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Die Schwäne singen und die Drosseln zwitschern

1

Um diese Zeit wurde Massi krank. Sie bekam ein Geschwür im Hals. Anders sah sofort, daß dies nicht so einfach war, es saß so tief unten, daß man mit dem Messer nicht hingelangen konnte. Er kurierte mit allen Mitteln, die er kannte, und dachte schon im Ernst daran, das Messer von außen anzuwenden; aber Massi wollte davon nichts wissen; sie schüttelte so verzweifelt müde, aber nachdrücklich den Kopf: Diesmal müßten sie ihr gehorchen.

Anders hatte ohnehin so viel zu tun, ein Geschwür brauchte seine Zeit, und ein ganz klein wenig mußte man doch auch auf den Herrgott vertrauen können.

Mit dem Jens ging es nicht, wie es sollte. Vaagen war kein rechter Handelsplatz, wenn man die Wahrheit sagen wollte; zuwenig zum Leben und zuviel zum Sterben, wie die Leute meinten. Es war zu wenig und zu kümmerlich für solch einen unruhigen Geist; dabei kam nichts als Betrunkenheit heraus und keine Pfarrerstochter, wie auch zu erwarten war. Anders mußte daran glauben und etwas kaufen, das mehr verschlug; nicht einmal Nesse taugte für den Jens.

Und dann außerdem der Per. Kürzlich hatte der Vogt zu ihm geschickt, zwei Mann stark kamen sie zu Anders und überreichten ihm ein unendlich langes Schriftstück, und darin stand, daß der Amtmann vor einiger Zeit im Norden hier gewesen sei und gemeint habe, es gäbe jetzt nur eines: sie müßten sofort einen »habilen Mann« einsetzen, und den Mann wisse er, es sei einer, der schon viele Jahre bei ihm im Kontor gewesen sei, »ein in jeder Beziehung passender und tauglicher Mann« – er hatte den Lensmann in der Nachbargemeinde während eines ganzen Jahres vertreten. Der Vogt sagte nichts weiter, aber Anders wußte, was er meinte, und es blieb nun nichts anderes übrig, als in der Gemeinde von Hof zu Hof zu gehen und die Bauern unterschreiben zu lassen, daß sie von diesem Fremden nichts wissen wollten, sie brauchten hier am Meer einen, der in der Gemeinde geboren und aufgewachsen sei, und einen solchen hätten sie. – »Dem einen Teil drohe ich, und die anderen nehme ich mit Gewalt«, sagte er und stand mit einem hellen und offenen Lächeln da, er war ganz versessen darauf; die anderen würden wohl nachkommen, wenn er voranging und lockte, es würde Spaß machen, sie so zu handhaben. Er hatte sich schon manche Klemme ausgedacht, in die er sie bringen konnte. Soviel durfte man doch noch an die Sippe und an die Gemeinde denken. Das hatten die beiden gemeinsam: wenn die eine in die Höhe kam, dann kam die andere gleich nach; sie wuchsen aus der gleichen Erde hervor. Das sah Anders.

Dann war noch der Ola da, bei dem war auch alles ins Stocken geraten. Er hatte genug von der See, und zum Ackerbau fühlte er auch keine Lust. Er wollte lernen! So etwas Merkwürdiges war Anders auch noch nicht vorgekommen: jedermann dankte doch seinem Schöpfer, wenn ihm das erspart blieb! Das mußte er sich erst noch überlegen. Ihm sollte jetzt keiner mit Dummheiten in die Quere kommen. Mit Petter war Anders zu weich gewesen, das stimmte wohl. Aber um so stärker war er nun seitdem geworden. Für den jungen Burschen wollte er sich schon etwas ausdenken. Und schließlich öffnete sich ihm ein Weg gerade dort, wo er einen Riegel hatte vorschieben wollen. Ja, wahrhaftig sollte Ola lernen dürfen! Wenn er nur das lernte, was der Vater wollte. Pfarrer sollte er werden, ob er nun wollte oder nicht.

Was aber hinter allem stand und alles überragte, das war die Kirche. Sie sollte hierherkommen. Mitten in der Gemeinde sollte sie stehen, und die Mitte war bei den Lauvset-Höfen; aber die lagen zu tief und in keiner Weise günstig, sie mußte hierher nach Haaberg. Anders besaß einen kleinen Häuslerplatz östlich vom Hof, er hieß Moen; dort war es hoch und frei gelegen nach allen Seiten, ein trockener Sandhügel, der Platz lag förmlich da und wartete auf die Kirche, und dorthin mußte sie kommen. Anders gab den Platz umsonst her und noch mehr. Nicht, weil er sich auf diese Weise beim Herrgott einschmeicheln wollte. Das hatte er nicht nötig. Aber die Leute sollten in Bewegung kommen, hier sollte nicht mehr und nicht weniger vor sich gehen, als daß die Kirche umzog. Und es würde nicht zu verachten sein, sie in der Nähe zu haben. Sie war zwar ein kühler Nachbar, aber er würde sich an sie gewöhnen. – Er saß bei Massi auf dem Bett und sprach davon, dann und wann ein paar Worte; und sie lag da und sah ihn an, zur Hälfte ihn und zur Hälfte an ihm vorbei, und lächelte; er wußte nicht ganz sicher, ob sie ihm zuhörte. – »Du schaust immer so weit nach vorn«, sagte sie. »Es wäre wohl schön, zu sehen, wenn du sie aufgebaut und nach deinem Willen gemacht hast.«

Diese Worte gingen Anders so nahe, daß er die Stube verlassen mußte.

Draußen begegnete er Aasel von Paalsnese, sie wollte sich nach der Mutter umsehen. Und nun steht sie da und redet mit Gjartru.

Es war solch ein blauer Tag, blaue Wolken überall am Himmel, und dazu blauten die Berge und Waldhänge; und so mild und still rings um einen. Von den Dächern der Häuser rann das Schmelzwasser. Man konnte förmlich an sich fühlen, wie der Schnee weniger wurde und der Winter sich davonmachte. Der niedrige Birkenwald dort drüben bekam schon einen hellbraunen Hauch.

Da schien es ihnen, als singe es irgendwo in der Luft oder oben auf den Bergen, es kamen so seltsame Töne zu ihnen herab. Sie standen alle drei mit offenem Mund da und lauschten, wandten sich dahin und dorthin. – »Die Schwäne!« sagte Anders. Und da erblickte man sie auch schon hoch unter den Wolken, drei große weiße Vögel, die nach Osten zu und in die Bläue hinein hielten: lange, gestreckte Hälse und große, ruhige Flügelschläge. Und jetzt kam dieser Laut wieder; sie zogen einen Gesang von fremdartigen Tönen hinter sich her, ganz anders schön als alles, was die drei bisher gehört hatten. – Anders und die Mädchen standen da und sahen den Vögeln noch nach, lange nachdem diese verschwunden waren – blaßblaue Vögel aus einem Land, von dem man geträumt hatte. Und der Gesang legte sich ihnen auf die Brust.

Anders hatte sich den beiden Mädchen zugewandt und sah sie still und blau an wie der Frühlingstag um sie:

»Ja, ja. Das bedeutet wohl den Tod, das hier. Aber einen guten Tod.«

Und es geschah etwas, was sie noch nie zuvor gesehen hatten: er fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen und wischte sich eine Träne weg, ganz als habe er vergessen, daß sie dastanden. Dann ging er hinein.

