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Die Juwikinger rühren sich

1

»Wer weiß«, sagte Per eines Tages, als er und Jens unten am Strand Netze zurichteten. »Wer weiß. Man kann es nicht recht wissen, mit dieser Brandwarnung.«

»Brandwarnung? Was ist das für Zeug?«

Die Brandwarnung, die sich vor Weihnachten gezeigt habe. Es sei jetzt leer geworden in Juwika, seit damals. Was nun auch die Ursache sein möge.

Jens sah ihn an, still und fast nachdenklich. Dann wandte er sich ab. Er sagte kein Wort, aber auf Per wirkte dies wie ein häßlicher Fluch, und dann fing Jens an, allein die schweren Bottiche mit Lohesud zurechtzurücken, so daß der Bruder mit offenem Mund stehenblieb. Plötzlich aber lachte Jens auf, lachte gutmütig und häßlich und häutete Per gleichsam mit den Blicken ab: »Ja, du siehst mir auch ein wenig leer aus. Wie eine Hose, aus der man den Hintern herausgebeutelt hat. Ich? willst du sagen, nein, von mir redet kein Mensch. Wir brauchen uns wohl nicht erst zu erzählen, daß es leer geworden ist. Aber nachtscheu sind wir nun doch nicht!«

Kindskopf! dachte Per. Laut aber sagte er: »Wenn jetzt nur nicht das ganze Geschlecht – –«

»Na, meinetwegen. Und Glück zu. Das war mir schon das richtige Geschlecht!«

Der Frühling kam, und der Sommer folgte nach. Aber Juwika tat nicht mit. Was die Leute dort auch trieben, immer «War es still dort, wie in Erwartung großer Dinge; oder so, wie «Wenn nichts mehr zu erwarten ist.

Per und Valborg steckten gleichmäßig in ihrer Arbeit. Jens packte an wie ein Bär, wenn es not tat; sobald ihm etwas einfiel, fuhr er los und machte die Arbeit; wie ein Hammer, der vom Schaft fliegt. Aber es wurde nie eine richtige Werktagsarbeit.

Eines Tages kam Aasel. Da waren die Burschen gerade auf dem Meer und legten am Ufer entlang Lachsnetze aus. Jens war es, den sie zu fassen bekommen wollte. Nämlich: jetzt stand er im Begriff, sich selbst und die anderen in Schande zu bringen, mit einer Häuslerstochter. So und so stand es um das Mädchen. Es war wirklich wahr, denn Aasel hatte sie selbst getroffen. Arm und dumm, jetzt glaubte sie, sie würde ihn bekommen! Nun sollte Valborg ihm zureden; denn vor ihr würde er sich doch wenigstens schämen. Aasel hatte sich selbst seinerzeit zu weit aufs Eis hinausgewagt, aber sie war ja auch nur ein armes Frauenzimmer, bei dem es nicht so genau darauf ankam. »Oder: Rede mit dem Per«, sagte sie. Sie war sehr aufgebracht und wollte diesmal nicht unverrichteterdinge heimfahren.

»Mit Per darüber reden?« Valborgs Gesicht bekam einen gedankenverlassenen Ausdruck.

»Ja, geh gerade drauf los, heiz ihm gehörig ein.«

»Dem Per? – – Glaubst du, es ist so leicht, ihm einzuheizen? Das ist nicht so einfach wie der Fuß im Strumpf.«

»Nein, nein, aber –«

»Ich will dir etwas sagen, der Per – – ich weiß nicht, ob ich je gescheit genug sein werde, um mit ihm zu reden. Denn – – er ist ja doch kein kleiner Bub; das weißt du selber auch.«

Aasel lachte, daß es in den Wänden hallte:

»Du lieber Gott, was für ein Mordskerl der Per geworden ist!«

Als sie aber sah, daß sie zu weit gegangen war, wurde sie schnell wieder ernst. Sie sei so froh, sagte sie, daß Valborg an Per glaube. Denn er sei der einzige, an den sie jetzt glauben könnten. »Gott sei Dank, daß du so bist, wie du bist, Valborg. Ich muß schon sagen, was wahr ist«, fügte sie hinzu, und sie wurden alle beide rot und verschämt. »Aber das hier ist mein voller Ernst, gerade heraus«, fügte sie hinzu. »Irgend etwas muß er tun, und das gleich …«

Valborg war nicht viel wert, als sie Per am Abend beiseite nahm; dann aber stammelte sie heraus: jetzt sehe es schlecht aus mit dem Jens, das häßliche Gerede dringe bis zum Hof vor, so und so verhalte es sich.

Per tat, als höre er es nicht recht. »Die Marja Oterbekken?« sagte er. Dann lachte er leise vor sich hin. »Ja, ja, der Jens, der Jens. Übrigens: das hat er niemals getan, das lügen sie!« »Sie lügen wohl, was sie lügen können. Aber du weißt selber – – daß du mit ihm reden mußt.«

»Mit ihm reden? Nein!« Und er starrte sie so an, daß sie zurückwich. »Red du mit ihm! Das ist so die richtige Weiberarbeit«, rief er ihr nach.

Am nächsten Tag verletzte Jens sich am Fuß. Er hatte mit einem schweren Rindensack auf dem Rücken über eine Felsenkluft springen wollen, war ausgeglitten und hatte sich den Fuß verrenkt, so daß er hinkend nach Hause kam. Er behandelte den Fuß mit heißem Teer und tat, als sei alles in Ordnung. Aber er vermochte kaum zu gehen.

An diesem Tag richtete Per eine Fuhre Getreide her, um sie zum Mahlhaus zu fahren. Er lächelte, denn er sah es Jens an, daß auch er gern in dieser Richtung gegangen wäre, hätte er nicht den kranken Fuß gehabt. – Das Mahlhaus lag bei den westlichsten Häuslerhöfen, weit hinter Oterbekken, und es wurde Nacht, bis Per sich wieder auf den Heimweg machen konnte.

Es war eine so hellblaue und leise schlummernde Sommernacht. Die Moore schienen sich endlos bis zu den Bergen zu dehnen, und die Laubhänge erloschen und wurden zu einem graugrünen Traum. Die Moorwiesen und das Gras an den Bächen atmeten kühl im Tau. Es duftete so wehmütig; denn dies war der Sommer, und er währte nicht ewig. – In solchen Nächten war die Jugend unterwegs und traf einander; in solchen Nächten verfiel man auf manches. Auch Per war so draußen gewesen, so des Nachts – es war nun lange her.

