit vereinten Kräften gelang es ihnen, das Auto aus dem Graben zu heben. Als der Chauffeur am Steuer Platz nehmen wollte, richtete der eine Mann die Frage an ihn:

»Ist das Auto jetzt wieder flott?«

»Ja, jetzt ist es wieder flott,« antwortete der Chauffeur.

»Wohin wollen Sie damit?« fragte der Mann weiter.

»Nur bis zum Badeort.«

»Fahren Sie nicht nach Kopenhagen zurück?«

»Nein, erst morgen.«

»Haben Sie nicht genug Benzin?«

»Doch, aber ich will heute nacht nicht mehr zurück.«

Da öffnete der eine der beiden ganz frech den Benzinbehälter und guckte hinein. »Ja,« sagte er, »ich sehe, daß genug Benzin für eine lange Tour da ist.«

Kaum hatte er dies gesagt, als er den Chauffeur beiseite schob und sich selbst ans Steuer setzte. Der andere Bandit nahm neben ihm Platz.

»Hören Sie mal, Freundchen,« sagte er, »Sie sind wohl so gütig, uns Ihren ausgezeichneten Wagen zu leihen.«

Der Chauffeur glaubte anfangs, daß es Scherz sei. Als der Mann aber wirklich das Steuer zu drehen begann, stellte er sich entschlossen vor das Auto hin. Der Mann gab nun einen Befehl in derselben unverständlichen Sprache und sagte dann mild und höflich:

»Freundchen, ich möchte Sie ungern belästigen, aber gehen Sie ein bißchen aus dem Weg!«

Dann weiß der Chauffeur nur noch, daß auf ihn geschossen wurde.

Der Korrespondent fährt in seinem Bericht fort: An den Automobilspuren auf dem feuchten Weg kann man sehen, daß das Auto mit großer Schnelligkeit und Sicherheit gefahren ist. Man kann es deutlich bis zu der Landstraße nach Hilleröd verfolgen. Hier vermengen sich die Spuren mit anderen. Man nimmt mit Bestimmtheit an, daß das Auto nach Kopenhagen gefahren ist und daß die Banditen sich in den Schlupfwinkeln des Polackenviertels in Sicherheit gebracht haben. Der Zustand des Chauffeurs ist günstiger, und der Arzt hat die beste Hoffnung, sein Leben zu retten.

Später gab ein Telegramm aus Korsör andere Aufklärungen: Das Automobil mit den beiden Banditen ist hier gewesen. Man hat es auf der Straße vor Korsör gefunden. Die Banditen haben den Versuch gemacht, den Wagen ins Wasser zu fahren, haben ihn aber schließlich am Strande stehen lassen müssen. Die Polizei ist den Verbrechern auf der Spur. Sie haben Billette für die Fähre nach Korsör gelöst und sind auf dem Wege nach Kiel. Die Polizei in Kiel ist benachrichtigt, und bei Ankunft der Fähre wird bewaffnete Schutzmannschaft zugegen sein. Dänische Polizisten folgen der Fähre mit einem schnellaufenden Motorboot. Wenn es dem Motorboot gelingt, die Fähre einzuholen, bevor sie den deutschen Hafen anläuft, wird die Verhaftung an Bord vor sich gehen, wodurch der Polizei alle Auslieferungsschwierigkeiten erspart bleiben.

Dieses Telegramm war um 1 Uhr nachts von Korsör abgeschickt. Die Redaktion mußte schließen, bevor die erwartete Meldung aus Kiel eingetroffen war.

Aber am nächsten Tage, zeitig des Morgens, kam ein Telegramm, das die Sachlage vollständig veränderte. Es war aus Kiel und lautete folgendermaßen:

Es ist dem dänischen Polizeiboot gelungen, die Fähre schon im Kieler Hafen einzuholen. Alle Passagiere wurden geweckt und eingehend untersucht; die beiden Banditen befanden sich nicht an Bord. Bei der Ankunft der Fähre in Kiel wurde ein verdächtiges Individuum, anscheinend ein Pole, in Verhör genommen, aber es glückte ihm bald sein Alibi nachzuweisen. Man muß darum als sicher annehmen, daß die beiden Banditen nicht auf der Fähre waren.

Aus Korsör wurde telegraphiert:

Die Mitteilung aus Kiel, daß die Verbrecher nicht auf der Fähre waren, ruft hier große Erregung hervor. Man glaubt, daß die gefährlichen Banditen sich noch hier aufhalten, und die Landbevölkerung der Umgebung ist sehr beunruhigt. Die Polizei entwickelt eine rastlose Tätigkeit.

