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Zweiter Abschnitt.
Tante Glegg erfährt, wie breit Bob's Daumen ist

Während die Kämpfe, welche Gretchen im Leben zu bestehen hatte, fast ausschließlich in ihrem Innern vorgingen, wo ein Geisterheer gegen das andre stritt und die Erschlagenen immer wieder sich erhoben, um weiter zu kämpfen, war Tom in einen staubigeren und geräuschvolleren Krieg verwickelt, wo er körperliche Hindernisse zu überwinden hatte und festere Eroberungen machte. So ist es immer gewesen seit den Zeiten der Hecuba und des rossebändigenden Hektors: innerhalb der Thore beten die Weiber mit aufgelöstem Haar und emporgehobenen Händen an den Altären, beobachten den Kampf der Welt von fern, und bringen ihre langen leeren Tage hin mit Erinnerung und Furcht; draußen die Männer im wilden Kampf mit Göttern und Menschen, alles Erinnern verlöschend unter ihrem Willen, im wilden Toben des Kampfes ohne Gefühl für Furcht und selbst für Wunden.

Nach dem, was wir bereits von Tom gesehen haben, wird ihn wohl niemand für einen jungen Mann halten, dem man Erfolglosigkeit prophezeihen dürfe, wo er selbst mit festem Willen auf Erfolg bedacht ist; vielmehr werden verständige Leute auf ihn wetten, obschon er in den klassischen Sprachen nur einen so geringen Erfolg gehabt hat. Denn auf diesem Gebiet hatte Tom nie nach Erfolg verlangt, und wenn man Dummheit zur schönsten Blüthe bringen will, so ist das allerprobateste Mittel, den Geist mit einer Masse Geschichten zu überschwemmen, für die er sich nicht interessirt. Aber jetzt faßte Tom's starker Wille alles zusammen, was ihm zur Hand war – seine Ehrlichkeit, seinen Stolz, sein häusliches Unglück und seinen persönlichen Ehrgeiz, einigte sie in einen Strom von Kraft und überwand so alle Schwierigkeiten. Onkel Deane, der ihn genau beobachtete, faßte bald Vertrauen zu ihm und wurde förmlich stolz darauf, daß er dem Geschäft einen Neffen zugeführt habe, der aus so gutem kaufmännischen Stoffe gemacht zu sein schien. Daß er ihn aus wirklicher Freundlichkeit zuerst im Packhause angestellt hatte, wurde Tom bald aus den Andeutungen klar, die der Onkel hinwarf, daß man ihm nach einiger Zeit vielleicht gewisse Geschäftsreisen anvertrauen werde, auf denen er Ankäufe in einigen gewöhnlichen Artikeln zu machen habe, mit deren Aufzählung ich seine Ohren hier nicht belästigen will, und diesen Plan hatte unzweifelhaft der Onkel auch im Auge, wenn er an gewissen Tagen, wo niemand zu Tische bei ihm war, Tom zu sich herein nöthigte und ihn da eine Stunde lang über Ausfuhr- und Einfuhrartikel belehrte und ausfragte, und wohl auch einen erst später nutzbar zu machenden Vortrag anknüpfte, was es für die Kaufleute von St. Ogg für oder gegen sich habe, ihre Waaren in eigenen oder fremden Schiffen einzuführen – eine Frage, worüber Onkel Deane als Schiffseigenthümer natürlich die lichtvollsten Bemerkungen machte, wenn er vom Reden und Weintrinken warm wurde. Gleich im zweiten Jahre wurde Tom's Gehalt erhöht; aber außer dem wenigen, was er für Essen und Kleidung brauchte, wanderte alles zu seinem Vater in die Blechbüchse, und er vermied neue Bekanntschaften, damit sie ihn nicht wider Willen zu Ausgaben verleiteten. Dabei ward Tom nicht entfernt ein Philister; er hatte eine sehr starke Neigung zu den Freuden dieser Welt, wäre gern Pferdezüchter gewesen und hätte eine hervorragende Rolle in der Nachbarschaft gespielt, mit verständiger Liberalität Feste gegeben und Wohlthaten ausgetheilt, kurz am liebsten für einen der nettsten Leute der ganzen Gegend gegolten; ja, er war entschlossen, es früher oder später wirklich dahin zu bringen; aber seine praktische Klugheit sagte ihm, die Mittel dazu lägen für ihn nur in augenblicklicher Enthaltsamkeit und Selbstverleugnung; er müsse erst viele Meilensteine weiter sein, und einer davon trage die Inschrift: Bezahlung der väterlichen Schulden. Da er hierüber mal seinen Entschluß gefaßt hatte, schritt er unablässig auf seinem Wege weiter, mit jenem etwas übertriebenen Ernst, der jungen Leuten eigen zu sein pflegt, die früh auf eignen Füßen stehen müssen. Mit seinem Vater theilte Tom den Familienstolz und machte mit ihm insofern gemeinsame Sache, als er entschlossen war, seine Sohnespflicht auf's strengste zu erfüllen, aber mit zunehmender Erfahrung mußte er im stillen die Unüberlegtheit und Unklugheit in dem früheren Verfahren des Vaters vielfach tadeln; ihre Stimmungen waren durchaus verschieden, und in den wenigen Stunden, die er zu Hause zubrachte, strahlte Tom's Gesicht nicht grade vor Vergnügen. Gleichen war förmlich bange vor ihm; sie kämpfte dagegen an als gegen eine Ungerechtigkeit, da sie ja seine tieferen Gründe und weiter gehenden Pläne kannte, aber sie kämpfte vergeblich. Ein Charakter, der übereinstimmt mit sich selbst, der genau das thut, was er will, jeden widerstrebenden Trieb bewältigt und nichts im Auge hat, als das offenbar mögliche – ein solcher Charakter ist stark, selbst in seiner Negation.