Hier von Högbrekka aus sah man bis hinüber nach Ommundstranda, wo der Hof schlafend dalag und alles vergessen zu haben schien. Auch die Ane Marget schlief jetzt. Ein kleiner Vogel, mit großen Augen und kleinem Schnabel, sagte er vor sich hin. Gott sei Dank, daß es so kam, wie es jetzt ist. Daß an ihre Stelle die Valborg trat. Wenn man schon davon reden will.

»Was ist denn, siehst du was, Braune?« sagte er; die Stute stellte die Ohren auf. Ja, ja, es ging, wie er es erwartet hatte. Er band das Pferd am Zaunpfahl fest, denn es saß eine hinter dem Steinwall, und er sah einen Zipfel ihres Rockes. Per räusperte sich und grüßte, und das Mädchen schrak zusammen und stand dann vor ihm, die Hände in die Schürze gewickelt, und wußte nicht, was sie mit sich anfangen sollte.

»Guten Abend, Marja. Gehst du auch hier draußen umher – vielmehr sitzest du, wollte ich sagen? Ja, ja, es ist aber auch das richtige Wetter dazu.«

Sie wurde so armselig rot über das ganze Gesicht. Im übrigen aber war sie ein schönes Mädchen, groß und gut gewachsen; er mußte ganz nahe an sie heran. »Was für traurige Augen«, murmelte er, »dich mußte der Jens wohl haben, ja.« Per stand da und sah sie unverwandt an, und ihre Blicke wichen ihm aus, ihre Gedanken huschten in ihr hin und her wie Mäuse in einer leeren Tonne. – »Du siehst nicht allzu froh aus«, sagte er. »Für dich – wird es jetzt wohl schwierig?« Er räusperte sich und sah sie streng an:

»Der Jens hat sich heute seinen Fuß verrenkt. Darum kann er nicht kommen.«

Jetzt sah sie auf. Sie wußte nicht, wieviel sie glauben durfte, und noch viel weniger, ob es gut oder böse gemeint war. Sie steht da, als habe sie einen Schlag auf die rechte Wange empfangen und reiche nun die linke dar, dachte er. Per biß die Zähne zusammen, so daß auf seinen Wangen harte Kugeln hervortraten. Er streckte die Hand aus und strich ihr übers Haar, das schwarz und kraus war wie bei einem Zigeunermädchen, aber dennoch schön. Dann wandte er sich ab und ging.

Als er die Zügel ergriff, blickte er über die Schulter hinweg zu ihr zurück:

»Du sollst dem Jens nicht nachtrauern, Marja. Denn einen geringeren Kerl kannst du nicht bekommen.«

Sie war ihm nachgegangen, als habe er sie an der Leine. Jetzt aber stieg er auf und fuhr weiter.

Die Juwikinger rühren sich

Auf der ganzen Fahrt redete er vor sich hin. – So etwas kannst du doch nicht auf den Hof bringen, Jens. Herrgott, was für ein – ein Häuslergesicht. Unsinn! Sie ist häßlich! Schwarz wie geweihte Erde – hüh! Willst du wohl gehen, du Mistvieh! Er versetzte der Stute ein paar Hiebe mit der Zügelschlinge, so daß sie im Sprunglauf über den steinigen Weg dahinrannte. Der Wagen rasselte hart durch die nächtliche Stille und weckte alle Felswände.

Jens grinste ihn am nächsten Tag an; er saß da und flickte Schuhe. Er grinste ihm geradeaus ins Gesicht: »Du bist also einig mit mir?« – »So?« – »Ja. Es ist wohl auch in Ordnung, wenn sich einer selbst das Mädchen aussucht, das er haben soll. Der, der sie haben und gebrauchen muß. Was?«

»Als Bäuerin auf den Hof? Bist du von Gott verlassen? Nur zu denken – – der Teufel soll mich holen, wenn ich noch mit dir rede!«

»Ja, ja, Kind!« Jens begann zu singen.

2

Nach acht Tagen war Jens wieder der alte. Solange er in der Stube gesessen und Schuhe gemacht hatte, war er grau und verbittert gewesen. Bisweilen war ihm der Schweiß ausgebrochen. Irgend etwas hatte in ihm gearbeitet. Per hatte es sehr wohl gemerkt und sich kalt und feucht dabei gefühlt – es hatte ihn geschüttelt.

Endlich machte sich Jens eines Abends auf den Weg. Er wollte nach Westen zu den Bächen zum Angeln gehen. Er suchte sich Würmer in der Erde, nahm die Angelrute, und dann ging er. Per sah ihm nach, ihm ward eng und heiß zumute. »He …«, sagte er, und nun fror er wieder. Mochte es gehen, wie es wollte.

Jens schob die eine Schulter vor, das machte er immer, Wenn er eifrig war und irgendwohin wollte, er kam einher wie ein gebraßtes Rahsegel. Er hinkte immer noch ein wenig, trotzdem aber ging er so rasch, daß es förmlich in ihm knackte. Und seine Gedanken eilten dahin, daß es nur so pfiff, das fand er selbst. So war es ihm nun jeden Tag ergangen, während er daheim gefangen gesessen hatte. »Und nun weiß ich was ich will!« sagte er.

Als er an den Bach kam, sah er zum Himmel auf und lächelte kalt: »He! Das ist wirklich das richtige Angelwetter! Ja, so gibt es aus.« Der Regen strömte herunter, dicht und gutmütig wie ein spielendes Kind, dann hielt er einen Augenblick inne und lauschte, weit oben in der Luft, und fing dann wieder von neuem an.

Jens spuckte nie auf die Angel, ehe er sie auswarf, und Angel nannte er Angel, und Fisch nannte er Fisch, er war ein echter Juwiking, ob sie es nun glaubten oder nicht; und Fische fing er trotzdem, anders wußte er es nicht. – »Und heute abend sollen sie mich kennenlernen, die Alten vom Hofe, ob sie wollen oder nicht«, sagte er; er sagte es laut in das Tosen des Gießbaches hinein und biß sich auf die Lippe. – »Heute abend sollen sie mich kennenlernen!«

Er folgte dem Oterbach nicht bis zum Häuslerhof hinunter, sondern ging quer über das Moor bis zum Dölbach, obwohl es dort nur kleine Forellen gab, die kaum der Mühe wert waren. Auch hier hielt er sich nicht auf, sondern gelangte bald zu einem Häusleranwesen, das Aune hieß. Dort trat einer in die Tür, ein junger Bursch, ein wenig jünger als Jens; zögernd blieb er stehen und folgte dem Fischer unbestimmt und unschlüssig mit den Blicken. Dann aber faßte er Mut und ging zu ihm hinunter. Jens tat, als habe er ihn vorher nicht gesehen. – »Bist du es, Morten, der da einherkommt?« sagte er. als der Bursche bei ihm angelangt war; aber er wandte dabei den Blick nicht von seiner Angelschnur ab.

