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Solvi

1

Es war Hochsommerzeit und ein wunderbares Wetter; Tag für Tag tiefblauer Himmel und Sonne, dann einen Tag und eine Nacht starker Regen, daß man es in der Erde sickern hörte, und dann stand wieder die Sonne am Himmel und strahlte und lockte. Es war gleichsam, als ströme aus einem großen und guten Herzen Segen herab. Die Erde lag da und atmete Wärme aus, eine dankbare und fruchtschwere Wärme, sie wollte einem wohl, wohin man sich auch wandte; wenn der Wind über den Hang mit den niederen Birken oder über die Wiesen hinstrich, rauschte es einem tief in die Brust hinein, er kam, die Arme voller Laubgeruch und voll Blumenduft und voll des Kostbarsten, das er wußte, auf einen zu, voll des Geruches von Wildgräsern und Waldkräutern und von Strandblumen und vom Ebbestrand und vielerlei anderem Wohlbekannten.

Petter Haaberg war eines Abends draußen und ging umher. Er gehörte nicht zu denen, die sich Zeit nahmen, lange herumzuschauen, er hatte allzuviel zu denken; als er aber an diesem Abend südlich nach Brekka kam, setzte er sich dennoch hin und blickte zurück. Er wollte nur die Neu-Stube daheim ein wenig betrachten, sehen, wie sie von hier aus sich ausnahm. Und er blieb sitzen.

Sie war noch nicht fertig, sollte noch mit Brettern verkleidet und gestrichen werden, aber er konnte trotzdem sehen, wie sie werden würde. Er konnte das gleiche sehen wie der Anders, wenn er wollte. Sie wurde großartig, die Stube, das war nicht zu verkennen. Der Anders hat mit geschlossenen Augen richtig gesehen, diesmal, sagte er. Ein wenig kleiner hätte sie sein können, sie hätte trotzdem noch die anderen überragt, und es wäre ihr zugute gekommen. Aber es war ein Haus, anders konnte man es nicht nennen. Es hingen ja auch drei Jahre Arbeit daran.

Petter schien es, als habe sich die ganze Gegend heute abend Haaberg zugedreht, läge da und kaue wieder und starre dorthin, Häuslerplätze und kleine Höfe, alle miteinander. Zwischen ihnen stand Laubwald, und er war so selig grün anzuschauen, runde Hügel weiter ins Land hinein, im Westen kahle Felsen und das Meer. Hinten stand das Gebirge, und es war hoch und steil – darum konnte das Haaberghaus sich so vermessen hoch aufrichten, es wußte, was es tat.

Er mußte fast lachen. Denn manchmal, wie er so hier saß, war er Petter, und Anders' Bruder, und da wünschte er, das Haaberghaus würde einen jeden, der ihm in den Weg kam, beim Kragen nehmen und ihn bitten, ein ganz klein wenig stillzustehen; dann aber wieder war er die Gemeinde, und da bedrückte ihn das Haus, so daß er wünschte, irgendein Lumpenkerl möchte kommen und es in einer Herbstnacht anzünden. Daß es nicht niederbrannte!

Petter ging vom Weg ab und nach Osten zu. Er wollte durchaus nicht nach Süden über den Berghang hinunter, er wollte nach Nordosten hinüber, und davon sollte Anders nicht Wind bekommen; er hatte dort irgendwo ein Mädchen. Wie ein Dieb schlich er quer durch den Wald und hielt nicht an, ehe er in Engdalen war.

Ja, dorthin wollte er eigentlich nicht, aber hineinschauen wollte er; es würde nicht schaden, wenn Anders erfuhr, wo er sich herumtrieb, später einmal.

Engdalen liegt zum Fjord hin, auf der Ostseite, es waren fast zwei Stunden Wegs bis dorthin, aber nicht viele Höfe dazwischen. Die Häuser waren klein im Verhältnis zum Hof, aber ziemlich gut gehalten, und die Äcker waren groß und gut. Schlagbarer Wald stand dicht dabei, und unterhalb des Hofes schnitt die Bucht herein. Sie blinkte in der Abendsonne zwischen den Bäumen wie ein Bergsee.

Er ging in die Küche, und dort stand Massi und rührte in der Grütze.

Sie veränderte sich ein wenig, so schien es ihm. Er hatte das gleiche schon früher bemerkt, wenn sie ihn ansah, und es geschah vielleicht deshalb, daß er ab und zu herkam. Sie fragte nie, wie es auf Haaberg gehe, wenn er aber erzählte, so hörte sie genau zu, und an diesem Abend kamen sie rasch ins Gespräch. Ola war zum Fischen hinausgerudert; und Petter wurde aufgefordert, zum Essen dazubleiben. Er erzählte, daß er unterwegs sei, um nach den Pferden zu suchen. Massi verzog den Mund, sagte jedoch nichts.

Ja, Anders war oben im Tal gewesen und hatte sich wieder ein neues Pferd gekauft; so war es. Und im übrigen schaffte er, als hätten ihn die Wespen gestochen, die ganze Woche hindurch. »Das bekomme ich zu spüren«, fügte er hinzu.

Petter war immer noch nur wie ein Kind anzusehen, so groß und lang er war. Er konnte den Kopf ein wenig schief legen, das eine Bein über das andere schlagen und die Hände um das Knie falten; die Haare fielen ihm meistens in die Stirn, und sie waren weich und dunkel und so fein, daß man Lust fühlen konnte, darüber hinzustreichen, die Augen waren grau, aber blank und fröhlich. Treuherzig hätte man ihn wohl am liebsten genannt. Einer, der sich besser auf Menschen verstand, hätte vielleicht eher gemeint, er gehöre zu denen, mit denen man sich nicht recht auskenne. Alles, was er sagte, war fast lauter Scherz und Unsinn, aber es lag immer etwas darunter, das glühte und ein wenig brannte.

O ja, ja, sagte er mitten drin. Er bekomme jetzt den Anders zu spüren, ja in letzter Zeit. Denn wenn der Bär so einschichtig herumläuft, dann wird ein Raubbär aus ihm.

War er denn schwer zu haben, der Anders?

– Na, wie man es nahm. Es hatte fast den Anschein, als gefalle ihm die Welt nicht mehr. Petter sah Massi an und lachte, erstaunt – er wollte ihren Blick erhaschen, der war so gut und so weich und so blau. Sein Mädchen hatte braune Augen, und das war eigentlich nicht ganz in der Ordnung.

»Du, Massi: Ich bin es, der dafür büßen muß, daß du den Anders zum Narren gehalten hast. Ich muß jetzt die Suppe auslöffeln.«

»Du? – – – Ich, sagst du? Was erzählst du da?«

»Seit drei Jahren läuft er nun wie ein bissiger Hund herum; schnappt nach Stock und Stiefel.«

Massi fing an, das Kind zu wiegen. Er habe ihr das Kind aufgeweckt, sagt sie. Aber sie war so froh anzusehen; dies war etwas, wovon sie mehr hören wollte.

