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Der Hof wechselt den Pelz

1

Der Juwikhof liegt nach Osten zu am Fjord, mit steilen Hügeln und Hängen; auf der Nordseite steht ein schroffer Kiefernhang, und dann kommen Wälder und Freiweide. Nach Süden zu, jenseits des Baches, dehnen sich Birkenwälder und Waldblößen, wechseln moorige Wiesen und Felsen ab, und dahinter sind die Berge. Im Westen sind Moore, bis zu den Häuslerhöfen und an den Strand hinunter. Rings um die Häuser ist der Boden schön und eben, schöner als bei anderen Höfen in der Gemeinde. Der Fjord liegt nach Osten zu offen, bei gutem Wetter voller Glanz, ein schöner Anblick, und bei Sturm kann man oben auf Juwika in Lee stehen und hören und sehen, wie weiß und wild die Wogen schäumen. – Kommt man vom Wasser her nach Juwika, so liegt der Hof da und kümmert sich nicht um einen. Es klingt wie ein Ton rings um ihn, so finden die Leute von Juwika es immer, ein tiefer und guter Ton, der von den Wäldern und den Wiesen und den Häusern selbst ausgeht. Die Alt-Stube war niedrig und grau, mit nur einem Fenster, ein altes Heim, zu alt, um zu sterben; die Neu-Stube war hoch und stark, mit vielen Fenstern, so recht ein Juwiking, dem fremde Leute nur ungern unter die Augen traten. Und ebenso waren die anderen Häuser, groß und breit und in allem einer Meinung mit der Neu-Stube: Dies hier ist Juwika, und wenn du ein Anliegen hast, so mußt du selbst kommen.

So wirkte es damals auf Valborg, als sie hierher zog, und sie vergaß diesen Eindruck nie. Er trug sie immerfort, er linderte, und er beruhigte sie, je nachdem, wie es sich traf. Und sie wollte, daß auch die anderen es so empfinden sollten, wer es auch war.

»Man muß nur die Ohren aufmachen und hören«, sagte sie eines Tages zu Per.

»Pah!« Er stieß nur die Luft aus. So schwer durfte man es doch nicht nehmen. Es war ja alles Lüge. Die Leute hatten ja überhaupt nichts gehört – weder beim Schwarzfels noch sonstwo!

Sie mußte ihn ansehen: Er wirkte fast wie ein übernächtiger und kranker Mann auf sie. – Der Schwarzfels, ja, das war nun etwas für sich.

Glaubte sie denn daran?

Daran glauben? Nein, das tat sie nicht, es war nicht wahr, denn sie redeten allzuviel davon auf den Höfen. Nein, aber sie dachte an Juwika. Daß sie hier waren und hier bleiben sollten.

»Fühlst du's, Per, fühlst du's nicht auch?«

Und Per fühlte es. Er fühlte es, wo er ging und stand. »Ja«, sagte er vor sich hin. »Es hat schon seine Richtigkeit damit.« Jetzt aber meinte er fast, daß alles in die Brüche gegangen sei, der Schwengel war aus der Glocke gefallen, hatte sie das nicht bemerkt? Jetzt war es wohl gleichgültig, wo man hinzog.

Valborg hatte es bemerkt. Und sie war in letzter Zeit Per gegenüber sehr freimütig gewesen. Hatte sich kein Blatt vor den Mund genommen, sondern ihm gar manches gesagt; sie war dazu gezwungen gewesen. »Ja«, sagte sie. »Aber du mußt alles wieder in Ordnung bringender; du und niemand sonst.« Ja, freilich, die Sache mit Jens; aber auch das mußte man eben so gut wie möglich anpacken.

»Der Jens, sagst du. Wir waren aber doch alle beide schuld daran.«

»He? Ach, du meinst das mit diesem Diebskerl, der ins Meer sprang? Aber du weißt doch wohl, daß es sich jetzt um etwas Schlimmeres handelt: er will sie heiraten!«

»Ja«, sagte Per und wollte dann seiner Wege gehen.

»Aber – Das ist wohl nicht dein Ernst?« »Was?«

»Daß er die Daaret heiratet?«

Valborg konnte nicht umhin, sie mußte Per betrachten. So verbraucht hatte sie ihn noch nie gesehen. Oft hatte sie gewünscht, er möchte so aussehen, dann wollte sie gut gegen ihn sein. Jetzt aber sagte sie nur:

»Du bist wohl nicht recht bei Trost, Per? Nimm doch deinen Verstand zusammen!«

Er blinzelte und fuhr mit der Zunge an den Zähnen entlang, als habe er dort irgendwo die Antwort.

»He?« Valborg war fast sprachlos, was blieb ihr nun noch übrig? Ihr stieg das Blut bis in die Stirne hinauf. »Daß du's nur weißt, Per, ich bleibe dann nicht einen Tag mehr hier!«

»Freilich!« Es klang, als lebe er auf. »Nein, du weißt – – wir können ja gern von hier wegziehen. Denn – denn Juwika hat nur für einen Platz.«

»Ach so. So steht es also. Ja dann …«

Er hielt einen kleinen Hammer in der Hand, stand da und betrachtete ihn lange. Dann blickte er mit einem neuen Ausdruck im Gesicht zu Valborg auf; wach und belebt, und Valborg wurde dadurch ganz ratlos, wie vorhin; es war aber auch keine Kleinigkeit, so hier zu stehen und es mit ihm aufzunehmen.

»Juwika – hier in Juwika ist nichts mehr zu tun. Das alles ist schon vor uns fertig gewiesen, Äcker und Häuser und jeder Fuß breit, hier gibt es nichts mehr zu tun.«

»Ja, wohl. Aber es ist doch Juwika!« Valborg wußte nichts mehr zu sagen, und so ging sie fort.

Aber in ihr arbeitete es weiter. Sie beachtete den Kleinen nicht, der sich an sie hängte und um etwas zu essen bat, und vergaß Antwort zu geben, wenn man sie ansprach, sie öffnete nur den Mund, um zu antworten, ohne es aber zu tun.