Morten folgte ihm ein Stück weit, sprach mit ihm und sah beim Angeln zu. Er hatte einen zähen Schritt wie ein abgearbeiteter Mensch, aber seine Zunge war geläufig. Er begleitete Jens bis zum Mahlhauswasserfall. Jens schien zufrieden zu sein.

Endlich zog Jens die Angel heraus und bohrte die Rute in den Erdboden: »Weißt du, was wir jetzt tun, Morten? Du und ich und wir beide? Wir gehen in das Mahlhaus und trinken einen Schnaps.« Er ging voraus, und Morten kam nach, mit langem Gesicht und voller Erstaunen. Jens trug eine Bütte aus Birkenrinde auf dem Rücken, die Morten die die ganze Zeit schon gesehen hatte, aber daß Schnaps darin wäre, hatte er sich nicht träumen lassen. Im übrigen behagte es ihm nicht daß sie in das Mahlhaus sollten. Es war schaurig kalt und still da drinnen und dunkel; rings um das Haus stand das Wasser und machte es nicht heimischer.

Jens brachte eine große verschnörkelte Flasche zum Vorschein, und dann schenkte er in eine alte, henkellose Tasse ein. Sie tranken sie abwechselnd leer; es war echter Juwikbranntwein, und Morten nieste und schüttelte sich und grinste und bewunderte: so etwas bekam man nicht alle Tage.

Eine Weile saßen sie schweigend da. – »Ja, hier habe ich schon mancherlei gehört und gesehen«, sagte Jens endlich. »Viel Unheimliches, du! Aber schau: mir kann das nichts anhaben. Ich, weißt du, habe mich dem Leibhaftigen selber verschrieben.«

Er sah den andern mit hohlem Blick an, und Morten war es, als rinne ihm Froschlaich über den ganzen Körper hinunter.

»Nein, wahrhaftig, mir jagt nichts mehr Schrecken ein; denn ich glaube an nichts, außer an den Gottseibeiuns selbst. Und der und ich, wir sind gute Freunde. Was?«

Morten schloß den Mund wieder. Er schaute zu der halboffenen Türe hin. Jens aber zog sie zu.

»Nein, aber heute nacht, da träumte ich etwas Seltsames. Mir träumte, der Herrgott käme zu mir und nähme mir mein Weib, es war noch dazu die Marja Oterbekken. Ich hielt sie fest, so gut ich konnte, aber auf die Dauer war er mir zu stark; ich mußte nachgeben. Und eine Blume war sie ja gerade nicht. Ja, du brauchst deswegen nicht rot zu werden, du. Die Marja ist schon recht. Für das, wozu man sie eben braucht. Ich möchte sie mit einem guten Boot vergleichen: leicht zu steuern, aber handfest, Morten!«

Morten schluckte hinunter, und Jens saß da und beobachtete ihn.

»Weißt du, was ich einmal hörte, als ich eine Nacht hindurch hier das Getreide mahlte? Da rief es mit der kältesten Stimme, die ich je gehört habe, vom Wasserfall her:›Jens‹, rief es,›wirf mir einen Mann herunter.‹ Das war schauerlich Ich mußte es versprechen. Was?«

»– Ja, ja, aber – –«

»Es muß natürlich ein Feind sein, weißt du. Denn das ist respektierlich!« Jens gebrauchte dann und wann ein Wort seines Vaters; er fand, es liege Kraft darin.

»Weißt du, an was ich denke, Morten? Daß du die Maria heiraten solltest. Daß es das ist, was sie verlangen. Die Juwikinger und der Schwarze selbst und alle miteinander – he? Hörst du?«

Jens nickte, und seine Lippen wurden weiß. Zum Teufel, wollte dieser Klotz hier sich gar nicht wehren, würde er denn nicht endlich einen Laut von sich geben! Morten saß nur da und starrte vor sich hin. War denn ein Schuß vor seinen Ohren abgefeuert worden?

»Ja, denn du bist schon früher bei ihr gewesen, mach mir nichts weis; sie selber hat es mir erzählt.«

»Das ist – – lange her!«

»Ja, glaubst du, mich kümmert das? Mich? Der sich den Teufel um Weiß oder Schwarz kümmert! Mich, der dem Wasserfall einen Mann zuwerfen soll, he? In allen Gliedern juckt's mich schon danach.«

Morten lächelte bleich, wie so viele lächeln, wenn sie sterben müssen.

»Dann gib mir die Hand darauf!« Jens knurrte wie ein Tier, er hatte Blut geleckt. Morten schob die Hand vor.

»Und nun gehen wir hinaus!« Jens erhob sich. Er lächelte jetzt, ruhig und schlau wie ein Blinder im Dunkeln: er kannte sich aus.

Der Regen draußen hatte aufgehört, hatte gleichsam die Zunge in den Mundwinkel geschoben und überlegte: die Wolken fühlten den Südwest und brachen auf, sie zogen in die Berge. Im übrigen war es hell wie am Tag und warm und angenehm, und das Wasser und alles rauschte so lebendig ringsum.

»Jetzt baden wir«, meinte Jens. »Mitsamt den Kleidern, was?«

Baden, das war ein hartes Wort für Morten, und jetzt, so mitten in der Nacht? Und samt den Kleidern? Er seufzte und blickte in der Richtung seines Hofes. Es war weit bis dorthin. Und über Jens Juwika hatte er schon viel Verrücktes gehört, jetzt war er ganz närrisch geworden, und trotzdem schien er so schlau und bei Sinnen wie immer zu sein.

»Schau her, du Hanswurst!« Und Jens stürzte sich kopfüber an der tiefsten Stelle ins Wasser, so daß es rings um ihn weiß und schwarz aufspritzte, kam dann wieder herauf, das Gesicht ihm zugewandt; das Wasser rann daran herab – und jetzt war das Gesicht wieder fort. Morten duckte sich in die Knie nieder; fast wäre es ihm in die Hosen gegangen.