Asbjörn Krags Zeitungsnachrichten schließen mit einem Ausschnitt aus der Tageszeitung »Politiken«, die einige Tage später erschien. Der Artikel trägt die Überschrift: »Befinden die Banditen sich noch immer in Dänemark?« Aus diesem Artikel ging hervor, daß die Polizei eine Woche auf die Verbrecher Jagd gemacht hatte, ohne die geringste Spur von ihnen zu entdecken. Die Zeitung nahm darum an, daß es den Verbrechern geglückt sei, ins Ausland zu entkommen, entweder über Kopenhagen oder über Jütland. Die Zeitung vermutete – und sie stützte ihre Vermutungen auf Aussprüche erfahrener Polizeileute – daß zwei Personen von so auffälligem Aussehen wie die beiden Strolche sich unmöglich solange in einer dichtbevölkerten Gegend verbergen könnten. Aus einer etwas späteren Zeitungsnotiz geht hervor, daß die Polizei ihre Arbeit als beendigt betrachtete und es vorläufig aufgegeben hatte, die beiden Verbrecher in Dänemark zu suchen. Merkwürdig ist darum die Notiz, die von Asbjörn Krags Hand hinzugefügt ist:

»Warum sucht die Polizei nicht in der Nähe des ›Hotels Trinacria‹?«

Indessen zeigte es sich, daß man die geistigen Fähigkeiten der beiden Verbrecher unterschätzt hatte. Sie waren in Wirklichkeit viel schlauer, als man angenommen hatte. Sie waren allerdings in Korsör gewesen, nachdem sie zuerst den Versuch gemacht hatten, das Automobil ins Meer zu fahren. In Korsör hatten sie den kleinen Trick benutzt, Billette für die Fähre zu lösen, um die Polizei irrezuführen. Sie waren morgens um 7 Uhr nach Korsör gekommen, hatten die Stadt aber mit einem andern Zug um 1/2 8 wieder verlassen. Um 9 Uhr, als gerade die Nachricht von ihren Taten in Kopenhagen bekannt wurde, spazierten sie auf der Östergade. Um 11 Uhr nahmen sie die Fähre nach Malmö. Nachmittags 1/2 3 waren sie in Helsingborg, eine halbe Stunde später in Helsingör. Und gegen Abend waren sie wieder in der Nähe des »Hotels Trinacria«. Was wollten sie dort, und warum hatten sie die kühne Rundfahrt ins Werk gesetzt?

Nun die Geschichte diesen Punkt der Entwicklung erreicht hat, beginnen Asbjörn Krags Aufzeichnungen sowohl ausführlicher wie rätselhafter zu werden. Fast hat es den Anschein, als ob gerade dieser unbestimmbare Zustand ihn am meisten interessiert hat – als ob er gerade hier die Erklärung der rätselhaften Umstände zu finden hoffte.

Es dauerte noch lange, bevor die dänische Polizei von der Reise der beiden Verbrecher von Korsör bis zum »Hotel Trinacria« Witterung bekam. Aber zwei Menschen gab es, die bereits am Tage nach der Rückkehr der beiden Banditen davon wußten – der eine war der Polizeileutnant Helmersen. Und man wird verstehen, wer der andere war, wenn man erfährt, daß der Polizeileutnant, zwei Tage nach dem Mordversuch, Frau Sonja und den Mann mit dem blauseidenen Halstuch im Gespräch antraf.

Seit dem sonderbaren Auftritt in der Nacht nach dem Erntefest hatte Frau Sonja sich nicht sehen lassen. Der Polizeileutnant war am nächsten Tag zum Frühstück gekommen, hatte es aber mit dem Advokaten allein einnehmen müssen, und dieser war so wortkarg und fast abweisend gewesen, daß der Polizeileutnant sich nicht ermutigt fühlte, seinen Besuch zu wiederholen. Als er ging, unterblieb eine neue Verabredung. Statt dessen spazierte der Polizeileutnant den ganzen Nachmittag am Strand und im Walde, von der schönen Frau träumend und übrigens in elendester Laune.

Gegen Abend lag das Meer schwer und still da. Kein Wind rührte sich. Die Luft war eisig, und darum kam die Dämmerung frühzeitig. Von einer eigenartigen Lust getrieben, sich das Geschehene nochmals zu vergegenwärtigen, ging der Polizeileutnant durch den dunklen Wald, wo er Frau Sonja zum erstenmal begegnet war. In Gedanken durchlebte er noch einmal die merkwürdigen Ereignisse dieses Nachmittags. Hier war er gegangen. Hier hatte er die Apachen zum erstenmal gesehen. Dort bei der Wegbiegung waren sie Frau Sonja entgegengetreten. Viel Sonderbares hatte sich seither ereignet. Frau Sonja hatte ihr scheues, geheimnisvolles Wesen entfaltet. Der Einbruch in der Villa des Advokaten hatte stattgefunden, der Mordversuch auf den Chauffeur und schließlich die kühne Flucht der Verbrecher.

Während der Polizeileutnant sich alles dies ins Gedächtnis zurückrief, war er plötzlich ganz in die Nähe der Wegbiegung gekommen. Als der gerade Weg sich vor ihm öffnete, sah er zwei Gestalten, die in eifrigem Gespräch unter einem der großen Bäume standen. Bei ihrem Anblick war der Polizeileutnant so überrascht, daß er fast aufgeschrien hätte.

Die beiden Menschen waren Frau Sonja und der Mann mit dem Halstuch.

 


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