Wie man sich leicht denken kann, war Tom's immer deutlicher hervortretende Verschiedenheit von seinem Vater durchaus geeignet, die Tanten und Onkel für ihn einzunehmen, und Onkel Deane's günstige Berichte und Voraussagungen an Onkel Glegg über Tom's geschäftliche Befähigung wurden allmälich unter ihnen vielfach besprochen und fanden die verschiedenartigste Aufnahme. Er versprach, der Familie Ehre zu machen, so schien es, und keine Kosten und Sorgen. Tante Pullet meinte, sie habe sich immer gedacht, Tom's vortreffliche Gesichtsfarbe, so ganz die der Dodsons, gewähre eine sichere Bürgschaft, daß er sich gut machen werde, und seine jugendlichen Verirrungen, wie z. B. die Jagd auf den Pfau und sein Mangel an Achtung vor den Tanten, bewiesen nur einen Zusatz von Tulliverschem Blut, den er jetzt hoffentlich verwachsen habe. Onkel Glegg hatte schon seit dem muthigen und verständigen Auftreten Tom's bei der Pfändung eine vorsichtige Vorliebe für ihn gefaßt und verstieg sich jetzt zu dem Entschlusse einer freundlichen Beihülfe – wenn es sich mal so machte nämlich und eine Gelegenheit sich böte, es recht sicher und ohne Gefahr von Verlust zu thun; aber Tante Glegg bemerkte, sie spreche nicht gern ohne Grund wie gewisse Leute, und wer am wenigsten sage, dessen Rede bewähre sich am meisten, und wenn der rechte Augenblick komme, dann werde es sich schon zeigen, wer mehr thun könne als schwatzen. Onkel Pullet überlegte sich die Sache mehrere Bonbons lang schweigend und kam dann zu dem Schlusse, wenn ein junger Mensch sich gut zu machen verspreche, so sei es am besten, ihn ganz ruhig gewähren zu lassen.

Inzwischen hatte Tom keine Neigung gezeigt, sich auf jemand anders zu verlassen als auf sich selbst, obschon er mit einer natürlichen Empfänglichkeit für alle Beweise von guter Meinung sich freute, daß Onkel Glegg ihm in den Geschäftsstunden bisweilen freundlich zusah und ihn sogar zu Tisch lud. Aber ungefähr vor einem Jahre hatte Tom Veranlassung gefunden, die freundliche Gesinnung seines Onkel Glegg ernstlich auf die Probe zu stellen.

Eines Abends als er aus der Stadt nach Hause ging, erwartete ihn auf der Brücke des Floß Bob Jakin, der selten von einer seiner Rundreisen zurückkehrte, ohne Gretchen und Tom aufzusuchen. Bob nahm sich die Freiheit, den jungen Herrn zu fragen, ob er niemals dran gedacht habe, sich mit Geschäften auf eigene Rechnung Geld zu verdienen. Geschäfte auf eigene Rechnung? Tom wünschte zu wissen wie. Nun, indem er Waaren mit nach dem Auslande schickte; Bob hatte einen genauen Freund, der wohl so'n kleines Geschäft für ihn machte und gewiß auch Herrn Tom gern zu denselben Bedingungen bediente.

Tom hatte sofort Sinn dafür und bat um nähere Erklärung; er wunderte sich förmlich, daß er nicht selbst schon früher daran gedacht hätte. Die Aussicht auf eine Spekulation, die das langsame Addiren in ein beschleunigtes Multipliziren verwandeln könnte, freute ihn so, daß er sich sofort vornahm, die Sache mit seinem Vater zu besprechen und nach erlangter Einwilligung einen Theil der Ersparnisse in der Blechbüchse zum Ankauf einiger Waaren zu verwenden. Am liebsten hätte er den Vater gar nicht gefragt, aber er hatte grade seinen letzten Vierteljahrsgehalt für die Blechbüchse hergegeben, und das war seine einzige Quelle. Alle Ersparnisse waren in der Blechbüchse; der alte Tulliver wollte nichts davon wissen, sein Geld auf Zinsen zu geben, aus Furcht es zu verlieren. Seit er einmal unglücklich in Korn spekulirt hatte, mußte er das Geld fortwährend unter Augen haben.

Als Tom den Abend mit seinem Vater am Kaminfeuer saß, fing er vorsichtig von der Sache an zu sprechen, und der Alte hörte ihm zu, indem er sich im Lehnstuhl vornüber beugte und mit bedenklichem Blick seinen Sohn ansah. Sein erster Gedanke war, Tom's Bitte rundweg abzuschlagen, aber er hatte vor Tom einen gewissen Respekt, und seit er sich bewußt war, ein unglücklicher Mann zu sein, hatte er etwas von seiner alten Befehlshaberei und Oberherrlichkeit verloren. Er nahm den Schlüssel des Schreibsekretärs aus der Tasche, holte den Schlüssel zur großen Kiste und nahm die Blechbüchse heraus, so langsam als suche er den schmerzlichen Augenblick des Abschieds möglichst lange zu verschieben. Dann setzte er sich an den Tisch und öffnete die Büchse mit dem kleinen Schlüssel, mit dem er in jedem müßigen Augenblicke spielte. Da waren sie, die schmutzigen Banknoten und die blanken Goldstücke, und er zählte sie auf den Tisch – nur hundert und sechszehn Pfund in zwei Jahren, nach all dem Knickern und Knausern.

»Wieviel willst Du denn haben?« fragte er, und die Worte schienen ihm auf den Lippen zu brennen.

»Wie wär's, wenn ich mit den sechs und dreißig Pfund anfinge?« entgegnete Tom.

Der Vater legte diese Summe besonders, hielt die Hand darüber und sagte:

»'s ist grade so viel, wie ich von meinem Lohne in einem Jahre zurücklegen kann.«

»Jawohl, Vater, es geht so langsam mit dem Sparen, wenn man nur so wenig verdient wie wir, und bei meinem Plane könnten wir unsre Ersparnisse verdoppeln.«

»Ja freilich, mein Junge«, sagte der Vater und hielt noch immer die Hand auf dem Gelde, »aber das Geld kann auch verloren gehen – ein Jahr von meinem Leben verloren, und ich habe nicht viel mehr zu verlieren.«

Tom schwieg.

»Und Du weißt, ich möchte mit den ersten hundert Pfund noch keine Abzahlung machen, ich muß es erst in einem Klumpen zusammen haben, und wenn ich's mit Augen sehe, dann ist's mir sicher. Auf's Glück mußt Du Dich nicht verlassen; das ist immer gegen mich. Der Teufel hat das Glück in der Hand, und wenn ich ein Jahr verliere, das krieg' ich nicht wieder; eher holt mich der Tod ein.«

Die Stimme des Vaters bebte bei diesen Worten; Tom schwieg einige Minuten und sagte dann:

»Ich will's aufgeben, da Du so sehr dagegen bist.«

Doch verzichtete er nicht ganz auf seinen Plan und nahm sich vor, Onkel Glegg um zwanzig Pfund zu diesem Behuf zu bitten, natürlich gegen Zinsen und einen Antheil am Gewinn. Das war doch wirklich keine große Bitte. Als daher Bob am folgenden Tage im Packhause anfragte, wie er sich entschlossen habe, schlug Tom vor, sie wollten zusammen zu Onkel Glegg gehen, um die Sache einzuleiten; denn sein mißtrauischer Stolz lastete auf ihm, und er fühlte, Bob's geläufige Zunge werde ihm aus der Verlegenheit helfen.

