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Und erlöse uns von dem Übel

1

Es war ein, zwei Jahre später, kurz vor Weihnachten. Per kam vom Schuppen, wo die Jungen Torf aufgeschichtet hatten, über den Hofplatz herüber. Valborg trat aus dem Vorratshaus, sie hatte Brot geholt. Ein Häuslerweib schlich sich mit seinem Sack um die Ecke, und Per sah, daß er leer war.

Ja, sagte Valborg – aber was war zu tun? Sie wußte nicht, was aus dem Korn und dem Mehl wurde, aber trotzdem verschwand es: es hält nicht vor. Sie durften froh sein, wenn sie mit dem Gerstenmehl den Winter über ausreichten; und wie stand es mit dem Saatkorn? Eine Tonne Gerste, das war nicht viel für Haaberg. Aber wie gesagt: das Mehl –

Na – dann durften sie eben nur jeden zweiten Löffel voll essen. Schließlich war es doch nicht notwendig, immer satt zu sein.

So war es fast immer, wenn sie miteinander redeten. Es lag kein rechter Ernst und kein rechter Sinn mehr darin, fanden sie. Der eine stand da und wunderte sich über den anderen, aber sie standen gleichsam Rücken an Rücken und wußten nichts voneinander.

Valborg ging ins Haus, Per schlenderte noch um den Stall herum, wo er das Weib mit dem Sack antraf. – »Was brauchst du denn?« sagte er – »hast du kein Mehl? Komm her mit deinem Sack, aber schnell.« Er reichte ihr den Sack wieder heraus, als sei fast nichts drin: »So, jetzt geh. Mach, daß du heimkommst!«

Valborg hatte recht: es wurden solcher Leute immer mehr und der Vorräte immer weniger, man mußte wirklich einmal nein sagen! Aber Per mochte das nicht, es schmeckte so sehr nach Armut. Er lachte auch herzlich, wenn seine kleinen Jungen warnten: »Da kommt wieder so ein Sackträger!« Soge sie noch entfernt waren, hätte Per am liebsten den Hund auf sie gehetzt; waren sie aber erst hier, so klang das Lied ganz anders. Sie hatten aber auch schwere Zeiten, die kleinen Leute; war es doch schon für andere schwer genug.

Der erste Sommer, den Per und Valborg auf Haaberg lebten, brachte das große Frostjahr. Im Mai setzte die Hitze ein, so daß sich das Vieh kaum vor den Bremsen retten konnte Im Lauf des Sommers kamen ein über das andere Mal die Fröste, und am schlimmsten war es auf Haaberg. – »Ja, so ist's«, sagte Per nur. »Aber wegen eines Mißjahres reißt man noch keine Scheune ab.« – »Nein, wenn es nur bei einem Mißjahr bleibt«, erwiderte Valborg. Merkwürdig jedoch sei es daß es gerade auf dieses Jahr treffen mußte? – »Hm!« sagte Per und wandte sich ab. Er konnte sich so von einem abwenden, daß man sich ganz vergessen und verlassen fühlte. Per meinte nichts Böses damit. Denn die Valborg gehörte nicht zu denen, die man schlecht behandelte. Es war schlimm mit ihr gegangen: sie hatte zweimal einen Abgang gehabt. Das erstemal, ehe sie von Juwika wegzogen – es fiel ihr so schwer, von dort wegzuziehen. Das andere Mal in diesem Sommer, und da wäre es beinahe mit ihr zu Ende gegangen – es war auch hierin ein Mißjahr gewesen: es war zu trocken gewesen. Sie nahm dies als eine Warnung oder etwas Ähnliches.

Wenn die Weiber keine Vorräte haben, darf man nicht viel von ihnen erwarten, sagte sich Per im stillen, und damit schob er die Sache von sich und packte die Arbeit wieder an. Denn er selbst ließ sich's nicht anfechten: Hier war er, und hier sollte er bleiben; sie wollten es so, und hier war gut sein. Hier ist uns alles zugemessen, Arbeit mit Steinen und Wasser für hundert Jahre, sagte er zu Anders. Und es ist eine reiche und freundliche Erde, wenn sie einen erst kennt.