Als Jens wieder herauskam, faßte er Morten an: »Sind wir Freunde oder nicht? Du mußt mir darauf antworten! Freunde – jawohl! Dann mußt du auch ins Wasser. Da!« – Er packte ihn und schleuderte ihn hinaus, obwohl der arme Teufel schrie und jammerte; dann fischte er ihn wieder heraus und schüttelte das Wasser von ihm ab. – »Jetzt bist du getauft, Morten. Jetzt sind wir wirkliche Freunde. Und jetzt weiß ich auch, daß du das tust, was ich will. Nun brauche ich dich ihm nicht zuzuwerfen. Jetzt weiß ich es. Und darauf wollen wir einen Schnaps trinken – es ist ein Halm von dem Leichenstroh in der Flasche, das ist ebensogut wie ein richtiger Eid, verstehst du. So, jetzt hast du deine Seele verpfändet.«

Sie liefen ein paarmal rund um das Mahlhaus und den Hügel, um wieder warm zu werden, und dann schenkten sie sich wieder einen Schluck Branntwein ein.

Morten lebte auf und fühlte sich schon halb geborgen. Er hätte gern noch mehr versprochen. – Dann setzten sie sich am Hang ins Gras.

»Oh, ich bin sonderbar«, sagte Jens. »Ich bin ein ganz Eigener. Weißt du, was ich mir oft wünsche? Nur eines: ich möchte oben auf dem höchsten Vatsliberg sitzen und auf der Lur blasen. Blasen, so daß sie alle tanzen müßten – blasen, daß auch die alten Juwikinger wieder aufstehen und tanzen müßten. Manchmal aber sitze ich da und denke. Ist das nicht seltsam? Der Per? Meinst du? Nein, nein, der schläft nur den ganzen Tag. Oh, ich bin ein vielfacher Mensch. Es gibt nicht viele, die sich auf mich verstehen. Genau so waren die alten Könige und die Riesen, der Goliath und der Erik Blutaxt und der Bären-Anders Juwika und die alle; die waren wild und verrückt und arg auf die Weiber aus; und dann setzten sie sich hin und dachten. Und keiner wußte, was sie dachten. – – Es ist übrigens sonderbar, daß ich überhaupt hier sitze und mit dir rede und gut Freund bin; mit so einer Häuslerseele.«

Morten fand das auch. Er wußte nicht, wie er daraus klug werden sollte, aber da war er nun gut Freund mit Jens Juwika und war seinesgleichen, wirklich und wahrhaftig.

Sie gingen bachaufwärts, ohne jedoch zu fischen. In Jens brodelte es immer noch. »Das ist Leben, Bursche!« sagte er. »Oh, ich fühle es selbst, daß ich gefährlich bin. Ich war eine Nacht in der Alt-Stube, während des Vaters Leiche dort lag, und da kam einer zu mir und packte mich an. Ich gab ihm eins hinter die Ohren. Da grinste er und fauchte und tat, als sei ich wunder was für ein Kerl! He? Lachst du mich etwa aus? Ja, du wirst sie nehmen, das rate ich dir!«

»Ja«, sagte Morten schnell. »Du weißt, ich habe sie schon immer im Auge gehabt – –«

»Halt's Maul, du Hundsarsch! Du weißt ja gut, daß sie nicht Bäuerin auf Juwika werden kann, wo denkst du hin! Ich bin ein Erbbauer, das ist mehr, als du verstehst. Obwohl sie ein horizontales Weibsbild ist, ja, das muß man ihr lassen!«

An einer Stelle wateten sie durch den Bach, bis ihnen das Wasser an den Bauch stieg. Morten kicherte und lachte, und Jens blinzelte ihm zu: »Wir zwei, wir passen zusammen, wir. Zwei lustige Kerle alle drei – – nein, denn mir taugt es nicht, sie zu nehmen. Ich will fort von hier. Du tust mir den Gefallen; du verstehst dich auf mich. Sonst komme ich, das weißt du. Und auf deinem Anwesen sollst du abgabenfrei sitzen, solange ich etwas zu sagen habe, vergiß das nicht. Aber es kann leicht sein, daß mein Bruder Per nicht auf mich hört, denn der ist vom alten Schlag. Ein Viehkerl. Aber ein Prachtkerl, das sag ich dir. Hoho, wahrhaftig, wenn er hört, daß ich mit dem Morten Aune Freundschaft geschlossen habe! Davon sagen wir übrigens nichts, vorläufig wenigstens.«

Das wäre Morten auch nie eingefallen. Er brachte kaum mehr ein Wort heraus, als Jens Lebewohl sagte; aber er wäre gerne für ihn in den tiefsten Fjord gesprungen.

Die Nacht war still und friedlich. Das Birkenlaub duftete so stark, und Jens holte im Gehen tief Atem, wie ein Tier, das lange eingeschlossen war, fand er. – Herrgott, das tut wohl, sich wieder rühren zu können. He, he, he, he! Wie ich ihn breitgeschlagen habe! Und wie ich ihm den Buckel vollgelogen habe. So aus dem Handgelenk – nein, nein, wir taugen schon noch etwas, wir Juwikinger!

Dort sah er noch den Morten. Hals über Kopf läuft er, mit Beinen wie ein Kalb, aber heimwärts; er meint gewiß, der Teufel sitze ihm im Nacken. Jens ruft ihm nach:

»Bist du erschrocken, Morten? Hat dich die Angst gepackt?«

Dieses Wort, meinte er, müßte ihn ein wenig beißen.

Nun aber machte er sich auf den Weg, schneller und schneller, denn hier war es so unnatürlich still, es zupfte ihn förmlich an den Kleidern, wenn er ging, Bäume und Hügel spitzten die Ohren und lauschten; und dieser einfallende Nebel war so seltsam hell und lautlos; schließlich begann er zu laufen, er grinste, mußte aber weiter, hinkte und lief in langen Sätzen dahin.

Als er daheim auf dem Hof stand, schnaufte er auf. Da wurde es ihm klar, in einem merkwürdigen, hellen und seltsamen Augenblick: So hatten sie sich in die Angst gerannt, alle die alten Bären hier, Mann für Mann durch die Zeiten herab – oh, es war nicht leicht, voll erwachsen zu sein, manchmal, auch wenn man an gar nichts mehr glaubte. Aber der Per, der ist ein ganz Kleiner: er schläft nachts in der Alt-Stube, will sich abhärten, will wie der Vater werden. Da hat er aber weit hin; langer Weg und kurze Beine.

Als er eine Weile ordentlich geschlafen hatte, fuhr er auf und sah mit irren Blicken um sich: War es nur der Traum? War er denn nicht König auf einem Räuberschiff? Hm! Hm!

Dann blieb er still liegen. Ein Gedanke grub sich nagend in ihn ein: der Per. Jetzt lag vielleicht Per dort drüben und träumte, er sei König über ganz Juwika? Ja, ja, mochte er doch.

