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Sechzehntes Kapitel

Die letzte Begegnung

Dem Polizeileutnant fiel es. schwer, sich mit dem Gedanken zu versöhnen, daß er von Frau Sonja scheiden sollte. Aber nach ihrem letzten Gespräch begriff er, daß es keinen anderen Ausweg gab. Das letzte, was sie ihm gesagt hatte, waren diese Worte:

»Ich verlasse mich auf Sie; wenn Sie nicht reisen, machen sie vor allen Dingen mich unglücklich und sich selbst auch.«

So hatte er denn versprochen zu reisen und nicht mehr an die seltsame Zusammenkunft zu denken, d. h. er hatte es versprochen, aber er wußte, daß er es nicht halten konnte. Er meinte, daß das Erlebnis der letzten zwei Tage das Merkwürdigste sei, was ihm in seinem Leben passiert war, und er wußte, daß der Gedanke an Frau Sonja und ihre rätselhafte Vertraulichkeit mit dem furchtbaren Einbrecher ihn nie wieder verlassen würde. Bevor er es aber versprach, stellte er die Bedingung, daß er sie noch ein letztes Mal sehen dürfe. Dieses letzte Beisammensein aber sollte noch mehr Unruhe in sein Gemüt bringen, denn er empfing den bestimmten Eindruck, daß sich zwischen ihr und dem Apachen abermals etwas ereignet habe.

Er traf sie beim Fünfuhrtee im Palmengarten des Hotels. Sie hatte ihren Mann allein gelassen, der wieder angefangen hatte, sich für die Akten der weitläufigen Grundeigentümeraffäre zu interessieren.

»Sind Sie reisefertig?« fragte sie nervös.

»Ja,« antwortete er, »aber ich hoffe noch immer, daß Sie mir eine Aufforderung zukommen lassen, daß ich bleiben soll.«

»Das ist ganz unmöglich. Ich bestehe darauf, daß Sie fortreisen. Ich werde nicht ruhig, bevor ich Sie nicht wohlbehalten in Ihrem eigenen Lande weiß.«

Der Polizeileutnant betrachtete die junge Frau aufmerksam.

»Sie sehen so ängstlich und nervös aus,« sagte er, »ich bin überzeugt, daß wieder etwas vorgefallen ist.«

»Sie haben recht.«

»Was ist Ihnen zugestoßen?«

»Ich habe eine Drohung erhalten.«

Der Polizeileutnant schüttelte bedenklich den Kopf.

»Ich glaube, daß Sie sehr unglücklich sind,« sagte er. »Anstatt mich fortzuschicken, sollten Sie mich lieber als Ihren Beschützer hier behalten.«

Sie blickte ernst vor sich hin.

»Ja,« antwortete sie still, »Sie mögen recht haben. Vielleicht habe ich einen Freund und Beschützer nötig. Vorläufig aber würde jeder Freund, der versuchte, mich zu beschützen, sowohl sich wie mich in die größte Gefahr bringen. Nein, Sie müssen fortreisen, Sie müssen – außerdem liebe ich ja meinen Mann. Er ist stark und einflußreich und kann mich beschützen, wenn mir etwas zustößt. Er ist ja auch der Nächste dazu.«

»Haben Sie Ihrem Mann etwas erzählt?« fragte der Polizeileutnant.

»Nein, nichts von dem, was Sie gesehen haben. Nichts von meiner Zusammenkunft mit dem Apachen. Davon ahnt er nichts. Wie sollte er auch? Das Ganze ist ja so unglaublich, so unfaßbar. Aber er ist trotzdem so merkwürdig in diesen Tagen. Es ist, als ob er von einem heimlichen Kummer gequält würde. Ich glaube, er denkt noch immer an Ihr plötzliches Erscheinen in der Nacht während des Einbruchs. Auch darum ist es notwendig, daß Sie reisen. Aber ich will Sie dennoch um etwas bitten. Sie fragten mich neulich, als ich Sie sprach, ob Sie das Geschehene für immer vergessen sollten. Darauf antwortete ich: Ja, vergessen Sie es ganz und gar, denken Sie nie mehr daran! Aber möchte ich Sie doch bitten, es nicht zu vergessen.«

»Ich verstehe Sie nicht recht,« sagte der Polizeileutnant.

Ihre Augen füllten sich plötzlich mit Tränen, und sie stammelte leise:

»Sollten Sie jemals etwas über mich oder von mir hören, was Ihnen den bestimmten Eindruck gibt, daß ich in großer Gefahr sei, dann erlaube ich Ihnen, mir zu helfen. Aber dann müssen Sie schnell kommen, wenn Sie mir von Nutzen sein wollen.«

»Ich werde kommen,« antwortete der Polizeileutnant, »aber woher soll ich wissen, daß Sie in Gefahr sind, wenn Sie es mir nicht selbst mitteilen?«

Sie schüttelte ihren schönen Kopf.

»Ich weiß nicht,« antwortete sie, »das wird sich zeigen. Sie werden es vielleicht von selbst verstehen. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Bevor Sie sich aber nicht ganz klar darüber sind, daß ich in wirklicher Gefahr bin, dürfen Sie nichts unternehmen. Den Rest wollen wir dem Schicksal überlassen. Begleiten Sie mich bitte hinaus!«

Als sie ein Stück gegangen waren, blieb sie stehen und sagte:

»Weiter dürfen Sie nicht mitgehen.«

Sie gab ihm die Hand.