In der angenehmen Nachmittagsstunde eines heißen Augusttages – um ganz genau zu sein, gegen vier Uhr, – zählte Onkel Glegg natürlich das Obst an seinen Spalierbäumen, um sich zu vergewissern, die Gesammtsumme sei noch dieselbe wie gestern. So traf ihn Tom mit seiner in Onkel Glegg's Augen sehr bedenklichen Gesellschaft, nämlich einem Menschen mit einem Packen auf dem Rücken – denn Bob war zu einer neuen Rundreise gerüstet – und einem großen zottigen Dachshunde, der langsam von einer Seite zur andern watschelte und mit einer ingrimmigen Gleichgültigkeit aus den Augen sah, unter der sich die allerschlimmsten Absichten verbergen konnten. Diese verdächtigen Einzelheiten sah Herr Glegg durch seine Brille, deren er sich bei dem wichtigen Geschäfte des Obstzählens bediente, zum Erschrecken klar.

»Oho! haltet den Hund zurück, hört ihr?« rief er aus, indem er eine Stange ergriff und sie vor sich hielt, als die fremden Gäste ihm auf drei Schritt nahe gekommen waren.

»Pack' Dich, Mumps«, sagte Bob und stieß ihn mit dem Fuße. »Er ist so sanft wie'n Lamm« – eine Bemerkung, welche Mumps durch ein leises Knurren bestätigte, indem er sich hinter seinen Herrn zurückzog.

»Nun, was bedeutet das, Tom?« fragte Glegg; »bringst Du mir Nachricht von den Spitzbuben, die mir neulich die Bäume abgeschnitten haben?« Wenn Bob als Angeber kam, so ließ sich Glegg die außergewöhnliche Erscheinung schon gefallen.

»Nein, Onkel«, erwiderte Tom, »ich bin blos gekommen, um mit Dir wegen eines kleinen Geschäfts für mich selbst zu sprechen.«

»Gut, gut, aber was hat denn der Hund damit zu thun?« fragte der alte Herr etwas besänftigt.

Bob war auf dem Posten und antwortete: »'s ist mein Hund, Herr. Un' was das Geschäft angeht, da hab' ich Herrn Tom auf gebracht, denn Herr Tom ist immer sehr freundlich gegen mich gewesen von Kindesbeinen an, als ich noch für den alten Herrn die Vögel scheuchte; damit hab' ich angefangen. Un' wenn mir jetzt was vorkommt, wobei sich'n Geschäft machen läßt, denn denk' ich immer, ob da nicht auch für Herrn Tom was bei zu machen wäre. Un's ist 'ne rechte himmelschreiende Schande, wenn er'n bischen Geld verdienen kann mit Waaren nach auswärts – zehn oder zwölf Prozent reiner Gewinn nach Abzug von allen Kosten – un' er kann das Geschäft nicht machen, weil er kein Geld hat. Un' noch dazu die feinen Manufakturwaaren – herrje, die sind wie gemacht, wenn einer was nach auswärts schicken will, so leicht und nehmen gar keinen Platz weg – zwanzig Pfund zusammen, das ist wie garnichts, man sieht's kaum, und die Leute sind reinweg wie närrisch auf die Waaren, darum finden sie gewiß Abnehmer. Und ich würde selbst hingehen un' den Einkauf besorgen, für Herrn Tom so gut wie für mich. Un' der Steuermann von dem Schiffe will's mitnehmen, ich kenn'n ganz genau, er ist zuverlässig, und seine Familie wohnt hier in der Stadt. Salt heißt er, und er ist auch gesalzen und gepfeffert, un' wenn Sie's mir nicht glauben wollen, dann kann ich Sie zu ihm führen.«

Mit offenem Munde stand Onkel Glegg vor diesem ungenirten Redefluß, mit welchem seine Auffassung kaum Schritt halten konnte. Er sah sich den Redner an, erst über die Brille weg, dann durch die Brille, dann wieder drüber her, so daß Tom schon beinahe wünschte, er hätte diesen seltsamen Fürsprecher garnicht mitgebracht; Bob's Geschwätz erschien durchaus nicht so harmlos wie sonst, da noch ein Dritter dabei war.

»Ihr scheint ein geriebener Bursche«, sagte der Onkel endlich.

»Ja wohl, Herr, da haben Sie Recht«, erwiderte Bob und nickte seitwärts mit dem Kopfe; »ich glaube, in meinem Kopfe da lebt's inwendig wie in 'nem alten Käse, ich stecke ganz voll Pläne, einer purzelt immer über den andern. Wenn ich Mumps nich' hätte und mit ihm redete, dann würde mir der Kopf zu schwer un' ich kriegte den Schlag. Ich glaube, 's kommt davon, daß ich nich' viel zur Schule gewesen bin. Das halt' ich meiner alten Mutter immer vor. Ich sage ihr, Du hätt'st mich'n bischen mehr nach der Schule schicken sollen, sag' ich, denn könnt' ich jetzt Bücher lesen wie garnichts und hätte den Kopf nicht so voll. O, meiner alten Mutter geht's jetzt recht gut; sie hat ihr geschmortes Fleisch und Kartoffeln so oft sie will. Ich weiß mit dem Gelde garnicht mehr wohin, ich muß mir 'ne Frau nehmen, die's unter die Leute bringt. Aber's ist lästig, so 'ne Frau, un' Mumps hat vielleicht was dagegen.«

Onkel Glegg, der sich selbst für 'nen lustigen Mann hielt, seit er sich vom Geschäft zurückgezogen hatte, fand Bob allmälich sehr unterhaltend, aber er hatte noch eine tadelnde Bemerkung zu machen und blieb daher ernsthaft.