Als er sich zu gehen anschickte, blieb sie vor ihm stehen und sah ihn an. – Wohin er heute abend habe gehen wollen? Oh, er solle nur ja nicht leugnen, sie wisse mehr, als er glaube. »Geh schnurstracks heim, du Anders – du Petter, will ich sagen – dann bist du ein ordentlicher Bursch. Und laß doch die Lappen Lappen sein, wenn sie auch noch so schön sind!«

Ja, ja, er gehe schon heim! Er habe den Anders nur foppen wollen, der wolle sich jetzt immer als Gevatter seines Bruders aufspielen, der. »Und du machst die Gevatterin«, fügte er hinzu. »Da muß ja ein ordentlicher Mensch aus mir werden.«

Sie sah, wie er den Weg heimwärts einschlug. Sie sah ihm lange nach. Sie mochte ihn immer lieber um seiner Reden willen, obwohl es lauter Dummheiten und Späße waren; ihr schien er halb und halb wie ein Bruder.

Und wäre mehr Zeit dazu gewesen, so hätte sie mich noch lieber gehabt, dachte Petter; denn er fühlte, daß sie das tat. Bald aber bog er ab und ging nach Norden. Er wollte trotzdem nach der Solvi sehen. Mochte sie doch Lappin sein, soviel sie wollte. Im übrigen war sie keine Lappin, der Vater war nur ein Halblappe, und die Mutter war eine Bauerntochter von Grong oben, das hatte Anders in Erfahrung gebracht, als er dort war und wegen eines Pferdes verhandelt hatte. Hatte man denn jemals ein Lappin mit hellem Haar gesehen? Die Mutter war jetzt tot. Sie war es, die Petter vorausgesagt hatte, daß er nicht heiraten würde, ehe er sich mit Solvi verheiratet hätte.

Petter blieb plötzlich stehen, als ihm das einfiel. Ein Gefühl jagte das andere, durch seinen ganzen Körper und den Kopf, so schien es ihm. Das Weib sollte falsch vorausgesagt haben, diesmal! – und im übrigen geschähe es dem Anders ganz recht, wenn es so käme. Und dem Mädchen hatte er nichts Schlimmes zugefügt, noch nicht, es war nicht so leicht, ihr nahezukommen – »ich habe nicht gefreit, und ich habe kein Ja erhalten«, sagte er. Aber sie war ein Edelstein von einem Mädchen, und wie es gehen würde, das würde man ja später sehen.

Ihm fiel ein, daß sie vielleicht heute abend auf ihn wartete, und so lief er ein Stück weit. Es hingen große, glänzende Räder von Spinnweben zwischen den Bäumen, er lief mitten hindurch, in moorige Stellen und Wasserpfützen trat er, aber er trug die Schuhe und die Strümpfe in der Hand, so daß es nichts ausmachte.

Der Hinke-Andreas wohnte in dem Wald nördlich vom Fjord, an der Grenzscheide zwischen dem Pfarrhof und Engdalen, auf einem kleinen, versteckten Fleck Erde. Das Haus konnte man nur eine Hütte nennen, und ein umgestülptes Boot, mit Torf ringsum, ersetzte alle Nebengebäude. Es roch nach Brenntorf hier wie auf allen Häuslerplätzen, bis zum Zaun her. Wenn man näher kam, roch es nach allerlei Armut. Im übrigen merkte Petter, daß es in letzter Zeit besser geworden war. Solvi tat wohl, was sie nur konnte, um es hier menschlich zu machen; vielleicht tat auch die Gewohnheit das Ihre.

Petter ging niemals so nahe heran, daß Andreas ihn zu sehen bekam. Er fürchtete den Mann. Der Köter kam kläffend näher, als das Tier aber merkte, wer er war, schwieg es und kroch wedelnd heran. »Du machst dich jetzt lappensanft«, sagte Petter, »dünn wie der Leibhaftige, wenn man ihn durch das Schlüsselloch hinausbeschwört. Ja, hüte dich vor den Menschen, das sag ich dir.« Der Hund wollte gestreichelt werden, aber Petter mochte ihn nicht anfassen.

In diesem Augenblick kam Solvi mit den Ziegen vom Berg herunter. Klein und leicht, wie sie war, kam sie heruntergesprungen, barfuß und notdürftig bekleidet, so daß sie sich nicht vor Leuten sehen lassen wollte. Sie hatte durch den Hund gehört, daß jemand da war, und nun blieb sie stehen, brennend heiß und froh, sah hastig an sich hinunter, zupfte ein wenig an ihrem Rock und lächelte: sie mußte wohl so bleiben, wie sie war. Sie trug ein kleines rotes Schnürleibchen, das nicht ganz schloß, und einen kurzen Rock, an dem ein Flicken über dem anderen saß, und sonst nur ein Hemd, dies aber war überraschend weiß. Sie hätte sich kein schöneres Gewand ausdenken können, wenn sie auch gewollt hätte; sie war so wohlgeschaffen, daß Petter kein schöneres Frauenzimmer je gesehen hatte, und er hatte sie alle miteinander angesehen. Rings um die Hüften und um die Mitte war sie wie gedrechselt, und die Beine waren ebenso – wenn sie sprang, konnte man glauben, sie habe Federn unter den Füßen; der Hals und die kleine Brust konnten einem den Schlaf rauben, anders wußte er es nicht auszudrücken. Das Gesicht war ein klein wenig vom Wetter gebräunt, aber sonst war sie überall weiß wie der beste Christenmensch. Die Augen waren braun, zwei lebhafte, blanke Tropfen, die staunten und blinzelten und einen gerade ansahen, das eine ein bißchen kleiner als das andere, was für ein Paar seltsamer Augen unter hellen Brauen und blondem Haar. Sie waren so innig treuherzig und so gut, aber sie wußten trotzdem eine Menge, und voller Lachen und Scherzen waren sie. Petter meinte, es müsse fast unmöglich sein, ihnen irgend etwas wirklich Böses zuzufügen. Und welch ein Haar, er hätte sie oder sich damit aufhängen mögen.

»Komm doch her, du, damit ich dich zu fassen kriege.«

»Willst du Ziegenmilch haben?« fragte sie.

Er verzog das Gesicht und schüttelte sich, und sie lachte, so herzlich beglückt, denn Ziegenmilch fürchtete er wie die Sünde, sie hatte ihn ein einziges Mal dazu verführt, davon zu kosten, und da war sie fast zersprungen vor Lachen über ihn. Sie mußte damals mit einem Kuß herausrücken, um ihn wieder zu besänftigen, den einzigen, den er gutwillig bekommen hatte.

»Ist er daheim?« fragte er und deutete mit dem Kopf hinunter.