Valborg stammte von den Engtalsleuten, und die waren ein kräftiger Menschenschlag – sie wollte Per nicht einmal zeigen, wie stark sie war. Es gab so vieles, was sie ihm nicht zu zeigen wagte, denn wer konnte wissen, wie weit ihm das recht gewesen wäre. Heute aber griff sie da und dort zu und rückte alles von der Stelle, sie trug den vollen Wasserbottich durch die Küche, so daß die Mägde mit offenem Mund hinter ihr herstarrten. Es kam so über sie, wenn er, Per, unvernünftig war und von Haus und Hof davonlaufen wollte, da mußte eben sie in Gottes Namen anpacken und ihn festhalten! – Ja, er war ein Juwiking, aber warte nur!

»Du glaubst jetzt wohl, ich sei nur dem Hof zuliebe hierhergekommen«, sagte sie vor sich hin. »Glaub, was du willst. Glaub, was du willst, Per, aber das will ich dir sagen –«

Valborg geht auf dem Hof an Jens vorüber, der gerade im Begriff ist, das Pferd auszuspannen. Sie sah ihn nicht an, sie tat dies fast nie, ihr schien es aber, als grinse er hinter ihr her. Tags darauf kam er dicht an sie heran, während sie auf der Wiese war und Wäsche zum Bleichen ausbreitete. Was er wohl im Sinn hat? dachte sie.

Er bleibt stehen und sieht sie ganz ratlos an: Arbeitete sie denn ganz allein? War nicht Daaret dabei, um ihr zu helfen? O nein, das konnte sie wohl nicht mehr. Valborg arbeitete weiter, und da lachte er: »Haha, sie fängt an recht dick zu werden, die Daaret, hast du das nicht bemerkt? Es sieht beinahe nach Hochzeit aus, hier auf dem Hof – vielleicht hast du das schon verstanden? Aber Valborg, du! Hm, du mußt nun dem armen Ding ein bißchen helfen, wenigstens anfangs. Du mußt so einigermaßen eine Hausmutter aus ihr machen. Nun, da ihr beide doch an der gleichen Krippe stehen sollt.«

Valborg richtet sich gerade auf, greift nach dem Rücken, er schmerzt, dann nimmt sie ihren Korb und geht. Jens sah die roten Flecken in ihrem Gesicht. – Da geht sie, sagte er vor sich hin. – Bleib du nur stehen, wo du bist, dachte sie. – Aber, schließlich muß ich ja mit ihm reden, sagte sie und stellte den Korb wieder zur Erde. Sie betrachtete Jens von oben bis unten.

Das war doch wohl nicht sein Ernst? Wollte er sich denn mit einer Magd verheiraten?

Na, eigentlich war es doch wohl sein Ernst. Denn wenn man im eigenen Wasserbottich gefischt hatte!

»Du Auswurf!« Sie war so erzürnt, daß ihr die Tränen in die Augen stiegen.

»Die Daaret ist gar nicht so übel, will ich dir sagen. Sie tut alles, worum man sie bittet. Und viel, viel mehr! Und schön genug ist sie auch – nicht viel häßlicher als andere Leute.«

»Ja, eins steht fest: Wir gehen dann unserer Wege!«

»Hm, hm, hm! Nein, nein, nein!«

Er redete wie mit einem Kinde, er war so seltsam, daß sie am liebsten gelacht hätte. Sie warf den Kopf zurück und ging.

Jens konnte hören, wie Valborg die Luft durch die Nase stieß, sie blies den Jens gleichsam von sich wie einen üblen Geruch. Ja, ein Jammer, daß Per nicht Manns genug war, um sie zu züchtigen, das wäre herrlich gewesen! Denn sie war ein Prachtweib!

Valborg hätte am liebsten mit dem Fuß aufgestampft und alle miteinander gefragt: Seid ihr närrisch, oder wollt ihr es werden? – War denn Juwika gar nichts mehr? Hatte denn der Hof keinen einzigen Menschen mehr außer ihr, auf den er sich verlassen konnte?

Abends, nach dem Schlafengehen, sagte sie zu Per, denn sie konnte keinen Schlaf finden: »So etwas habe ich auch noch nie gehört. Daß einer einfach vom Erbhof weglaufen und ihn dem Vieh vorwerfen will – hat das je schon einmal einer getan? Alles hinwerfen und einfach davonlaufen!«

Per gab keine Antwort, und sie griff nun zum stärksten Mittel, das sie wußte:

»Was meinst du, was euer Vater dazu sagen würde, wenn er noch lebte? Hast du daran schon gedacht, Per?«

Als sie gerade nahe am Einschlafen war, fuhr Per im Bett auf und blieb sitzen:

»Der Schwarzfels!« sagte er.

»Ach, leck mich –!« Sie wandte sich einfach von ihm ab, und er legte sich wieder hin und stellte sich schlafend.

Ein erwachsener Mann, der dalag und nicht schlief, das schien ihr das ärgste, was sie wußte. Jetzt richtete er sich wiederum auf und murmelte dann vor sich hin:

»Es ist doch wohl kein Hund hier in der Nähe?«

»Meinetwegen mag sein, was da will!« Bald darauf fügte sie hinzu, und jetzt etwas sanfter: »Das ist doch irgendein Schaf draußen auf der Weide. Hörst du es denn nicht?«

2

In den Hundstagen steigt das wieder herauf, was die See verschlungen hat. Da stieg auch Morten Aune wieder auf. Sie fanden ihn am Strand südlich vom Schwarzfels, und zwar fanden ihn zwei Knaben, die eines Nachts auf den Fischfang gerudert waren. Da lag die Leiche im Tang, ein Toter, eine Seeleiche; sie erkannten ihn an den Kleidern, er trug einen blauen Kittel und hatte einen roten Wollschal um den Hals; es ward ihnen übel zumute, und sie machten sich schnell davon. In Juwika erzählten sie es den Frauen, und diese wiederum sagten es den Männern. – Es wird ja vielerlei Unsinn geredet, meinte Jens. Per sagte nichts.

Nach dem Abendessen ruderte Jens auf den Fischfang hinaus; das tat er nicht oft. Valborg behielt Per im Auge. Wirklich, gegen Mitternacht stahl er sich hinaus und verschwand. Glück zu, dachte sie. – Gegen Morgen, zur selben Zeit, kehrten sie beide heim. Jetzt muß doch endlich einmal Frieden werden, sagte sie zu sich selber.

Erst am Tag darauf machten sich die Leute auf die Suche, sie gingen den ganzen Strand nach Süden zu ab, sahen aber nirgends etwas Ungewöhnliches. Die Buben hatten sich wohl getäuscht und sich selber in Schrecken versetzt. Der Morten war im Moor umgekommen.