Per arbeitete jetzt an einem neuen Schlitten zum Steinefahren. Plötzlich aber sah er auf und lauschte: die Häusler arbeiteten heute so träge in seiner Scheune. Einen Schlag heute und einen morgen, lachte er, warf das Werkzeug fort und ging zu den Leuten und ließ sich sehen. Seit zwei Jahren hatte er ihnen das Pachtgeld erlassen, dies hatte sie jedoch offenbar nicht gerade aufgemuntert; aber arbeiten mußten sie, damit sie doch auch noch wußten, wer Herr auf dem Hof war.

Im selben Augenblick kam Valborg und bat ihn ins Haus. Es sei jemand gekommen. Wer? Na, das würde er schon sehen. Sie sah es ihm an: er dachte an Jens. So war es oft. Aber es war nicht der Jens, es war Maerit, die Schnapsbrennerin. Sie ging von Hof zu Hof und brannte Schnaps und erzählte außerdem Neuigkeiten. Ein paar Jahre lang hatte sie nichts zu tun gehabt, da hatte man sie gar nicht zu sehen bekommen; heute aber kam sie hierher, und sie setzte sich hin, als habe man sie geholt.

Sie nahm eine Prise Schnupftabak und erzählte vom Wetter und von den Zeiten und vielem anderen. Da hatten sie Unglück im Stall, ob es nun Lappenzauber oder irgend etwas anderes Böses war; und dort waren sie so nach und nach am Verhungern, und der war krank und bald am Sterben, ja, und ein anderer hatte Blut gebrochen! Am schlimmsten aber war es jenseits des Fjords, drüben beim Schwarzfels: dort ging ein Gespenst um und rief, es wolle in geweihte Erde kommen; – sie erzählte und nieste, bis die Stube voller Unheil war: es sei eine arge Zeit, in der fast unter jedem Bett ein schwarzer Hund liege.

Valborg hörte nur halb hin; sie wußte das alles schon vorher. Aber dennoch fraß es in ihr, und ihre Augen wanderten wieder zu Per hinüber. Er war gleichsam nicht zu fassen. So sehr war er auf Maerits Erzählung erpicht. Endlich vermochte sie nicht mehr länger zu schweigen: Ob er die Maerit habe kommen lassen?

»Freilich!« erwiderte er, aber nur ganz nebenbei, und fragte dann wieder nach mehr Schauergeschichten.

Valborg ging ins Vorratshaus hinüber. Und wahrhaftig: die Gerste war weg! – Eine Tonne Gerste hatten sie gehabt, und jetzt war sie wohl in der Braustube, um für Weihnachten gebrannt zu werden. Sie ging wieder in die Stube. Ohne jedoch ein Wort davon zu sagen.

Und nun wurde gebrannt; Maerit brannte, und Maerit klärte, es ging alles ganz still vor sich, als wäre es Zauberei, und dann hatten sie Branntwein, den reinen brennenden Tropfen. »Jetzt habe ich geklärt, und jetzt bin ich klar«, sagte Maerit, und damit fiel sie in einem Winkel hin und schlief wie ein Stein. Sie war schwer betrunken. Maerit kostete nie das Gebräu, das sie brannte, das waren ihre eigenen Worte; man kann schon von weniger betrunken werden, sagte sie, und das fanden die Leute billig.

Die Nacht war schon vorgeschritten, und bald schlief jedermann im Hause. Nur Per war noch auf.

Draußen war es kalt und klar. Das Siebengestirn stand über dem Scheunendach; der Mond legte blaue Schatten auf den Schnee hinter den Häusern. Im Norden und im Süden und wohin man auch sah, nur Mondschein und Schatten und klarer Himmel. So konnte die Nacht vor einem aufsteigen: ein großes und stilles Antlitz, zwei große Augen. Stand man diesen gegenüber, so fühlte man sich als Mensch gering. Was sahen sie wohl?

Per blickte durch eine kleine trübe Scheibe hinaus. Er legte die Hände hinter den Nacken und stand eine Weile so da. Er stand nicht in Gedanken versunken, das tat er jetzt fast nie mehr. Denn der, der sich den Gedanken verkauft, verkauft sich einer schwarzen Macht. Er stand nur so da. Er besann sich, ob er sich nicht ein wenig Laune antrinken und dann hinausgehen und die Leute beim Schopf packen sollte – wenn er ein Juwiking war, und das war er, dann tat er das.

Da bemerkte er, daß Valborg wach im Bett lag. Er streckte sich, gähnte ein wenig und sah zum Ofenwinkel hinüber, wo die Maerit lag – wie sollte er sie nun von dort wegschaffen?