Da standen sie einander gegenüber, die beiden Schwestern: Gjartru, groß und schlank und blaß; man sah ihr jetzt an, wie schwer der Winter in ihrem Gesicht gehaust hatte; rings um den Mund und über den Augen, und in jedem einzelnen Zug der gleiche zehrende Traum. – Aasel, auch schlank gewachsen und ein wenig blaß, aber fest und stark; in diesen Augen lag kein Traum, ohne zu blinzeln blickte sie die Schwester an, und der Mund lächelte in ruhiger Sicherheit.

Sie habe es schon lange gewußt, sagte sie. – Was denn eigentlich? – Daß die Mutter nicht sehr alt würde. Aber heute habe sie nicht einmal daran gedacht, als sie hierherging. – Gjartru gab keine Antwort darauf. Sie hatte überhaupt nicht an die Mutter gedacht. Plötzlich fing sie an zu schluchzen und zu weinen – damit war sie in diesem Winter so schnell bei der Hand. Aber sie faßte sich rasch wieder, und dann gingen sie hinein.

Massi lag drinnen in der Stube. Gleich nachdem die Krankheit angefangen hatte, war sie aus der Schlafkammer ausgezogen. Sie lag da und sah ihnen entgegen, mit dem gleichen Blick, den sie all die Zeit gehabt hatte, nur war er noch ruhiger. Anders hatte sich beim Fußende des Bettes hingesetzt, und ihn blickte sie die meiste Zeit an. Sie lächelte ein wenig vor sich hin, es war, als wisse auch sie, was die anderen wußten. Anders beugte sich zu ihr vor:

»Weißt du noch, Massi: Wir glaubten einmal, alles ginge so, wie es selber wolle?«

Sie schüttelte ganz leise den Kopf: »Ich kann mich bald an nichts mehr erinnern.«

»Aber schließlich mußte es doch so gehen, wie wir wollten, Massi. Nicht wahr?«

Sie lächelt wieder und sagt ein paar unverständliche Worte. Während der Nacht wurde der Kampf härter und härter. Sie bekam keine Luft. Anders stand mehrmals auf und wollte das tun, was er tun zu müssen glaubte: er wollte außen am Hals drücken, bis das Geschwür aufging. Aber er brachte es nicht über sich. Er vermochte es nicht. Und wenn die Schwäne über einem singen, konnte man wohl tun, was man wollte. Es ging doch aufs Ende hin.

Sie starb gegen den Morgen zu. Das Geschwür ging von selbst auf, so daß Blut und Eiter herausdrangen. Anders überfiel ein Zittern, denn das hier führte doch wahrhaftig zum Leben zurück und nicht den anderen Weg! Jetzt schlug sie noch dazu die Augen auf, hellwach und bei Bewußtsein, sah sie alle miteinander an und erkannte sie.

»Schließ Frieden mit dem Herrgott, Anders«, flüsterte sie. »Er ist besser, als du glaubst. Schließ Frieden mit allem. Du hast jetzt genug erreicht.«

Und dann griff der Tod zu. Ein krampfhaftes Beben überlief sie, der ganze Körper erstarrte, und sie glitt von ihnen fort. Es mußte Gift in dem Geschwür gewesen sein. Auf andere Weise konnte Anders sich's nicht erklären. Die Kinder standen dabei, mit einem Gefühl, als habe die Mutter sie vergessen und sei ihrer Wege gegangen.

Als Anders ihr die Augen geschlossen hatte, richtete er sich schwerfällig auf, stand da und sah zur Wand hinüber. Er stand da, die eine Hand im Nacken und die andere im Bart. Auch er hatte die Kinder vergessen. Endlich wandte er sich ihnen zu; sie sahen und hörten einen fremden Mann:

»Ja, Kinder, jetzt weiß sie mehr als wir.«

So stand er da, wieder in Staunen versunken, konnte sich gleichsam nicht mehr zusammenraffen.

Gjartru setzte sich irgendwo in der Stube hin und weinte. Die Brüder gingen einer nach dem anderen hinaus, und Aasel machte sich mit irgendeiner Arbeit zu schaffen. Und sie war es, auf die Anders' Blick fiel. Sie konnte der Mutter am längsten auf dem Weg folgen – sie verstand mehr als die anderen alle miteinander.

Dann ging alles seinen Gang, wie es sein mußte. Anders hatte wenig und nichts damit zu tun.

Das einzige war. daß er zum Leichenbegängnis eine Kirchenglocke herbeischaffen mußte. Denn Massi sollte ein Grabgeläute haben. Und es war wie ein Wunder: Die Nachbargemeinde hatte im vergangenen Jahr eine neue Glocke bekommen, und nun stand die alte da und wartete noch. Anders machte sich auf den Weg, sie zu leihen, und zimmerte auf der Brandstätte ein Gestühl für sie.

An zwei Dinge bei diesem Leichenbegängnis erinnerte er sich noch lange danach. Das eine war die Glocke. Sie weckte in ihm jenes Gefühl, das er als kleiner Junge gehabt hatte, er fürchtete sie; sie griff einen so allzu hart an. Ihm schien es, als habe dieser Laut ihn und seine ganze Sippe durch die Zeiten hindurchgejagt – konnten sie denn nie darüber Herr werden? Es preßte ihm noch immer das Herz zusammen, wenn er jetzt daran dachte, packte ihn dort an – wie der Schwanensang –, wo er nicht stark war. So durchfuhr es wohl auch das Pferd, wenn es Blut roch; vielleicht ging man mit den gleichen bebenden Nüstern und mit den gleichen Augen einher? Und Aasel, die Arme, die die Stärkste von ihnen allen war, sie empfand es wie er; ihre Augen waren grundlos, über alle Berge gejagt; der Mensch war ein merkwürdiges kleines Gewürm. – Anders ging, und er ging aufrecht; aber die Gedanken liefen ihm davon. Wie frei und froh trotz allem war er doch, der Verbrecher, der in vergangenen Zeiten im Walde wohnte, verjagt und ausgewiesen aus der Gemeinde, wegen Diebstahls oder Mord – oh, er hätte wünschen mögen, einer von denen zu sein, die sich in der Nachtzeit heranschlichen und Feuer legten oder einem Menschen das Leben nahmen. Aber zum Teufel! reckte er sich auf, das alles kam wohl nur davon, daß die Juwikinger fast nie zur Kirche gingen. Denn dieses Glockengeläute da oben, das war wohl nur ein krankes Wesen, das da jammerte; nur kleine und ängstliche Menschen können so jammern. Aber es kann doch dem Stärksten in die Knie gehen. – Massi, sie hatte das wohl niemals gemerkt. Sie gehörte gleichsam zur anderen Seite, sie. Aber Anders konnte doch nicht umhin, zu glauben, daß es besser werden müsse, einmal, wenn er die Kirche als nächsten Nachbarn hatte. Frieden schließen mit dem Herrgott – das war es nicht. Das hatte er schon seit langem getan.

Das zweite, an das er sich erinnerte, war, daß der Pfarrer und seine Frau zum Leichenschmaus kamen, gleich aufs erste Wort hin. Man konnte es drehen und wenden, wie man wollte, und der Anders hatte es nach allen Seiten gedreht, aber es war doch gut, den Pfarrer dabei zu haben. Man konnte mit ihm reden, wie er zu sagen pflegte.