An diesem Tag ruderte Per über den Fjord nach Haaberg hinüber, er wollte mit der Ane reden.

Auf Haaberg ging alles seinen gewohnten Gang, und der war schief. Der Hof war groß, aber es rührte sich wenig dort, es war gleichsam, als warteten alle Dinge auf den Tod. Auch das Geschlecht war jetzt fast ausgestorben, nur noch alte und kinderlose Leute waren am Leben, Ane konnte also in Frieden hier bleiben.

Per hielt überall Umschau, ehe er ins Haus trat. Ein paar Häuser standen so verkommen da, daß er lachen mußte; und der Hofraum war ein grundloser Sumpf. Und dort lagen die Äcker, sauere Erde; steinig und moorig überall, Gestrüpp und Brachland und lauter Elend. Aber es war ein unendlicher Grundbesitz, Waldwiesen im Überfluß, und Wald; eigentlich aber gute Äcker, gewiß, das mußte man trotzdem sagen.

Er ging noch einmal umher; zwischen seinen Augenbrauen stand eine tiefe Furche, er lebte sichtlich auf und bekam diesen starkblauen Blick, den die Juwikinger immer hatten, wenn sie etwas beschäftigte.

»Ja, ja«, sagte er von Zeit zu Zeit, »ja, ja; mit Gottes Hilfe und mit gutem Willen. – Und Wald und Weide« – er stand auf dem Stallhügel und blickte über das Land hin – hier könnte einer schon zurechtkommen. Und nah am «Wasser. Und Torf, Torf überall, so weit man sah. Und Neuland zum Roden, genug fürs ganze Leben:

»Gott bewahre, soviel Land und soviel Macht!«

Mit Ane war nicht viel los; man mußte bei ihr an einen saueren Baum auf einer saueren Wiese denken. Sie war ein einziges Jammern und Klagen, alles war gegen sie, Hof und Leute und was einem unter die Augen kam. Alt wurde sie auch allmählich – alt, aber nicht häßlich.

Warum sie nicht wieder heiratete? meinte er. Sie wurde rot, schrak beinahe zusammen, aber seltsam, wie es sie trotzdem verjüngte. – Ja, sollte sie das? Sie, eine alte Witwe, was er denn dächte?

Ho! Wer solchen Hof und Grundbesitz hat, und Barmittel, sie solle sich doch nicht versündigen!

Der Hof? Nein, der schreckte die Leute nur ab, der verjagte die Leute, so war der Hof. Denn die Leute seien dumm, das könne sie ihm sagen. Ja ja, in diesem Punkt hätten sie es weit gebracht. Aber ein Witwer vielleicht? Auf einem netten kleinen Hof – solcher gäbe es viele.

»He!« sagte sie – es war ja Geschwätz, aber es hörte sich doch gut an, sie mußte lächeln. Dann besann sie sich und stellte ihm etwas zu essen hin.

»Ja, höre, was ich dir sagen will, Ane: kann nicht ich den Hof dir abkaufen?« Er brachte diese Frage vor, während er beim Essen saß.

Sie machte nur ein langes Gesicht, und ihr Blick wurde unsicher.

Doch, wirklich, er wollte ihr sagen, wie es sich verhielt: er war um dieser Sache willen gekommen. Denn Juwika sei kein Hof für zwei, der dürfe nicht aufgeteilt werden. Oder?

Nein, wahrhaftig nicht.

Per redete eifrig auf sie ein, er war so aufgeräumt und zuversichtlich, wie sie ihn noch nie gesehen hatte, wie sie überhaupt seit langem niemand mehr gesehen hatte. Er redete von der Sippe und redete von sich und dem Seinen, bis auch sie fand, es gäbe keinen anderen Ausweg mehr, als daß er diesen Hof bekomme. Er sprach sich ganz offen aus, erzählte von Jens und Daaret und von Valborg, sprach über Preis und Geld und alles, was er gedacht hatte, und ehe es ihr recht klargeworden war, stand er mitten in ihren Angelegenheiten, sie sah deutlich vor sich, wie der Hof zurückging, wie sie immer älter wurde. Es war wirklich am besten, jetzt zu verkaufen und ein wenig Geld auf die Seite zu legen, er bot ihr ja auch keine Kleinigkeit, vierhundert Taler recht und schlecht! Und mit den Verwandten ihres Mannes wollte er selbst reden, wollte ihnen gehörig auf den Leib rücken, sagte er, ihnen Prozesse und weiß Gott was an den Hals hetzen, wenn es darauf ankäme.

Ihnen zu Leibe rücken! – das ließ sich hören! Vor dem Per sollten sie sich nur in acht nehmen!

Ja, oder sollte er vielleicht im guten mit ihnen reden? Vielleicht ziehst du nach Paalsnese, zum Andreas?

Ane wurde rot und heiß, denn der Per saß da vor ihr und las in ihren Gedanken. Andreas war Witwer und sah gut aus, und die Kinder waren erwachsen; einen kleinen, schönen Hof und Geld hatte er obendrein; außerdem war er der nächste Erbe ihres Mannes.

– Dann bekommt er das Geld für Haaberg, und was wollen die anderen dagegen sagen? In denen steckt sowieso nicht mehr viel Leben; – dann haben sie gewonnen, und dann hast du gewonnen, und die Sache ist aus, und wer zuletzt lacht, lacht am besten« – sagte Per und dankte für die Bewirtung.

Als er sich auf den Heimweg begab, war die Sache so gut wie abgemacht. Nur darüber, ob Ane sich einen Austrag ausbedingen sollte, war noch nicht gesprochen worden. Damit hatte es aber auch keine Eile, ehe man sah, was notwendig war.

Es war ein heller und unruhiger Tag. Schatten und Sonne sprangen miteinander um die Wette über das Land hin. über Felskuppen und Moore und weiche grüne Laubwälder. Höfe mit kleinen grauen Häusern traten da und dort lächelnd hervor; bisweilen kam das ganze Juwikufer auf einen zu, mit Grasflächen und Föhrenhängen bis ans Wasser herab.

Per kehrte mit hellem Gesicht zu Valborg heim, war wieder ein Kerl wie in alten Tagen, und er redete mit ihr, erzählte ihr, wo er gewesen war und was er getan hatte. Ihm schien es, als würde sie ein wenig gedankenarm, sie war nicht so leicht aufzutauen.

