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Dreiundzwanzigstes Kapitel

Das Haus im Walde

Asbjörn Krag wurde immer erstaunter, wie rasch ihm diesmal alles glückte. Er hatte noch keine größeren Anstrengungen gemacht, und alle Aufschlüsse, die er brauchte, fielen ihm in den Schoß. Das war ihm so ungewohnt, daß es ihn mißtrauisch machte. Einige Schwierigkeiten wären ihm lieber gewesen.

Nach allem hatte es den Anschein, als ob der Mörder sich keine Mühe gegeben hatte, seine Spuren zu verbergen. Von dem Augenblick, wo er aus der Badeanstalt entschlüpft war, konnte Asbjörn Krag ihn so leicht verfolgen, wie man in einem Buch blättert. Von der Badeanstalt zur Fähre, von der Fähre nach Malmö, von der Fährbrücke in Malmö zu dem kleinen »Hotel Hafnia«, vom Hotel zum Vermietungsbureau – aber wie weiter?

Es zeigte sich, daß es auch fernerhin keine Schwierigkeiten gab. Als Asbjörn Krag die Inhaberin des Vermietungsbureaus aufsuchte, war sie gleich bereit, ihm jede gewünschte Auskunft zu geben. Sie erinnerte sich noch sehr gut, daß vor einigen Wochen ein Mensch von ausländischem Typus dagewesen war, um eine kleine Villa vor der Stadt zu mieten. Krag forderte sie auf, diesen Mann näher zu beschreiben – und nach ihrer Schilderung konnte man nicht zweifeln, daß es der Mann mit dem seidenen Halstuch gewesen war. Ihre Beschreibung stimmte in allen Punkten mit der der Bedienung auf der Fähre und im Hotel überein. Der Mann mit dem Halstuch hatte nicht das Geringste getan, um sein Aussehen zu verändern.

Krag konnte sich diese merkwürdige Sorglosigkeit nur dadurch erklären, daß der Apache so sicher gewesen war, niemand werde ihn mit dem Mord in Verbindung bringen, daß er es nicht der Mühe für wert gehalten hatte, sein Tun und Treiben zu verbergen.

Im übrigen erfuhr er auf dem Vermietungsbureau, daß der seltsame Fremde gleich zugegriffen habe, als ihm eine kleine Villa bei der Landstation Söderviken, eine Stunde Eisenbahnfahrt von Malmö entfernt, angeboten worden war. Es schien ihm einerlei zu sein, was für eine Art Wohnung er bekam, wenn sie nur einsam gelegen war.

»Wollte er denn dort ganz allein wohnen?« fragte Krag.

»Ja, vorläufig wollte er dort ganz allein wohnen, aber in einigen Tagen erwartete er Besuch.«

Die Frau schlug in einem Buch nach und zeigte auf einen Namen.

»Sehen Sie, hier hat er sich eingeschrieben.«

Krag las einen merkwürdigen Namen.

Iwan Repin stand da. »Das ist ja russisch,« sagte Krag.

»Ja,« antwortete die Frau, »er sagte auch, daß er Russe sei. Er erzählte, daß er Sprachen studiere und darum Einsamkeit brauche. Ich aber dachte mir gleich mein Teil dabei.«

»Was haben Sie sich denn dabei gedacht?«

»Na, es war nicht schwer zu erraten, was für eine Sorte Mensch er war. Von denen gibt es ja so viele in Schweden.«

»Ich weiß noch immer nicht, was Sie meinen,« antwortete Krag.

»Ach, der arme Mensch,« sagte die Frau fast träumerisch, »er sah so jung und unglücklich aus. Auch ganz hübsch. Wahrscheinlich war er einer von den Landesverwiesenen. Wir wissen ja alle, wie es den jungen Menschen in Rußland geht, warum sollte man ihnen was in den Weg legen? Lieber möchte man ihnen helfen. Etwas anderes ist es natürlich, wenn man ausgefragt wird, dann hat man nicht das Recht, Aufklärungen zu verweigern.«

»Sie glauben also, daß dieser Fremde ein russischer Nihilist ist?«

»Ja, das glaube ich.«

»Und daß ich Polizeiagent bin?«

»Auf diese Frage möchte ich die Antwort schuldig bleiben.«

»Möglicherweise,« sagte Krag, »haben Sie damit das Richtige getroffen. Ich möchte gern mit dem Fremden sprechen, aber ich will nicht, daß irgendeiner erfährt, daß Jagd auf ihn gemacht wird.«

Die Frau versprach, daß sie kein Wort davon sagen wolle, und nachdem Krag die nötigen Wegangaben bekommen hatte, wie sie die kleine Villa in Söderviken erreichen konnten, verließ er das Kontor der redseligen Frau.

Seinem Kollegen in Kopenhagen hatte er gesagt, daß er im »Hotel Malberg« absteigen würde, und als er ins Hotel zurückkam, fand er dort einen Brief vor, den er mit größtem Interesse las, und der ihm allerhand zu denken gab.