Anders saß da und sah ihn an, im Lauf des Abends. Dann schlug er sich mit der flachen Hand aufs Knie und sagte:

»Das war schön, was der Pfarrer heute am Grabe gesagt hat; Dank und Ehre dafür!«

Der Pfarrer freute sich, so schwer ihm sonst nahezukommen war: Meinte Anders das wirklich?

Anders sah nur zwischen seinen Fingern zu Boden:

»Jetzt weiß die Massi mehr als du und ich, ja.«

Darin war der Pfarrer sofort mit ihm einig. Aber Anders schlug sich mit der flachen Hand aufs Knie und sagte:

»Du solltest Frieden schließen mit dem Herrgott, Pfarrer!«

Der Pfarrer machte sofort große Augen, und das taten auch die anderen, die dabeisaßen und zuhörten; aber bald war er wieder obenauf, der Pfarrer, er kniff die Augen zusammen und war ein einziges Lächeln:

»Du glaubst, daß ich mich dabei gut stehen würde, Anders?«

Anders redete mit einem von den Nachbarn, der zu ihm herangetreten war: Ob er nicht einen Tropfen mit ihm trinken wolle? – Ja, dagegen habe er nichts einzuwenden. – »Ja, tu du auch mit«, er wandte sich halb dem Pfarrer zu, und dann gingen sie miteinander in die Schlafkammer hinüber, denn in seinem Wandschrank hatte Anders einen so feinen Branntwein wie nur irgendein großer Mann. – »Der ist gut, wirst du sehen!« sagte er zum Pfarrer, und der Pfarrer lachte wie ein alter Kamerad und schlug Anders auf die Schulter: »Der hier ist genau so aufrichtig wie du selber, Anders; in dem steckt keine Falschheit!«

Spät in der Nacht wollten die Pfarrersleute heimfahren, sie blieben nie bei anderen Leuten zum Schlafen. Da gingen sie wieder in die Kammer hinüber, Anders und der Pfarrer. Sie waren dort allein. Anders blieb mit der großen Flasche in der Hand stehen.

»So habe ich schon einmal hier gestanden, früher. Allein mit dem Pfarrer und habe ihm zugetrunken. Aber das ist – – lange her, jetzt. Damals – – ja, ich bin auch jetzt noch nicht viel weitergekommen. Den Trunk vergeß ich nie, nein. Er – hat mich gestärkt.«

Anders habe doch noch das Leben vor sich, meinte der Pfarrer.

Ja, das sei wahr und gewiß, er habe noch viele Eisen im Feuer, sei auch noch nicht so recht in Fahrt gekommen – er sah starr vor sich hin und war betrunken: Ach, Herrgott, ja, hier gab es noch mancherlei zu überwinden. »Und es kommt mir so vor, als habe es Eile?« Er sah den Pfarrer ein wenig unruhig an.

Die Gäste lärmten durch das ganze Haus, und Anders stand da und hörte dem zu. Dann sah er den Pfarrer hilflos an, wurde fast wie ein Schatten dort, wo er stand:

»Ich weiß nicht, wie es gekommen ist. Aber mir ist so, als könnte ich nicht mehr recht sehen!« Er verbesserte sich: Nein, die Augen seien noch ganz gut, das meine er nicht. Aber es sei so seltsam. Alles habe für ihn ein anderes Gesicht bekommen. Die Berge seien nur Fels, die Häuser seien nur Holz, so habe es früher nicht ausgesehen. Und die Leute kannte er auch nicht wieder. Sie sahen anders aus, als er geglaubt hatte. Sie sahen ihn so seltsam an, fast böse: wie die Katze manchmal, wenn sie unter dem Vorratshaus saß und einen ansah, ängstlich und zornig zugleich. Anders fuhr sich immer wieder übers Gesicht, gleichsam, als versuche er wach zu werden: »Es ist so rasch über mich gekommen.«

Sie waren alle beide reichlich angetrunken. Der Pfarrer legte die Hand auf seine Schulter:

»Du hast die Welt mit den Augen deines Weibes gesehen, Anders. Jetzt siehst du sie mit deinen eigenen Augen, zum erstenmal seit langer Zeit. Jetzt siehst du nicht mehr durch ihren Glauben.«

»Hö! hö!« Anders wandte sich von ihm ab. »Du bist jetzt betrunken, du so gut wie ich; und Dank und Ehre dafür, Pastor! Du bist ein richtiger Kerl! Aber du redest eben, wie du's verstehst, manchmal. Aber trotzdem: Du kannst wohl ein wenig recht haben, ja, ja – im Branntwein trifft man oft den Nagel auf den Kopf.«

Als die Pfarrersleute fortgefahren waren, trieb sich Anders eine Weile suchend herum. Dann wollte er mit Kristian Lauvset reden. Aber er brachte es nicht zuwege; Kristian hatte solch ein unausstehliches Katzengesicht, er auch, und außerdem war er ein Dummkopf und ein Trottel. Da ging er lieber in die Kammer hinaus und sagte es sich selber. – »Ich habe es ausgekostet, Anders«, sagte er. »Diesen leeren Raum rings um den Herrgott und das alles. Habe versucht, die Sache anzuschauen und nicht an ihn zu glauben. Es ist, wie wenn du Sand kaust. Es ist, wie wenn du dich selber auffrißt: Du wirst so kläglich klein und nackt, daß es nicht mehr auszuhalten ist. Glaube es mir, wenn ich dir sage: Ich habe gar vieles ausprobiert, ja.«

Dann setzte er sich hin und betrank sich ernstlich. Das mußte er, fand er, denn er fühlte, wie er lebendigen Leibes im Moor versank und nie wieder herauskam. Es waren so viel Leute rings um ihn – er war mutterseelenallein und überflüssig.

– – – Bald wuchs an ihm alles wieder zu, so daß er der wurde, der er gewesen war. Mit jedem Griff, den er tun mußte, gewann er wieder die Kraft, die dazu nötig war, und er wunderte sich nicht darüber. Die Welt war ein wenig grau, das war sie, und die Leute sahen nicht so zu ihm auf, wie er gemeint hatte; aber es war gut genug, wie es war, alles miteinander, und vielleicht noch besser.

Er war milder geworden in seinem ganzen Wesen, fanden die Kinder, kaum wiederzuerkennen. Aasel meinte, daß erst jetzt alles herauskäme, was die Mutter ihm gewesen sei und zu ihm gesagt habe.

Er hielt sich viel abseits von den Kindern. Sie beunruhigten ihn. Ihm schien es, als gingen sie umher und überwachten ihn und fürchteten, er könne das Augenlicht verlieren. Ja, freilich sah er in letzter Zeit schlechter, er wie so viele andere in der Sippe, frühzeitig grau und frühzeitig trüb vor den Augen – ein paar hatten sogar die letzten Jahre im Bett zugebracht und waren blind gewesen. Aber er würde sich zu helfen wissen, damit hatte es keine Gefahr. Erst aber mußte er das meiste von dem zu Ende bringen, das auf ihn wartete.