3

Per träumte indessen nicht; er lag wach. Aber es rührte sich in ihm, in diesen Tagen trug er es mit sich herum wie eine kostbare Wahrheit, von der er leben mußte: jetzt war nur noch er übrig. Sie wollten es so.

Im übrigen bekam er anderes zu denken. Es dauerte nicht lange, so hatte es den Anschein, als sollte auf einem der Häuslerhöfe im Westen Hochzeit gehalten werden. Die Neuigkeit ging in die Kreuz und Quere, bis sie auch nach Juwika gelangte.

Valborg legte ihre Arbeit weg, trocknete die Finger lange und gründlich ab und ging dann hinaus. – »Ja, der Per, der Per«, sagte sie, und ihr ganzes breites, kräftiges Gesicht war weich und aufgetaut. – »Ich wußte doch, daß er einen Rat finden würde. Wenn er nur wollte.«

Per war auf der Wiese und pflockte die Pferde um. Valborg nahm den Eimer, der dort stand, und holte gleich Wasser im Bach. Jetzt erst wurde es ihr klar, daß sie es ihm nicht so ohne weiteres sagen konnte, er war doch kein Hüterbub – wo dachte sie denn hin? Aber es war schon zu spät; sie mußte heraus damit.

»So?« sagte Per. Mehr sagte er nicht.

»Siehst du. Per, es hat doch genützt!« Sie sah ihn freimütig an, viel zu glücklich, um sich verstellen zu können.

»Ja, ja, so ist es«, sagte er. Sein Blick war so mild, er stand da und blickte um sich her über die Wiese hin. – »Wir werden bald mähen können, meinst du nicht auch?«

»Ja!« Sie war so froh, daß sie kaum wußte, auf welchem Fuß sie stehen sollte. So war der Per, wenn er sein wahres Gesicht zeigte. »Ja, bald«, meinte sie.

Sie gingen miteinander den Hang hinauf und heimwärts.

Per erwähnte die Sache Jens gegenüber erst einige Tage später. Sie waren in der Scheune und richteten die Heuschlitten her. – »So, das wäre getan«, sagte er. »Eins nach dem andern. Und der Morten und die Marja werden ein gutes Paar sein.« Jens hatte wohl davon gehört?

Jens stand eine Weile da. Dann lachte er gerade hinaus. Per fuhr zurück, als Jens sich ihm so zuwandte und so roh auflachte. Aber es machte ihm Mut. Er nahm es wieder auf: Ja, da sei ja nichts anderes zu machen, so wie die Dinge stünden. Aber, aber: schämte er sich nicht ein bißchen?

Einen Augenblick stand Jens da, klein und abwesend. – »Ja, das auch«, sagte er. Nein, er sagte es nicht, aber Per sah es so deutlich, wie Jens es innerlich dachte, und er fing darum an, von etwas anderem zu reden. Der Morten könne ja das Anwesen zu leichten Bedingungen haben; davon brauchte ja niemand etwas zu wissen.

»Jetzt will ich dir etwas sagen, Per!« Jens nahm den Hammer und trieb einen Keil ein. »Du bist kein solcher Staatskerl, wie die Valborg meint, die vor dir auf den Knien liegt. Schau, du bist auch kein Abgott-Tempel, du nicht mehr als ich.«

Per holte etwas in der Schmiede.

»Nein, nein, wahrhaftig. Dazu fehlt's weit, aber – –«

– – – Die nächste Zeit arbeiteten sie heftig und schwer. Nach der Ernte machten sie sich an den Juwikbach, so alt er war. Es war ein Vieh von einem Bach, er unterhöhlte die Ufer und überschwemmte die Wiesen, sobald er anschwoll, zerstörte Fluren und Äcker. Der Vater hatte sich seine Gedanken über diesen Bach gemacht, daran erinnerten sie sich nun; aber er hatte nie etwas gesagt. Vielleicht hatte er diese Arbeit ihnen hinterlassen?

Und nun sollte er dran glauben müssen, das meinte auch Jens. Hier kamen zwei, die sich das zutrauten. Jens arbeitete, daß die Luft um ihn rauchte, tagaus, tagein, Per wußte sich gar nicht zu fassen vor Staunen. Es war ihm recht und doch auch wieder nicht recht. Jens sprühte immer vor Eifer, er nahm einem den Atem; dann aber war es auch bald wieder vorbei, und das war das Schlimmste, was Per kannte. Besonders jetzt, da sie beide allein waren. Denn dann stand es so deutlich vor ihnen, daß sie es nicht richtig angepackt hatten und auch nicht richtig anpacken würden. Es war nichts anderes zu machen, als es mit Wettarbeit einzubringen, als seien sie Feinde, denn dann hielt Jens aus. – Er hielt aus. Sie dämmten den Bach ein und vertieften das Bett um ein paar Ellen, soweit die Äcker von Juwika reichten.

Das Wetter wurde besser und war jetzt nach dem Regen eine Weile gut. Der Sonnenschein lag vom Morgen bis zum Abend auf den Hängen, ringsum war es so gelb und blau, daß man aufblicken mußte. Das Gras war auf der Wurzel verfault, zum größten Teil, und die Äcker waren grün wie Kohl. Dünn standen sie auch, das meiste war Unkraut, denn das Frühjahr war sehr kalt und trocken gewesen. Und jetzt fing das Mißwetter wieder an, mit Regen und Weststurm. Es sah böse aus.

»Erst verdorrt, dann verfault, dann nicht ausgereift und dann der Frost, und doch kein Mißjahr«, sagte Jens. Per seufzte. Es war doch wohl ein Mißjahr. Aber man mußte sich damit trösten, daß es an anderen Orten noch schlimmer stand.

Sonderbar, daß es in diesem Jahr so gehen sollte, sagte er bisweilen. Und er sah, daß Jens und Valborg das gleiche dachten, sie bekamen so lange Gesichter, als er es aussprach. Es schlug wie ein kalter Hauch von ihnen zurück: ja, es war ein schlechtes Zeichen. Wollte ihnen einer etwas Böses? Dann aber dachte er nach und faßte alles zusammen, gleichsam als fasse er die ganze Welt zusammen. Es gab jetzt soviel Unglück draußen in der Welt, Krieg und Hunger und andere schlimme Sachen. Das konnte doch nicht alles Juwika allein gelten. Eines Tages schlug sich der Rauch herab und wollte nicht mehr abziehen, das Pferd stürzte auf ebenem Weg, ja gewiß, solcher Dinge gab es viele, aber die Juwikinger hatten schon Schlimmeres gesehen als das und hatten sich nicht unterkriegen lassen. Wenn er nur in den Jens etwas Leben hätte bringen können.

