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Sechstes Kapitel

Das Erntefest

Es versteht sich von selbst, daß man in einem Badehotel wie diesem, wo so viele vergnügungssüchtige und elegante Menschen versammelt waren, jede Gelegenheit benutzte, um zu feiern.

Bei diesen Festen ging es sehr lebhaft zu. Die Gäste schrieben in die Hauptstadt nach ihren Gesellschaftstoiletten, und es wurde ein Luxus entfaltet, der den elegantesten Bällen in der Wintersaison nicht nachstand; hin und wieder gab es auch Maskeraden.

Darum war es begreiflich, daß man mit Freuden die Gelegenheit begriff, die Erntezeit mit einem Fest zu feiern. Auch die Bauern der Umgebung und die Bevölkerung des kleinen Dorfes pflegten dieses Fest zu feiern, und einige Tage vor dem 25. August konnte man an den Bäumen in der Nähe des Dorfes folgendes Plakat angeschlagen sehen:

Plakat

Dieses Plakat war mit gewöhnlichen Nägeln an den Bäumen festgemacht. Gleichzeitig konnte man an anderen augenfälligen Orten ein vornehm ausgestattetes Plakat folgenden Inhalts angeschlagen sehen:

Plakat

Nichts konnte den Abstand zwischen den beiden Bevölkerungsklassen besser bezeichnen, als diese beiden Plakate.

Auf der einen Seite das arbeitende Volk, das die Ernte feiern wollte, auf der andern Seite die Menge der Genußsüchtigen, die nur feierten, um sich zu amüsieren.

Bei einem Spaziergang wurden der Polizeileutnant und seine dänischen Freunde auf die Mitteilungen aufmerksam und bewunderten die Feinheit des vornehmen Plakats. Gleichzeitig kam dem Polizeileutnant die Erinnerung an seine erste Begegnung mit der schönen Frau Sonja. An jenem Tage war es ja gewesen, wo er das Schild im Dorf sah, das ihm erzählte, wo »Café Babylon«, der kleine schmutzige Dorfkrug, lag. Man einigte sich, das Fest im »Hotel Trinacria« zu besuchen und zeichnete gleich drei Billetts. Der Polizeileutnant benutzte die Gelegenheit, nach seinem Frack zu telegraphieren.

Was das Fest selbst betrifft, so sind Asbjörn Krags Notizen darüber sehr spärlich. Es scheint, daß er persönlich nicht das geringste Interesse für die Entfaltung gesellschaftlichen Lebens gehabt hat. Dagegen waren da einige anscheinend ganz gleichgültige Aufklärungen darüber, was Advokat Gade sich nach dem Fest vorgenommen hatte: »Er hob eine Lampe und leuchtete damit ...«

Wir wollen indessen dem Gang der Ereignisse nicht vorgreifen. Es scheint, daß sich während des eleganten und heiteren Festes ein etwas vertraulicheres Verhältnis zwischen Frau Sonja und dem Polizeileutnant entwickelt hat. Die schöne und lebhafte Dame mochte ihrem Drang sich zu amüsieren nachgegeben haben. Sie kam ja nicht viel unter Menschen. Sie verkehrte fast mit niemandem; nur wenige im Badeort kannten die fremdartig aussehende Dame mit den großen, tiefen und seltsam fernen Augen. Außerdem kann man wohl sagen, daß ihr Mann, ohne daß er sich selbst klar darüber war, sie bis zu einem gewissen Grade vernachlässigte. Er war ja beständig von seinen Reisen zur Stadt und seinen Geschäften in Anspruch genommen. Sie langweilte sich also. Darum war es ganz natürlich, daß dem Ehemann ihr ungewohnt lebhaftes Wesen an diesem Abend auffiel, und er war auch nicht blind dagegen, daß sein neuer norwegischer Freund von ihrer Schönheit und ihrem einnehmenden, eigentümlichen Wesen hingerissen war. Sollte sich bereits jetzt eine kleine Spur von Eifersucht in seinem Herzen gezeigt haben? In diesem Fall muß es ganz vorübergehend gewesen sein. Denn in seinem Benehmen gegen Helmersen war nichts davon zu merken. Die Situation war zu diesem Zeitpunkt folgende: Helmersen war bis über beide Ohren verliebt, der Advokat stutzte ein wenig, ein ganz klein wenig, und Frau Sonja flatterte ausgelassen und sorglos wie ein Schmetterling zwischen den beiden Männern hin und her.