»Und jetzt habe ich geklärt, und jetzt bin ich klar«, sagte er. »Ja, ja, wir haben ein großes Werk vollbracht.«

»Du stehst ja da wie der Tore Versonnen«, sagte Valborg.

Er wandte sich ihr zu, kniff die Augen freundlich zusammen, so wie man oft ein Kind ansieht: Fürchtete sie für ihn? Hatte sie Angst, er würde sich zu Weihnachten toll und voll betrinken?

Darauf gab sie keine Antwort.

»Oder liegst du wegen des Getreides wach? So ist es wohl. Wie wär's, wenn du auf das Korn pfeifen tätest, du wie ich? Du solltest nur sehen, wie leicht es dir da ums Herz würde.«

»Daß du das getan hast. Das ist es, was ich nicht begreifen kann.«

Er wandte sich wieder halb zu Maerit um. »Schau sie doch an«, sagte er lustig. »Sie schläft, die drücken keine Sorgen. Häßlich, ja! Der Herrgott ist wirklich sparsam bei ihr gewesen. Sie aber fand, das ginge sie nichts an, schlimmer sei es für die die sie anschauen müßten. Soll ich sie auf den Bodenraum schaffen? – Und wenn heute nacht ein schwarzer Hund kommt und sie beschnuppert? Dann ist sie ja klar, dann ist es vorbei mit ihr.«

»Ich meine, du bist – ich meine, du bist auch betrunken?«

»Ach, Geschwätz.« Jetzt trat er an ihr Bett, und sie sah, daß er ganz nüchtern war.

»Ich weiß es ja, Per, daß du dir immer gleich bist, was du auch tust.«

Per sah sie lange an, plötzlich drehte sich ihm alles vor den Augen, war er denn doch betrunken?

»Was gibt es denn nun eigentlich?«

Valborg kämpfte schwer damit. Früher wußte sie nichts von Per. Da war dies eine so große Sache. Nun wußte sie gleichsam alles von ihm, und nun war das das Größte, was sie hatte.

»Nein, es ist nichts Besonderes gerade. Aber es kommt mir so vor – als stünde eine Macht gegen uns?«

Sie sah ihn erschreckt an und blickte wieder weg, sie konnte fast nicht glauben, daß sie es gesagt hatte.

Nun begann Per sich auszukleiden. – »Schlaf jetzt, Weib«, sagte er. Sie erwiderte nichts darauf, und so wurde es still in der Stube. Man hörte nichts anderes als Maerits Schnarchen dort beim Ofen. Das Feuer erlosch, und die Kerze brannte zitternd herab und erlosch auch bald. Der Mond legte gelbgrüne Scheiben an die Wände. – »Ja«, sagte Per, er hatte eine Weile auf dem Bettrand gesessen und merkte nun, wie still es war – wie es sich nun damit verhielt oder wie es sich nicht damit verhielt, das wußte er nicht. – »Aber hier wollen wir nun bleiben, das weiß ich. Gleichgültig, wer uns hierher verpflanzt hat. Gleichgültig, wer dies auch war, ja.

Jetzt erlosch die Kerze, Per zerdrückte den Docht, trat dann an den Wasserbottich und trank.

Man hörte das Rauschen vom Fjord herauf, wenn man darauf lauschte, der Fjord lag im Mondschein da, unter dem Landwind und der Kälte, die Stube wurde förmlich durcheist. Per lächelte:

»Aber schau, du bist nicht mehr du selbst, seit wir von Juwika fortzogen. Wer wird denn deshalb gleich verwerfen!«

»Unsinn! Ich weiß, du hast recht daran getan, Per. Ich denke nur an eines. Und das tust auch du.«

»Ha? Was meinst du?«

»Und wer weiß – was uns noch Böses dafür bevorsteht.«

»Ach, laß doch! Du meinst Morten Aune? Morgen abend nehme ich die Büchse, und dann fahr ich hinüber und erschieß ihn.«

Eine Weile lag sie da, dann kam es. und es kam von tief innen heraus, das hörte er:

»Red nicht so. Du bist ja doch kein Juwiking, Per, und sollst auch gar keiner sein.«

Er fühlte sich zuerst getroffen, dann aber lachte er und kroch unter das Fell:

