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Erstes Buch. Juwika

Von altersher

Der erste Juwiking, von dem man weiß, war von Süden gekommen, von Sparbu oder Stod oder sonst irgendwoher. Er hieß Per.

Er soll verheiratet gewesen sein und Hof und Grund besessen haben. Mit ihm kam seine Mutter. Was ihn vertrieben hatte, mochte Gott wissen. Er rodete sich einen Fleck Erde unter dem Hof Lines. – Eines Tages kam der Linesbauer und forderte mehr Pflichtarbeit von ihm, als verabredet worden war. Per schaute ihn nur an. Und kam nicht. Gegen Abend hinkte Pers alte Mutter zum Hof hinauf, wollte mit der Hausmutter selbst sprechen. »Weißt du, was sich die Leute erzählen?« sagte sie. »Sie sagen, daß mein Lump von einem Sohn und dein Goldkind einander haben sollen – Gott verzeih mir die Sünde, aber das sagen sie.« Auf Lines hatten sie nur eine Tochter. Tags darauf kam der Linesbauer und sagte ihnen auf; er redete hart und grob mit ihnen. Per ging mit ihm fort, und im Birkengehölz gleich unterhalb des Hofes packte er seinen Hausbauern, setzte ihm das Knie auf die Brust und richtete ihn zu, daß es eine Schande war. Der Linesbauer schwieg und fand sich darein, ein geringerer Mann war er nicht; er schleppte sich heim, eine Blutspur hinter sich lassend. Seitdem ging ein Sprichwort unter den Leuten, sie sagten wie Per damals: »Ich habe ihn nur ein wenig angefaßt; ich konnte nicht anders.« Der Linesmann schickte seine Frau mit der Botschaft hinunter, Per könne die Maerit haben, wenn es so sei, wie sie sagten. Per erwiderte nein, er wolle sie nicht haben. Maerit selbst ging zu ihm und kam weinend zurück; aber Per trug sein Bündel ins Boot und ruderte fort. Er war kein Häuslerlump, das sollten sie wissen!

Dann ließ er sich in Juwika nieder. Das war seit alters ein Häuslerplatz gewesen, und er kaufte ihn durch Arbeitsleistung als Eigentum vom Ommunstrandbauern. Er errichtete ein neues Haus für den Bauern; im ersten Winter fällte er die Stämme und zog sie zum Bauplatz, im zweiten Winter zimmerte er das Haus. Jedermann in der ganzen Gemeinde sagte, sie hätten bisher noch nicht gewußt, was arbeiten sei. Auch in Juwika entstanden neue Häuser, und die Äcker vergrößerten und verbesserten sich nach und nach, gleichsam von selbst.

Juwika liegt ganz draußen am Fjord. Aber es liegt geschützt, gegen Osten zu, und gegen Meer und Stürme geborgen. Niemand hatte früher bemerkt, daß es dalag und noch viel weniger, daß es so dalag.

Eines Tages kam Maerit mit dem Jungen, und sie blieb. »Du mußt jetzt wohl hierbleiben«, soll er gesagt haben, »du kannst den Platz an Stelle der Mutter einnehmen, sie hat voriges Jahr ins Gras gebissen.« – »Davon weiß niemand etwas – wann wurde sie beerdigt?« »Beerdigt? Nein, sie liegt dort unten am Hang begraben. Bessere Erde gibt es hier kaum.« – Er und Maerit heirateten nicht, aber sie lebten lange und gut miteinander und bekamen viele Kinder. Keiner trat ihnen zu nahe, und auch sie kümmerten sich um niemand.

Der älteste Sohn übernahm den Hof, im übrigen aber weiß man wenig von ihm. Die Söhne blieben alle daheim und rodeten ganz Juwika von den Hügeln oben bis hinunter an den Strand.