»Nein«, sagte er, »es war wohl nicht recht von mir, daß ich nichts davon sagte, ehe ich fortging.«

Ach deswegen! Daran hatte sie nicht gedacht. Unsinn! Aber sie blinzelte so schmerzlich, schien es ihm, stand wie ein kleines Mädchen vor ihm. Sie ließ die Blicke umherschweifen, betrachtete alles, als suche sie sich zu fassen. Dann wandte sie sich ihm zu, ganz als sei sie in Not:

»Ist denn Juwika für dich nur ein altes Hemd, Per?« Sie beeilte sich, hinzuzufügen: »Ja, denn weißt du, mir kann es gleich sein – aber wenn euer Vater noch gelebt hätte?«

Sie wandte sich rasch ab, denn er hatte sie aufgehalten, als sie gerade Grütze aus dem Vorratshaus holen wollte, und sie mußte nun laufen; die Milch kochte gewiß schon, sagte sie.

Ja, wenn sie nur nicht überkocht, dann ist es schon gut … Per sah Valborg nach und stand ganz versunken da. – Wer aber sich den Bösen aufgebürdet hat, der muß ihn auch tragen, murmelte er. Und nun mußte er mit Jens reden.

Jens war in Skare, einem Häuslerhof unten am Meer, auf der Nordseite, nur ein paar Schritte vom Juwikhof entfernt Die Leute auf Skare galten nicht gerade für die besten, und Per hätte sie am liebsten Pack genannt, faul und verhungert waren sie und hielten das Maul nicht im Zaum; aber Jens war dort, und er war oft dort.

Per schlenderte den Weg zum Ufer hinunter. Ihm war, als habe er noch nie einen so schönen Sommerabend erlebt, über den Tälern und Mooren lag der Tau blauweiß, die Wiesen standen überall in Blüte, die Grashalme reichten einem fast bis über die Knie herauf; jetzt senkte sich der Abendschatten über die Hänge hier, über Sauerampfer und Butterblumen und weiße Gänseblümchen, über Gutes und Böses. Per war gut Freund mit dem Gras, ob es nun noch auf der Wiese stand oder schon auf dem Heuwagen lag, er hatte ein Gefühl dafür. – Gras gab es reichlich hier in Juwika, und auch für das Getreide waren die Aussichten in diesem Jahr nicht schlecht; bald würde die Gerste in die Ähren schießen, und dann würde die Heuernte beginnen, das war so eine Regel.

»Ja, ja«, sagte Per, »so ist es.« Man war ein freies Geschöpf und konnte hingehen, wo man wollte. Er blickte zum Himmel im Osten hinüber, wie schön war es dort über den Bergrücken, wo große gelbweiße Wolken schimmerten. Und über dem Fjord lockten die Möwen. Die Berge stehen, wo sie stehen, sie wissen, wo sie hingehören. Nicht aber die Wolke, sie ist stets auf der Wanderung, geht, wohin sie Lust hat, und verändert sich, wie ihr der Sinn steht.

Aber wo war denn der Jens? Kam er nicht einmal zum Abendessen nach Hause wie andere Leute auch?

Endlich kam er, und Per trat in die Wiese und schätzte den Heuertrag ab.

»Ja also, Jens, jetzt bin ich fort gewesen und habe mir einen Hof gekauft. Kannst du raten, welchen?«

Das konnte Jens nicht, aber er wurde lebhaft und ungeduldig, er wollte sofort Näheres wissen. »Haaberg?« »Jawohl.« »So so. Aber du weißt: das hätte ich tun sollen, denn bei mir kommt es nicht so genau drauf an, und eine besondere Bäuerin bring ich auch nicht mit, das weiß ich. Das war also dumm von dir.«

Er sei aber doch der Ältere, erwiderte Per.

Das mochte Jens nie hören. – »Ja, ja, ich weiß es schon«, sagte er. »Aber, da steckt wohl die Valborg dahinter, sie ist so halsstarrig, na, du weißt, sie ist ja das schiere Gold im Vergleich zu der Daaret, denn die Daaret, die Ärmste, weiß nichts und kann nichts und taugt nichts auf Gottes weitem Erdboden!«

»Nein, schweig! Du wirst doch nicht dein Weib heruntermachen?« Pers Gesicht war verzerrt.

»Damit halte ich's, wie ich will, was das betrifft.«

»Meinst du die andern, er – ja, der Großvater und – andere anständige Leute hätten das auch so gehalten?«

»Mußt du jetzt wieder anfangen! – Nein, die nicht, die lebten noch in der alten Zeit, die, als sich die Menschen noch›auf der Erde' vermehrten, wie du weißt.« Er drehte sich Per zu und lachte still und gutmütig: »So so, du mußt fortziehen, du, weil der Juwikhof zu klein ist? O nein, du, da hätte wohl ein anderer fortziehen müssen. Wart noch ein wenig, dann will ich dir's sagen: Dich verjagt der Schwarzfelsgeist. Hätte ich mich auf meinen Vorteil verstanden, dann hätte ich dir die ganze Gegend vergeistert. Aber ich – habe eben gedacht, hier wäre für uns beide Platz.«

Per ging eine Weile schweigend weiter und überlegte bei sich. Dann schien ihm, er müsse erklären, wie es sich verhalte: »Du kannst gern sagen, daß ich mich fürchte, denn das tue ich. Wir haben ihn umgebracht. Aber es ist nicht nur das, Jens. Ich muß weg. Es ist gleichsam, als wollten sie mich Weg haben, wollten mich jenseits des Fjords haben.«

»Wer denn?«

»Ja, das weiß ich auch nicht. Aber ich merke es, daß sie es so wollen.«

Er hatte es nicht so sagen können, wie er wollte. Ganz klar hatte es vor ihm gestanden, aber als er es sagen wollte, war es förmlich zerronnen. Mochten sie ihn nur für furchtsam halten, das tat nichts. Ihm schien es, als habe er Fuß gefaßt: er wollte etwas tun, was noch kein Juwiking vor ihm getan hatte. Es war ganz still in ihm herangewachsen, während er sich hier zwecklos und klein herumgetrieben hatte. Sie redeten mit ihm.