»Aha«, sagte er, »das glaub' ich wohl, daß Ihr mit Eurem Gelde nicht wißt wohin, sonst hieltet Ihr nicht so 'nen großen Hund, der so viel frißt wie zwei Christenmenschen. 's ist 'ne Schande, 'ne wahre Sünde und Schande!« Aber er sagte das mehr betrübt als ärgerlich, und fügte rasch hinzu:

»Doch jetzt vom Geschäft, Tom. Du wirst wohl etwas haben wollen zum ersten Anfang. Aber wo ist denn Dein eignes Geld? Du verbringst doch nicht alles, he?«

»Nein, Onkel«, sagte Tom erröthend, »aber Vater will's nicht gern riskiren, und ich mag ihn nicht drängen. Wenn ich zwanzig oder dreißig Pfund für den Anfang kriegte, so könnte ich fünf Prozent Zinsen geben, und dann bekäm' ich allmälich ein kleines Kapital und brauchte nichts mehr zu leihen.«

»Ja, ja«, sagte der Onkel zustimmend, »das ist nicht so übel und ich will auch nicht sagen, daß ich Dir nicht helfen will. Aber ich muß mir doch mal erst den Salt ansehen. Und dann … Dein Freund hier, der den Einkauf für Dich besorgen will … könnt Ihr denn Sicherheit stellen, wenn man Euch das Geld in die Hand giebt?« fragte der vorsichtige alte Herr, indem er Bob über die Brille ansah.

»Das ist wohl nicht nöthig, Onkel«, sagte Tom, »wenigstens für mich nicht, weil ich Bob gut kenne; aber daß Du sicher gestellt wirst, ist nicht mehr als billig.«

»Ihr habt wohl Euren Gewinn beim Einkauf, nicht wahr?« sagte der Onkel und sah wieder Bob an.

»Nein, Herr«, erwiderte dieser entrüstet; »wenn ich Herrn Tom einen Apfel zuwende, dann will ich nicht selbst abbeißen. Wenn ich mal einen anführe, denn kommt's ganz anders.«

»Ei, aber 's ist doch nicht mehr als billig, daß Ihr etwas dabei verdient«, sagte Glegg. »Ich halte nicht viel von Geschäften, wo Leute was umsonst thun; 's sieht immer bös aus.«

»Na«, erwiderte Bob, dessen Scharfblick sofort erkannte, um was es sich handelte, »denn will ich Ihnen sagen was ich davon habe; am letzten Ende ist's doch so gut wie baar Geld: 's giebt mir'n Ansehen, wenn ich so viel auf einmal kaufe. Darum thu' ich's. Ja, ich bin klug genug, das können Sie glauben.«

»Glegg, Glegg«, rief hier eine rauhe Stimme aus dem offenen Fenster des Wohnzimmers, »wirst Du endlich zum Thee kommen? Oder willst Du draußen stehen und mit so'nem Vagabunden von Hausirer sprechen, bis man Dich bei hellem Tageslichte umbringt?«

»Umbringt?« erwiderte der Mann; »was denkst Du Dir, Frau? Dein Neffe Tom ist da, wir sprechen von Geschäften.«

»Umbringt – ja wohl umbringt – 's ist noch nicht so lange her, daß ein Hausirer eine junge Frau an einem abgelegenen Orte umgebracht hat, und ihr 'nen Fingerhut stahl und die Leiche in einen Graben warf.«

»Nein, nein«, sagte der Mann beruhigend, »Du denkst an den Mann ohne Beine, der mit dem Hundekarren fuhr.«

»Na, das ist einerlei, aber Du mußt mir immer widersprechen, und wenn mein Neffe von Geschäften zu reden hat, dann wär's wohl passender, Du brächtest ihn in's Haus, damit seine Tante doch auch was davon hört, statt daß ihr so heimlich flüstert und eure Anschläge im Stillen macht.«

»Gut, gut«, erwiderte der Mann, »wir kommen schon.«

»Ihr könnt gehen«, rief die Dame mit so lauter Stimme Bob zu, wie es dem moralischen, wenn auch nicht dem räumlichen Abstande zwischen ihnen entsprach. »Wir brauchen nichts. Ich handle nicht mit Hausirern, und daß Ihr ja die Gartenthür hinter Euch zumacht!«

»Halt, nicht so rasch«, sagte der Mann; »ich bin mit dem Burschen noch nicht fertig. Komm herein, Tom, komm herein«, und damit führte er ihn in die Glasthür.

»Hör' mal«, sagte Frau Glegg in ihrem verhängnißvollsten Tone, »wenn Du wirklich diesen Menschen und seinen Hund hier vor meinen eigenen Augen auf meinen Teppich bringen willst, dann sei so gütig und laß mich's wissen. So viel Recht wird eine Frau wohl noch haben, das zu verlangen.«

»Beunruhigen Sie sich nicht, Madam«, sagte Bob und faßte an die Mütze; er sah sofort, Frau Glegg sei für ihn ein gefunden Fressen, und er bekam Appetit; »wir wollen hier draußen im Wege stehen bleiben, Mumps und ich. Mumps kennt seine Leute, das können Sie glauben. Ich könnte ihn 'ne ganze Stunde hetzen, und so 'ner anständigen Frau wie Sie thät' er doch nichts. Wie der sich drauf versteht, was hübsche Frauen sind, das ist ganz wundervoll, und 'ne gute Figur, die hat er besonders gern. Herrjes!« fügte er hinzu und legte seinen Packen auf den Kiesweg, »'s ist jammerschade, daß so'ne Dame wie Sie nicht mit Hausirern handelt, und lieber in so 'nen neumodischen Laden geht, wo'n halb Dutz junge Herren sind, die mit dem Kinn in 'ner steifen Halsbinde stecken, daß sie aussehen wie Flaschen mit feinen Stöpseln, und die wollen alle von dem bischen Cattun leben: natürlich müssen Sie da dreimal soviel bezahlen, wie bei 'nem Hausirer, der keine Ladenmiethe zu geben braucht, un' sich den Hals nicht so fest zuzuschnüren braucht, daß ihm die Lügen von selbst zum Halse 'rauskommen, er mag wollen oder nicht. Aber Du meine Zeit, Madam, das wissen Sie gewiß besser als ich; Sie werden gewiß mit den Kaufleuten fertig, da ist mir nicht bange.«

»Jawohl, das glaub' ich, und mit den Hausirern auch«, bemerkte Frau Glegg, als wollte sie sagen, Bob's Schmeichelei habe auf sie nicht den geringsten Eindruck gemacht, während ihr Mann, der mit gespreizten Beinen und die Hände in den Hosentaschen hinter ihr stand, vor Freude lächelte und mit den Augen blinzte, weil seine Frau sich doch wahrscheinlich fangen ließ.