»Der Vater, meinst du?« Die Andeutung eines Schattens lief über ihr Gesicht; ihre Augen konnten so weit ins Blaue hinausschweifen, konnten tausend Meilen weit wandern; sie lächelte wieder, aber es war anders als vorher: »Kannst du denn nicht mit hineinkommen? Er beißt dich doch nicht. – Nein, nein übrigens. Er hat so schrecklich Angst um mich; gerade, als wäre ich seine einzige Ziege.«

»Ja, das bist du ja doch auch, soviel ich weiß?«

»Ja, aber aus Glas bin ich schließlich doch auch nicht. Aber komm trotzdem herein, du wirst sehen: ich habe Espenlaub auf den Boden gestreut und den Rauchfang gekalkt, und dann haben wir einen Ofen bekommen – was?«

Nein, Petter wollte nicht. Sie solle sich beeilen und die Ziegen melken, er lege sich einstweilen hierher.

Aber da fräßen ihn die Schlangen und Eidechsen auf, hier gäbe es ihrer genug.

Ob denn ihr Vater nichts dagegen tue? Er, der so tüchtig im Zaubern sei?

»Sag so etwas nicht!« bat sie.

»Gib mir einen kleinen Kuß!«

Da lachte sie wieder, das eine Auge wurde winzig klein, und die Lachgrübchen schienen wie zwei Quellen von Lustigkeit und Übermut: – es sei nicht einmal gesagt, daß sie wiederkommen würde, er greife zu derb zu und sei so selbstsicher. »Du drückst und zwickst, du!« Damit rief sie den Ziegen und lief mit ihnen fort. Sie kamen ihr nach, als seien es überhaupt keine Ziegen. – Am Zaun oben wandte sie sich um, und er sah, wie hilflos lieb sie ihn hatte, es gingen gleichsam weiche Strahlen von ihren Augen aus, tasteten so behutsam über ihn hin: »Warte nur, dann werden wir sehen.«

Noch ehe er es erwartet hatte, war sie längst wieder zurück, und jetzt war sie etwas mehr bekleidet. Er wußte schon, wie blitzschnell sie sein konnte, wenn es darauf ankam, ganz als zaubere sie; wie ihr Körper sich drehte, gleichsam wie eine Otter im Wasser. Petter fürchtete, er könne sie eines schönen Tages totbeißen und sie dann davontragen wie die Katze die Maus.

Er stahl sich einen Kuß oder zwei; wenn er aber nach ihr griff, stach sie und kitzelte sie ihn, daß ihm Hören und Sehen verging.

2

Massi schaute nach der Sonne über den Bergen im Norden: es war Schlafenszeit, und sie wollte sich gerade auskleiden. Da stand Anders Haaberg draußen auf dem Hofplatz. »Um Gottes willen?« sagte sie und ließ die Blicke in der Stube herumwandern. Kamen noch mehr heute abend hierher? Jetzt trat er ein.

Er war ein paarmal auf den Hof gekommen, seit sie verheiratet war, da aber war Ola daheim gewesen, so daß sie wenig oder nicht mit ihm gesprochen hatte. Er wünschte guten Abend und griff so freimütig nach ihrer Hand. Und sie hatte vergessen, wie groß und geschmeidig er war; und die Augen waren stärker als Massi sich erinnerte. Und dann hatte er bereits kleine Falten auf der Stirn bekommen, und der Nasenrücken war gewiß höher und schärfer geworden.

Jetzt sah er sie geradeaus an, verzog sogar den Mund zu einem kleinen Lächeln, hörte wohl kaum, wie sie ihn bat, näherzutreten.

– So so, sie war also noch auf? Und alles ging gut? Da hatte sie ja etwas in der Wiege, das gehörte wohl ihr? Zwei? hatte sie schon zwei? Teufel noch einmal! Nein, aber Massi! Aber was er eigentlich wollte: hatte sie nichts von Petter in dieser Gegend gesehen?

War er verlorengegangen?

Ja, ja, so nach und nach. Im Ernst: hatte sie ihn nicht hier gesehen?

Nein, glaubte er etwa, sie habe ihn in der Schublade? Der Bursche hatte hier doch nichts zu suchen? Außer wenn er bei der Arbeit half.

»Aber heute abend, frage ich?« sagte Anders geduldig.

»Ja, übrigens: er war erst vorhin hier.« Sie konnte nicht anders, wie er so geduldig dastand; obwohl sie meinte, sie hätte richtig hinterrücks gegen ihn sein sollen.

Die Sache war die, sagte Anders, daß Petter hier herumging und sich mit dieser Lappendirne im Wald drinnen abgab.

»Hm, hm! Ja, warum nicht? Die Solvi ist ein tüchtiges Mädchen; sie ist oft hier gewesen und hat geholfen, und eine bessere Hilfe habe ich nie gehabt. Und so schön und jung – schön wie die Sünde.«

»Red keinen Unsinn!« Anders griff nach der Tür.

»Du solltest nicht so – nicht immer so störrisch sein, Anders.«

»Ja, gute Nacht also, Massi, und grüß den Ola. Ist er nicht daheim? – Beim Fischen, so. Ja, gute Nacht.«

Sie setzte sich aufs Bett, als er draußen war. Sie saß, als denke sie gar nichts. Dann aber ermunterte sie sich und blickte mit halboffenem Mund vor sich hin: »Habe ich ihm etwas zu trinken angeboten, oder habe ich nicht?«

Gleich darauf kam Ola heim, und sie erzählte, daß Anders dagewesen sei. – Warum sie ihn nicht gebeten habe, zu warten, sagte Ola. Es wäre so gemütlich gewesen, mit ihm zu reden. – »Er war rasend«, sagte sie, »er hätte einen für ein unrechtes Wort umbringen können.« – Ola lachte: »Du weißt ja, es ist eben nicht er, der dich bekommen hat.« – Massi sah ihn heiß und beschämt an, und dann wandte sie sich ab und ging hinaus. – »Und aus dir wird auch nie ein ganzer Kerl«, murmelte sie.

– – – Anders schritt aus und ging dahin, und er schlug den gleichen Weg ein wie Petter. Dort sah er auch die Spur des Lausbuben vor sich. – »Ich kenne doch meine Kuh an den Klauen und meine Ziege am Mist«, sagte er. Aber das würden sie zu zweit austragen, und wenn er ihn auch am Strick heimführen und in den Stall stellen müßte. Er wischte sich den Schweiß und ging weiter, denn es war warm wie in einem Backofen, aber langsamer wollte er auch nicht gehen, ihm war, als käme er zu spät. Zweige, die ihm in den Weg hingen, brach er einfach ab. »Lappen und Läuse!« knurrte er.

Im übrigen, das wollte er ja nicht behaupten. Das Mädchen war gut genug. Viel zu gut für ihn, den Lumpenkerl. Er hatte sie in der Kirche gesehen, die reine Golddocke. Aber er wußte, wohin das führen würde. Daß Petter gerne gerade gegen seinen Willen handeln würde, wußte er wohl. Nicht, daß er böse an sich war, es waren nur Jungenstreiche, die in ihm gärten. So mußte einer ja werden, wenn er sich keine richtige Arbeit oder sonst dergleichen vornahm. Das ging vorüber.