»Wer weiß«, grinste Jens, »vielleicht ziehen wir beide am gleichen Tag fort, du und ich, Per.«

3

Per nahm es für Scherz und dachte nicht mehr daran. Jens hatte wohl auch nicht soviel dabei gedacht, aber es sollte bald Ernst daraus werden.

Zunächst kam die Heuernte, und die ging langsam vor sich, kein Tag war trocken, nur Regen gab es und Nässe; aber trotzdem mußte man froh sein, denn es wurden noch schlechtere Zeiten gewahrsagt, man hörte von Krieg und Not, der Himmel war voll der schlimmsten Zeichen. Jens und Per lachten nur darüber und trachteten danach, ihr Heu so gut wie möglich einzubringen, und endlich hatten sie es unter Dach, so wie es eben war.

»Du wirst doch wohl nicht jetzt sofort wegziehen?« fragte Jens eines Tages, sie hatten gerade die Erntegrütze gegessen. – »Na, es wird wohl am besten sein, allmählich anzufangen. Ane will es so haben.«

– Da sei nun die Sache mit dieser Hochzeit. Jens versuchte zu lachen, brachte es aber nicht recht zuwege. Es wäre – gemütlicher, wenn sie noch solange hierblieben. – »Ja, aber mach es nun bald ab«, sagte Per. Denn Jens war so sonderbar, wenn er so ratlos dastand. – »Es wird mir kaum was anderes übrigbleiben. Wenn ich noch ins Brautbett und nicht ins Wochenbett will.«

Per verließ ihn schweigend. Ihm dämmerte etwas, was ihm bisher noch nie klargeworden war: Jens war so und konnte nicht anders werden; er war kaum glücklicher als andere Leute.

So wurde denn Hochzeit auf Juwika gefeiert, und Tanz und Leben herrschten drei, vier Tage hindurch, dann war es überstanden. Länger konnte Per den Umzug nicht hinausschieben; und das wichtigste für die Jugend war jetzt nicht mehr das Tanzen, sondern das Essen, sie waren in der letzten Zeit selten an guter Kost satt geworden. Es ging jetzt schmal her auf den Höfen.

Dann kam der Umzug. Es war keine große Arbeit, denn sie hatten nicht viel mitzunehmen. Sie wollten Juwika verlassen, wie es war, und auf Haaberg einziehen, wie es war. Den Hof daheim hatten die Söhne übernommen, wie ihn der Vater hinterlassen hatte, dafür bekamen die Töchter Barmittel und jede eine Kuh aus dem Stall; Jens zahlte den Bruder mit zweihundert Silbertalern aus, die Hälfte davon mußte Per selber für Jens auf Engdalen leihen; er brauchte das Geld, um Haaberg zu bezahlen, und Jens meinte, Per würde es eher erhalten.

»Ich glaube, das bringt uns noch an den Bettelstab«, sagte Jens. Er sagte es so, daß Valborg es hören mußte, und es tat ihm wohl, daß sie es sich zu Herzen nahm. Ihr Gesicht wurde hart, sie alterte gleichsam, dieses Prachtweib des Bruders, es tat gut, dies zu sehen. Per aber reckte sich auf und lächelte zu Jens herab: So ist er nun, der Jens, und nicht anders, manchmal ist er arg wie der kalte Lufthauch durch die offene Tür. sonst aber ein guter Kerl, ich habe doch manchen lustigen Tag mit ihm verlebt.

Zum Umzug hatten sie gutes Wetter, stille Luft und Sonne. Jens ruderte mit hinüber. Es war im übrigen kein großes Abschiednehmen von Juwika und den Leuten dort, denn es gab immer noch das eine oder andere, was noch hinübergebracht werden mußte. Per sollte noch das junge Pferd holen, das er sich gekauft hatte, Valborg fiel ein, daß sie ihren Spinnrocken, ein Webgatter und andere Kleinigkeiten vergessen hatte.

Valborg blickte verstohlen zurück. Sie hätte das nicht tun sollen, das war kein gutes Zeichen, aber sie saß eben gerade so im Boot und konnte ihre Blicke nirgends sonst hinlenken.

Juwika drehte sich von ihr ab, glitt fort und verschloß sich vor ihr.

»Jetzt sehen wir unser Haus nicht mehr«, sagte Anders; auch er blickte zurück, mit sehnsüchtigen Augen.

»Ja, aber ist's nicht lustig, so mit uns andern im Boot?« meinte Valborg.

Im übrigen gab es noch mehr Zeichen, die nichts Gutes versprachen. Valborg sah sie, und auch Per sah sie, aber um solche Dinge bekümmerte man sich nicht mehr, diese Zeit war vorbei.

»Dank für die Hilfe«, sagte Per zu Jens.

»Ja, leg ihn dort auf den Stein, den Dank. Und dann kommst du noch vor dem Feiertag, um das Pferd zu holen?«

»Was ist denn heute für ein Tag?«

»Heut ist Mittwoch, und morgen heißt man es Donnerstag.« – Jens schob das Boot ins Wasser und sprang hinein. »Ja, richtig: Tui!« sagte er und spuckte aus. Es konnte nicht schaden, auszuspucken, hatte er gehört.

Per kam ein paarmal nach Juwika, aber immer nur ganz kurz, Valborg war nie dabei, er besorgte alles für sie.

Und dann gab es nicht mehr viel Zeit zum Nachdenken. Auf Haaberg warteten ihrer tausend Dinge. Zuerst mußte Per aufs Dach, denn dort drang das Wasser ein. dann mußte er Bretter schneiden und einen Stallboden legen, und dazwischen, während er seinen Körper ausruhte, wie er es nannte, hieß es Steine brechen und den Hofplatz auffüllen, damit sie nicht im Schmutz versanken, Valborg machte sich ans Scheuern, und dies war eine lustige Arbeit, denn hier sah man doch, daß es verschlug.

So oft Per sich aufrichtete, blieb sein Blick auf den steinigen und nassen Äckern haften, seine Augen wurden wach und streitbar: Diesem Hof wollte er noch zu Leibe rücken! – Valborg stemmte die Hände in die Seite und legte den Kopf ein wenig schief: Wenn man hier einen ordentlichen Boden legte und dort eine Küche abteilte und noch ein Fenster einsetzte, dazu einen Ofen – – –

Bisweilen betrachtete sie Per, und dann entstanden Grübchen in ihren Wangen: er schien ihr wie verwandelt zu sein.

Per beachtete sie nicht, sonst hätte er wohl das gleiche von ihr gesagt.