2

Die Muhme Ane von Paalsnese war auch zum Leichenschmaus gekommen. Eigentlich war sie nie sehr kräftig gewesen; aber sie gehörte zu denen in der Sippe, die nicht recht sterben konnten. Trotzdem wurde sie gleich nach dem Leichenbegängnis bettlägerig. Sie erfror sich den einen Fuß, und der wurde lahm und leblos; und mit der Zeit starb die ganze Seite ab. Sie mußte gefüttert und gewartet werden wie ein kleines Kind, und dies mußte Aasel tun. Es gab sich ganz von selber für sie. Ane lebte im Austrag und war überdies reich, nach dem, was die Leute glaubten. Aasel sollte alles nach ihr bekommen, daran aber dachte sie nur selten. Sie hatte dieses neunzigjährige Kind liebgewonnen, das niemand anderen besaß und dem es niemand recht machen konnte; sie mußte bisweilen lachen, denn je besser man die Alte pflegte und wartete, desto mehr jammerte und seufzte sie.

Eines Tages kam Gjartru, die Schwester. Sie sah sich so selten dort um, und Aasel erschrak fast, als sie die Schwester in der Türe sah, obwohl sie sich sonst nicht leicht fürchtete. – »Es wird doch wohl nicht daheim etwas geschehen sein?« – »Nein, nein. Ich mußte mich nur nach dir umsehen.« Da wurde Aasel bis an die Schläfen hinauf rot und fing gleich von etwas anderem zu sprechen an: – »Wie steht es mit dem Vater?« – »Ja, danke, gut.« Aber Gjartru schlug die Augen nieder, als sie das sagte, und Aasel sah sie unverwandt an. Gjartru mußte wieder aufblicken und lächelte hilflos: »Ich glaube, es steht schlecht mit seinen Augen. – – Und dann, Aasel, du mußt jetzt heimkommen. Heimkommen und bleiben. Es ist so still geworden und nicht mehr auszuhalten; für den Vater. Er ist nichts mehr wert, ich weiß nicht, wie es zugegangen ist. Er ist so sanft und freundlich, bald nur noch wie ein Kind.« Aber Aasel schüttelte den Kopf: – Nein, nein, sie müsse nun hierbleiben.

Gjartru seufzte. Sie hatte sich so darauf gefreut, die Schwester heimzubekommen. Es wäre für sie beinahe so gewesen, als hätte sie die Mutter wiedergehabt.

Sie waren in der Küche, und Gjartru saß auf der Küchenbank. Jetzt versuchte sie, durch die kleinen angelaufenen Scheiben hinauszusehen, das machte Spaß, denn es war alles so verzerrt und seltsam, was man sah, und so grün. Da erblickte sie einen fremden Mann draußen im Hofplatz, einen jungen Mann noch, groß und hochgewachsen, in weißen Segeltuchhosen und rotkarierter Weste; er ging in Hemdsärmeln bei dem kalten Wind und hatte nur eine kleine Schirmmütze im Nacken sitzen; er war nicht aus der Gemeinde hier. Im übrigen war er stattlich anzusehen, ein schöner Bursche. Sie fragte Aasel, wer es sei.

Aasel kam herbei und sah hinaus. Dann fing sie an zu lachen, hell und laut, so daß Gjartru sie gar nicht wiedererkannte:

»Nein, nun sag mir doch nur, was das für ein langer Zaunpfahl ist?«

Gjartru lachte mit und mußte dann wieder hinaussehen. Er war wirklich sehr lang, ja.

Es sei wohl der neue Knecht, den sie hier auf den Hof bekommen hätten, meinte Aasel; er sei kürzlich gekommen und solle weit vom Süden her sein, sie wisse nicht, ob er aus Beistaden oder Verran sei. Er habe ein Jahr lang drüben auf der anderen Seite des Fjords gedient.

Ach so, nur ein Knecht. Gjartru wandte sich von ihm ab. – Und der Hans drüben auf dem Nachbarhof sollte heiraten, stimmte das? Es war derselbe, mit dem Aasel verlobt gewesen war.

Ja, das sollte er; Aasel blickte ruhig auf.

»Aber daß doch auch die Muhme nicht sterben kann!« Gjartru wurde ganz heiß und böse.

»Pfui, schäm dich!«

»Ja, aber – daß du's fertigbringst?«

» Laß dein Brot über das Wasser fahren, sag ich mir vor.«

Gjartru schüttelte den Kopf, als sei ihr das Haar zu schwer; es war so dick und widerspenstig. – »Ja, und der Per«, sagte sie. »Der Vater will, daß er Lensmann wird, und er widersetzt sich dem!« – »So? Wenn er keine Lust dazu hat, dann.« – »Ja, aber: Lensmann werden, das ist doch etwas?«

Aasel lächelte mit kleinen, klugen Augen, wie es ihr keiner zutraute, das Gesicht füllte sich mit tiefem Lachen. Gjartru sah sie erstaunt an, spielte unruhig an ihrem Kleid: – »Ja, aber – wenn der Vater es will, Aasel? Man braucht sich doch nur in der Gemeinde umzutun und die Leute zu überreden, dies und jenes zu sagen, mehr gehört nicht dazu. Könntest nicht du, Aasel, dir den Per vornehmen und mit ihm sprechen?«

Aasel dachte nach. Sie dachte lange nach, während sie das Geschirr drüben am Herd abwusch.

»Ich will lieber mit dem Vater darüber reden. Daß er ihn sein lassen soll. Denn der Per hat recht!«

Die Worte kamen gleichsam, als würden sie in die Wand gehämmert, und Gjartru gab nach.

»Aber ich glaube nicht, daß der Vater nachts recht gut schläft«, sagte sie gedankenarm.

»Ja, ja, das will ich dir glauben. – – Er hat so vielerlei im Kopf.«

Aber Aasel kam dennoch mit Gjartru nach Hause, nachdem sie der Alten zu essen gegeben und ein kleines Mädchen beauftragt hatte, nach ihr zu schauen. Die Alte knurrte und war nicht sanft, aber Aasel söhnte sie doch wieder aus: versprach Kandiszucker für sie zu kaufen – denn Ane besaß noch alle ihre Zähne und hatte eine brennende Lust auf alles, was süß war.

Aasel ging dahin und schwieg fast auf dem ganzen Weg. und Gjartru ließ sie in Ruhe. Sie wußte genau, daß Aasel schnurstracks zum Vater gehen und ihm sagen würde, was recht sei und was unrecht, sie war so, und Gjartru wünschte sie nicht anders.

Aber unten bei Lauvset, wo der Weg zum Lensmannshof abzweigte, blieb Aasel stehen. – Ob Gjartru glaube, daß Per noch in der Amtsstube sei? – Ja, das sei er wohl sicher. – Dann solle sie jetzt allein weitergehen, denn sie wolle mit ihm reden. Und so trennten sie sich.

Aasel wußte nicht so genau, was sie bei Per wollte. Sie mußte nur mit ihm reden. Die beiden hatten sich sonst immer am besten verstanden. Jedesmal, wenn sie erfahren hatte, was der Vater sich vornahm, war sie nachdenklich geworden. Schließlich hatte sie aufgehört, über ihn nachzugrübeln. Als ihr Liebster, der Hans, mit ihr gebrochen hatte, hatte sie dies mehr für eine Warnung als für ein Unglück angesehen. Man konnte sich noch mehr erwarten. Wohl kann der Vater das Glück auf seiner Seite haben, sagte sie; aber wir anderen werden es nachher zu fühlen bekommen. Aber gerade weil sie dies wußte, war sie im Grunde so stark, fand sie. Nichts sollte ihr den Mut rauben können. Man konnte viel tragen, wenn man es nur beim rechten Ende anpackte.