Das war nicht so leicht getan. – »Herrgott, wie das Ganze stinkt!« sagte Jens. »Stinkt, ja, nach Juwika und allem miteinander, verstehst du?« Immer noch geschah es, daß er am Sonntagmorgen in die Felsen hinaufkletterte und Steine ins Meer hinunterrollen ließ, so daß die Kirchenboote vor Entsetzen die Ruder einzogen. Manchmal geriet er über irgend etwas Trinkbares, und dann wurde er wild und störrisch und wollte fast das Haus einreißen. »Ich bin wie der Weststurm, bin wie ein Tier, ich dürfte nicht frei herumlaufen!« sang er. Er verprügelte den und jenen, entstellte sie ein bißchen, wie er es nannte. Einmal war er über dem Fjord drüben zum Tanz, ganz östlich im Engtal, da hängte er den Pferden und Schweinen Schellen an und jagte sie mitten in die schwarze Nacht hinaus. Nach solchen Fahrten verhielt er sich meistens einige Zeit ruhig.

Gegen Weihnachten zu verfertigte er sich neue Wasserstiefel und neue Seekleider; er wollte auf den Fischfang.

Als Jens davon sprach, waren sie gerade in der Scheune, droschen die Handvoll schlechten Getreides, die übrig war – für die Häuslerbauern war es die reine Gottesgabe. – »Ich muß fragen: hast du den Verstand verloren?« sagte Per. – »Ja, ja, wahrscheinlich.« Er schlenderte an dem Bruder vorüber, plötzlich aber macht er kehrt und sieht ihn böse an:

»Ich habe es satt, hier daheim mit den Dirnen herumzuliegen – ich will nicht mehr im Wasserbottich fischen!«

Per stand mit niedergeschlagenen Augen da, eine ganze Ewigkeit. – Jetzt wird's ihm wohl bald einfallen, was er gestern sagen wollte, dachte Jens bei sich. – »Ja, ja, ich hab mir's schon denken können, leider Gottes«, sagte Per. Aber daß er sich hinstellt und es sagt? Mit den Dirnen?

Jens fuhr auf den Fischfang. Er gehörte zu der Bootsmannschaft unter Mikkal Vikan, dem Bootsführer. Es war fast eine Schande für einen Juwikbauern, daß er sich auf eine Stufe mit anderem Burschenpack stellte – früher waren sie nicht einmal als Bootsführer von Juwika fortgefahren. Per aber freute sich darüber, daß Jens fortkam.

4

In diesem Frühjahr wurde im Vorratshaus von Juwika gestohlen, zweimal und vielleicht öfters, das letztemal gründlich und ausgiebig. Valborg kam ganz bestürzt in die Stube; sie nahm Per mit und zeigte ihm alles: Brot und Butter und Fleisch! Der Dieb hatte sich Zeit gelassen und alles genau überlegt – und dort! Dort hatte er sich hingehockt und den Boden versaut, um sie zu entehren. Per sah nach den Getreidekästen. Nein, vom Korn fehlte nichts.

Das Schloß war alt und schlecht. Per schaffte ein neues an, und nun hatten sie eine Weile wirklich Frieden. Der Dieb war zwar eines Nachts dagewesen und hatte sich daran versucht, hatte mit seinem Werkzeug so an dem Schloß herumgearbeitet, daß die Spuren noch zu sehen waren. »Da bist du zu kurz gekommen«, sagte Per.

»Schade, daß der Jens nicht daheim ist«, meinte er zu Valborg, »sonst hätten wir dem Kerl aufgelauert.«

»Ach, der Jens!« gab sie zur Antwort. »Der Jens und der Jens!« Sie ließ ihn einfach stehen.

Bald darauf kam Jens nach Hause. Der Eifer erfaßte ihn sofort. Seine Nasenlöcher dehnten sich aus, und auf der Stirn trat eine breite rote Ader hervor, er schnaubte, aber er war aufgeräumt, wie sonst, wenn ihn einer geärgert hatte und er zuschlagen durfte.

»Er kommt schon wieder«, sagte er. »Er braucht Saatkorn, darauf kannst du einen Eid schwören, du liebe Zeit, der kommt schon wieder. Und dann soll er schwimmen lernen, im Fjord draußen, hahaha, mein Lieber!«

Ja, sollten sie wirklich – –? Per hörte deutlich, wie ihn etwas warnte.

Freilich, zum Teufel! Jens strahlte vor Glück und steckte Per damit an. Denn hier ereignete sich fast nie etwas. Jens redete den lieben langen Tag darüber. »Ich schwitze wie ein Gerber, wenn ich nur daran denke«, sagte er, »ha, das wird ein Spaß, Per.« Per war bald ebenso eifrig, und auch Anders, der kleine Junge, witterte etwas und wollte abends nicht schlafen gehen.

Drei Nächte lang lagen sie auf der Lauer, Jens und Per, einer in der Stalltür und einer im Holzschuppen. In der dritten Nacht kam der Dieb.

Woher er kam, sahen sie nicht, aber die Türe zum Vorratshaus knarrte, diesmal mußte sie aufgehen, und ein schwarzer Schatten stand da und lauschte. Die Nacht war still, nur grauer Himmel und graue Erde; der Wind tuschelte an den Häusern entlang. Im Stall stampften die Tiere – ein beruhigender Laut; und die Katze schlich um die Hausecke, langgestreckt, mit niedrigem Rücken. Und nun glitt der Schatten ins Vorratshaus.

Jens pfiff leise, und dann schlich ein jeder von seiner Seite heran. Der beim Vorratshaus kam wieder heraus, sprang auf die Erde und schob sich unter das auf Pfosten stehende Vorratshaus.

»Wart doch ein wenig, dann schlagen wir dich tot«, ruft Jens und läuft um das Haus herum, ebenso Per auf der anderen Seite. Der Dieb rennt den Hang hinunter, die beiden ihm nach, jeder auf seiner Seite, dann geht es drüben wieder hinauf, in den Wald. »Nein, so etwas«, ruft Jens, man hört, wie es in ihm sprudelt, so vergnügt ist er; er läuft immer schneller, läuft wie ein grauer Strich am Zaun entlang und zwingt den Dieb ans Meer hinunter. Er war leichtfüßig, der Kerl, sie konnten ihn kaum einholen, soviel sie sich auch anstrengten – da lief er die Felskuppe am Wasser hinauf und in das Birkengestrüpp hinein.