Ane ging im Haus aus und ein. Sie hatte sich Austrag ausbedungen, und zwar einen gehörigen, und eine Stube im Haus sollte für sie instand gesetzt werden, sobald sich Zeit dazu fand Sie war ein wenig verdrossen und mürrisch und nahm alles schwer. Wenn aber Per vom Heiraten sprach, so konnte sie merkwürdig aufwachen.

Tatsächlich ging er mehrere Male nach Paalsnese. Er müsse sich Geld leihen, erklärte er, und das gab es dort. Und eines Tages kam Andreas. Er fragte nach Per, aber er traf die Ane und redete auch mit der Ane. Er war ein lebenslustiger alter Bursche, wollte am liebsten tanzen, so schien es Ane, und jung fand sie ihn auch. Auch Ane war nicht unscheinbar, wenn sie nur wollte. Und jetzt wollte sie. – Als Andreas endlich den Per fand, konnte er ihm erzählen, sie beide seien jetzt einig, er und sie: sie hätten sich jetzt zusammengetan, wer aber von ihnen beiden die Hosen anhaben sollte, würde sich erst zeigen, wenn sie allein beisammen wären. »Wenn nur nicht der Dreißigjährige Krieg daraus wird«, meinte er.

Es ging noch einige Zeit darüber hin, aber noch ehe Weihnachten kam, zog Ane nach Osten, und sie feierten eine gehörige Hochzeit.

Jens Juwika betrank sich dabei. Dies war aber nichts im Vergleich zu dem, was er außerdem tat: Er fing an, den Leuten vorzusingen. Ein Spottlied nach dem anderen, und das schlimmste war, daß er diese Lieder selbst gemacht hatte! »Ich bin auch nicht öfter froh als andere Leute, aber dann singe ich!« sagte er. Er hatte eine gute Stimme, und die Lieder hatten so schöne Melodien, so sehr die Leute auch Anstoß nahmen, mußten sie ihm dennoch zuhören. Denn das schlimmste war, daß er doch auch wieder nicht ganz betrunken war.

Gegen Ende der Nacht trat er taumelnd zu Per, der mitten unter den Leuten stand, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte, dies sei das letztemal, daß er ihm Schande gemacht habe, das letztemal, daß sie Brüder und Kameraden seien und einander zum besten halten könnten. Und jetzt sollte Per trinken, wenn er ihn schon darum bitte, um der alten Brüderschaft willen – »Trink, hörst du, du Fohlen, was stehst du da und gaffst? Fürchtest du dich? Hat dich die Angst gepackt, Per, mein Bruder?«

Per fühlte, was nun kommen würde, und bat Jens, ihm zu folgen, damit sie einen Tropfen allein trinken könnten. – Jens wurde weich bei diesen Worten und kam mit, unterwegs aber brach es aus ihm heraus: »Wir beide – wir sind nicht nachtscheu. Der Schwarzfels ist zwar schwarz, wir aber sind schwärzer, erinnerst du dich noch, im Frühjahr, Per, wie wir sprangen, wie zwei übermütige Kälber, und er vor uns, er vor uns her, hol mich der Teufel, wie der laufen konnte, he he he?«

Per schaffte ihn um die Hausecke und ging mit ihm ins Vorratshaus, um frisches Bier zu holen. Dort aber wurde Jens unsicher, tat ein paar Züge aus dem Krug und begann Per zweifelnd anzustarren, sein Gesicht wurde bleich und verzerrt.

»Was stehst du da und brummst? Ist mein Weib nicht ebenso gut wie deines? Weil der Vater es nicht für mich ausgesucht hat? Wenig Verstand, sagst du – pah!« Er blickte zu Boden, besann sich eine Weile, ehe er wußte, was er wollte; dann murmelte er vor sich hin: »Habe ich es geträumt, oder habe ich es gehört: was einen in der Not stützt, das ist der Verstand, den man nicht besitzt, und den man nicht entbehrt. Du hast wohl Verstand genug, haha.« Er richtete sich wieder auf: »›Ja, mir kann's gleich sein‹, sagte das Mädchen – pfui Teufel, wie widerlich du bist, Per! Ein Ehrenmann! Ob es lange dauert, bis das Kind da ist, fragst du? Ich steh, wo ich lieg! Wann es auch kommt. Aber der Schwarzfels?«

Per ließ ihn stehen.

4

Jens war freundlich gegen die Dienstleute und auch gegen seine Frau. Trotzdem kündigte die andere Magd, als Daaret Hausmutter wurde, weil sie nicht unter ihr dienen wollte. Und niemand war statt ihrer zu bekommen. Aasel mußte sich auf den Weg machen und sich nach Mägden für Juwika umsehen. Jens packte nichts Rechtes an – hier ist nichts mehr zu tun in Juwika, sagte er. nahm die Schrotbüchse und ging in den Wald, wo er Tag für Tag bis zum Abend blieb. Nachtsüber saß er unten in Skare und spielte Karten um Geld, oder er ging noch weiter. Wenn er betrunken war, so sang er, und ein Lied war schlimmer als das andere; bald kannten sie alle Leute in der Gemeinde.

Kurz vor Weihnachten, am Tage der Thomasmesse, bekam er eine Tochter.

Amen!« sagte Jens, als man es ihm erzählte. – Ein hübsches kleines Ding, sagten sie. – »Amen!« – Ob er sie sehen wolle? Er dürfe gern kommen. – »Nein, nein, nicht notwendig.« Er wandte sich rasch der weisen Frau zu: »Sie sieht doch ihrem Vater so ähnlich wie nur möglich, nicht wahr?«

Die Frau wurde böse darüber und drehte sich von ihm ab. Dazu sei's noch zu früh, sagte sie.

Jens war zum Essen im Haus gewesen und wollte nun wieder fortgehen. Vorher aber fragte er die Frau noch einmal: »Was rechnest du denn da nach? Januar, Februar, März, meinst du. Ja, ja, da hast du recht. Das Kind ist schon ein wenig alt, wohl an die elf Monate. Ach was, das tut nichts.« Er blickte grinsend zur Decke hinauf, dann ging er hinaus. Mit Daaret sprach er kein Wort.

Und alle wunderten sich: Entweder war das Kind elf Monate alt, als es zur Welt kam, oder sie kannten sich überhaupt nicht aus. Dann aber hatte sie mehr Leute genarrt als nur den Jens. Und warum war Jens in letzter Zeit ständig in Skare unten?