Aus den Aufzeichnungen geht nicht hervor, zu welcher Nachtstunde ein Teil der Gesellschaft von »Hotel Trinacria« noch einen Abstecher ins »Café Babylon« machte. Um Mitternacht mag es gewesen sein, als Festglanz und Freude ihren Höhepunkt erreicht hatten. Es war ein französischer Legationssekretär, der den Einfall bekam. Er hatte das angenagelte Plakat gesehen und schlug vor, daß man sich zum Krug begeben wollte. Mit farbigen Lampions und leuchtenden Fackeln versehen, zog man dorthin, indem man den Weg durch den Wald zum Dorf einschlug. »Café Babylon« wurde mit übermütigem Gelächter gestürmt, und als man einige Goldstücke in die Kasse legte, wurden die neuen Gäste von den alten mit Begeisterung empfangen. Die Gesellschaft aus »Trinacria« tanzte jetzt lustig mit, zum Takt der prachtvollen doppelreihigen Ziehharmonika. Der französische Legationssekretär trat mit dem wohledlen Fräulein Walburg-Hansen, populär Valburg Ringelwurm genannt, zu einem kecken Menuett an, und der Krugwirt drehte gleichzeitig seine gewaltige Gestalt im Walzertakt mit einer hübschen jungen Schauspielerin vom Königlichen Theater.

Es herrschte allgemeine Festfreude, und alle waren hingerissen über den glänzenden Einfall. Das enge und niedrige Lokal war überfüllt von einem Publikum, das nicht ausgelassener und gemischter sein konnte.

Auch Frau Sonja war mit dem Polizeileutnant und ihrem Ehemann gekommen. Anfangs war sie entzückt und amüsierte sich wie eine der Frohesten. Plötzlich aber geschah etwas.

Der Polizeileutnant verwandte kein Auge von ihr, verliebt wie er war. Und da sieht er, daß sie mitten in einem Tanz aufhört und ihren Kavalier verläßt, indem sie sich in die dunkelste Ecke des Saales zurückzieht. Helmersen eilt herbei. Im Schein der blakenden Paraffinlampe sieht er, daß sie blaß geworden ist.

»Wir müssen fort von hier!«

»Warum? Sie amüsieren sich doch so großartig.«

Sie atmete schwer.

»Ich kann die Luft nicht vertragen,« flüsterte sie, »sie benimmt mir den Atem.«

Er bemerkte, daß sie furchtbar nervös, fast außer sich war. Aber er hatte das bestimmte Gefühl, daß sie log. Sie konnte ihre Erregung nicht verbergen, und unwillkürlich schweiften ihre Augen zu der entgegengesetzten Ecke des raucherfüllten Raumes. Hier saßen an einfachen Holztischen einige Menschen und tranken. Die meisten folgten aufmerksam dem lustigen Treiben. An einem Tisch aber saßen zwei Männer und beugten sich redend zueinander.

Diese Männer flüsterten und schienen ganz in ihr Gespräch vertieft zu sein. Der Lärm schien sie nichts anzugehen. Als Helmersen ihre Gesichter sah, durchfuhr es ihn: er erkannte sie sofort. Es waren der Mann mit dem blauseidenen Halstuch und sein Kamerad. In Frau Sonjas Augen aber war unverkennbare Angst.

»Lassen Sie uns gehen!«

Helmersen führte sie zum Ausgang. Unterwegs begegneten sie ihrem Mann. Der Advokat sah gleich, daß etwas nicht in Ordnung war.