»O, das glaub' ich, Madam«, meinte Bob; »Sie müssen ja schrecklich viel mit Hausirern gehandelt haben, als Sie noch ein junges Mädchen waren, ehe der Herr hier das Glück hatte, Sie kennen zu lernen. Ich weiß, wo Sie damals wohnten, ja, recht gut; hab' das Haus oft genug gesehen, dahinten nahe beim Schlosse, 's ist'n massives Haus mit 'ner Treppe davor …«

»Ei, das ist wahr«, sagte Frau Glegg und schenkte Thee ein. »Ihr kennt also meine Familie … seid Ihr verwandt mit dem Hausirer, der auf einem Auge schielte und uns immer das irländische Leinen brachte?«

»Na, sehn Sie mal an«, sagte Bob ausweichend; »hab' ich mir nicht gedacht, daß die besten Geschäfte, die Sie in Ihrem Leben gemacht haben, mit Hausirern gewesen sind? Un' wenn einer auch schielt, is'r immer noch besser als so'n Ladenschwung der gradaus guckt. Du meine Zeit, wenn ich mal so glücklich wäre, mit meinem Packen an ein massives Haus zu kommen, und die hübschen jungen Damen auf der steinernen Treppe alle um mich 'rumständen, denn verlohnt' es noch der Mühe, den Packen aufzumachen, das wär'n Geschäft. Heutzutage spricht ein Hausirer blos bei armen Leuten vor, außer wenn er mal was an'n Dienstmädchen verkauft. Schlechte Zeiten heutzutage. Sehn Sie sich blos mal den gedruckten Kattun an, Madam, und wie das früher war, als Sie noch Kattunkleider trugen – ih, jetzt zögen Sie ja sowas garnicht an, das seh' ich schon. Was Sie kaufen, das muß erste Sorte sein, so was, was sich so gut hält wie Ihr eigenes Gesicht.«

»Ja wohl, bessere Sorte, als Ihr sie führt; das einzige was Ihr von erster Sorte habt, das ist Eure Unverschämtheit, möcht' ich wetten«, erwiderte Frau Glegg im siegreichen Bewußtsein ihrer unüberwindlichen Klugheit. »Nun Glegg, wirst Du Dich jemals zum Thee setzen? Tom, da ist Deine Tasse.«

»Sie haben ganz recht, Madam«, sagte Bob; »mein Packen ist nicht für so'ne Dame wie Sie, die Zeiten sind vorbei, nur spottbillige Sachen! Hier und da mal 'ne schadhafte Stelle, die man abschneiden kann oder beim Tragen gar nicht sieht, aber nicht für so reiche Leute, die blos für's Aussehen bezahlen können. Ich bin nicht der Mann dazu, Ihnen was aus meinem Packen anzubieten, Madam; ne, ne; ich bin wohl 'n bischen unverschämt, wie Sie sagen – in den schlechten Zeiten muß man schon 'n bischen unverschämt sein –, aber so weit versteig' ich mich doch nicht.«

»Nun, was für Waaren habt Ihr denn in Eurem Packen?« fragte Frau Glegg. »Bunte Sachen vermuthlich, Shawls und so was.«

»Von allen Sorten, Madam, von allen Sorten«, erwiderte Bob und schlug auf den Bündel, »aber jetzt wollen wir nicht mehr davon sprechen, wenn Sie erlauben. Ich bin hier wegen dem jungen Herrn sein Geschäft, und da benutz' ich die Zeit nicht, um selbst welche zu machen.«

»Und bitte, was ist denn das für'n Geschäft, womit ich nichts zu thun haben soll?« fragte Frau Glegg, die von einer zwiefachen Neugier geplagt, die eine Hälfte vorläufig beiseit lassen mußte.

»O, Tom hat etwas vor«, sagte der gutmüthige Glegg, »und 's ist kein schlechter Plan, scheint mir. Ein kleines Geschäft, um Geld zu verdienen; so ist's doch recht für junge Leute, die ihr Vermögen erst noch machen sollen, nicht wahr, Hannchen?«

»Aber's ist hoffentlich kein Plan, wo seine Freunde alles für ihn thun sollen. So sind sonst die jungen Leute heutzutage immer. Und bitte, was hat denn der Hausirer mit unsern Familienangelegenheiten zu thun? Kannst Du nicht selbst den Mund aufthun, Tom, und Deiner Tante Bescheid geben, wie's einem Neffen zukommt?«

»Er heißt Bob Jakin, Tante«, sagte Tom, indem er den Aerger zurück hielt, in den die Stimme seiner Tante ihn immer versetzte. »Ich kenne ihn schon von Kindheit an, er ist ein recht guter Mensch und immer bereit, mir 'nen Gefallen zu thun. Und er hat einige Erfahrung im Versenden von Waaren, das heißt, er macht kleine Geschäfte auf eigene Rechnung, und er glaubt, wenn ich das auch versuchte, könnte ich etwas Geld machen. So'n Geschäft bringt bedeutend was ein.«

»Bringt bedeutend was ein?« fragte die Tante begierig; »was nennst Du bedeutend?«

»Zehn bis zwölf Prozent, meint Bob, nach Abzug aller Kosten.«

»Warum hat man mir denn nicht gleich was davon gesagt?« sagte Frau Glegg im schneidendsten Tone des Vorwurfs zu ihrem Manne; »hast Du mir nicht immer gesagt, mehr als fünf Procent ließen sich nicht machen?«

»I, Unsinn, liebe Frau«, erwiderte der Mann; »Du kannst doch keinen Handel anfangen! Mit Sicherheit kann man nur fünf Procent machen.«

»Aber ich könnte für Sie auch was mit anlegen, und recht gern, Madam«, fiel Bob ein, »wenn Sie's riskiren wollten, – wenn man überhaupt von riskiren sprechen darf. Aber wenn Sie so freundlich wären und Herrn Tom etwas Geld liehen, der gäbe Ihnen sechs oder sieben Procent und verdiente dabei noch 'ne Kleinigkeit für sich; un' so'ne gutherzige Frau wie Sie sind! Haben das Geld gewiß noch mal so lieb, wenn's Ihrem Neffen was einbringt.«

»Nun, was meinst Du, Frau?« sagte Glegg. »Ich bin halb und halb Willens; wenn ich mich erst etwas näher erkundigt habe, da möcht' ich Tom wohl mit 'nem Heckpfennig aushelfen; er giebt mir ja Zinsen, hörst Du, und wenn Du nun vielleicht 'ne Kleinigkeit liegen hast in 'nem alten Strumpfe oder so was …«

»Aber, Glegg, es ist doch nicht auszuhalten! nächstens gehst Du noch hin und sagst den Spitzbuben Bescheid, damit sie herkommen und mich bestehlen.«

»Nun, nun, ich wollte blos sagen, wenn Du zwanzig Pfund hergeben willst, dann thu's, ich mache dann die Funfzig voll. Das wäre doch'n hübscher Heckpfennig, was meinst Du, Tom?«

»Du rechnest doch wohl nicht auf mich, Glegg?« fragte die Frau. »Du würdest was hübsches mit meinem Gelde anfangen, fürcht' ich.«

»Na, denn ist's gut«, erwiderte Glegg etwas patzig; »wir wollen schon ohne Dich fertig werden. Ich will mit Euch gehen und selbst mit dem Salt sprechen«, fügte er zu Bob gewendet hinzu.