An diesem wie an jedem anderen Abend saß Jens in Skare. Plötzlich greift er hinüber und packt Haagens, des ältesten Sohnes, Faust, deckt sie mit seiner ganzen Hand zu, drückt sie vielleicht ein wenig hart, denn der Bursche beißt die Zähne zusammen und wird blaß; Jens sieht ihn an und sagt ungeheuer sanft: »Komm mit mir auf unseren Hof hinauf, Haagen, dann wollen wir mein kleines Mädchen anschauen. Es ist zwar nur ein Drecksmädel, aber ein ordentlich gemachtes Geschöpf, und elf Monate alt. Was? Und mir so ähnlich!« Er hatte sich halb erhoben, setzte sich dann wieder und spielte werter wie vorher. Die andern waren aufgefahren, gewahrte er, entweder um auszureißen oder um nach dem Messer zu greifen, wenn es Ernst werden würde. »Ja«, sagte er und sah dabei rund herum, »Lust hätte ich schon dazu, euch ein wenig zurechtzuschnitzen; aber es lohnt sich nicht – meint ihr, ich eine Häuslerlaus, weil ich hier mit euch zusammen sitze?«

Sie spielten bis in die tiefe Nacht hinein, und Jens wanderte in der Dunkelheit heim. Einen Augenblick blieb er vor der Alt-Stube stehen, sah zum Siebengestirn auf und überlegte: Sollte er vielleicht dort Feuer machen und sich schlafen legen? Dann hätte die Häuslerlaus die Stube für sich allein. Aber er zuckte nur mit den Schultern, stieg in den Dachraum hinauf und legte sich dort in ein Bett.

– – – In den Weihnachtsfeiertagen waren die Leute nicht unterwegs. Sie gingen nur zur Kirche, im übrigen aber blieben sie daheim und hielten den Feiertag heilig. Diesen Brauch brach niemand außer Jens. Er fuhr am höchsten Feiertag von der Kirche aus nach Haaberg und blieb dort. Per und Valborg waren ziemlich bestürzt darüber, das sah er, ihm aber machte das nur Spaß. Er sah auch, wie es an Valborg nagte, daß Daaret sie genarrt hatte. Immer wieder erzählte er ihnen, daß er eine Tochter bekommen habe, und zwar am Tag der Thomasmesse. Früher hat sie nicht Ernst damit machen wollen, sagte er.

Am andern Tag fuhren Per und Jens nach Paalsnese und von dort noch zu anderen Höfen; sie waren lustig und guter Dinge.

Endlich eines Morgens machte Jens sich auf den Heimweg, und Per folgte ihm ans Meer hinunter. Da hatten alle beide einen schweren Kopf.

Als Jens im Boot steht und sich über den seichten Grund hinwegstakt, sagt er:

»Diesen Winter will ich auf den Lofotfischfang fahren. Alles Gute also für diese Zeit, Per.«

Die beiden Brüder sahen einander an, und Per erbleichte.

»Ja, aber bist du denn verrückt, Jens?«

»O ja. Es ist schon so. Ich will fort und mich rühren, verstehst du denn nicht, du Dummkopf?«

Er griff nach den Rudern, wandte rasch das Boot, machte aber noch keinen Schlag. – »Laß dir's gut gehen, Per, dein Leben lang. Ich bin doch froh, daß noch soviel in mir steckt. Daß ich nicht so schlapp bin wie du. Ich löffle die Grütze mitsamt den Spelzen aus. Und ist es nicht seltsam, du, wie ich die Fäuste in die Taschen stecken kann, damit sie nicht herumfuchteln und irgend etwas anstellen?« – Inzwischen war das Boot ans Ufer zurückgetrieben, und er mußte zu rudern anfangen.

»Dank für alles, Per.«

Die Ruder knarrten über das Wasser hin, immer weiter und weiter entfernt, es klang wie die Stimme eines zornigen Mannes.

Per erwähnte Valborg gegenüber nichts davon.

Und Jens erzählte seiner Frau nicht früher etwas von seinen Plänen, als bis er sozusagen schon auf der Fahrt war. Er hatte sich an einen Auswärtigen verheuert, der auf Juwika Holz gekauft hatte, und machte sich so schnell wie möglich bereit, er ging einfach als bezahlter Mann mit, denn er besaß keine Fischgerätschaften. Daaret wagte nicht aufzublicken; es schien, als habe sie nie etwas anderes erwartet.

Und nun hatte er Haagen unten auf Skare für den Winter als Großknecht auf Juwika gedungen, was sagte sie dazu?

Das arme Ding bückte sich, sie suchte etwas auf dem Boden und tastete dort weiter. »Es wird wohl gehen«, sagte sie.

Jens stand noch eine Weile da, er versuchte mitten in der Stube stillzustehen und außerhalb aller Dinge zu sein, wie Per dies zu tun pflegte. Seine Stirn schob sich auf und nieder wie bei einem rasenden Bären. Daaret war auf der Hut, bereit zur Tür zu springen. – »Ja, ja, also«, sagte er nur. Sie solle gut für Haagen sorgen, daran denken, daß er sehr großen Wert aufs Essen lege, der Bursch. Im übrigen solle sie, wenn es nagend etwas Ernstliches gebe, nach Aasel senden, auf die könne man sich am besten verlassen.

Gott sei Dank, dies war nun überstanden, und sie fühlten sich alle beide erleichtert. Als er schon draußen war, kam er noch einmal herein, und sie verlor fast den Verstand vor Schrecken; sie stellte sich hinter die Wiege. Er aber wollte nichts anderes, als ihr die Hand zum Abschied geben. Daaret verstand nichts von alledem.

5

Der Winter verstrich, aber er verstrich schwer, es war ein stürmischer und böser Winter.

Auch in Juwika wurde er schwer empfunden, wenn die Oststürme einsetzten, es war ein Wetter, das einem durch Mark und Bein drang, sagten die Leute.

Viel schlimmer aber war es auf Haaberg. Dort kam der Sturm von allen Seiten, saugend und anhaltend und beißend scharf: er fraß die Leute, wie es hieß. Per behauptete, der Sturm blase quer durch ihn hindurch, wie er sich auch stelle, sei wie ein Feind, der ihn von hier fortjagen wolle.

