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Fünfter Abschnitt.
Worin sich zeigt, daß Tom die Auster geöffnet hat

»So, das hätten wir abgemacht, Tom«, sagte Herr Deane denselben Nachmittag, als sie in seinem Privatzimmer auf der Bank zusammen saßen; »nun hab' ich noch was andres mit Dir zu besprechen. Die nächsten Wochen wirst Du wohl viel im Rauch und Schmutz stecken, und da wird's Dir eine angenehme Erheiterung sein, wenn ich Dir eine gute Aussicht mit auf den Weg gebe.«

Mit mehr Gemüthsruhe als bei einer frühern Gelegenheit, die wir kennen, wartete Tom auf weitere Mittheilung, während der Onkel seine Dose heraus nahm und jede Nasenhälfte mit abgemessener Unparteilichkeit versorgte.

»Siehst Du, Tom«, sagte der Onkel endlich und legte sich im Sessel zurück, »heut zu Tage geht's rascher in der Welt als zu meiner Zeit, wo ich noch jung war. Vor vierzig Jahren, als ich noch so'n strammer Bursch war wie Du, da mußte man darauf gefaßt sein, seine besten Jahre an der Deichsel zu gehen, ehe man die Peitsche in die Hand kriegte. Die Webstühle gingen langsam, und die Moden änderten sich nicht so rasch; seinen Sonntagsrock hatte man volle sechs Jahre. Alles war damals auf einem beschränkteren Fuß, ich meine was Geschwindigkeit angeht. Der Dampf hat so'nen Unterschied gemacht in der Welt; jedes Rad dreht sich jetzt doppelt so schnell, und das Glücksrad dazu, wie Herr Stephan neulich beim Jahresessen bemerkte – er hat manchmal 'nen guten Treffer, wenn man bedenkt, daß er vom Geschäft nichts versteht. Ich will über die Veränderung nicht klagen wie viele Leute; Handel und Wandel öffnen einem die Augen, und wenn die Bevölkerung dichter wird, da muß der Mensch seinen Witz anstrengen zu nützlichen Erfindungen. Ich hab' auch mein Theil gethan, für einen gewöhnlichen Geschäftsmann genug, das weiß ich. 's hat mal einer gesagt, es sei 'ne schöne Sache, wenn einer zwei Kornähren wachsen ließe wo bisher nur eine wuchs, aber 's ist auch 'ne schöne Sache, den Handel und Wandel zu befördern und den Hungrigen das Korn zuzuführen. Und das ist unser Geschäft, und ich halte das für einen so ehrenvollen Beruf, wie ein Mensch nur haben kann.«

Tom wußte, die Sache, von der sein Onkel zu sprechen hatte, sei nicht eilig. Seit einigen Wochen hatte man gegen ihn Andeutungen fallen lassen, aus denen er schließen durfte, man werde ihm einen günstigen Vorschlag machen. Er war daher auch jetzt auf eine längere Auseinandersetzung über Handel und Wandel gefaßt, über Onkel Deane's persönliche Verdienste, die ihn in der Welt weiter gebracht hätten, und über die jungen Leute heut zu Tage, deren eigene Schuld es sei, wenn sie's nicht weiter brächten. Um so mehr war er überrascht, als der Onkel gleich darauf ihm gradezu die Frage stellte:

»Laß doch mal sehen, es sind ja jetzt wohl sieben Jahre, daß Du mich um eine Stelle batest – nicht wahr, Tom?«

»Ja, Onkel, ich bin jetzt dreiundzwanzig.«

»So? dreiundzwanzig – aber davon wollen wir lieber nicht reden; Du giltst für viel älter, und beim Geschäft kommt's sehr auf die Jahre an. Ich weiß noch recht gut, wie Du zu mir kamst; ich sah gleich, in Dir steckte was, und darum sprach ich Dir Muth ein. Und es freut mich, sagen zu können, daß ich Recht hatte. Natürlich war ich 'n bischen ängstlich bei Deiner Empfehlung, weil Du mein Neffe warst, aber es freut mich, Dir sagen zu können, daß Du mir Ehre gemacht hast, und wenn ich einen Sohn hätte, so sollt's mir recht sein, wenn er Dir gliche«. Dabei klopfte Onkel Deane auf seine Dose und öffnete sie und wiederholte mit einer gewissen Empfindung:

»Sollte mir wirklich recht sein, wenn er Dir gliche.«

»Ich freue mich, daß Du zufrieden bist, Onkel; ich habe mein möglichstes gethan«, erwiderte Tom mit seiner stolzen unabhängigen Art.