Er fand sie oben auf dem Birkenhügel, sie saßen da und wandten ihm den Rücken zu und schwätzten miteinander, und Anders wußte zuerst nicht, was er tun sollte. Der Fjord glänzte schwarz unter ihnen, und der Wald schlief rings um sie, und sie redeten miteinander und waren allein wie zwei kleine Geschwister; was sollte man da tun? Jetzt lachten sie, sie lachte wie das reine Kind, der Tolpatsch, sie wußten wahrhaftig nicht, wer sie waren oder wie sie waren. Anders sagte später, er wäre am liebsten heimlich wieder umgekehrt, wäre nicht der Hund aufgefahren und auf ihn losgesprungen – er hatte zu ihren Füßen gelegen. Sie wandten sich um, und Anders sah deutlich, wie Solvi sofort nach Petter griff, als sie zusammenschrak; er war bereits der, den sie in der Not brauchte.

Anders ging gerade auf sie zu. Petter sah die Adern auf seiner Stirn hervortreten, wie einen roten Kamm über den Schläfen, und da war es am ratsamsten, den Schweif einzuziehen. Zunächst aber sah er den Bruder nur erstaunt an.

»Was tust du hier?« sagte Anders.

»Wenig und nichts.« Er klopfte sich die Blätter von seiner Hose. »Zwei Wenig und ein bißchen Garnichts, ja.« »Komm jetzt und geh heim.«

»Ja. Gern. Aber muß ich nicht erst die Solvi zum Zaun hinunterbringen?«

»Schweig und komm jetzt. – Was glaubst du, daß die Mutter gesagt hätte, wenn sie noch lebte?«

»Ja, das ist wohl wahr, aber –«

Sie waren schon im Gehen, und Solvi und der Hund standen noch da.

»Ich kann es mir wohl sparen, mehr zu sagen, Petter?«

»Ja, mein Lieber – –. Wollen wir den Richtweg gehen?«

Petter war jetzt obenauf, da er nachgegeben hatte; und Anders schwieg. Dann wurde er nachdenklich.

»Sie ist doch auch ein Mensch, die Solvi, vergiß das nicht.«

»Du liebe Zeit!« sagte Petter.

Aber Anders war stehengeblieben, und jetzt kehrte er um. Mit langen Schritten ging er Solvi nach, als fürchte er, sie zu verlieren, und holte sie unten im Walde ein. – »Warte ein bißchen!« bat er.

Nein, sie hatte nicht geweint; sie war nur ein wenig verändert, und jetzt sah sie ihn halb und halb erschreckt an. Ja, ja, er war ein grober Kerl und konnte noch ganz andere erschrecken als sie, Leute, die noch lange keine so ängstlichen Augen hatten wie sie. Was in Gottes Namen dachte sie denn wohl? »Warte ein wenig, Solvi«, bat er, obwohl sie dicht bei ihm stand und wartete. Sie beugte den Kopf, als sollte sie gefällt werden. Dann gingen sie hinunter.

»Der Petter ist mein Bruder, Solvi, aber das will ich dir sagen: wert ist er nichts, um deinetwillen bin ich heute abend hierhergekommen. Hat er um dich gefreit, sag mir's.«

Nein? Gefreit hatte er nicht? Sie war wieder dem Lachen nahe.

Ja, aber – – hatte sie ihn denn nicht ein bißchen gern?

Darauf gab sie keine Antwort, sie ging nur dahin und nagte die Rinde von einem Zweig ab.

Sie müsse einen Augenblick warten! Er sah, daß die Sache verkehrt ging, aber umwenden konnte er jetzt nicht. Es war über drei Jahre her, seit er mit einem Mädchen unter vier Augen gesprochen hatte, er hatte gleichsam seit damals mit niemand mehr gesprochen.

»Nein, denn man darf ihm nicht glauben, Solvi. Und du findest sicher einen, der besser ist.«

Jetzt schob sich ihre Stirn zu kleinen Falten zusammen – ja, sicherlich, er war ihr böser Feind, der nun kam und ihr übel wollte.

»Ich weiß, es ist dir zu danken, Solvi, daß es bisher so gut gegangen ist; und das wollte ich dir sagen.«

Er erwartete sich keine richtige Antwort, und erst recht nicht, als er fragte, wovon sie denn hier in der Wildnis lebten. Aber sie antwortete still und offen. Der Vater schnitzte Hornlöffel und andere Kleinigkeiten zum Verkauf, und sie spinne ein wenig für die Leute, und dann und wann ginge sie auf die Höfe und helfe bei der Arbeit aus. Anders wußte, daß sie niemals bettelten, und sein Gesicht wurde ganz ernsthaft, während er ihr zuhörte.

»Ich möchte so gern – – willst du einen Taler von mir annehmen, Solvi?«

Sie wurde nicht böse und auch nicht froh; sie sah ihn nur an.

»Denn ich weiß nicht, was ich dir Gutes tun könnte. Das war es.«

Als er dies gesagt hatte, begriff er, daß sie nahe dem Weinen war. So waren die Kinder, bisweilen: sie standen ruhig und fest da, während er sie mit harten Worten zankte, kaum aber wurde er ein wenig weicher und sagte, er habe es nicht so schlimm gemeint, dann ging es in ihnen über.

»Ich geh jetzt am besten gleich wieder heim«, sagte er und griff sich in den Haarschopf. »Aber vergiß nicht, daß ich dich gewarnt habe.«

Sie sah ihn wieder an, so groß und ernsthaft wie ein erwachsener Mensch, verzog die eine Wange ein wenig und lächelte. »Gute Nacht!« sagte sie und schlug die Augen nieder, und dann ging sie.

Und er mußte auch gehen, aber er war nicht sehr zufrieden.

Es war die schönste Mittsommernacht, die Berge hatten solch ein besonderes Blau umgetan, und der Fjord war schwarz, wie grundlos, unterhalb der Felswand, und silberweiß und goldschimmernd weiter draußen, und ein Regenpfeifer rief zugleich traurig und froh über ihm hin.

Aber als dieses kleine Mädchen über die sommerabendliche Bläue und die Berge im Osten und alle Moore hingeblickt hatte, da waren tausend seltsame Nächte vor einem aufgestanden und alles, was einem einmal träumte, damals, als man klein war; und das Summen der Mücken war wie ein einziger tiefer Ton rings um einen gewesen aus der Zeit, die vergangen war.