Er war von dem dänischen Detektiv Boyesen, der ihm schon in Kopenhagen behilflich gewesen war. Der Brief hatte folgenden Wortlaut:

»Lieber Herr Krag. Da ich weiß, daß Sie sich so sehr für den traurigen Unglücksfall interessieren, durch den Frau Sonja Gade ihren Tod in den Wogen fand – ein Interesse, das ich übrigens nicht teile und mir auch gar nicht erklären kann – will ich nicht unterlassen, Ihnen etwas mitzuteilen, was die hiesige Polizei erfahren hat. Wie Sie wissen, ist Advokat Gade ein sehr vermögender Mann, und die Aufschlüsse, die ich erhalten habe, rücken die Begebenheit darum in ein höchst seltsames Licht. Niemand hat bisher gewußt, daß Frau Sonja einen besonderen Hang zu Luxus gehabt oder ungewöhnlich viel Geld verbraucht hat. Und doch zeigt es sich jetzt, daß sie hinter dem Rücken ihres Mannes merkwürdige Transaktionen gemacht hat, um bares Geld zu bekommen. Ein hiesiger Pfandverleiher hat der Polizei unter der Hand mitgeteilt, daß Frau Gade während des letzten halben Jahres Schmucksachen bei ihm für recht ansehnliche Geldbeträge versetzt hat. Jetzt fragen Sie vielleicht, mein lieber Krag, wie es zugehen konnte, daß sie ihre Schmucksachen ohne Wissen ihres Mannes versetzte. Sie hat sich in dieser Sache schlauer benommen, als man es einer Dame der Gesellschaft zutraut. Sie hat falsche Schmucksachen anfertigen lassen, die den echten genau glichen. Und während die echten in dem Pfandgeschäft lagen, hat sie bei den ersten Gesellschaften der Saison die falschen getragen. Was sagen Sie dazu? Ich weiß nicht, wie hoch der fragliche Betrag ist, nehme aber an, daß es mit Zinsen zehn- bis zwölftausend Kronen sein können. Das ist eine ganz hübsche Summe für ein halbes Jahr, nicht wahr, und das beste von allem ist, daß der Mann nichts davon ahnt. Tod und Teufel, wozu sie das Geld wohl gebraucht haben mag? Ob vielleicht doch etwas an dem Gerücht von Selbstmord dran sein sollte! Das ist also, was ich Ihnen mitteilen wollte, lieber Freund. Aufschlüsse, die die Polizei strenggenommen nichts angehen; darum bitte ich Sie, mit größter Diskretion davon Gebrauch zu machen. Ich hoffe, daß Sie sich in Schweden gut amüsieren.«

Diesen Brief las Asbjörn Krag seinem Freund, dem Polizeileutnant, vor, als sie sich im Zug nach Söderviken befanden.

»Aus diesem Brief geht hervor,« sagte er, »daß man jetzt in Kopenhagen Verdacht zu schöpfen beginnt, diese Affäre könnte dennoch irgend ein Geheimnis bergen. Ich hoffe daß die Polizei in Kopenhagen sich gut amüsiert.«

Der Polizeileutnant war über den Brief ganz entsetzt. »Er bestätigt, was ich befürchtete, daß die elenden Banditen Frau Sonja Geld abgepreßt haben. Zu etwas anderem hat sie das Geld keinesfalls gebraucht. Sie lebte ja verhältnismäßig still und bescheiden.«

Hierauf erwiderte Krag nichts, aber nach seiner zerstreuten Miene zu urteilen, schien ihn die Ansicht des Polizeileutnants nicht sonderlich zu interessieren. Im übrigen machte er während der einstündigen und langweiligen Reise nach Söderviken fast nicht den Mund auf.

Von Malmö hatte er eine Depesche an den Amtmann des Ortes geschickt, der sie jetzt am Bahnhof erwartete.

Im übrigen war es dunkel, als sie ankamen, so daß der Amtmann ihnen mit einer Laterne den Weg zum Amtmanns Hof zeigen mußte.

Er war sehr gespannt, zu erfahren, was die beiden Detektivs in diesen entlegenen Erdenwinkel führte. Krag teilte ihm so viel mit, wie er für notwendig hielt, und der Amtmann, der ein sehr verständiger Mann war und begriff, daß etwas heimlich gehalten werden sollte, fragte nicht weiter.

Als sie sagten, daß sie einem Russen namens Iwan Repin auf der Spur seien, konnte er ihnen gleich sagen, daß dieser Mann ihm bereits aufgefallen sei.

Die Villa, die der Russe gemietet hatte, lag ungefähr zwanzig Minuten von der Wohnung des Amtmanns entfernt. »Man kann ihm leicht,« sagte der Amtmann, »am nächsten Morgen einen Besuch machen.«

Dagegen aber protestierte Asbjörn Krag; er wollte sofort dorthin.

Der Amtmann war etwas erstaunt über diese Eile, erklärte sich aber bereit mitzugehen.

»Haben Sie eine Waffe bei sich?« fragte Krag.

Der Amtmann sah Krag erstaunt an.

»Waffe?« rief er aus, indem er seine gewaltige Gestalt aufrichtete. »Ich kann den Burschen mit meinen Händen in die Tasche stecken.«

»Ich bin nicht feige,« antwortete Krag ernst, »aber ich verlange, daß Sie eine Waffe mitnehmen.«

Der Amtmann steckte lachend einen geladenen Revolver in die Tasche, und dann begaben sich die drei Männer auf den Weg, um Sonja Gades Mörder aufzusuchen.

 


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