»So? Jetzt willst Du wohl die Sache für Dich ganz allein machen und mich ganz von dem Geschäfte ausschließen. Ich sage ja nicht, daß ich kein Geld hergeben will, obschon Du das gleich so annimmst, aber er wird schon selbst sehen, daß seine Tante Recht hat, wenn sie das Geld, was sie für ihn gespart hat, nicht anders riskirt, als wo sie sicher weiß, daß es nicht verloren geht.«

»Na, das ist 'ne hübsche Art von riskiren«, sagte der Mann und winkte unzart Tom zu, der nicht umhin konnte zu lächeln. Aber Bob hemmte den Ausbruch der gekränkten Dame.

»Aha, Madam«, sagte er bewundernd, »Sie verstehn's, das muß ich sagen. Sie haben ganz Recht; erst sehen Sie, wie das Geschäft sich macht, un' denn geb'n Sie'n hübsch Sümmchen her. Du meine Zeit, was das doch 'ne schöne Sache ist, wenn einer anständige Verwandte hat. Ich hab' mein bischen Heckpfennig, wie's der Herr nennt, erst selbst verdienen müssen; zehn Pfund waren's, die kriegt' ich, als ich das Feuer in Torry seiner Fabrik löschte, un' das ist so allmälich mehr geworden, un' jetzt kann ich schon dreißig Pfund in's Geschäft stecken, und auch meiner Mutter was abgeben. Ich könnte wohl noch mehr verdienen, blos ich bin zu schwach gegen die Frauensleute; ich lasse ihnen die Sachen immer zu billig. An dem Bündel hier (dabei schlug er lustig drauf) würde jeder andre ein hübsch Stück Geld verdienen. Aber ich! Du meine Zeit, ich verkaufe die Sachen beinahe zum Einkaufspreise.«

»Habt Ihr guten Tüll?« fragte Frau Glegg herablassend, indem sie vom Theetisch aufstand und ihre Serviette zusammenlegte.

»Jawohl, Madam, aber für Sie verlohnt sich's nicht des Ansehns. Ich mag's Ihnen garnicht zeigen. Es wäre eine Beleidigung gegen Sie.«

»Aber laßt mich's doch sehen«, sagte Frau Glegg noch herablassender. »Wenn die Waare gelitten hat, wird's dafür auch 'ne bessre Sorte sein.«

»Nein, Madam, ich weiß was sich schickt«, erwiderte Bob und nahm seinen Packen auf den Rücken. »Ich mag mein Geschäft nicht herabsetzen in Ihren Augen, das Hausiren ist heruntergekommen in der Welt; es schnitte Ihnen in's Herz, wenn Sie den Unterschied sähen. Ich stehe zu Diensten, Herr, wenn Sie jetzt gehen und mit Salt sprechen wollen.«

»I, das hat noch Zeit«, erwiderte Glegg, den die Verhandlung sehr belustigte, »hast Du noch was auf der Werft zu thun, Tom?«

»Nein, Onkel, ich habe heute frei.«

»Na, denn setzt Euren Packen wieder hin und zeigt mir was Ihr habt«, sagte Frau Glegg und zog sich einen Stuhl an's Fenster, in den sie sich mit vieler Würde niederließ.

»Bitte, verlangen Sie's nicht, Madam«, sagte Bob flehend.

»Keine Worte weiter«, erwiderte Frau Glegg mit Bestimmtheit, »thut was ich Euch sage.«

»Ich thu's ungern, Madam, recht ungern«, sagte Bob, indem er seinen Packen langsam auf die Thürschwelle stellte und mit widerstrebenden Fingern losmachte. »Aber was Sie befehlen, soll geschehen. Sie werden zwar nichts von mir kaufen … es thäte mir leid für Sie, wenn Sie's thäten; bedenken Sie doch nur die armen Bauerfrauen, die keine hundert Schritte aus ihrem Dorfe wegkommen; 's wäre schade, wenn einer denen die Sachen wegkaufte. Du meine Zeit, für die ist's 'n wahres Fest, wenn sie mich mit meinem Packen sehen, un' solche Waaren wie diesmal krieg' ich sobald nicht wieder. Sehn Sie mal hier«, fuhr Bob fort und fing an rascher zu sprechen, indem er ihr ein scharlachrothes wollenes Tuch mit etwas Stickerei an einem Zipfel hinhielt.

»Das ist was, wonach den Mädchens das Wasser im Munde zusammenläuft, un' kostet blos zwei Schilling, un' warum? blos weil hier in dem andern Zipfel ein ganz klein bischen Mottenfraß ist. Wahrhaftig, ich glaube, die Motten un' die Stockflecke schickt die Vorsehung mit Absicht, damit die hübschen Weiber, die nicht viel Geld haben, die Sachen etwas billiger kriegen. Wenn die Motten nicht wären, na, denn wären alle diese Tücher an so reiche hübsche Damen gekommen, wie Sie sind, Madam, für fünf Schilling das Stück, keinen Heller billiger. Aber was thut so 'ne Motte? Sie knabbert im Handumdrehen für drei Schilling weg, un' denn kann 'n Hausirer wie ich damit nach den armen Weibern hingehen, die in den dunklen Hütten wohnen, un' ihnen was zeigen, was ihnen in die Augen sticht. Wahrhaftig, so'n Tuch anzusehen, das thut einem grade so gut wie helles Feuer.«

Bob ließ das Tuch in einer gewissen Entfernung bewundern, aber Frau Glegg erwiderte mit scharfem Tone:

»Aber in dieser Jahreszeit braucht man kein Feuer. Die bunten Sachen legt nur wieder hin; zeigt mir die Tüll-Sachen, wenn Ihr welche habt.«