Petter schlief, als Anders heimkam. Es war bereits Tag, die Sonne lag oben auf den Hängen. Anders dachte nicht daran, sich schlafen zu legen. Er ging hinaus und watete in den Wiesen umher und dann in den Äckern, trat fest auf, so daß die Halme flach hinter ihm liegenblieben und einen dunklen Weg bildeten. Die Tautropfen sprühten vor seinen Füßen, es war ein Reichtum an Nässe, den die Nacht ausgeschüttet hatte, es kitzelte so kalt und gut an den Beinen, weckte ihn aus blaugrauem Schlaf. Er hörte, wie Blatt für Blatt versuchte, sich aufzurichten; er spürte das Wachstum, das der Erde entströmte. Anders schwieg, wie er so dahinging, nur seine Nüstern weiteten sich und sogen alles ein, und die Augen wanderten hellwach über Feld und Wiesen; er schwieg wie die Bergspitzen. Sie standen da und erwachten im Schein der Sonne und ließen den Traum von sich abgleiten, zeigten Moos und Stein und alles das, was sie im Grunde waren. – Die Ackerralle, er stand eine Weile und hörte ihr zu: ja, sie sagte die Wahrheit. Und in ihm sang es mit, tief und anhaltend, es waren der Tag und er, die miteinander sprachen und einig wurden.

Darüber, daß Anders noch nichts verloren hatte. Hier im Osten drüben war noch eine unendliche Menge von Tagen. Und dann gab es ein gutes Getreidejahr auf Haaberg heuer; um den Rest bekümmerte er sich nicht.

3

Ein paar Monate später ritt Anders zum Pfarrhof und freite um Solvi. Sie diente jetzt dort. Es war ihm einmal von einem Zigeunerweib vorausgesagt worden, daß er sich die, die er einmal haben sollte, vom Pfarrhof holen würde, und nun mußte er es wohl tun. – Er glaubte nicht im geringsten an Yorhersaguugen, er war von Geburt an so ungläubig wie ein Stein. – Er wußte dies und jenes: daß in der Erde und im Fels allerhand wohnte – aber er brauchte nicht daran zu glauben, es war nur so, und fürchten brauchte er sich nicht, denn es gab immer irgendeine Waffe, wenn's darauf ankam, oder ein kleines Gotteswort. Kam man aber zu ihm und erzählte von Erscheinungen auf dem Kirchhof oder von Warnungen und Weissagungen, da lächelte er nur innerlich und ließ die anderen glauben, was sie wollten. Aasel erzählte von seinen Vorfahren, daß sie an nichts glaubten. Da verzog er den Mund zu dem gleichen Lächeln. Denn sie wußten wohl, was sie wußten, die Alten. Ganz hasenrein waren sie auf keinen Fall gewesen – dazu waren sie zu stark. – Aber über diese Weissagung hier mußte er lachen. Denn jetzt war die Solvi auf dem Pfarrhof, und haben mußte er sie; da blieb ihm eben nichts anderes übrig, als den besten Gaul zu satteln und sich auf den Weg zu machen. Auf diese Weise hatte das Weibsbild diesmal doch recht geweissagt, das tat ihr sicher gut.

Und der Petter, dem vorhergesagt worden war, daß er nicht heirate, ehe er die Solvi bekommen habe. Daran hatte er wenig und gar nicht gedacht. Denn er hatte immer nur an die Solvi denken müssen. Früh und spät hatte er an sie gedacht, bei allem, was er auch tat; es war eine Schande, dies einzugestehen. – Petter hatte wohl schon seine Geige unter den Arm genommen und spielte einer andern auf, wie man erzählte. Der kam sicher noch früh genug zum Heiraten. Und jetzt hatte es den Anders erwischt – er mußte laut lachen: Diese Hexerei konnte man sich gefallen lassen!

Zweimal hatte er die Solvi seit jener Nacht getroffen.

Das erstemal eines Tages auf dem Weg. Sie kam gerade auf ihn zu, während er dahinging und an sie dachte, so daß er sie fast für einen Traum oder eine Erscheinung hielt, dann aber war sie es wirklich, und er hätte nach ihr greifen können. Sie wollte still an ihm vorbeigehen, als er sie aber anredete, fuhr die Erinnerung an damals über ihr Gesicht. Ratlos zwinkerte sie mit den Lidern, und ihre Augen waren bei Tag so schön hellbraun; als er weiter vortrat und ihr näherkam, fuhren sie halb erschreckt, aber dennoch zuversichtlich über ihn hin, gleichsam als wüßten sie, daß von ihm nicht Böses kommen könne. – Er vergaß sich und ging mit ihr ein weites Stück zurück, sie war auf dem Weg zum Pfarrhof.

Das nächste Mal traf er sie bei der Kirche. Er stand hinter dem Stall im Schatten und band sein Pferd fest, und zugleich kam sie um die Ecke herum, sie wollte eben eine Kuh auf die Wiese treiben. Es hatte zum drittenmal geläutet, und die Leute waren bereits in der Kirche, nur noch einige junge Burschen saßen dort auf dem Hügel und spielten noch immer Karten. – Es durchfuhr ihn so stark, als er sie zu sehen bekam, er vergaß es nie. Sie war im vollen Staat, trug ein helles, feines Kleid und hatte einen weißen Kragen um den Hals. Dies hatte sie zu einem neuen Menschen gemacht, zu einem Menschen, den man besitzen mußte. – »Du«, sagte er, als sie endlich mit der Kuh fertig war – »ich werde bald einmal zu dir kommen und mit dir reden. Es ist etwas Ernstes, Solvi. Und an dem Tag wirst du mir nicht auskommen.« Er stand da und sah, wie die Röte über ihr Gesicht floß; aber die Augen, die hatten ihn nicht verstanden. Und so ließ er sie gehen. Aber es griff wie eine Zange nach seinem Herzen, daß er nicht mehr lange warten dürfe bis zu diesem Tage, man konnte bitter zu spät kommen.

Den Montag darauf fuhr er über den Fjord nach Juwika, zur Muhme Aasel, obwohl er nicht wußte, was er dort wollte. Sie sah, daß etwas Besonderes in der Luft lag, und darum wartete sie geduldig. Das paßte ihm nicht, und so sagte er denn geradeheraus, daß er jetzt heiraten wolle. – Ist das wahr? Sie wollte es erst sehen, ehe sie es glaubte.

»Aber warum fragst du nicht, wer sie ist, die ich haben will!« Er sprach ein wenig hastig.

»Ja, du weißt, das möchte ich schrecklich gern wissen, aber –«

»Es ist die Lappen-Solvi, wie sie sie nennen. – – Was sagst du dazu, Muhme?«

»Jetzt hältst du mich zum Narren, Anders.« Sie sagte es förmlich bittend.

Nein, es sei so, wirklich und gewiß. Ob die Muhme sie schon gesehen habe?

Das hatte sie. Und schön war sie, das mochte Gott wissen – aber war es denn wirklich Ernst damit?

Ja, jetzt kam es bald zum Klappen. Dann hatten sie wieder etwas zum Beißen in der Gemeinde.