Ein Glück, daß er soviel zu tun hatte, und Valborg sah ihm oft nach, und es war ihr leichter zumute als seit langer Zeit: Freilich, es kam immer noch vor, daß er ganz versunken an einer Hausecke stand; aber es dauerte nie mehr so lange, und er war auch nicht sehr nachtscheu, soviel sie bemerken konnte, nicht mehr so, daß es ihm etwas anhaben konnte. Er war der, für den sie ihn gehalten hatte.

Endlich kam auch in diesem Jahr der Frühling. Er kam sogar frühzeitig nach Haaberg, dank der Lage des Hofes. Zuerst kam der Stallhügel aus dem Schnee heraus, ein steingraues Antlitz reckte sich empor und blickte in die Luft hinauf, dann kam ein Hügel nach dem andern, alte graue Burschen sonnten sich, gedankenlos und gleichgültig; und nach diesen kamen die Äcker, ein Fleck nach dem andern, gelbgrau und armselig; und nun lagen die Moore aber da, das ganze runzlige, braune Gesicht lag frei, und die Vögel stiegen trillernd darüber auf. Der Fels schob sich unter seiner Decke hervor. Feuchter Frühlingsgeruch stieg einem in die Nase, kribbelte in Leib und Seele. – Die Luft war von Frühling und Bläue erfüllt. Und frühlingsblau war alles, was man sah.

Alles, dem es gegeben war, wechselte den Pelz.

Per und Valborg wanderten abends bisweilen draußen umher, beredeten dies und jenes und standen lauschend und um sich blickend da. Bisweilen war Per allein. Da hörte man mehr. Da kam jener saugende Nachtlaut vom Meer herein, der fragend am Ufer entlang wanderte; es war die Meeresbrandung. Und drüben aus den Wäldern klang die Antwort, die Frühlingsnacht antwortete mit einer einsamen Stimme, es war das Rauschen des Baches im Wald.

Und der Frühling ging dahin, über Haaberg und durch die ganze Gegend. Das Schmelzwasser sprang glucksend und lachend zum Fjord hinab, der Wind fuhr in rauschenden Böen über das Land. Per pflügte und säte, bei Sonnenaufgang schon war er auf dem Acker und mitten am Tag und spät am Abend, noch nie war der Erde von Haaberg so zugesetzt worden; ihn dünkte, sie wende sich um und starre ihn an wie eine wiederkäuende Kuh, gebe bisweilen ein leises freundliches Stöhnen von sich. Noch durften die großen Steine ein Jahr lang ruhen, und noch war dem Wasser Zeit gegeben, trotzdem beschäftigte sich Per so nach und nach damit und behielt beides im Auge.

In Juwika ging es nicht so gut. Jens kehrte nicht heim. Die Bootsmannschaft hatte Nachricht gesandt, Jens sei mit einem Händler weiter nach Norden gezogen und lasse herzlich grüßen. Das war ein Jammer und eine Not auf Juwika, und Per mußte hinüber und da und dort mit helfen.

Inzwischen war aber bereits Aasel gekommen. – »Ja, jetzt mußt du den Hof übernehmen«, sagte er zu ihr. – Sie? – Ja, gerade sie. – Ja, und er selbst? – Nein. So hin und her, das war nicht seine Art. »Und du«, er wandte sich zu Daaret, »du bekommst einen kleinen Austrag, eine Kuh und ein wenig Getreide, und was du sonst etwa brauchst, damit du leben kannst.« – »Austrag?« – »Ja, Austrag. Denn dein Häuslerknecht von da unten in Skare soll sich hier nicht breitmachen, verlaß dich darauf. Von deinem Kind wollen wir nicht reden – hast du mich recht verstanden?« – »Ja, ja, meinethalben«, sagte Daaret, und dann sank sie zusammen und wurde blau und blaß zugleich; sie wagte nicht, seinen Blicken zu begegnen.

Es war auch nicht ratsam, an diesem Tag seinen Blicken zu begegnen. Und wenn es der König gewesen wäre, er hätte dem Per Platz gemacht, schien es den andern.

«Es ist am besten, du ziehst jetzt gleich hierher«, wandte er sich wieder an Aasel. »Der Mikkal ist ja zwar ein halber Seehund, aber du sollst trotzdem den Hof bekommen. Denke daran, daß der Vater es immer so hat haben wollen, er hat es wohl damals schon vorausgesehen. – Über den Preis und

alles übrige – reden wir ein andermal. Über die Daaret – reden wir nicht

Noch einmal kam er und nahm sich Aasel vor. Er hatte sich ganz in die Sache verbohrt, so daß Aasel ihn kaum mehr wiedererkannte. – »Ich? sagst du. Nein. Ich bin und bleibe, wo ich hingehöre. Denn ich mußte weg! Sie wollten es so haben. Und außerdem muß man sich auch ein wenig rühren. Und dazu kommt noch die Valborg. Sie würde hier nur herumgehen und sich ärgern und böse und häßlich werden. Valborg wollte nicht von hier fort, nein, aber sie mußte! Das ist nun auch nicht mehr zu ändern. Und jetzt bist du die Bäuerin auf Juwika. Du mußt zugreifen, Aasel!«

Und so geschah es. Daaret erhielt die Alt-Stube als Austrag und im übrigen alles, was sie zum Leben brauchte, und Mikkal und Aasel übernahmen den Hof.

Per und Valborg waren an einem Sonntag bei ihnen. Aasel ging mit tiefen Lachgrübchen umher, wie die Frauen auf Juwika sie häufig hatten, wenn sie sich wohl fühlten. Mikkal sah neugierig und ernsthaft von einem zum andern und fragte Per in vielerlei Dingen um Rat. Ihre Kinder trieben sich überall umher, es war eine ganze Schar von Nachkommen, die da herumkrabbelte und sprang und lärmte: es war so unsagbar lustig hier auf dem großen Hof. Und Per nickte, als wollte er sagen, so sollte es sein, so wollte Juwika es haben, hatte es sein Lebtag so gewollt. – Jetzt müßten sie sehen, heimzukommen, sagte Valborg; es wäre so vieles, was dort auf einen wartete.

»Es kommt darauf an«, meinte Per, als sie nach Hause ruderten, »es kommt darauf an, ob nicht auch die alten Höfe bisweilen den Pelz wechseln. Die Alten, die glaubten an so etwas.«


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