»Ja, Tom, ich bin mit Dir zufrieden. Ich spreche nicht davon, was Du als Sohn gethan hast, obschon das in meinen Augen schwer genug wiegt. Was mich als Kaufmann angeht ist, wie Du Dich als Kaufmann gemacht hast. Wir haben ein schönes Geschäft – ein glänzendes Geschäft, junger Herr, – und es ist nicht abzusehen, warum es sich nicht noch immer mehr ausdehnen sollte; unser Kapital wächst, unsre Verbindungen wachsen: fehlt nur eins, was bei jedem Geschäft nöthig ist, es mag groß oder klein sein, und das sind Leute, die das Geschäft führen – Leute vom rechten Schlage, nicht so 'ne flotte Jungens, sondern solide Leute, auf die man sich verlassen kann. Das sehen Herr Guest und ich klar genug. Vor drei Jahren haben wir Gell in's Geschäft genommen und ihm einen Antheil an der Oelmühle gegeben. Und weißt Du auch warum? Weil Gell ein Mensch ist, dessen Dienste eine solche Auszeichnung werth sind. So wird's immer sein, mein Junge. So war's mit mir auch. Und obschon Gell beinahe zehn Jahre älter ist als Du, für Dich sprechen noch andere Gründe.«

Tom wurde ein wenig nervös, als sein Onkel immer weiter sprach; er hatte selbst etwas auf dem Herzen, was seinem Onkel möglicherweise nicht angenehm war; er wollte nämlich was ganz neues vorschlagen und nicht etwa den Vorschlag annehmen, den er kommen sah.

»Es versteht sich von selbst«, fuhr der Onkel fort, nachdem er eine Prise genommen, – »es versteht sich von selbst, daß Dir die Verwandtschaft mit mir zu gute kommt, aber ich leugne nicht: wenn Du auch garnicht mit mir verwandt wärst, so würde doch Dein Benehmen in der Geschichte mit der Bank Herrn Guest und mich bestimmen, Dir unsern Dank für den geleisteten Dienst zu beweisen, und zusammen mit Deiner sonstigen Aufführung und Deiner Tüchtigkeit im Geschäft hat es uns veranlaßt, Dir einen Antheil am Geschäft zu geben – einen Antheil, den wir im Laufe der Zeit mit Freuden erhöhen werden. Alles in allem scheint uns das besser, als wenn wir Dein Gehalt erhöhten. Du erhältst dadurch eine angesehnere Stellung und gewöhnst Dich mit der Zeit, mir etwas von der Sorge der Verantwortlichkeit abzunehmen. Jetzt kann ich zwar noch mein gut Stück Arbeit thun, aber ich werde älter, das läßt sich nicht leugnen. Ich habe Herrn Guest versprochen, ich wollte Dir die Sache mittheilen, und wenn Du aus dem Norden zurückkommst, wollen wir die Einzelnheiten besprechen. Für einen jungen Menschen von dreiundzwanzig Jahren ist das was großes, aber Du hast's verdient, das muß ich sagen.«

»Ich bin Herrn Guest und Dir sehr dankbar, natürlich Dir am meisten, weil Du mich in's Geschäft eingeführt und Dir alle Zeit so viel Mühe mit mir gegeben hast.«

Tom sprach mit bebender Stimme und hielt inne, als er das gesagt hatte.