»Mein Gott, wahrhaftig. Wie du dein Herz ausschüttest!«

Noch einmal murmelte er es vor sich hin und gähnte dann: »Schüttest das Herz aus, bis die Galle kommt.«

»Aber der Pfarrer müßte doch dem ein Ende machen können«, sagte sie. »Denn daß wir unser Leben lang darunter leiden sollen, das – das –«

»– kannst du in den Schornstein schreiben!«

2

Im Lauf des Winters ruderte Per zweimal nach Valvaere hinüber, kehrte jedoch immer mit leeren Händen zurück. Er sagte nicht, was er dort wollte und wurde auch nicht danach gefragt. Im Frühling fuhr er noch einmal hinüber, diesmal aber kehrte er mit zwei Säcken ausländischen Getreides heim.

Er stand nur da und sah Valborg an, sie wußte nicht, ob er mit ihr rede oder mit sich selbst, trotzdem aber war sie ganz einig mit ihm: kam einer, der Not litt, so mußte man ihm geben können. Immer wieder schlichen sich die Leute mit ihren leeren Säcken auf den Hof und wollten Valborg sprechen, und Per hatte recht, sie sahen so jämmerlich aus, wenn sie mit leeren Händen heimgehen mußten. Alle Augenblicke riefen die kleinen Jungen: Da kommt wieder ein Sackträger!

Was werden wir wohl in diesem Jahre säen, was meinst du? dachte Valborg eines Tages, während sie das Essen schöpfte. Es fehlte nicht viel, dann hätte sie es ausgesprochen. Das Gesinde saß am Tisch.

»Ja, das mag Gott wissen!« sagte Per auf einmal, er hatte das Tischgebet gesprochen und wollte hinaus.

Valborg stieg es heiß auf, so hatte er also doch gemerkt, was sie innerlich gedacht hatte.

»In Juwika haben sie noch haufenweise Getreide, soviel ich höre.« Das sagte sie am Tage darauf, als sie im Stall einen Bottich holte und Per gerade mit einem Zaumzeug hantierte. Sie wartete die Antwort nicht ab, und eine solche kam auch nicht.

An diesem Tag fuhr Per nach Paalsnese und kaufte eine halbe Tonne Saatkorn. Ane maß sie ihm ein, und sie maß gut: »Das soll die Erde von Haaberg bekommen«, meinte sie.– »Ja, das soll sie bekommen und wenn sie mir das Haus einrennen mit ihren leeren Säcken«, knurrte Per, und als er heimkam, nahm er den Säbottich und lief aufs Feld, als habe er das Korn gestohlen.

Am gleichen Tag kam Aasel allein über den Fjord gerudert. Sie wollte mit Valborg sprechen.

»Komm mit hinunter ans Wasser«, sagte sie nur.

Valborg legte die Schürze ab, schlüpfte in die Holzpantoffel und kam mit.

Nein, sagte Aasel, diesmal solle sie doch Schuhe anziehen; – das Lachen saß ihr zitternd in den Augen und in den Mundwinkeln. Valborg schlüpfte in die Schuhe, und dann gingen sie hinunter. Im Boot lagen zwei Säcke Getreide. – »Aber hier sind schon Leute gewesen, soviel ich sehe«, sagte Aasel und ließ die Blicke zu den Häuslerplätzen hinauf schweifen. »Ja, ja:›Die gripsen und grapsen‹, wie der Vater immer sagte.«

»Nimmst du den einen, dann nehme ich den anderen!« sagte sie und sah Valborg dabei lustig an.

»Nur zu!« und damit nahm diese den Sack auf den Rücken und ging, Aasel kam mit ihrer Last hinterher.

In jedem Sack war eine halbe Tonne, und der Weg war lang und steinig, Haaberg trat förmlich immer weiter zurück aber endlich waren sie doch oben beim Vorratshaus.

»Weiß Gott, ich glaube, da kommen schon wieder zwei Sackträger!« sagte Petter, der jüngste Sohn, und zupfte den Vater.

Per warf einen flüchtigen Blick hinüber, wandte sich aber gleich wieder seiner Arbeit zu.

»Jetzt weichen wir das Saatgetreide gleich ein«, sagte Aasel.