»Sehn Sie, Madam, hab' ich Ihnen nicht gesagt, wie's käme?« sagte Bob und legte die bunten Sachen mit einem Anschein von Verzweiflung bei Seite. »Ich wußte wohl, es würde Ihnen schlimm werden bei meinen armseligen Geschichten. Da ist zum Beispiel etwas gemusterter Musselin; aber was sollen Sie sich den erst ansehen? Sie könnten sich eben so gut armer Leute ihr Essen ansehen; es nähme Ihnen nur den App'tit. Mitten drin ist 'ne Elle, da sind die Muster nicht recht 'raus gekommen; wahrhaftig, sonst hätte die Prinzeß Victoria den Musselin tragen können, aber«, fügte er hinzu, indem er das Stück Zeug hinter sich auf den Rasen warf, als wolle er Frau Glegg mit dem Anblick verschonen, »aber jetzt wird's wohl 'ne Höckerfrau kaufen, zehn Schilling für die ganze Geschichte, zehn Ellen, die schadhafte Stelle mitgerechnet – fünfun'zwanzig Schilling hätt's sonst gekostet, keinen Heller weniger. Aber ich sage nichts weiter, Madam, für Sie ist's doch nichts, so'n Stück Musselin wie das; Sie haben Geld genug un' können dreimal so viel für'n Stück bezahlen, wenn's auch nicht halb so gut ist. Aber Sie sprechen von Tüll-Sachen; nu', ich hab' da 'n Stück, da werden Sie mich wohl mit auslachen …«

»Gebt mir den Musselin«, fiel Frau Glegg ein, »die Farbe gefällt mir.«

»Ih, so'n schadhaftes Zeug«, sagte Bob mit abwehrendem Ton. »Sie können's ja doch nicht gebrauchen, Madam; Sie geben's Ihrer Köchin, das weiß ich schon, un' das wäre schade, sie sähe zu sehr wie 'ne Dame drin aus, un' das paßt sich nicht für'n Dienstmädchen.«

»Bringt es mir und meßt es vor meinen Augen« sagte Frau Glegg befehlend.

Bob gehorchte mit scheinbarem Widerstreben.

»Sehn Sie nur, wie viel über's Maß ist!« rief er aus und zeigte auf die halbe Elle, die drüber war, während Frau Glegg eifrig die schadhafte Stelle musterte und den Kopf zurückwarf, um zu sehen, auf eine wie große Entfernung der Fehler sichtbar bliebe.

»Ich werde Euch sechs Schilling dafür geben«, sagte sie mit einem Tone, als sei es ihr letztes Gebot.

»Hab' ich Ihnen nicht gesagt, Madam, es würde Sie kränken, wenn Sie meinen Packen ansähen? Das schadhafte Stück ist Ihnen ordentlich zuwider, das seh' ich«, sagte Bob, indem er den Musselin mit der äußersten Schnelligkeit wieder einpackte und sich den Anschein gab, als wolle er sein Bündel schnüren. »Sie sind von früher her an ganz andre Waare gewöhnt bei den Hausirern, als Sie noch in dem steinernen Hause wohnten. Die Hausirer sind heruntergekommen in der Welt, das sagt' ich Ihnen vorher; meine Waare ist nur für gewöhnliche Leute. Von der Höckerfrau krieg' ich meine zehn Schillinge für den Musselin, und 's wird ihr noch leid thun, daß ich's so billig lasse. Solche Waare bewährt sich beim Tragen; hält Farbe bis die Fäden sind wie Zunder, un' bis das passirt, werd' ich wohl alt un' kalt sein.«

»Nun, sieben Schilling«, sagte Frau Glegg.

»Denken Sie nicht mehr dran, Madam«, erwiderte Bob. »Hier ist noch 'n Stück Tüll, blos zum Ansehen, ehe ich meinen Packen wieder zumache; blos damit Sie sich selbst überzeugen, wohin es mit dem Geschäft gekommen ist; mit kleinen Punkten, sehn Sie, un' kleinen Ranken, sehr schön, aber 'n bischen gelb; 's hat zu lange gelegen un' die verkehrte Farbe gekriegt. Wenn's nicht gelb wäre, hätt' ich so 'nen Tüll nie kaufen können. Du lieber Himmel, ich hab' erst ordentlich studiren müssen, um solche Waaren richtig taxiren zu lernen; als ich anfing, mit meinem Packen 'rumzugehen, war ich so dumm wie'n Schwein; Kattun oder Musselin, das war mir alles egal; was das dickste war, hielt ich für's beste. Ich wurde schrecklich angeführt – ich bin selbst so'n ehrlicher Kerl – weiß nichts von anführen. Un' für das Stück Tüll hab' ich fünf Schilling acht Groschen gegeben; wollt' ich anders sagen, so müßt' ich lügen, un' fünf Schilling acht Groschen verlang' ich auch dafür, keinen Heller mehr, denn 's ist was für die Weiber, un' den Weibern thu' ich gern was zu Gefallen. Fünf Schilling acht Groschen für sechs Ellen – damit ist der Schmutz noch nicht mal bezahlt, der drauf sitzt.«

»Drei Ellen will ich wohl davon nehmen«, meinte Frau Glegg.

»Ih, 's sind ja im ganzen blos sechs«, sagte Bob. »Nein, Madam, für Sie verlohnt sich's nicht der Mühe; Sie gehen morgen in den Laden un' holen sich dasselbe Muster ganz schneehagelweiß. Es kostet blos dreimal so viel, aber was ist das für 'ne Dame wie Sie?« und dabei drehte er nachdrücklich sein Bündel zu.

»Laßt mir doch den Musselin 'raus«, sagte Frau Glegg, »hier habt Ihr acht Schilling dafür.«

»O, Sie spaßen, Madam«, erwiderte Bob und blickte lachend zu ihr auf: »ich sah gleich, daß Sie 'ne lustige Dame sind, als ich zuerst an's Fenster kam.«

»Nun, laßt's nur 'raus«, sagte Frau Glegg befehlend.

»Ja, aber, wenn ich's Ihnen für zehn Schilling lasse, dann sein Sie so gut, un' sagen's keinem wieder. Ich würde zum Gespött der Leute; alle Geschäftsleute lachten mich aus, wenn sie's erführen. Ich muß förmlich so thun, als wären meine Preise höher als sie sind, sonst merken sie, daß ich so'n gutmüthiges Schaf bin. Ich freue mich recht, daß Sie den Tüll nicht auch kaufen wollen, sonst hätten Sie mir meine besten beiden Artikel für die Hökerfrau abgenommen, un' das ist 'n guter Kunde von mir.«

»Zeigt mir den Tüll noch mal«, sagte Frau Glegg, die sich nach den billigen Punkten und Ranken sehnte, als sie eben in dem Bündel verschwinden sollten.