»Ja ja«, erwiderte der Onkel, »ich scheue keine Mühe, wo ich sehe, daß es was hilft; auch bei Gell hab' ich das gethan, sonst wär' er noch nicht so weit.«

»Aber mir liegt etwas am Herzen, Onkel, das möcht' ich Dir doch sagen. Bisher hab' ich Dir noch kein Wort davon gesagt. Wie Du Dich noch wohl erinnerst, wart ihr um die Zeit, wo Vater sein Vermögen verlor, halb und halb Willens, die Mühle zu kaufen. Ich weiß, Du hieltest es für kein schlechtes Geschäft, namentlich wenn Dampfkraft angewendet würde.«

»Gewiß, gewiß. Aber Wakem überbot uns; er hatte sich das mal vorgenommen. Er nimmt immer gern andern Leuten die Sache über dem Kopf weg.«

»Vielleicht nützt es nichts, daß ich die Sache jetzt zur Sprache bringe«, fuhr Tom fort, »aber ich möchte Dir doch gern sagen, was ich mit der Mühle vorhabe. Die Sache liegt mir sehr am Herzen. Es war der letzte Wunsch meines Vaters, daß ich die Mühle wieder an mich bringen sollte, sobald ich nur könnte; seit fünf Generationen hat unsere Familie darin gewohnt. Das habe ich Vater versprechen müssen und ich habe auch selbst eine besondere Anhänglichkeit an meine Heimath. Ich werde mich nirgend anders so wohl fühlen. Und wenn es jemals Deinen Ansichten entspräche, daß ihr die Mühle für's Geschäft kauftet, so würd' es mir viel leichter, Vaters Wunsch zu erfüllen. Nur ungern erwähn' ich diesen Plan, aber Du bist ja so gütig gewesen zu sagen, meine Dienste seien euch von Werth gewesen. Und wenn ich die Mühle wieder bekommen könnte, so gäb' ich jede andere noch so gute Aussicht auf; ich würde dann die Mühle selbst bewirthschaften und das Kaufgeld mit der Zeit abverdienen.«

Onkel Deane hatte aufmerksam zugehört und sah nachdenklich aus.

»Ja, ja«, sagte er nach kurzem Stillschweigen; »die Sache wäre nicht so unmöglich und die Geschichte ließe sich wohl machen, wenn nur einige Aussicht wäre, daß Wakem die Mühle verkauft. Aber die seh' ich noch nicht. Er hat seinen jungen Sausewind in die Mühle gesetzt, und hat gewiß seine Gründe gehabt, warum er sie kaufte, darauf kannst Du Dich verlassen.«

»'s ist ein rechter Galgenstrick, der Bastardjunge«, sagte Tom. »Er hat sich an's Trinken gegeben, und die Leute sagen, er vernachlässige das Geschäft ganz. Lukas hat's mir neulich erzählt, unser alter Müllerknecht. Er sagte, er bliebe da nicht länger, wenn's nicht anders würde. Ich glaube beinah, wenn die Dinge so weiter gehen, wird Wakem schon eher geneigt werden, die Mühle zu verkaufen. Lukas meinte, die Geschichte ginge ihm sehr im Kopfe 'rum, so schlecht ist die Wirthschaft.«

»Nun, ich will's mir überlegen, Tom. Erst muß ich mich erkundigen wie's steht, und dann will ich's mit Herrn Guest besprechen. Aber, siehst Du, 's ist eine ganz neue Branche, und wir müßten Dich hineinsetzen, statt Dich zu behalten wo Du jetzt bist.«

»O, Onkel, wenn die Sache mal erst recht im Zuge ist, dann nimmt die Mühle nicht meine ganze Zeit in Anspruch. Ich möchte recht viel zu thun haben. Das ist das einzige, wonach ich was frage.«

Es war etwas wehmüthiges in diesen Worten, für einen dreiundzwanzigjährigen Menschen, und selbst so'n Geschäftsmann wie Onkel Deane fühlte sich betroffen.

»Ih, Unsinn! bald nimmst Du 'ne Frau, wenn das mit Dir in der Welt so weiter geht. Aber was die Mühle betrifft, das ist jetzt noch so 'ne Taube auf dem Dache; indeß versprech' ich Dir, ich will dran denken, und wenn Du zurückkommst, reden wir weiter davon. Jetzt muß ich zu Tisch. Komm morgen früh zu uns zum Frühstück, und nimm vor der Reise von Mutter und Schwester Abschied.«


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