Einer von den nächsten Juwikingern hieß Anders. Sie hießen Per und Anders, Vater und Sohn nacheinander. Er wurde Bären-Anders genannt. Der Bär nahm damals überhand und hauste arg, östlich im Mo-Gebirge. Anders kam mit seiner Axt dorthin, so wird erzählt, und drang in den Wald ein. Es war in der schwärzesten Herbstdunkelheit, und er legte sich mutterseelenallein beim Aas hin – es war die einzige Kuh einer Häuslerin, der Bär hatte sie im Moor zerrissen. Zwei Nächte lag er da und wartete. Am dritten Tag kam er ins Tal, die Bärenhaut über der Schulter, und seitdem hieß er Bären-Anders. Sie wollten wissen, wie es zugegangen war – denn mit Anders konnte man gut reden. »Ja«, sagte Anders, »er kam, und da schlug ich ihn tot.« Es war keine Kleinigkeit, seine Bärenaxt in die Hand zu nehmen, wenn er sie im Waffenhaus vor der Kirche zurückgelassen hatte. Man sah sie übrigens nicht oft bei der Kirche, die Juwikinger; es ging ein Sprichwort von ihnen unter den Leuten: Gottes Wort und Lappenzauber können ihnen nichts anhaben.

Des Bären-Anders Sohn nannten sie den Groß-Per. Man erzählt sich, daß der Ommunstrandmann eines Tages, als der Groß-Per im Walde war, auf dem Finnstad-See mit dem Schlitten durchs Eis brach. Per fühlte es sozusagen und lief hinzu. Und zog Mann und Pferd heraus. Dafür bekam er die Tochter und Grund und Wald, soviel er nur wollte; und die Juwikinger wollten am liebsten viel haben. Sie erzählten es übrigens ein jeder auf seine Art. Der Ommunstrandmann erzählte es so: »Das war wahrhaftig ein Griff, Per. Willst du meine Tochter haben oder willst du nicht?« Per lachte, als er davon erfuhr. »Nein, nein, ich mußte ihn schon ein-, zweimal eintauchen, bis er weich war.« Im übrigen glaubten die Leute das, was sie am liebsten glaubten: daß Per Pferd und Mann selbst durchs Eis befördert hatte; er wäre sonst kein Juwiking gewesen. – Aber wie dem auch sei: die Juwikinger waren von diesem Tag an andere Leute. Es wurde eine so große Hochzeit abgehalten, daß es kaum jemand gab, der nicht dabei war; denn die Leute von Ommunstranda waren mit den besten Sippen auf beiden Seiten des Fjords verwandt. Und in Juwika entstanden neue Häuser, die waren mit allem möglichen angefüllt, es herrschte ein Reichtum an Nahrung und allem anderen, daß es zum Staunen war. Und weit und breit wurde von all den Herrlichkeiten geredet.

Und man redete auch von den Juwikingern selber, wo sie sich nur sehen ließen. Es waren ihrer viele, und sie waren fast alle riesige Kerle. Sie hielten zusammen wie Dornengestrüpp. Groß und stolz waren sie anzusehen, aber wie es nun auch kam: sie blieben die längste Zeit unverheiratet, besonders jeweils der älteste Sohn, und er machte gern einen weiten Weg zu der, die er haben wollte. Am liebsten nahm er sie mit Macht und harter Gewalt; es gingen viele Sagen darüber.

Der Geiz-Per war einer von den letzten der alten Kerle. Er segelte ganz nach Süden, in die Gegend von Drontheim, um sich ein Weib zu holen. Es hieß, sie stamme von großen Leuten und im Guten habe er sie kaum bekommen. Er war der einzige von ihnen, der sich auch mit dem Meer abgab. Er segelte und fischte an der ganzen Küste entlang und trieb Handel und ähnliches. Er war nicht der älteste, daher kam es wohl. Dann aber starb der Bruder, und Per erhielt den Hof. Da wurde er neidisch und geizig, so recht ein Geiz-Per; nach und nach wurde er mächtig und reich. Von ihm erzählen sie, daß er im Fjord die Heringsnetze samt den Heringen stahl. Er nimmt alles, was schwimmt, pflegten die Leute zu sagen. Aber an Land war er so ehrlich, wie man nur sein konnte. Als er alt wurde, zog er am Fjord entlang von Hof zu Hof und trug seine Diebsbeute zurück. »Es gab keine Ruhe – im Bootsschuppen«, sagte er, »und dein soll dein sein und nicht mein.« Man sah ihn nach diesem Tag nicht für geringer an. Denn niemand glaubte, daß er Spuk fürchte; der Unfrieden war wohl nicht im Bootsschuppen gewesen. Und Diebsbeute ist schwer, wenn man sie zurücktragen soll. Ja freilich spukte es auf Juwika wie auf anderen Höfen, für das Gesinde war es nicht immer angenehm dort; aber Per und die anderen Juwikinger taten, als merkten sie nichts; sie waren kalte Leute.