»Das wäre wohl am sichersten.« Valborg lachte ein wenig, mit der einen Hälfte des Gesichtes. Dann standen sie schwer atmend da und sahen einander an: sie waren doch etwas wert. Valborg blinzelte:

»Jetzt wird er ein langes Gesicht machen, dein Alter, wenn er merkt, daß Diebe in seiner Getreidekammer gewesen sind.«

»Woher doch. Mit den dicken Backen, die er hat. Und übrigens: Der Mikkal –«

Valborg lachte. Sie konnte so laut und herzlich lachen, wenn sie nur wollte, es war wie klares Wasser, wenn sie lachte. Bald aber war sie wieder ernsthaft: Es sei, wie sie immer sage, ein jeder Tag bringe das Seine.

»Ich hätte etwas mir dir besprechen wollen«, sagte Aasel, als sie schon im Begriff war heimzufahren. »Aber für heute können wir's sein lassen.«

Valborg stieg eine leichte Röte in die Wangen: Vielleicht wisse sie, um was es sich handle. Denn es gäbe vieles, was zu besprechen gewesen wäre.

Und erlöse uns von dem Übel! so sage nun sie. Dann bringe jeder Tag das Seine.

Das gleiche sagte sie abends zu Per. »Von dem Übel, ja«, lachte er; – ja, das müsse sie zweimal sagen. Dann brächte vielleicht nur jeder zweite Tag das Seine.

Die Erde erhielt das Getreide, das sie brauchte, und damit war vieles gut und schön. Es war ein Wunder, wie alles aufkeimte. »Sie ist schwarz, die Erde, und will mir gut«, sagte Per. »Und wartet nur, bis ich mehr Zeit habe.«

Er hatte einen alten Knecht auf dem Hof, namens Steffen, eine Hinterlassenschaft von Ane: Steffen Groß-Schuh nannten die Schlingel von Söhnen ihn, denn er hatte so große Füße – sie hatten sich den Nagel seiner großen Zehe ausbedungen, um sich einmal einen Hornlöffel daraus zu schnitzen, erzählte man sich. Zuverlässig bei jeder Arbeit war er, und es hatte sich ganz von selbst ergeben, daß Per und er öfters miteinander sprachen. Steffen redete sonst nicht mit vielen Leuten. – »Haaberg soll einmal ein Hof werden, Steffen«, sagte er zu ihm.– »Haaberg ist schon ein Hof«, brummte der andere. – Wenn wir nur erst die Steine hier weg und das Wasser in Ordnung gebracht hätten.« – »Na, weiß nicht.« – »Warum?« – »Ja, sie sind schon alt geworden hier, die Steine, sie waren schon vor dir hier.« – »Ja, aber jetzt werden sie nicht mehr älter, über der Erde. Sie müssen hinunter, ob sie wollen oder nicht.« – »Tu's nicht, tu's nicht! Das rat ich dir!«

Per fand seinen Spaß darin. Je mehr man mit den Leuten redete, desto mehr wuchs man und überragte sie.

Er ließ sich im Laufe des Sommers ein paarmal auf dieses Gespräch mit Steffen ein, aber der wurde immer unzugänglicher. Die Steine, was hatten sie denn Schlimmes getan? Und das Wasser? Hatten sie denn jetzt kein Recht mehr, diese Dinge? »Heuer haben wir ja freilich eine gute Ernte auf Haaberg. Das ist wahr. Aber: weißt du, was das nächste Jahr bringen wird?«

»Aberglaube und Geschwätz«, meinte Per. – »Ja, mag sein, wie es will – die Welt ist älter als du. Der Iver Brudalen, wie ist es mit dem gegangen!« – »Was war's denn mit dem?« – »Ach, nichts. Nichts weiter, als daß er unter den Stein kam. Ja. Der Stein saugte ihn unter sich – es war nicht etwa ein kleiner Stein, der ihm da im Weg lag. Sie gruben ihn halbtot heraus. Er hatte nun gelernt, die Dinge in Frieden zu lassen.›Friede auf Erden‹, heißt es. So hieß es unter dem alten Pfarrer, ja.«