»He, her, wir springen wie die Kälber!« lachte Jens. »Wir rennen so, daß es ganz verbrannt riecht, das ist ein Leben, Per!« Er nahm einen großen Anlauf und schwang sich auf einen mannshohen Felsen hinauf. Der Dieb mußte wieder weiter, einen kurzen Nu sahen sie ihn wie eine große langbeinige Gestalt gegen den Himmel, hoho, das war eine Jagd! Per kürzte den Bogen ab und verbarg sich auf dem Schwarzfelseinschnitt, denn dorthin mußte der Dieb ja kommen, Jens war ihm dicht auf den Fersen und trieb ihn immer näher ans Meer hin: »Kannst du nicht warten, du verfluchter Kerl – so kann ich dich doch nicht umbringen!«

Plötzlich stürzte der Dieb hin. Da blieb Jens stehen, band sich den Schuhriemen fest und knurrte: »Auf mit dir! Du sollst aufs Meer hinaus, verstehst du!« Jetzt kam der Gejagte den Hohlweg herauf, wo Per lag und ihn bei jedem Atemzug keuchen hörte. Per war fest entschlossen, ihn zu packen und zu verprügeln, danach wollte er ihn zum Hof bringen und ihm zu essen geben! Mochte Jens sich ein ausgebrochenes Kalb zum Hetzen suchen. Er stand auf.

»Ja, das ist schon der rechte Weg«, – er rief laut und mit klarer Stimme, – »komm her, du, ich sitz schon da und warte auf dich.«

Der Dieb sank in die Knie, und sein Atem klang wie ein langer Schrei im Hals, dann wankte er geradeaus auf den Schwarzfels hinaus. Jens ihm nach, während Per einen Bogen unten herum machte, um sich ihm entgegenzustellen.

Jens kam, aber nicht der Dieb. Inzwischen war es heller Morgen geworden, und sie standen da und sahen einander an. Per war sich mehr als klar darüber, wie die Sache stand, trotzdem fragte er:

»Jetzt sag mir nur – – was hat er denn mit sich angefangen, der Bursche?«

»Den hatte die Angst gepackt, mein Lieber! Ich hörte nur etwas im Wasser aufklatschen.«

Per lief am Strand entlang, bis die Felswand ihm den Weg versperrte; Jens folgte ihm, die Hände in den Taschen, nach. »Nichts zu sehen. – Nicht einmal eine Blase auf dem Wasser«, sagte Jens.

Der Fjord lag da wie immer bei Sonnenaufgang, windgrau und gleichgültig. Er war, wie man ihn nahm: frisch, wenn er sich so in Bewegung befand, wollte keinem Menschen etwas, salzig war er, aber nicht böse. Man hörte den Morgenwind über den Fjord heraufkommen, er kam brausend und schwatzend wie ein Schar junger Leute. Das Land erwachte, kehrte mit der Sonne und den Schatten zum Leben zurück und gab sich dem Tag hin.

»Hm! Als hätte ihn die See verschluckt«, meinte Per.

»So wird's auch sein. Versunken wie ein Stein. In den Hundstagen kommt er schon wieder herauf.«

»Und ich – – – ich habe gehört, wie es mich warnte!« Per murmelte die letzten Worte in sich hinein.

Sie gingen heim.

»Du siehst aus, als wenn du den Hintern verloren hättest«, grinste Jens; »ist dir schlecht vom Laufen? Es ist wahrhaftig lustig, ein freier Mann, ein Freimaurer zu sein und zu tun und lassen, was einen freut. Die Alten, die würden nun Augen machen. O nein, die Juwikbauern, wenn die erst einmal loslegen, dann wird's Ernst! Der Vater – ja, freilich, zu Kreuz ist der nicht gekrochen, aber es steckte eben doch kein Leben in ihm. Haha! wie der Bursche laufen konnte!«

Ja, ja. In Gottes Namen, nun ist es einmal so, wie es ist.« Per wischte sich den Schweiß von Stirn und Hals.

Als sie heimkamen, war Valborg schon aufgestanden, ebenso Anders. – »Wie ging es, habt ihr ihn gefaßt?«

O – ja, dem hatten sie Beine gemacht. Per war es, der diese Auskunft gab, und zwar sehr bereitwillig. Jens schnitt ein Gesicht, warf die Mütze zu Boden und wollte saure Milch zu trinken haben.

»Habt ihr ihn umgebracht? He?« Anders wandte sich Jens zu: »Sag du mir's, Oheim – habt ihr ihn umgebracht?«

»Nein, er – – halt's Maul, Rotzbub!«

5

Valborg dachte viel darüber nach, wer es wohl gewesen sein könnte, ebenso auch die anderen im Haus. Schließlich aber – mochte es doch sein, wer es wollte! Er würde wohl schwerlich so bald wiederkommen – die Männer hatten ihm zu hart zugesetzt.

Im übrigen hatte Valborg so vieles zu bedenken. Vor allem mußte sie dem Haus vorstehen, Juwika war eine große schöne Last auf dem Nacken, dazu kam noch das eine Mädchen, die Daaret, Gott mochte wissen, was mit ihr war. Irgend etwas war nicht in Ordnung mit ihr. Im Gesicht wurde sie immer magerer und magerer, im übrigen aber immer dicker und dicker, und so still und stumm war sie, ging allen aus dem Weg. Man mußte sich's wohl überlegen, ehe man über so etwas sprach. Per gegenüber wagte sie nichts zu erwähnen; diesen Schlag wollte sie ihm nicht versetzen.

Dann wurde von Morten Aune gesprochen. Er war verunglückt, war eines Abends im Moor versunken. Man fand ihn nicht wieder – keiner wurde mehr gefunden, der sich dort verlief. Jetzt kam einer nach dem anderen und erzählte er hätte eine Vorahnung davon gehabt. Die ganze Gemeinde wurde von abergläubischem Geschwätz überwuchert. Nacht für Nacht hatte die Füchsin im Wald hinter dem Moor gebellt, und zwei Kühe hatten kurz vorher verworfen. Ein altes bettlägeriges Weib hatte schon im Winter, in durchwachten Nächten, einen Ruf über dem Moor gehört; und der Rabe, der Unglücksvogel hatte fast jeden Tag oben auf dem Berg gesessen und gekrächzt. Und am Abend zuvor, oder am gleichen Tag, da das Unglück sich ereignete, war der Himmel so unheimlich gewesen, wie sie ihn noch nie gesehen hatten: blaugrün und gelb gefleckt, und wie lebendig, und schließlich war er wie ein glühender Ofen gewesen, mit leichenhaften Gestalten, die herumhüpften und tanzten – er hatte sich doch wohl nichts angetan, der arme Tropf? Denn schließlich hatte er ja auch einen Grund dazu, wenn erst die bösen Mächte ihn in ihren Klauen hielten. Die anderen aber hatten gedacht, dies alles sage Kriegszeit und Blutvergießen voraus. Am schlimmsten aber sei es beim Schwarzfels.