»Du sagst Gemeinde, du, ja. Aber sie halten sehr viel von dir, Anders; das weißt du wohl nicht?«

»Ist denn das etwas so Großartiges? – Nein, es steckt schon mehr in mir. Das kannst du ihnen sagen.«

Aasel blickte ihn von oben bis unten an. Er stand jetzt ein wenig gebeugt da, ganz ruhig und sicher; und trotzdem so jung, wie sie ihn seit mehreren Jahren nicht mehr gesehen hatte. Seine Augen waren so gut – er dachte nicht mit einem Gedanken an die Gemeinde. Das tat Anders auch wirklich nicht, außer in dem Augenblick, da er es sagte. Es gab nur eines, Solvi, die mußte er haben. – Aasel fiel es schwer, die Sprache wiederzufinden.

»Ja, ja, Gott segne dich, Anders«, sagte sie. »Was du auch tun magst.«

Anders durchlief es ein wenig kalt bei ihren Worten. In diesem Augenblick stand er mutterseelenallein in der Welt seiner Entscheidung gegenüber. –

Und heute war er nun auf dem Weg. Er ritt auf dem Pfarrhof ein und ging zum Pfarrer selbst. Diesmal sollte es so vor sich gehen. Der Pfarrer führte den Anders in die Wohnstube, bat ihn, sich zu setzen, und ließ die Augen eine Weile auf ihm ruhen, wie es seine Gewohnheit war, wenn er einen vor sich hatte, an dem er Anteil nahm. Anders merkte dies wohl, nahm es wie etwas Selbstverständliches. Er räusperte sich und war mitten drin, ehe er es gewahr wurde:

Er habe sich auf den Weg gemacht und suche jemand, der bei ihm im Haus sein könne. Er habe schon früher einmal hierherkommen wollen, in der gleichen Absicht, da aber habe sich »ein Stein in den Weg gelegt«, wie ein altes Wort sage. Nun glaube er, daß er im rechten Augenblick komme. – Er hatte anfangs ein wenig atemlos gesprochen, jetzt aber kam er wieder zu sich und sah den Pfarrer ruhig an. Und der Pfarrer war baß verwundert. Er glaubte, der Mann sei betrunken, und zog seine feinen weißen Hände zurück, sie hatten auf dem Tisch gelegen, bei dem Buch und der Pfeife.

»Nun frage ich den Pfarrer: ob er etwas dagegen hat, daß ich die Solvi bekomme, die hier dient?«

Der Pfarrer ließ seinen Blick zwischen ihm und der Wand hin und her gehen – man hätte über ihn lachen können. Dann aber besann er sich:

»Muß er denn eigentlich mich darum fragen? Und ihr – hm – wohlgeborener Herr Vater?«

»Hab keine Angst, Pfarrer, den werde ich schon auch fragen. Aber zuerst kommen die größten Bäume dran, so sagen wir bei uns.«

Der Pfarrer begann zu rauchen, und Anders saß da und zog den Tabaksrauch ein und fand ihn gut. Und es war schön, hier zu sitzen, er hatte wohl kaum jemals so gut gesessen, mitten vor dem Pfarrer und der ganzen Gemeinde.

»Ja, nun ja«, sagte der Pfarrer endlich. »Nimm, was dein ist und gehe hin.« Und kurz darauf fügte er hinzu: »Du segelst ja wohl nach deiner eigenen Peilung, du, Anders, und dafür gebührt dir Ehre. Und – hm – Gottes Segen dazu!« Er beugte sich vor und nahm Anders bei der Hand.

Anders drückte fest zu und blinzelte heftig und zufrieden. So sollte es sein.

Der Pfarrer erhob sich, trat zur Küchentüre und schaute hinaus: sie sollten Solvi hereinschicken.

Sie kam herein und blieb gleich bei der Türschwelle stehen; keiner bemerkte, wie stark der Ausdruck in ihrem Gesicht war. Anders ging auf sie zu und schüttelte ihr die Hand, und dann wandte er sich wieder zum Pfarrer:

»Sie weiß, was ich will; und ich glaube, sie ist einverstanden.«

Der Pfarrer zog die Brauen hoch hinauf: »Das ist schließlich auch nicht zu viel.« Dann ging er zu ihr hin und nahm sie bei der Hand, führte sie zu Anders: »So hat ein Größerer als ich einstmals das Weib zum Manne geführt.« – So konnte er manchmal reden, der Pfarrer, nur Scherz und Unsinn.

Solvi war kreidebleich geworden und mußte sich auf Anders stützen, und ihm wurde heiß bis ins Gesicht hinauf. Und jetzt wurde der Pfarrer still und ernsthaft, er senkte die Stimme, als spräche er mit einem Kranken.

»Dies ist so seltsam. Ich weiß nicht – es kommt mir vor – – ich wünsche euch beiden viel Glück. Viel Glück!« Er richtete sich auf, erhob die Stimme ein wenig und sah Anders fest an: »Sei ein Mann, Anders. Was dir auch begegnen möge. Sei der, für den ich dich halte. Gott segne euch beide, das wünsche ich euch aus ganzem Herzen. Ach, ja, ja, ja, ja!« Der Pfarrer wandte sich rasch ab und ging zum Fenster, blieb dort stehen und sah hinaus. »Und ich glaube auch, er tut es. Ich glaube, er tut es. Geht in Frieden, Kinder!«

Solvi drückte Anders die Hand, ein bebender, Furchtsamer, kleiner Druck, und dann eilte sie rasch hinaus. – Anders bestellte das Aufgebot für den nächsten Gottesdienst und nahm Abschied und bedankte sich. Solvi traf er draußen vor der Türe. Die anderen Leute waren wie weggeblasen, und er strich ihr über das Haar, ein wenig unbeholfen zwar, und dann ritt er fort.

Im Spätsommer kann die Nacht so schwermütig sein, Wiesen und Wälder liegen im Halbdunkel und flüstern und mahnen. Anders wurde davon eingefangen, als er so dahinritt, und er wußte nicht, wie dies zuging. Das Dasein war so vielfältig geworden. Und der Anders, der jetzt heimwärts ritt, war nicht der gleiche, der hergeritten war, und das Espengehölz und die Felder, die rings um ihn flüsterten, die waren vorher noch nicht dagewesen. Er wußte nicht, war es Trauer oder Glück, was ihn durchfuhr; es war eine unbekannte Unruhe, gleichsam als reite er über geweihte Erde. Diesen Weg war keiner vor ihm gekommen. Keiner würde je erleben, wie dies war.