Als sie zu Per kam, war der Vater dort. Sie blieb vor der Tür stehen, das Herz im Hals; sie hörte so deutlich, worüber sie sprachen.

»Nein, Vater, du sollst mich nicht mehr darum bitten. Denn ich will es nicht. Denn die Mutter würde es auch nicht wollen.«

»Die Mutter? Die Mutter, sagst du? Wozu ziehst du sie mit herein? Sie hat nie etwas darüber gesagt.«

Es war eine Weile still. Nur die Tropfen tickten rings um das Haus vom Dach herab. Dann kam es von Per, seine Stimme war belegt.

»Die Mutter, ja. Hast du sie denn so schlecht gekannt?«

»Red nicht so, Kind. Ich will dich doch nicht in etwas Falsches hineinhetzen. Es geht den Weg, den wir wollen, Per, vergiß das nicht.«

»Es geht den Weg, den es will, sag lieber so. Den Weg, der unserer Sippe bestimmt ist.«

»Ja, ja, ja. – – Aber du sollst darüber nachdenken, Per. Du kannst doch wohl darüber nachdenken

Er sprach so sanft, wie auch Massi immer geredet hatte, fand Aasel. Und jetzt kam er auf die Türe zu, sagte nichts mehr; sie trat zur Seite, als er herauskam und ging; sie wollte ihn hier nicht treffen. Dann trat sie ein.

Sie habe gehört, worüber sie gesprochen hätten, sagte sie. Per sah sie an. – Mutter! dachte sie. Denn bei ihr konnte der Gedanke genau so über das Gesicht streifen, unter der Haut gleichsam, aus den Augen herausstrahlen und sich wieder zurückziehen; – Per war gut wie die Mutter.

»Du hast auch nicht viel Lust zum Bauern, Per?« sagte sie.

»Nein, aber – –«

»Du bist auch schließlich zu mehr geschaffen, ja.«

»Mehr?«

»Ja. Wir sind Leute gewesen, die schwer gearbeitet haben, alle miteinander durch alle Zeiten hindurch. Jetzt soll es einen von uns höher hinauftragen. Und das mußt du sein, das. Der Jens, freilich; aber ich habe keinen großen Glauben an ihn. Ja, denn wir wollen doch auch nicht so ganz und gar in der Erde festwachsen, oder, was meinst du?«

Per stand da und blickte zu Boden. Manchmal zuckte es in seinen Nasenflügeln und manchmal unter den Augen. Jetzt biß er sich in die Lippe. Wie schwermütig sie waren, seine Augen – wer weiß, vielleicht wünschte er nicht auf der Welt zu sein? Aber Aasel raffte sich auf. Denn so sollte er doch nicht dastehen, wirklich nicht. Dazu war er zu gut.

»Du solltest doch wenigstens dem Vater die Freude machen. Er wird nicht so alt, will es mir scheinen. Hm?«

»Nein, ich kann nichts sagen, ich. Nichts anderes als nein, und das habe ich gesagt. Aber daß du so zu mir kommst?«

»Ja?« Sie wunderte sich auch selber. »Die Alten wollten es so, darum.«

Er stieß die Luft durch die Nase, gutmütig, aber doch ärgerlich:

»Ja, so haben die Vorfahren immer gesagt. Mit denen sollten wir doch jetzt fertig sein. Was die alles glaubten und meinten. Und was hat es geholfen? Wir, Aasel, wir glauben nicht mehr an so etwas. Es ist doch hellichter Tag rings um uns. Laß uns lieber Frieden halten. Und tun, was recht ist. Komm jetzt mit mir heim!«

Dazu hatte sie keine Zeit.

»Komm doch!« bat er; und da konnte sie nicht nein sagen, nicht zu ihm.

Sie fühlte mit Unruhe, daß sie die Last auf den rechten Weg lenken sollte, aber sie kam nicht zurecht damit, wußte bald nicht, wo er hingehen sollte. Und nie hätte sie gedacht, daß Per so stark wäre.

– – Über das gleiche dachte auch Anders nach, als er heimwärts ging. – »Aber«, sagte er, »so stark werden gerade die Weichen, wenn sie sich erst auf die Hinterbeine stellen. Gott steh ihnen bei!« murmelte er. Noch konnte sich alles wenden, und wenn nicht, so hatte es wohl auch sein Gutes. Es geht den Weg, den es will, da hatte er recht, der Bub, in einer Art wenigstens.

Per dachte nicht soviel. Er hatte das gesagt, was gesagt werden mußte, und damit konnte es genug sein. Ihm schwebte es nur so vor, daß die Arbeit mit der Erde schwer und die Lensmannsarbeit leicht und lustig sei; aber er sah keinen Weg bis dorthin. Und daheim saß die Marja und wartete nun auf ihn. Weiter wollte er nicht denken.

»Ich denke soviel an den Vater«, sagte Aasel.

»Das tu ich auch. Es will mir gar nicht recht in den Kopf, daß es so einen gibt wie den Vater. Der sich durch das dickste Gestrüpp durchfinden kann. Der Menschen rings um sich ertragen kann, die allerlei Böses über einen denken. Er wird sie nicht einmal gewahr

Anders war nicht viel früher heimgekommen als Per und Aasel. Er hatte im Gehen ständig hin und her überlegt. Er wollte sich seine Augen kurieren. Er wollte nicht mehr diesen hellen blinden Nebel vor sich haben, bald würde es sich sicher wie eine dünne Haut über sie legen, sie waren schon fast wie Glasaugen bei einem Pferd. Und er mußte jetzt gut sehen können, er, der für sie alle miteinander sehen sollte.

Aber als er daheim beim Stallhügel steht, ist ihm, als höre er einen Gesang in der Luft. Nicht gerade einen Schwanengesang, nicht einmal einen wirklich hörbaren Ton, es war nur ein ferner Klang zwischen den Bergen oder wo es nun sein mochte, etwas, das unterwegs war und ihn meinte. – »Hm hm!« sagte er und ging hinein. So ließ er es denn für diesmal noch sein. Obwohl er es sich nicht anders denken konnte, als daß heiße Teerlauge diese Haut wegnehmen müsse, und wenn man danach mit Tran einrieb, so würden die Augen wieder gut und weich werden, rein wie verjüngt. Aber, wie gesagt, er konnte es auch sein lassen. Er war allein, hatte nicht allzu viele, auf die er sich verlassen konnte. Und sie wollten ihm wohl, sie, die ihn warnten.

3

Es war ein Frühlingsabend mit Nordwind und trockener Kälte. Weißgelbe Nordwolken zogen lustig nach Süden; sie zeigten ein kaltes Antlitz und hatten Eile. Erstaunt blickten sie auf Äcker und Laubwälder hier im Süden herab, die bereits frühjährlich waren; es war der Winter vom Norden oben, der seiner Wege segelte. Darüber aber kam ein Meer von grauen Wolken aus Südwesten gezogen; blaugrau waren die und gerippt wie der Strand bei Ebbe. Sie zogen so schwer dahin wie die Zeit selber.