Per lachte. Er lachte selten, aber er lachte jetzt gut, er lachte Steffen und die Steine aus; jetzt war er erst richtig versessen darauf. Ja, ihm war oft gewesen, als rudere er allein im Dunkeln, das war nicht zu leugnen, und von Juwika war er fortgeschreckt worden, als habe er eine ganze Schar schwarzbeschwingter Vögel hinter sich. Wenn er darüber nachdachte so schien es ihm ganz unglaublich, welch ein blonder und ungläubiger Juwiking er wieder geworden war. Und wäre Jens hier gewesen – aber gleichviel, den entbehrte keiner mehr. – »Es ist keine Kunst, Steffen, wenn man den Feind so gerade vor sich hat; wenn man ihm so in die Augen sehen kann. Und im Notfall, weißt du, kann man sagen, wie die Weiber – wie die Leute hier in der Nähe der Kirche sagen:›Und erlöse uns von dem Übel!‹ Das muß doch helfen, nicht wahr?« Aber Steffen wurde mürrisch und verdrossen, und Per mußte ihm lange gut zureden, bis er wieder guter Laune war. Es gab eben einen so frischen Geschmack im Munde, sich dann und wann an einem Menschen zu reiben.

Und dann waren noch diese Jungen da. Sie wollten keine Vernunft annehmen. »Immer und ewig nur Essen und Prügel«, seufzte Valborg, »und nichts als lauter Eigensinn.« – »Ja, aber hier gibt es genug Birkenreisig«, sagte Per, »und irgend jemand mußt du ja haben, an dem du deinen Zorn auslassen kannst.« Oft aber war er nachdenklich: was würde einmal aus ihnen? Was steckte in ihnen? Trotzdem hatte er seine Freude an ihnen. Er war nicht mehr allein.

Eines Abends, als er beim Landhändler stand und bewirtet wurde, hieb er mit der Faust gegen den Dachbalken:

»Hoi, Burschen! Mir muß es schon dick kommen, ehe ich wie die Weiber bete!«

3

Per stand da und sah Steffen Groß-Schuh und dem andern Knecht zu, die den Graben zudeckten. Das war eine neue Arbeit in dieser Gegend; vorher hatten sie nur offene Entwässerungsgräben gekannt. Steffen war vom Süden, und er war es auch, der diese Arbeit kannte. Er fühlte sich wie ein Kunstschmied, wie er so dastand, und beachtete nicht einmal den Bauern; der Knecht reichte ihm einen Stein nach dem anderen, aber nichts war ihm recht zu machen, nie brachte der Knecht den richtigen: »Die beiden gehören auf die Seite, und der oben drüber: so machen wir's im Süden!«

Per sah ihn an, in ruhigem Machtbewußtsein. Steffens Kopf war klein und rund, mit schwarzen Haaren, die Stirn nicht groß, aber darunter sah man ein grobes, knochiges Gesicht; die Augen waren klein und armselig, aber voller Weisheit, wenn sie so die Steine auswählten; sein Rücken war zum Sklavenrücken geschaffen. Per betrachtete genau Steffens Beine: Sie waren kurz und krumm mit langen flachen Füßen – der würde beim Laufen kaum weit kommen. Per betrachtete seine eigenen Beine, sah überhaupt gleichsam an sich hinab. Er konnte immer noch so hoch springen, wie er selber war, er konnte mit dem Pferd um die Wette laufen, konnte die Leute ins Meer hinausjagen, wenn es darauf ankam, lächelte er vor sich hin.

Nun ging er wieder an seine Arbeit. Er war mit den großen Steinen unten beschäftigt. Im Dahingehen blickte er auf und sah voll guten Mutes um sich: Nach diesem hier hatte er all sein Lebtag gestrebt; darum war er hierher gekommen. Er dachte nicht daran, daß er gar manches Mal gezweifelt hatte; das hatte Valborg getan, und sie hatte ja Zeit zu glauben, was sie wollte.

Es war bereits Herbst, und das Getreide stand in Hocken; nun kamen die ersten klaren Abende. Wahrhaftig ein gutes Wetter. Nach Süden zu veränderte sich die Landschaft, während er sie betrachtete, Hügel und Berge kamen auf ihn zu, Schluchten und Bergvorsprünge traten mit Licht und Schatten hervor, und alles, was noch weiter entfernt war, verschwand in den Himmel und in den Abend hinein; ihm schien, als teile sich das Land vor ihm. Und der Mond stand schon am Himmel, kalt und lustig blitzte es in den Wasserpfützen auf; es würde wohl bald frieren. »Meinetwegen«, murmelte er, hob behaglich die Schultern, wie einer, dem wohl ist.