»Beim Schwarzfels?« fragte Jens, und Per blickte hastig auf.

Ja, hatten sie es denn nicht gehört? Eines Nachts ruderten hier Leute am Land entlang, und da stand ein Gespenst oben am Felsen, sie trauten ihren eigenen Augen nicht, obwohl sie zu zweit im Boot saßen, dann aber rührte sich die Gestalt, fing an mit den Armen herumzufuchteln und wollte ihnen etwas. Sie begannen aus Leibeskräften zu rudern, und das letzte, was sie noch sahen, war, wie die Gestalt sich kopfüber ins Meer stürzte – dies war einer, der nicht in geweihter Erde lag.

Jens stieß Per an, ihm machte das Spaß. Valborg sah es. aber sie schob es auf den Aberglauben und das Geschwätz.

»Ja, ja, was es nicht alles gibt«, meinte Jens, »so was ist schon vorgekommen.«

»Ja, schon, aber darüber gibt's doch nichts zu lachen«, erwiderte sie und hörte selbst, wie ihre Stimme zitterte.

Am Abend, als sie mit Per allein war, mußte sie sich ihm anvertrauen:

»Es wird doch wohl nicht– –«

»– Morten der Dieb gewesen sein, ja? Ja, darauf kannst du dich verlassen!«

»Bist du nicht bei Trost?« Nachdenklich lag sie da. – »Ja, ja«, sagte sie nach einer Weile; »jetzt, nachdem es geschehen ist, kann man nichts mehr daran ändern. Aber sprang er denn ins Wasser? Ja, da hat er es also selber getan, dann muß er auch selber dafür einstehen.«

»Ja«, antwortete Per und drehte sich um.

Anders aber hatte wach gelegen und zugehört.

»Habt ihr ihn also doch umgebracht?« sagte er und richtete sich ganz wach im Bett auf.

Nein, nein, erwiderte die Mutter, so sei es nicht gewesen, sondern so. Sie redete auf ihn ein, so gut sie konnte, und er lag da und hörte zu, still und ungläubig. Er fragte nicht mehr.

– – – Dann war die Sache mit der Magd. Valborg nahm sie eines Tages mit hinaus, um die Wiesen zu säubern; dies war eine Arbeit, bei der man selbst dabei sein mußte, sollte sie richtig getan werden. Sie waren unten am Waldrand und ganz allein. Valborg stützte sich auf den Rechen und sah Daaret an.

»Ist es der Jens?« sagte sie plötzlich. Denn anders konnte man das nicht anpacken.

Dies wirkte, als hätte man dem Mädchen die Füße abgeschlagen.

»Ja«, gab sie zur Antwort, »er ist es.« Und jetzt war sie froh, daß es endlich einmal ausgesprochen war. »Ja, es ist der Jens«, wiederholte sie.

»Hast du denn keine Scham im Leib? Da kommst du nun her und bringst ganz Juwika in Schande, he!«

»Ich habe es ja auch nicht gewollt«, jammerte das Mädchen. »Aber es half alles nichts.«

Valborg wollte zu Ende kommen. Ob sie denn daran dächten zu heiraten? fragte sie.

Ja, das hatten sie vor, so allmählich. »Vor der Heuernte, meinten wir.«

War sie denn so auf ihn aus? Auf den Jens?

»Auf ihn aus?« Nein, wo dachte sie denn hin. Das Mädchen lebte jetzt rasch auf, und Valborg fühlte sich immer unbehaglicher. – Nein, sie brachte es kaum über sich, ihn zu nehmen es war arg, ihm nahezukommen, er war immer so unbarbiert. Und viel taugen konnte er wohl auch nicht, wenn er zu ihr, der Magd auf dem Hof, ging – nein, sie brachte es kaum über sich. Aber er war so gut gegen sie gewesen, unglaublich gut, und man konnte ja auch gar nicht mit ihm fertig werden. Und jetzt war es wohl auch zu spät zum Umkehren? Das Mädchen sah an sich hinab.

Valborg errötete. Sie räusperte sich, und ihr Blick wurde scharf. Am liebsten hätte sie die Magd auf der Stelle davongejagt.

Daaret aber blickte treuherzig zu ihrer Hausmutter auf, sie beide waren einander gleichgestellt, jetzt.

»Und dann ist es eben doch besser – – als sein Leben lang Magd zu sein. Und auch besser, als Häuslerweib zu werden.«

Valborg konnte nicht weiter. Sie begann zu arbeiten, mit brennendem Gesicht und bebenden Händen. Dies war das Widerlichste, was sie je erlebt hatte.

Auch Daaret nahm wieder den Rechen auf. Sie war ein hübsches Mädchen, auf das die Männer versessen waren, auch jetzt war sie noch hübsch, das mußte Valborg selber zugeben; eine einfältige Dirne, aber gefährlich genug, und der Jens war eben der Jens.

Und das Schlimmste war ihre Dummheit; sie glaubte alles und jedes! Niemand konnte sie unterkriegen.

Nein, auch das war nicht das Schlimmste. Valborg fühlte es den ganzen Tag wie einen Stich in der Brust: Die Magd war obendrein schlau und durchtrieben. Sie konnte selbst einen Jens zum Narren halten.

Am Abend mußte Valborg es ihrem Mann erzählen. Ob er wisse, wie es um die Daaret stünde?

Nein, das wisse er nicht.

Ja, die Sache steht so und so, berichtete Valborg. Und jetzt will sie wohl Bäuerin hier auf dem Hof werden?

Es schien, als höre Per nicht, was sie sagte. Sie sagte es noch einmal: »Und jetzt denkt sie wohl daran, Bäuerin auf dem Hof zu werden?«

»Ja ja, in Gottes Namen denn!« Er sah auf seine Fäuste hinunter und gähnte.

»Ha?«

Nein, er hatte nichts gesagt.

»Ja, aber das geschieht nicht, solange die Sonne scheint! Damit du's nur weißt!«

Sie wurde kreideweiß, und ihre Lippen zitterten.

»Nein, nein«, meinte er, stand dann auf und ging hinaus, wollte noch nach den Pferden sehen.


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