»Bist du müde?« fragte er, indem er den Arm seiner Frau nahm.

»Ja,« antwortete sie, »ich bin müde, ich finde es hier auch nicht mehr amüsant. Diese Menschen lärmen zu sehr und trampeln so furchtbar beim Tanzen. Und dann die Luft. Ich will nach Hause.«

An der Tür warf der Polizeileutnant noch einen Blick zurück. Die beiden Männer saßen noch immer in ihr Gespräch vertieft. Es schien, als ob sie Frau Sonja und den Polizeileutnant gar nicht bemerkten. Oder verstanden sie es nur, ihre Beobachtungen zu verbergen?

Als Frau Sonja, von den beiden Herren begleitet, vor die Tür trat, erschauerte sie vor Kälte, obgleich die Augustnacht sehr warm, fast lau war. Das ist die Angst, dachte der Polizeileutnant; solch plötzliche Angst kann wie Kälte wirken.

Er begleitete das Paar bis zur Gartenpforte. Hier nahm er Abschied. Der Advokat und Frau Sonja gingen ins Haus, während der Polizeileutnant noch einen Spaziergang machte, stark beschäftigt mit dem, was er gesehen hatte. Aus der Ferne konnte er den hellen Lärm der Feste im »Hotel Trinacria« und im »Café Babylon« hören. Von ringsumher erklangen Gelächter und Geschrei. Es war wie eine Nacht mitten im Sommer. Feuer und Fackeln flammten hier und dort. Der Wanderer atmete den Duft der reifenden Natur, und sein Herz wurde von Wehmut bewegt, weil er die Gewißheit fühlte, daß er Frau Sonja liebte, und daß sie von einem Geheimnis gequält wurde, dessen Wesen er nicht kannte. Er hatte die Empfindung, daß sie von Gefahren umgeben sei.

Hier findet sich zwischen Asbjörn Krags Notizen folgende Zeile:

»Die drei verließen das Fest um 3 ½ Uhr. Zehn Minuten später gingen auch die beiden Apachen.«

Als der Advokat und seine Frau in ihre Villa kamen, klagte Sonja noch immer über Müdigkeit und wollte zu Bett gehen. Sie unterhielten sich noch etwas im Arbeitszimmer des Advokaten, und Frau Sonja legte ihre Juwelen in den großen Stahlschrank. Während sie noch dabei war, unterbrach der Advokat sich in einem Satz und blickte lauschend zum Fenster.

»Hörtest du etwas?« fragte er.

Sie sah ihn hastig an.

»Nein,« antwortete sie.

»Mich dünkt, ich hörte ein Knacken im Garten,« murmelte der Advokat, »aber es ist wohl nichts gewesen.«

Dann bekam er seinen gewöhnlichen Anfall von Arbeitseifer und begann seine Papiere zu studieren.

Frau Gade ging ins Nebenzimmer, wo sie die dunkelrote Ampel anzündete.

Nach einer Weile öffnete sie die Tür zu seinem Arbeitszimmer und fragte:

»Arbeitest du?«

»Ja, mein Kind,« antwortete er halb geistesabwesend.

Da schloß sie wieder die Tür.

Mit einem weiten gestickten Kimono bekleidet, legte sie sich auf den Diwan. Sie schlief nicht. Ihre Augen hatten einen träumenden Ausdruck.

Um diese Zeit saß der Polizeileutnant auf einer Bank am Meer und blickte über die gewaltige Fläche, die im ersten Frühlicht zu erröten begann.

Er dachte an sie.

Sie aber lag allein auf dem Diwan, unter dem dunkelroten Licht.

An wen dachte sie?

In seinem Arbeitszimmer saß der Advokat, die Hand unterm Kinn, in seine Papiere vertieft. Alles war still.

Asbjörn Krag fügt hier in seinen Notizen hinzu:

»Wo waren die beiden Apachen?«

 


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