Den Hang nach Haaberg hinauf kam ein Mann in graugrünem Überrock, ein Städtischer, mit einem Hut, und mit einem Stock in der Hand. Es war der neue Lensmann, Ove Thöger hieß er. Er war bereits seit einem Monat hier, denn der Amtmann hatte sich beeilt, ihn einzusetzen, und er war schon drei- bis viermal auf Haaberg gewesen. – Er ging aufrecht und straff; ein ganzer Staatskerl war er, fanden die Leute. Und ein kluger und tüchtiger Mann war er auch, in jeder Beziehung. Dieses Zeugnis hatte ihm Anders auf Haaberg ausgestellt, und sie waren alle mit ihm darin einig. Seltsam nur, daß gerade er so etwas sagte. Aber er sollte wohl gleichsam auch in diesem Punkt einen Kopf höher sein als sie.

Die Leute sahen dem Lensmann nach, überlegten und rechneten sich aus: jetzt ging er wieder nach Haaberg; er war fleißig; er wollte sich wohl mit dem Per beraten, so anfangs; wenn er nicht vielleicht einen anderen Anlaß zu seinem Besuch hatte.

Eine Stunde später kam noch einer den gleichen Weg, und der war noch größer und kräftiger, aber er hing ein wenig in den Achseln und ließ den einen Arm frei schlendern, auch war er kein Städtischer, so weit war es nicht mit ihm her; nur einen Stock hatte er, er auch, obwohl er noch so blutjung aussah, es war wohl einer, der nachlaufen und es auch zu etwas bringen wollte. Er schlug den Weg zur Küche ein.

Es war Jens, der Händler in Vaagen. Er war betrunken, das sahen sie sofort. Das Gesicht, von Blattern ein wenig genarbt, war rot und starr, und sein Blick war umnebelt. Seine Stimme klang ganz eingerostet, so daß er kaum die Frage nach Per herausbrachte. – Per sei drinnen in der Stube, er solle hineingehen. – Nein, dazu habe er keine Zeit, habe auch zu schmutzige Füße. Gjartru ging hinein, um Per zu holen, und dann begaben sich die beiden in die sogenannte Oststube. Dort hatten Per und sein Weib ihr Bett stehen – im übrigen lebten sie zusammen mit den anderen im westlichen Teil.

Marja saß da und stopfte einen Strumpf. Per sah den Bruder eine Weile an, ehe er ihn bat, sich zu setzen.

»Ja, ich bin betrunken«, sagte Jens. »Und das reut mich nicht. Aber« – er verzog den Mund zu einem kleinen Lächeln, sah zum Bruder auf – »aber verflucht noch einmal, jetzt mußt du mir helfen, Per! Ob du willst oder nicht.«

Per sah ihn nur an.

Ja, die Sache verhielt sich so, daß er fortgewesen war und einen Handel abgeschlossen hatte. »Ich griff zu und kaufte Segelsund, die ganze Geschichte, Bursche, mit Handel und Wandel, und mit allem, was drum und dran ist! Was sagst du dazu?«

Nein, Per sagte nichts. Er stand da, die Hände in den Taschen, und sah bald den Bruder an, bald blickte er zu Boden. – »Wieviel kostet es denn?« fragte er endlich.

»Zehntausend Speziestaler!« Jens sah ihn an und blinzelte nicht. Auf dem einen Auge war er nüchtern und damit sah er gut.

Marja ließ den Strumpf in den Schoß sinken. »Du großer Gott!« sagte sie und sah Per an. Pers Augenbrauen zitterten und zuckten leise, wie immer, wenn er nahe daran war, etwas zu sagen.

»Du hättest es für sieben bekommen können.«

Jens verzog den Mund und hob die eine Schulter: vielleicht und vielleicht auch nicht. Aber er mußte es haben, verstand Per das? Und in Geldsachen war er doch schließlich kein Knicker. Er wiederholte das Wort noch einmal: »Kein Knicker, nein!«

Per erzählte, daß der Vater auch daran gedacht habe und hingegangen sei und sich nach dem Preis erkundigt habe, und der hätte es für siebentausend Taler bekommen.

Ja, der! Darum bekümmerte Jens sich nicht. »Laß mich selber kaufen, dann weiß ich, wem ich für die Hilfe zu danken habe.« Aber es handle sich um eine andere Sache. Er habe etwas ganz Dummes angefangen. »Ich war heute nacht im Pfarrhof«, lachte er, »wollte dort freien. Bin übrigens schon früher dort gewesen. Und nun fand ich die Türe verschlossen! Ein wenig angeheitert war ich ja, und so habe ich die Türe gesprengt und stieg hinauf und fand das Mädchen. Da aber kommt der verflixte Pfarrer selber die Treppe herauf und fragt, was hier los sei, er war ganz entsetzt. »Laß dir nur Zeit, ich bin es nur«, sagte ich und wünschte schön guten Abend. Da fing er an und las uns die Leviten, mir und ihr, daß ich keinen Anstand hätte und so weiter, und das Mädchen solle sich schämen, solle sich in Grund und Boden hinein schämen! – Und sie fing wahrhaftig an aufzuschnupfen und zu weinen, die arme Haut. Da warnte ich ihn. Er aber hörte nicht darauf. Und da mußte ich ihm zu Leibe.«

»Gingst du ihm wirklich zu Leibe?« Per und Marja fragten gleichzeitig.

»Ja, was war zu machen? Denn das Mädchen weinte, und es lag noch eine oben und hörte zu. Ich habe ihn nur hinausgeführt; hab ihn ein wenig hart angefaßt, vielleicht.«

Per schüttelte den Kopf, aber er lachte. Marja sah den Jens fest und liebevoll an; – Aber so dürfe er es doch nicht treiben! Und Per fügte hinzu, daß große Leute andere Bräuche hätten als andere Leute – er lächelte immer noch: Er pflegte die Sachen immer so unsagbar deutlich vor sich zu sehen, mußte sich Zeit lassen und alles bis zu Ende sehen. Außerdem konnte er dem Bruder nicht anders als recht geben, wenn der es am wildesten trieb; denn so konnte eben der Jens sein, der konnte sich's leisten. Ein Kind nur, aber unterhaltend – merkwürdig, daß er nicht schlimmer war. Sie waren so mannigfaltig, die Menschen.

Jens war eine brennende Röte in die Stirn gestiegen, und die Nasenflügel begannen sich zu bewegen, wie oft bei den Haabergleuten, wenn sie ein wenig aufgeregt waren.

»Sollen die mich etwa Anstand und eine neue Art zu freien lehren?«

»Du hättest dich eben vor ihr nicht betrunken sehen lassen sollen, weißt du.«

»Sie soll mich betrunken sehen! – – Da bin ich viel schöner«, fügte er hinzu und lehnte sich zurück; sein Zorn war jetzt verraucht und er war freundlich und vergnügt. –

»Dann aber fing das Mädchen an und bat mich zu gehen! Und ich ging, weißt du; und ich sagte ihr, daß jetzt sie zu mir kommen müsse, und ähnliches mehr; und außerdem noch, daß ich jetzt Segelsund kaufen wolle, ein wahres Gut und Königreich – sie sollte darüber nachdenken können.«

»Und jetzt ist der Handel abgeschlossen?« fragte Per.

»Ja, Bursche. Denn ich – ich will es auch zu etwas bringen, ich. Ich will hoch hinaus!«

»Und willst auch den Freiern die Türe weisen können?«

»Ja, Teufel noch einmal! Wenn die Zeit einmal kommt. Meine Tochter, die – –«

Er lachte vor sich hin, betrunken, aber sicher auf den Beinen, er hatte gleichzeitig vielerlei Gedanken.