»Na, Ihnen kann ich's nicht abschlagen«, sagte Bob und holte die Waare heraus. »Sehn Sie mal, was für'n Muster! Aechte Waare! Grade von der Sorte, womit Herr Tom sein erstes Geschäft machen soll. Wahrhaftig, für einen der Geld hat, ist das die rechte Waare; bei so 'nem Artikel muß das Geld hecken wie Maden. Ja, wenn ich so 'ne Dame wäre, die Geld hat! – Na, ich kenne eine, die hat dreißig Pfund hineingesteckt – 'ne Dame mit 'nem künstlichen Bein, aber so gescheut! die steckt ihren Kopf nicht in 'nen Sack, die sieht klar bis an's Ende, eh' sie anfängt – na, die gab dreißig Pfund her an einen jungen Menschen in 'nem Manufaktur-Geschäft, un' der legte's in solchen Waaren an, un' ein Obersteuermann von meiner Bekanntschaft – es war nicht der Salt – nahm sie mit und besorgte das Geschäft, un' im Handumdrehen kriegte sie ihre acht Prozent, un' nu' ist sie garnicht mehr zu halten un' schickt mit jedem Schiff was weg, un' wird so reich wie'n Jude. Bucks heißt sie, sie wohnt nicht hier in der Stadt. Na, Madam, wenn Sie mir nun den Tüll wiedergeben wollten …«

»Da sind fünfzehn Schilling für beides zusammen«, sagte Frau Glegg, »aber 's ist schändlich theuer.«

»Na, Madam, in fünf Jahren sagen Sie das gewiß nicht, die Waare ist reineweg geschenkt, wirklich geschenkt. Daß Sie mir die acht Groschen abziehen, damit geht mein ganzer Profit flöten. Nun, Herr Glegg«, fuhr Bob fort, indem er den Packen auf den Rücken nahm, »wenn's Ihnen recht ist, dann lassen Sie uns hingehen und Herrn Tom sein Geschäft besorgen. Ei, ich hätt' auch gern zwanzig Pfund, um sie für mich selbst anzulegen, ich wollte schon wissen, was ich damit thäte.«

»Aber warte doch 'n bischen, Glegg«, sagte seine Frau, als er den Hut nahm, »Du läßt mich auch nie zu Worte kommen. Jetzt willst Du nun wieder hingehen und alles abmachen, und dann kommst Du zurück und sagst, für mich wär's nun zu spät. Als wenn ich nicht Tom seine leibliche Tante wäre und das Haupt in der Familie von seiner Mutter Seite, und 'ne hübsche Menge Goldstücke hab' ich für ihn schon bei Seite gelegt, eins so vollwichtig wie's andre – ja, er wird schon erfahren, vor wem er Respekt haben muß, wenn ich mal im Grabe liege.«

»Aber Frau, was willst Du denn eigentlich? sag's doch grade 'raus«, erwiderte der Mann hastig.

»Was ich will? Ich will, daß nichts geschieht ohne mein Wissen. Ich sage nicht, daß ich die zwanzig Pfund nicht riskiren will, wenn Du findest, daß alles sicher und in Ordnung ist. Und wenn ich's thue, Tom« – diese Worte sprach sie sehr eindringlich zu ihrem Neffen – »dann hoffe ich, Du wirst's mir immer gedenken und Deiner Tante dankbar sein. Du bezahlst mir Zinsen, hörst Du; vom schenken halt' ich nichts, in unsrer Familie ist das nicht Mode.«

»Ich danke, Tante«, gab Tom stolz zur Antwort; »mir ist's viel lieber, wenn Du mir das Geld blos leihst.«

»Sehr gut, das ist der ächte Dodson'sche Geist«, erwiderte Frau Glegg und nahm ihr Strickzeug mit dem Gefühl zur Hand, nach dieser Bemerkung lasse sich weiter nichts sagen.

Im Wirthshause zum Anker wurde Salt, dieser so ausnehmend gesalzene und gepfefferte Mann, in einer Wolke von Tabacksdampf glücklich entdeckt, und Onkel Glegg fing sogleich seine Erkundigungen an, die befriedigend genug ausfielen, um den Vorschuß eines Heckpfennigs zu rechtfertigen, wozu Tante Glegg richtig ihre zwanzig Pfund beisteuerte. Das war der bescheidene Anfang, der Tom mit der Zeit, ohne Wissen seines Vaters, in den Besitz eines kleinen Vermögens setzte, welches in nicht zu langer Zeit die Schulden ganz zu decken versprach. Einmal auf diese Erwerbsquelle aufmerksam gemacht, beschloß Tom, sie möglichst auszunutzen und ließ keine Gelegenheit vorüber, um Erkundigungen einzuziehen und sein kleines Unternehmen auszudehnen. Daß er seinem Vater nichts davon sagte, geschah aus jener seltsamen Mischung entgegengesetzter Empfindungen, welche oft denen, die eine Handlung bewundern, eben so sehr Recht giebt, wie denen, die sie tadeln; es geschah nämlich theils aus der Abneigung gegen vertrauliche Offenherzigkeit, die sich wohl zwischen nahen Verwandten findet, aus jener Familienfeindschaft, welche die heiligsten Verhältnisse unsres Lebens verdirbt, theils geschah es aus dem Verlangen, seinem Vater eine freudige Ueberraschung zu bereiten. Ob es nicht besser gewesen wäre, ihm die Zwischenzeit mit einer neuen Hoffnung zu versüßen und das Uebermaß eines zu plötzlichen Triumphs zu vermeiden, das bedachte er nicht.

Um die Zeit, wo Gretchen Philipp zum ersten Male wiedersah, hatte Tom schon ein Kapital von beinahe hundertfunfzig Pfund, und während sie im Abendlichte im rothen Grunde spazieren gingen, ritt er in demselben Abendlichte nach der nächsten Fabrikstadt, in dem stolzen Gefühl, daß es seine erste Geschäftsreise für Guest und Comp. sei, und berechnete sich im Stillen, binnen Jahresfrist würde er seinen Gewinn verdoppelt, seines Vaters Namen von böser Nachrede gereinigt und vielleicht – er wurde ja mündig – eine weitere Stufe in seiner Karriere hinauf gekommen sein. Und verdiente er das etwa nicht? Gewiß, ihm war das nicht zweifelhaft.


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