4

Petter kam nach Engdalen, eines Abends vor der Hochzeit, kam geschlendert, als habe er nichts im Sinn. Massi steht in der Küche und bäckt Kartoffelkuchen – denn sie hatten es hier schon so weit gebracht, daß sie es mit den Kartoffeln versuchten. – Sie ist ein wenig bestürzt, als er kommt, und bittet ihn, in die Stube zu gehen. Er aber setzt sich in die Küche, so eng es dort ist; er sitzt da und betrachtet die Backplatte, der Ruß außen am Rand hat Feuer gefangen und brennt mit zahllosen kleinen Feuersternen, die herumspringen und -hüpfen, bis es wie ein funkelnder, schwindelnder Tanz ist. – »Schau nur!« sagt er und lacht. Sie sieht hin und dann ihn an; sie hat ihn verstanden, und sie errötet sogar ein wenig. – »Lappenhochzeit« … sagt er. »Ja, ja, jetzt gibt es wohl bald eine Lappenhochzeit, so sieht es aus«; sie lächelt unsicher. – »Und ich allein bin entronnen, auf daß ich dir's melde«, meinte Petter. Es ging in jener Gegend ein Wort unter den Leuten, daß Feuersterne an Kessel und Backplatte auf Lappenhochzeit deuten; denn ungefähr so tanzen die Lappen auf der Hochzeit.

»Ja, ich war in der Kirche, als das erstemal aufgeboten wurde«, sagt sie. »Er saß dort, als sei das alles nicht der Rede wert. Hast du es bemerkt, Petter?«

Petter merkte nur, wie lange sie vor sich hinstarrte, jetzt wie auch damals.

Dann kam Ola herein, und bald waren sie wieder bei der gleichen Sache. – »Er hat keine Scham im Leib«, sagte Massi. »Gott verzeih mir die Sünde, aber er geht herum, als habe er eine große Tat vollbracht.« – »Das hat er ja auch«, sagt Ola. Seine Stimme klang ganz warm. »Die Leute in der Kirche sahen aus, als habe man ihnen kaltes Wasser über den Kopf geschüttet. Nein, der Anders geht gerade seiner Nase nach, und die ist schief. He, der ist mir ein sonderbarer Heiliger! Mit dem werden sie nicht fertig.«

Petter blieb die Nacht über da. Am Morgen nahm er Abschied, er wolle jetzt seiner Wege wandern, gehe in die Malerlehre. Massi nahm ihn so warm bei der Hand, wollte ihn kaum loslassen.

»Armer Bursche, du«, sagte sie. »Dich haben sie wohl heimatlos gemacht, was?«

»Ach wo, das ist ja bloß lustig.«

Massi wandte sich Ola zu, als sie allein waren: Sollten sie zur Hochzeit fahren oder nicht? – Ja, freilich sollten sie! Sie sollten fahren, wie sie sich auch drehte und wendete, was hatte sie denn zu brummen?

Ola hatte dem Anders für immer den Rücken gekehrt, hatte ihm ein für allemal Lebewohl gesagt; als er ihm aber die Massi wegnahm, war alles ausgeglichen und vergessen, er war viel zu sehr Kämpfer, als daß er lange etwas nachtragen konnte. Er wußte keinen Besseren in der ganzen Gegend als Anders, obwohl er sich noch für lange Zeit keine Freundschaft von ihm erwartete. – Ja, wenn sie aber zur Hochzeit sollten, dann mußten sie sich auch eine Brautgabe ausdenken, die sich sehen lassen konnte, sagte Massi. – Ja, ganz richtig, das war auch Olas Meinung. Denn es war ein kleines Meisterstück, was der Anders jetzt zuwege brachte; von welcher Seite man es auch ansah.

– – – – Etwas Ähnliches sagten sie auf allen Höfen, wo sie geladen waren. Es war das stärkste Stück, das sie je gehört hatten, daß ein Erbbauer hinging und sich mit einem Lappenmädchen verheiratete. Daß wenig oder nichts Lappenartiges an ihr war, half nicht viel; es war, als habe er ihnen den Stiefelabsatz auf den Bauch gesetzt. Aber doch war fast alles gut und recht, was Anders tat, besonders wenn er kam und mit einem darüber sprach. Kein anderer als er hätte so handeln dürfen und noch dazu allen Leuten in die Augen schauen können. – Und wie vergnügt er ist, sagten sie. – Ja, ganz, als sei der Herrgott zur Erde herabgestiegen und habe ein großes Werk an ihm getan. – Er sah aus, als singe er den ganzen Tag » Solvi« vor sich hin.

Und das Haus auf Haaberg wuchs heran wie ein Wunder und wurde fertig, im ganzen Kirchspiel und noch weiter machte es von sich reden. Anders hatte Maler von weit oben im Tal kommen lassen. Die Leute aus der Gemeinde machten sich bei ihm etwas zu schaffen, um es anzuschauen. Und Anders tat noch mehr: Er ging hin und kaufte ein Brautpferd, Er hatte einen großen Falben, und nun schaffte er sich einen zweiten an: Sie sollten jedes auf seinem Falben zur Kirche reiten! – Er liebt sie, als sei sie eine Großbauerntochter, sagte ein Weib. – Wenn sich dann aber der Hinke Andreas durch die Kirche schleppt, was meinst du? sagte eine andere. – Ja, ja, versteht sich. Das wird ein Anblick sein!

– – – Der Hinke-Andreas kam überhaupt nicht. Er legte sich hin und war krank. Anders lächelte gedankenarm, als er dies hörte, blieb stehen und sah Solvi an und vergaß sich ganz. Die anderen lächelten ebenfalls – er konnte gutmütig sein, der alte Lump, wenn er wollte. Und wenn sie es recht bedachten, so durften sie froh darüber sein, denn Hochzeit ist eben doch Hochzeit, und ein schwarzer Schatten ist kein Spaß bei einer Festlichkeit.

Man hatte gebraut und gebrannt bis an die Knie hinauf, wie ein Mann sagte, und alles großartig vorbereitet. Die Neu-Stube nahm den Leuten fast den Atem, da zeigte Raum für Raum gemalte Wände und lauter Herrlichkeit, einer größer als der andere: zwei große Stuben über das ganze Erdgeschoß hin, mit zwei dazugehörigen Kammern, und die Küche in der Mitte, wie eine ganze Stube, auch sie, und ein großer Gang, der gerade auf sie zuführte; alte Leute gingen immer wieder durch die eine Stube und über den Gang zur anderen, es war schon wie ein kleines Gastgelage, allein das hier.

Anders hatte Ola Engdalen gebeten, den Kellermeister zu machen, und der hatte dies mit Freuden auf sich genommen. Er stand dem Trunk vor wie ein Priester; jeder erhielt das, was er wollte, und reichlich, keiner entging ihm, und keiner bekam zu viel. – Und hier geschah das, was man nie zuvor erlebt hatte, daß sie in der Stube selber tanzen konnten und nicht in die Scheune hinauszugehen brauchten; sie tanzten drei Tage und drei Nächte lang und noch ein wenig darüber. Wohl fiel der und jener unter den Tisch, aber bald kam er wieder auf die Beine und tanzte weiter; und fein ordentlich ging es her, wie bei einem Leichenschmaus: nicht ein einziger schlug Lärm oder griff zum Messer. Wo nicht der Bräutigam war, dort war Ola, und sie waren beide groß und lang, wie schon einmal gesagt.