»Zehntausend«, murmelte er. »Und die Hälfte soll darauf stehenbleiben.«

»Ja, ja. Du weißt, ich will mich strecken, soweit ich kann. Aber eigentlich ist es ja der Vater, der – –«

»Ich pfeife auf ihn, dieses Mal! Schreib du drunter und noch einer dazu, dann krieg ich das Geld, ich krieg's bei der Alten selber, in Segelsund, sie hat es mir versprochen.«

Per nickte. Er hatte seine Frau nicht angesehen, während er dies abmachte, noch viel weniger gefragt, sie saß da und blickte auf ihre Arbeit hinab; aber sie war ganz rot geworden. Die Leute auf Leinland verstanden sich ganz gut aufs Sparen, und sie selber durfte eine hübsche kleine Erbschaft erwarten. Die habe ich jetzt gesehen, dachte sie.

Jens bedankte sich nicht. Er sah den Bruder fast wütend an. – »Du bist ein Schaf, Per, der Vater hat wirklich recht. Daß du nicht Lensmann geworden bist, pfui Teufel!« Per tat, als höre er dies nicht, und Jens redete weiter: Und diesen neuen Lensmann, den könne er nicht verdauen! – Er sei ein tüchtiger Kerl, sagte Per. – Nein, alles andere als das; und er solle sich nur in acht nehmen, daß ihm nicht bald die Pelzweste verklopft würde! Ja, denn wenn er auch bis jetzt noch nichts Schlimmes getan habe, so würde er es wohl bald tun. Und was schlich er sich denn hier herum?

Er kam nicht weiter, denn in diesem Augenblick trat Gjartru herein und rief zum Essen. Jens blickte sie vom Kopf bis zu den Füßen an: Großartig, wie fein sie heute abend angezogen sei?

Das Mädchen errötete leicht; dann aber faßte sie sich und sah ihn an, maß ihn von oben bis unten, blinzelte ein wenig mit den Augen und wandte sich von ihm ab, ließ ihn dort sitzen, wo er saß. Sie trug ein schwarz und weißes, kleingewürfeltes Kleid, das sie sonst nur sonntags anzuziehen pflegte; und war frisch gekämmt und geputzt. Sie ging wieder hinaus.

Jens sah zu Per hinüber, der am Fenster stand.

»Ich weiß, an was du denkst, Per. Und ich werde es versprechen, ja, weil du mich nicht darum bittest. Und auch halten; weil du mir nicht glaubst.«

Per wandte sich um und sah ihn wieder an. »Ja, ja!« sagte er, und jetzt war es genau so gut, als habe Jens geschworen, sich nie mehr zu betrinken. – »Dafür sollst du einen kleinen Schluck haben.« Per griff in den Wandschrank hinauf, holte eine kleine Flasche und ein Glas hervor, dann trank jeder seinen Teil, und Per trieb den Kork tief in die Flasche.

Jetzt stand Marja auf und ging zum Essen hinüber, und Jens erzählte noch eine kleine Geschichte. Oheim Petter ging umher und verbreitete schlimme Gerüchte über sie, alles mögliche, und die Leute glaubten ihm. Augenblicklich galt es besonders der Gjartru. Er wußte, daß sich der neue Lensmann auf sie spitzte und sie auf ihn, und daraus sollte nichts werden. »Der Anders, mein Bruder, soll diese Freude nicht erleben«, sagte er. Denn er wußte etwas über sie und den Hall, ihren ersten Liebsten, er hatte sie einmal nachts in einem Heuschuppen überrascht, »mitten in der Andacht«, wie er sagte, und jetzt wollte er es dem Lensmann hinterbringen. – Und daß er, der Per, nicht Lensmann geworden war, das hatten sie wohl ihm zu verdanken, meinte er, nicht?

»Weiß das der Vater? Das von der Gjartru, was du da erzählst?«

»Noch nicht, nein; aber heute abend werde ich es ihm beibringen. Dann hat er doch wieder was zu tun!« Danach gingen sie in die andere Stube hinüber.

4

Der Lensmann war noch da, und jetzt sollte er sich an den Tisch setzen. Man hatte für ihn den Gästetisch gedeckt, zwischen den beiden Südfenstern; die Leute vom Hof selbst saßen am Werktagstisch an der Nordwand.

Anders hatte den fremden Mann vom erstenmal an, da sie einander begegnet waren, gut leiden können, und er blieb auch dabei. Der Fremde war so, wie er sein sollte, ein feiner Mann, aber trotzdem ein Staatskerl. Er erzählte damals sofort und von selber, woher er war und wie er hieß; er war weit aus dem Süden drunten, und sein Vater war Offizier gewesen. Mehr erzählte er nicht, und mehr wollte Anders auch nicht wissen. – Dann hat er nicht viel Geld und kann auch nicht sehr tüchtig sein, urteilte Anders, denn sonst wäre er schon weiter gekommen. Im übrigen aber bestand er die Probe, von welcher Seite man ihn auch nahm. Anders ergriff den Bierkrug, trank dem Lensmann zu und reichte ihm dann den Krug. Der andere griff zu und trank wie ein Ehrenmann. In die Kammer wollte Anders ihn noch nicht bitten, da sollte erst noch ein Jahr darüber hingehen. Auf einmal aber tat er es trotzdem; ob er ein Glas französischen Branntwein haben wolle? Nein, tausend Dank, am Vormittag wollte er nichts Starkes trinken. »Hm – hm! Hm – hm!« murrte Anders, er konnte ihn für dieses Wort noch einmal so gut leiden; das war es gerade, was er hatte wissen wollen. Er wollte gar vieles wissen, so nach und nach, und er bekam es auch zu wissen. Die Großen, man kann nichts aus ihnen herauslocken, weder mit Blicken noch mit halben Worten; aber wenn sie vom rechten Schlag sind, dann sagen sie einem ihre Meinung gerade heraus, halten mit vollen Segeln geraden Kurs; sie sind richtige Männer, viele von ihnen wenigstens. Sie waren über gar manches verschiedener Meinung, er und Anders, das merkten sie bald; aber Anders mochte das, wie er auch übermütige Pferde und starken Branntwein mochte. Das war einer, mit dem man reden konnte. Die Leute in der Gemeinde waren ganz gut, er sagte nie etwas anderes. Aber sie schmeckten nach nichts, die meisten von ihnen. Sie redeten ihm ständig nach dem Mund; das war das eine; und manchmal waren sie widerspenstig und nahmen es mit einem auf, aber wenn man sich das, was sie sagten, näher vornahm, dann zerfiel alles, und dann standen sie da, als hätten sie den Mund voller Mehl, und waren nur sauer und verdrossen und wie die Kinder. Der hier, der hörte wirklich zu und dachte über das nach, was ein anderer sagte; nahm es gleichsam in die Hand und wog es ab.