Sein Sohn hieß Anders. Er war stiller, als die Juwikinger sonst zu sein pflegten. Die Leute fanden, er sei bei der Übernahme des Hofes schon gerade so alt gewesen wie sein Vater, als der ihn aufgab. Aber er war ein milder und kluger Mann und ein wahrer Staatskerl bei der Arbeit. Er schritt die Grenze zwischen Ommunstranda und Juwika ab und zog den Scheiterzaun so, daß er die ganze Halbinsel der Länge und der Breite nach besaß, und siedelte eine Menge Häusler an. Die Ansprüche seiner Brüder löste er mit einer großen Geldsumme ab und die Brüder zogen in andere Gemeinden.

Anders hatte nur einen Sohn, und der hieß Per Anders. Er war der stärkste von ihnen allen und in seiner Jugend ein wilder Kerl. Er war es, der dem Lappenzauber trotzte. Es wanderte damals ein Lappenzauberer von Hof zu Hof, der hieß Nils Weitumher. Die Leute fürchteten ihn sehr und gaben ihm das Beste, was sie hatten. Eines Tages war er auf Juwika und erhielt dort alles, worum er bettelte, und noch mehr. Als er fortgehen wollte, legte er die Hände zusammen und segnete Mensch und Vieh, Stall und Vorratshäuser und Wohnhaus und Weide. Per Anders stand dabei und grinste. –

»Kannst du zaubern?« fragte er. Der Lappe wollte sich aus dem Staub machen, aber Per Anders vertrat ihm den Weg: »Kannst du zaubern, frage ich, du Lappenhund! Du sollst antworten, wenn ich frage. He?« Die Mutter bat ihn mit guten und sanften Worten, er solle Frieden halten, und die Knechte und Mägde zogen sich zurück, sie waren kleinlaut, denn es gehörte nicht viel dazu, daß Nils Weitumher Unglück über einen brachte, sie kannten gar manchen, der schlecht dabei weggekommen war. – »Du bist ein junger Mann«, sagte der Lappe sanftmütig, »aber vergiß nicht, die Welt, die ist alt.« – »Jetzt sollst du mir was anzaubern, oder du kommst nicht heil von der Stelle! Wünsch mir den Knochenfraß, daß es mich zusammenreißt! Zaubere mir die Haare weg, so wie du es mit der Frau von Björland gemacht hast – willst du wohl gehorchen! Her mit deinem Zaubersack!« Und Per Anders entriß dem Lappen den Sack und leerte ihn aus. Die Leute wandten sich alle ab; ein kalter Schauer durchfuhr sie. Der Vater stand still und nachdenklich im Haus, wie immer, gleichsam als ginge ihn das alles nichts an. Dann nahm Per Anders den Lappen samt seinem Sack und schüttelte ihn, wie der Wind einen Fetzen schüttelt. Die Beute des Lappen aber nahm er an sich und trug sie zu den Häuslerplätzen, denn dort gab es gar manchen, der hungerte. – Da stieg der Lappe auf einen großen Stein und sprach Bannspruch und Verwünschung hinter Per Anders her, daß es gleichsam rings um ihn rauchte. Die Haare stiegen einem zu Berg über das, was er sagte: Die Füße sollten unter dem Per Anders einschrumpfen, das Fleisch sollte ihm von den Knochen faulen, das Vieh sollte verrecken, ehe es zur Welt kam – am dreißigsten Tag sollte der Hof abbrennen – a-i, a-i, a-i, oh! Per Anders schlug sich auf den Hintern und ging. Die Häuslerweiber freuten sich über die Gaben, und Per Anders lebte weiter wie bisher. Ihm konnte kein Zauber etwas anhaben.