»Vielleicht sehen wir uns nie wieder,« sagte sie, »vielleicht sehen wir uns unter anderen und glücklicheren Verhältnissen wieder. Und vielleicht kann ich mich einst glücklich preisen, Sie wiederzusehen. Wer weiß! Die Wege des Lebens sind sonderbar.«

Er drückte ihre Hand und merkte, daß sie zitterte.

Die Kehle war ihm wie zugeschnürt. Schließlich murmelte er:

»Ich fühle solch tiefen Schmerz, daß ich ihm keinen Ausdruck zu geben vermag. Ich weiß, Frau Sonja, daß Ihnen Schlimmes bevorsteht, und würde Ihnen für mein Leben gern helfen. Aber ich bin machtlos, obgleich mir bewußt ist, daß ich in dieser Sache stark und mutig sein würde.«

Sie lächelte zu ihm auf – ein seltsames, fernes und zweifelndes Lächeln.

»Gewiß sind Sie mutig und stark,« sagte sie. »Wenn Sie aber dennoch im gegebenen Augenblick fühlen sollten, daß die Kräfte Sie verlassen, dann müssen Sie noch stärker werden.«

»Was meinen Sie damit?«

»Ich meine, daß ein Mensch schwächer ist als zwei.«

»Ich werde mich Ihrer Worte erinnern,« sagte der Polizeileutnant. Dann schieden sie.

Am selben Abend reiste Polizeileutnant Helmersen nach Christiania. In der darauffolgenden Zeit studierte er mit größter Aufmerksamkeit die dänischen Zeitungen. Hin und wieder fand er Advokat Aage Gades Namen und ersah daraus, daß die Familie in die Stadt gezogen sei. Der Advokat war noch immer von der großen Banksache in Anspruch genommen, es war häufig in den Zeitungen von ihm die Rede. Dagegen fand der Polizeileutnant nicht die geringste Spur von den beiden Apachen. Ein neues Verbrechen, das mit ihnen in Verbindung gebracht werden konnte, wurde nicht begangen und die Polizei fand keinen Anhaltspunkt, um das Mysterium aufzudecken. Der Mordversuch auf den Chauffeur war anscheinend zu dem großen Haufen von unaufgeklärten Verbrechen gelegt worden, den es in der Kriminalgeschichte eines jeden Landes gibt.

Wie ich bereits erzählt habe, war der sonst so selbstgefällige Polizeileutnant ernst und verschlossen von seiner Ferienreise zurückgekehrt. Diese Veränderung in seinem Wesen war so auffallend, daß seine Kollegen untereinander davon sprachen und mit zweideutigen Bemerkungen kamen. Sie meinten, daß er schließlich in die Falle gegangen sei, die er so oft andern gestellt hatte – daß er mit andern Worten verliebt, und zwar unglücklich verliebt sei. Zwischen denen, die sein verändertes Wesen bemerkten, war auch der Privatdetektiv Asbjörn Krag, der hin und wieder auf die Polizeibehörde kam. Krag machte eine Bemerkung hierüber zu dem Polizeileutnant, und der Polizeileutnant antwortete, daß ihm nichts zugestoßen sei.

Als Krag aber gegangen war, mußte er an die unglückliche Frau Sonja denken und er erinnerte sich ihrer letzten Worte, daß zwei Menschen stärker seien, als einer. Fast wünschte er, daß sich etwas ereignen möchte, damit er sich an den klugen und scharfsinnigen Detektiv wenden könne – sei es auch nur, um sich einen Rat von ihm geben zu lassen.

Zwei Monate vergingen. Der rote Herbst war im Begriff in winterliche Kälte überzugehen, als dem Polizeileutnant plötzlich eines Tages sein heimlicher Wunsch erfüllt wurde. Es ereignete sich etwas. Als der Polizeileutnant eines Morgens die »Abendpost« entfaltete, fand er in den Spalten ein Telegramm, das ihn aufs höchste interessierte. Es war ein Privattelegramm aus Kopenhagen, das berichtete, daß ein rätselhaftes Attentat auf Advokat Aage Gade verübt worden sei. Das Telegramm lautete folgendermaßen:

»Als der bekannte Advokat Aage Gade, der durch den Prozeß der Affäre der Grundeigentümerbank die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hat, gestern abend von seinem Kontor nach Hause ging, wurde ein Attentat auf ihn verübt. Nur einem zufälligen Umstand hat er es zu verdanken, daß er noch am Leben ist. Als er die Treppe zu seiner Wohnung hinaufging, lauerte ihm ein Mensch auf, der zwei Schüsse auf ihn abgab. Der erste Schuß ging fehl. Dadurch bekam der Advokat Zeit, sich auf den Verbrecher zu stürzen und ihm am Zielen zu verhindern. Der zweite Schuß streifte ihn nur am Hals. Der Verbrecher entfloh, und man hat seiner bisher nicht habhaft werden können. Die Polizei tut merkwürdig geheimnisvoll. Die Sache erscheint dem großen Publikum ganz unverständlich und mystisch.«

Als der Polizeileutnant dieses Telegramm gelesen hatte, ging er sofort zu Asbjörn Krag.

Der Polizeileutnant, der sehr erregt war, erzählte ihm alles.

»Ich glaube,« schloß der Polizeileutnant seine Erzählung, »daß zwischen diesem feigen Attentat und Frau Sonjas Geheimnis eine Verbindung besteht.« »Asbjörn Krag sagte nur:

»Vor allen Dingen müssen wir uns über eines Klarheit verschaffen. Wer ist eigentlich diese Frau Sonja?«

 


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