Das tat er auch jetzt gerade, als Per und Jens hereinkamen. Man könne keinesfalls den Weg durch das Moor legen, sagte Anders, das wäre eine unmenschliche Arbeit – das Moor würde den Weg glatt verschlucken! – Der Lensmann stand mitten in der Stube, sollte sich, wie gesagt, zu Tisch setzen. Er stand ein wenig vorgeneigt, während er zuhörte, und nickte ein paarmal, zum Zeichen, daß er verstanden habe. Dann richtete er sich auf, dachte nach und legte den Kopf ein wenig auf die Seite, als er antwortete, machte sogar eine kleine Bewegung mit der Hand, gerade nur so viel, um Gewicht in seine Worte zu legen; das stand ihm gut, und es war ja auch keine Spreu, was er da sagte. – Die Moore seien ja verschieden, meinte er, und er kenne die Verhältnisse hier nicht so gut. Aber an manchen Orten entwässere man sie und schaffte gutes Wegmaterial, Lehm und Kies, herbei; es kostete freilich nicht wenig, aber dann hatten sie einen geraden und ebenen Weg. – Ja, versteht sich, wo sie schwere Lasten zu fahren hatten, war das nicht dumm. – »Ja, gerade dann!« sagte der Lensmann, und dann setzte er sich zu Tisch – Gjartru hatte ihn schon das dritte Mal gebeten – denn sie war es, die für das Essen zu sorgen hatte.

Als er draußen war und sich auf den Heimweg machen wollte, stand sie oben auf dem Stallhügel. Er blieb stehen und wußte gleich etwas zu reden; ihm fiel alles leicht. Die ganze Zeit, während er mit ihr sprach, hielt er seine Blicke gerade auf sie gerichtet, und dies war ungewohnt für Gjartru, aber sie waren so offen und sicher, daß es ihr nicht das mindeste ausmachte. Sie konnte ihn ebenso offen anblicken. Obwohl sie ganz unwahrscheinlich hoch zu ihm aufblicken mußte. Dann fragte er noch einmal, ob sie nicht ein Stück Weges mit ihm gehen könne. Das war zu neu für sie, sie wußte nicht, wie sie sich zurechtfinden sollte. Nein, sagte sie, das ginge wohl nicht gut an, und nun überflog die Röte ihr Gesicht, und es glänzte blank und wehrlos in den Augen; sie sah um sich, wollte gleichsam Haus und Menschen von sich jagen, sie war nahe daran, mit ihm zu kommen. Da greift er zum Hut und nimmt ihn ganz ab, wie es noch nie jemand im Ernst vor ihr getan hatte, und während er dies tat, richtete er seine Blicke fest auf sie, so daß sie sich nackt und kalt fühlte; dann wandte er sich ab und ging.

Sie lief hinein und zum Dachraum hinauf. Denn es war das reine Wunder: Sie war so froh und erstaunt, sie wollte keinen Menschen sehen. Der Winter war seiner Wege gegangen, er stand gleichsam nur noch hinter ihr und schob an, der Herrgott mochte wissen, wo das noch hinführen würde! Es war ein schlimmer Winter gewesen, so lang und finster, sie hatte im Keller gesessen und gemeint, nie wieder hinauszukommen, hatte auch nicht hinaus gewollt, denn alles hatte für sie aufgehört; – sie war eben ihr Leben lang klein und dumm gewesen. Ehe sie es recht wußte, saß sie da und weinte: Herr, du mein Gott, wie dumm bin ich gewesen! Denn jetzt kam es so, wie sie wollte. Danach hatte sie sich die ganze Zeit gesehnt, wenn sie ehrlich war. Ihr Mann sollte nicht ebenbürtig mit den anderen sein. Der Weg zu ihm mußte aufwärts gehen; das hatte tief drinnen in ihr gesteckt und sie beunruhigt, solange sie nur denken konnte. – »Und ich glaube fast, er will mich haben!« flüsterte sie. Und die Drossel zwitscherte drinnen im Wald, so daß sie es bis ins Haus hörte: »Es wird, es wird, Gjartru!« Es sollte so werden, ja!

Anders dachte das gleiche. Und er fragte die Buben, warum denn Gjartru nicht mehr hereinkomme. »Nein, nein, schon recht« … sagte er. »Laßt sie nur.« Und zu sich selber sagte er: »Jetzt sehe ich erst, wie es der da oben gemeint hat, als er die Sache mit ihr und Hall so merkwürdig krumm lenkte. Seltsam«, sagte er. »Seltsam.« Ja, armes kleines Ding, das nichts begriff und nichts sah. Die Menschen waren blind.

Jetzt erzählte Jens diese Sache mit Petter. Zu Anfang war es gleichsam, als höre Anders nicht recht zu. »Ja, so«, murmelte er nur. Kurz darauf wiederholte er noch einmal, aber wacher: »Ja, so. Rührt er sich jetzt wieder einmal, der Bursche.« Die übrigen redeten bald wieder von etwas anderem, und Anders saß still da und griff sich in den Bart. Dann sagte er vor sich hin, es klang wie ein kleiner erleichterter Seufzer:

»Jetzt ist er verurteilt. Endlich einmal, ja. – Damals war es eine andere Sache. Jetzt handle ich nicht im Zorn.«

Nein, in ihm wohnte nicht das, was man Haß nennen konnte. Jetzt war es die Sache selbst. Hier würde nun bald mancherlei geschehen, das fühlte er an sich. Bald würde es beginnen.

Er fragte, wie es mit Jens gehe, mit dem Handel unten in Vaagen. – Ja, sagte Jens und lachte. Jetzt habe er bald die Gaff in die Pfarrerstochter geschlagen, habe sie schon so gut wie im Boot. – Anders hörte nicht darauf. Er saß gleichsam da, als sei er am Einschlafen. Aber die anderen wußten, daß gerade dann sich etwas in ihm zusammenbraute. – »Ich will dich bald zu einem Mann machen«, murmelte er. Jens sah den Bruder an und lachte.

Als Per den Jens ein Stück weit begleitet hatte, ging er über den Hügel hinüber nach Rönningan.

Er traf Petter daheim an. Niedersetzen wolle er sich nicht, er habe nicht viel zu sagen. Nur so viel, daß der Petter jetzt sich aus der Gemeinde machen solle, solange noch Zeit sei. denn sonst käme bald ein anderer her als er, und dann ginge es aus einem anderen Ton. »Der Vater, ja, lach nicht, du. Du weißt selber, was du auf dem Gewissen hast. Diesmal wird er dich zuschanden schlagen, wenn er dich nicht ganz erschlägt. Fort mußt du, für immer!«

Petter brachte nie ein rechtes Grinsen zuwege, wenn Per vor ihm stand. Per hatte so wenig Sinn für so etwas. Mit ihm wollte Petter am wenigsten zu tun haben. Trotzdem lächelte er, aber nur für sich selbst, und dann sagte er:

»Mich erschlagen, ja. Das müßte ich ihm eigentlich erlauben. Danach würde er schon zahmer. Und dann müßte er doch zufrieden sein, meine ich; wenn er so weit mit mir gekommen ist?«

»Ich habe dich jetzt gewarnt!« sagte Per, und dann ging er.

Kjersti kam hinter Per zur Tür heraus. Sie hatte den Kleinen zum Schlafen gebracht. Es war eine graue Frühlingsnacht, und die Wolken segelten mit kaltem Antlitz über das Tal dahin; die nächtliche Kühle aus Waldtälern und Mooren umschloß einen eisig, und der Bach brauste und sang drüben im Wald.

Per blieb eine kurze Weile stehen, erstaunt darüber, was sie wohl von ihm wollte. Es dauerte einige Zeit. Sie fuhr sich über die Brust hin, knöpfte wohl zu, es war so schauerlich kalt.

»Du, Per«, sagte sie. » Du darfst nicht böse auf den Vater sein. Mag es im übrigen gehen, wie es will.«

»Nein, nein«, sagte er, und dann trennten sie sich.


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