Da lag nun der Bursche, dem er zu Leibe rücken wollte, er hatte schon das Grab für ihn ausgehoben. Der Stein war gleichsam erwacht und in Unruhe geraten. Sein ganzes Gesicht War bärtig und voller kleiner Augen. Jetzt hörte Per den Stein moosgrauer Stimme, ähnlich wie Steffens Stimme, etwas murmeln: Es wohnt gar mancherlei in solch einem Kerl wie ich. Das glaubte Per gern. Hier hielten sich wohl die kleinen Geister auf, denen Per nun das Heim zerstörte; im vergangenen Jahr hatte Per einen von ihnen gesehen, er sprang von dem Stein dort drüben zu dem Steinhaufen unten am Ackerrand, lief und kollerte, so daß die Messerscheide an seinem Hintern hin und her baumelte. Per stieß dem Stein das Brecheisen mitten ins Gesicht: »He, Bursche!« Dann sprang er wieder herunter und machte sich ans Graben. Es war nicht ganz ungefährlich, denn die Grube war tief und eng, und der Stein lag gewiß auf der Lauer. Per hieb einige Stufen in die äußere Grabenwand. Sollte es den kleinen Geistern einfallen, den Stein zu früh zu stürzen, so würde ihnen das nicht viel nützen.

Er fuhr ein wenig zusammen, als er merkte, daß noch einer da war. Es war nur der Anders, der zum Helfen kam. So war er gar manches Mal gekommen, mit Spaten oder Hacke, obgleich er im Grund immer noch am Schürzenzipfel der Mutter hing. »Der Hinke-Andreas ist gekommen«, berichtete der Anders. Per blickte auf, richtig, dort kam er.

Der Hinke-Andreas war ein Halblappe und war mit einem Lappenmädchen verheiratet, soviel die Leute wußten; er kam auf die Höfe und bettelte dort, oft, klein war er und schleppte den einen Fuß nach, glatt und sanft war er, aber trotzdem gefährlich genug – auf seinem Kopf wuchs kein Haar, und es kam auch nie eine Mütze darauf. Und ob man ihm nun etwas gab oder nicht, so bedankte er sich und segnete einen dafür. Man konnte nicht sagen, er sei alt, und er war immer lustig. Er hinkte, daß es ein Jammer war, er aber lachte nur darüber und war vergnügt: Ja, ja, der eine Fuß ist zu kurz, dafür aber ist der andere um so länger, da gleicht sich's aus. Und für unebene Wege gibt's nichts Besseres, der kurze Fuß gehört für die Steine und Erdhaufen, a–i–a–i–a–oh!

Jetzt kam er schwankend über das Feld auf Per zu und blieb vor ihm stehen. Per mochte ihn nie gern, ihm ging es wie den anderen: er erschrak immer, wenn er ihn gewahr wurde; und warum war er immer so sanft, dieser Lappenwurm? Und warum setzte er keine Mütze auf seinen kahlen Schädel? Was wollte er denn von einem?

Er solle von Juwika vielmals grüßen, sagte er. Schön sei es in Juwika und gute Menschen seien dort. Er plapperte und redete, seifte Per richtig ein, so schien es Per wenigstens, redete ihm um den Bart und erzählte von den Leuten auf Juwika und von Haaberg und vielen anderen Dingen. – »Geh heim, und gib dem Kerl etwas zu essen!« brummte Per von unten herauf. Anders stand da und betrachtete den Lappen von oben bis unten.

»Kannst du zaubern?« fragte er plötzlich.

»Gott bewahre dich, wie du redest, du Goldkind! Zaubern, das heißt den Teufel beschwören!«

Per war heraufgestiegen, um das Brecheisen zu holen. Ehe er sich dessen bewußt war, packte er den Lappen beim Kragen, hob ihn auf und stellte ihn auf die Seite: »Fahr zur Hölle, und laß dich nicht mehr sehen!« rief er.

Da kreischte der Lappe auf: Er solle vom Schwarzfels grüßen und von Morten Aune und von der Daaret und dem Kind – vom Jens, seinem Bruder und – und – hi hi hi ho! Er schrie wie der Teufel in der Klemme, so schien es Per, es überlief ihn kalt, und im nächsten Augenblick war er über dem Lappen und schleuderte ihn fort.