Per Anders ging zum Tanz, so oft er Lust dazu hatte, in die Gemeinde und auch an weit entfernte Plätze, und da kam dann Leben in die Stube. Es war so lustig mit ihm, obwohl er den anderen etwas fremd war, er hatte so viele Einfälle. Aber man mußte sich hüten: es gab leicht Prügel.

Sein Weib holte er sich von weit her. Er verschaute sich auf dem Markt in ein Mädchen, und am Tag darauf ging er zu ihr heim und sagte, er wolle sie haben. Ihr Vater schlug auf den Tisch, denn er war einer der größten Bauern in der Gemeinde dort. »Das geschieht nicht!« sagte er. »Ja, aber ich hätte sie so notwendig gebraucht«, erwiderte Per Anders. – »Du? Du Dreckbauer unten vom Wasser! Du willst wohl meine Tochter mit Salzheringen füttern?« – »Ich hätte sie so notwendig gebraucht. Und noch eines: Willst du Geld oder Hiebe?« Per Anders schlug die Geldtasche auf den Tisch, daß es alle, die in der Stube waren, in die Höhe lüpfte – es stand eine Milchschüssel auf dem Tisch, und die Milch spritzte bis an die Decke hinauf. So hatte noch keiner hier auf den Tisch geschlagen, und mit so einer Geldtasche schon gar nicht. – »Jetzt komm also her, Ane«, sagte er, und sie zupfte ihr Kleid zurecht und kam. Aber der Juwikinger war noch nicht zufrieden. »Hör«, sagte er, »läßt du deine Tochter wie eine Bettlerin von daheim fortgehen?« Nein, das war nicht die Absicht des Mannes gewesen, er hatte sich's überlegt und führte zwei schöne Kühe aus dem Stall und brachte Silberzeug und anderes Erbgut herbei. »Ja, schön«, sagte Per Anders, »und jetzt kannst du deine Kühe wieder hineinführen und deinen Krempel da aufheben, ich habe daheim mehr als genug. Nimm jetzt christlichen Abschied von deiner Tochter, du mußt verflucht aufpassen, daß ich dich nicht beim Kragen nehme und dich zuschanden schlage!« So soll es sich zugetragen haben, erzählt man sich. An diesem Tag fuhr er noch nicht vom Hofe fort und auch am nächsten nicht: es war solch ein Staat mit dem Schwiegersohn, daß es eine große Sache war. Der Mann redete sein ganzes Leben lang davon: »Nein, der Per Anders, er ist mit unserer Ane verheiratet, der Kerl hat Geld. Nein, der Tisch wackelt seitdem, so hat er darauf geschlagen, er, der mit der Ane verheiratet ist, das gab aus. Einen Hof? O nein, der hier ist klein gegen Juwika, den Hof, auf dem die Ane verheiratet ist.«

Hiernach blieb Per Anders zu Hause. Er errichtete neue Gebäude in Juwika – wie man sie noch nie gesehen hatte: ein Wohnhaus mit Erdgeschoß und Oberstock und mit Küche und anderen neuartigen Dingen, und einen eigenen Pferdestall und einen Kuhstall. Es hieß, seine Frau habe gewollt, daß er das alte Wohnhaus abbreche, aber da hatte er Halt gesagt. Wenn es einmal brennt, dann werden wir froh darum sein, hatte er gesagt. – Und er saugte sich förmlich an die Erde an, rodete den letzten Fleck Erde und legte das sumpfige Land trocken. Er nahm den Hof gleichsam in die Hand und machte ihn fertig.

»Wer nach mir kommt, der hat es schön«, meinte er. Im übrigen sagte er nicht viel. Er hatte drei Söhne: Anders und Jens und Per, und drei Töchter: Ane und Aasel und Beret. Anders starb jung.


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