Sie redeten so allerhand über den Bräutigam, keiner aber sagte zu ihm etwas anderes als nur Gutes. – Er geht umher, als wolle er einen auf die Hörner nehmen, konnten sie sagen. – Meinst du? Er sieht mir mehr so aus, als habe er etwas Süßes geschmeckt. – Das hat er wohl auch. – Aber schwer muß ein Kopf zu tragen sein, wenn man ihn so hoch trägt. – Ja, das wissen wir nun nicht so genau. – Wer hätte je gedacht, daß einmal Lappenblut ins Juwik-Geschlecht kommen sollte. – Ja, es ist wohl durstig.

Anders betrachtete sie genauer, als er ein paar Schnäpse im Leib hatte, nun, da waren sie also, und so sahen sie aus. Aber wie winzig klein sie waren. Durch Schweigen allein schon konnte man sie flachtreten. Nur Ola Engdalen war ein richtiger Mann, und jetzt hatte er auch über ihn gewonnen. Denn dies hier hätte Ola nicht zuwege gebracht. Ja, ja. Sie waren gut genug. Er wollte sie nicht schlechter machen. Aber so oft Solvi durch die Stube ging, trat er näher an den einen oder andern heran und sah ihm ins Gesicht. Warum konnten sie ihr Herz nicht zeigen, auch wenn es böse war?

Solvi kam übrigens allein zurecht. Sie war so still und gut und fühlte sich so sicher; kein Wolf hätte sie beißen können. Die Alten kamen herbei und redeten einer nach dem anderen mit ihr, und nach ihnen kamen die Frauen, aber denen fiel es etwas schwerer; die Mädchen waren bald alle um sie versammelt, sie dachten an nichts anderes, als daß sie Braut war. Bald tauten sie alle auf rings an den Wänden.

Man mußte der Wahrheit die Ehre geben, vor dem Altar leuchtete Solvi wie die Sonne, und am Tag darauf, als sie in der Frauentracht hereinkam, war sie noch schöner. Sie strahlte Glück aus. Sie wärmte wie der Sommertag, wo sie hinkam – es war also kein Wunder, daß der Anders in diese Fuchsfalle gegangen war, fanden sie. – Oh, wäre ich jung ... sagte ein alter weißhaariger Mann.

Und im übrigen aßen sie und tranken sie, bis sie sowohl Braut wie Bräutigam vergessen hatten. Und wie sie tanzten, wie sie tanzten!

Aber auch eine Groß-Hochzeit nimmt einmal ein Ende. Sie fanden sich am vierten Tag halb ernüchtert und erstaunt wieder, und so blieb nichts anderes übrig, als sich zu bedanken, den Stab zu nehmen und zu gehen.

Anders fühlte, daß sie ihm alles Gute wünschten, als sie so wegzogen. – Wir sitzen sicher, von heute an, Solvi, sagte er. Ola und Massi waren die letzten, die sich von den Brautleuten verabschiedeten, und als Massi dastand und Solvis Hand hielt, war sie ganz gerührt. »Ihr müßt so bald wie möglich nach Engdalen herüberschauen«, sagte sie. – »Ja, wenn ihr nicht kommt, dann werde ich euch was anwünschen!« sagte Ola – er bereute es, kaum daß er es gesagt hatte. Anders und Solvi versprachen zu kommen. Und dann wandten sie sich ab und lächelten einander zu.

– – – Sie kamen sowohl nach Engdalen als auch auf andere Höfe, daran fehlte es nicht, und willkommen waren sie. Anders fühlte sich sehr zufrieden. Er war in bösem Wetter draußen gewesen und hatte sich durchgekämpft. Es schien ihm nach und nach so, er habe dies getan, um sich auf die Probe zu stellen. Soviel mußte man an das wenden, woran man seine Freude haben sollte. Und wäre es ungeschehen geblieben, hätte er nie erfahren, wer er war.

Und dann hätte er keine Solvi gehabt.

Das Merkwürdigste war, mit welch sicherer Hand sie die Arbeit im Hof anpackte. Daran hatte Anders vorher gar nicht gedacht, da wäre ihm vielleicht das Blut gestockt; und jetzt richtete er sich auf und dankte dem da oben für das, was er sah. Sie nahm ihren Platz mit einem beglückten Lächeln ein, er sah, wie die Gedanken hinter blanken Augen arbeiteten – die Hände huschten umher wie Fische im Wasser, er konnte oft stehenbleiben und ihnen lange zusehen, sie liefen von einem zum anderen und ließen alles fertig und wohlgetan wieder los, gleichsam als wäre es nie anders gewesen. Ihre Geschicklichkeit schlich sich in ihn ein und erfaßte ihn, so daß er ganz verändert war. Und jedesmal, wenn sie ihn hinter sich gewahr wurde, war sie wieder von neuem erstaunt; ihr hing eine kleine helle Haarlocke in die Stirn herab, und ihm war, als rühre sich die vor Verwunderung. Aber meistens sah Solvi ihn gar nicht an, es gab zuviel Lustiges zu tun. Sie entglitt ihm am Morgen wie ein Aal, und dann war sie überall; lange Zeit hörte er nichts von ihr, und da wußte er, daß jetzt die Arbeit flog.

Daß sie nicht sang! Da aber wäre sie ein anderer Mensch gewesen, und da hätte er keine Solvi gehabt.

– »Laß mich einmal in dein Vorratshaus schauen«, sagte er eines Tages, als sie dort war. – »Ja, jetzt gehört das Vorratshaus mir«, erwiderte sie. »Hahaha, soviel zu essen!« platzte es aus ihr heraus. – »Heute abend wollen wir fortgehen; du und ich; – ostwärts zu deinem Vater, meinte ich, mit einem bißchen Mundvorrat, wenn du etwas übrig hast?« Er sah, wie sich ihre Wangen entfärbten, bis sie fast weiß waren, und sie ließ die Mehlschaufel fallen. Dann kam das Blut wieder zurückgeströmt, bis das ganze Gesicht brannte und rot war, ja, aber trotzdem kam es nicht zum Weinen bei ihr. Er stand mit den Händen auf dem Rücken da und sah zu.

»Ja, meinst du?« sie ließ ein kleines gleichgültiges Lachen hören.

»Ja, der Mond scheint so schön, das ist es.«

Anders mußte an Petter denken, während sie ostwärts gingen. Wer hat mich doch damals an den Ohren gezogen, an dem Abend, als ich fortgehen und ihn heimjagen mußte? dachte er. Das würde er wohl niemals ergründen.

Und wäre Petter nicht der Tölpel gewesen, der er war, so wäre alles anders gekommen. So hätte er keine Solvi gehabt.


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