Andreas hinkte aus Leibeskräften davon und wagte erst wieder im Dunkel des Waldes zu kreischen, da lachte er herüber: »A–i–a–i–a–i–oh!«

Per wieherte ein wenig, auch er, und dann machte er sich wieder daran, den Stein zu lockern. Der Alte sank mit einem langen lauten Seufzer in sein Bett, er war zu alt, um sich zu wehren. Staub wirbelte unter ihm auf, und wahrhaftig, da riß er den Per mit sich.

»Nein, wart ein wenig!« sagte Per und warf sich zurück, »hier will ich nicht verfaulen! – Diesmal sind sie zu kurz gekommen, die kleinen Geister«, fügte er hinzu.

Dann wollte er mit den Steinhaufen das Loch weiter ausfüllen. »Es wird zu seicht zum Pflügen«, sagte Anders. »Wirf doch den Haufen in die Senke dort!« – »Da hast du recht«, antwortete Per; und sie machten sich an die Arbeit. Per nahm den größten Stein, Anders brachte die übrigen nach. Am Schluß nahm Per die kleineren Brocken und schleuderte sie in die Senke hinüber, ebenso Anders. Per arbeitete, daß ihm der Schweiß herunterrann, er wurde immer stärker und stärker, die Steine sausten wie Holzspäne durch die Luft. Es tat doch gut, zu fühlen, daß noch ein wenig Kraft in einem steckte.

Plötzlich aber, als er einen Stein wegschleuderte, verspürte er etwas Seltsames: Es war, als rühre ihn einer an, gleichsam als fahre ihm einer mit dem Finger über den Bauch, mit einem warmen und guten Finger, aber Per sank förmlich zusammen, brach in zwei Stücke, die Füße wichen unter ihm fort, und er wurde ganz schwach. Er griff nach einem zweiten Stein, denn er ärgerte sich, allein es war keine Kraft mehr in ihm, er mußte den Stein wegtragen.

Im übrigen war die Senke nun voll, so daß sie das Loch und auch die Steine los waren, und Anders mußte heim, um nach den Schafen zu sehen, die sich gegen Abend so gern in die Berge wegstahlen.

Per ging im Mondschein dahin und las die kleineren Steine auf. Wenn er sich nicht streckte, schmerzte ihn der Leib nicht mehr, ihm war nur so kalt und so seltsam zumute. Sollte er sich wirklich etwas verdehnt haben? Er tastete sich ab, obgleich er es am liebsten nicht getan hätte. Ja, ja, irgend etwas war jetzt mit dem Leib nicht in Ordnung – er setzte sich und fühlte, daß er ein kaltes Gesicht und leere Kinnladen hatte wie ein überraschter Dieb. Soll ich denn jetzt wirklich krank werden, das ist doch ganz würdelos, knurrte er, zum Teufel, was hat das für einen Sinn? Bis jetzt – hat sich doch noch kein Juwiking beim Arbeiten verdehnt, nagte es in ihm. Und gerade jetzt? – Ach was, er wurde bald wieder gesund; in einigen Monaten vielleicht – in einigen Tagen.

Er stand wieder auf, da fühlte er deutlich, wie jemand ihm einen Schlag versetzte. »He?« sagte er und wandte sich um. Und da! er verspürte einen Luftzug, als sei eine Faust an ihm vorbeigefahren. Rasend grinste er zwischen gebleckten Zähnen, wie Jens beim Raufen:

»Scheißkerle! Häuslerpack! Traut euch nur nicht, das rat ich euch!«

Der Mond leuchtete unverwandt und hell herab, und alle Wasserpfützen und Räderspuren gaben den Glanz spiegelblank zurück; es hörte sich an, als rühre der Mondschein an das Getreide in den Hocken, es knisterte in der Stille. Schwarze Schatten lagen bei jedem Stein, und bei jedem Berg vertiefte sich der Schatten zu schwarzer Nacht. Nirgends waren Menschen unterwegs. Für wen leuchtete da der Mond?

Per erhob sich jäh, griff nach dem Spaten und ging heim. Er ging steif und mit zusammengebissenen Zähnen wie ein Betrunkener, der geradegehen will; dabei dachte er, ob je ein Mensch ruhiger gehen könnte als er jetzt. Auf dem Heimweg wurde es ihm klar, was die Leute damit meinten, wenn sie beim Steinbrechen ein Hufeisen auf den Hebebalken nagelten; er hatte den Balken immer nur mit einem anderen Stück Eisen beschlagen. Er trug keinen Stahl bei sich, nicht einmal das feste Messer in der Scheide. Langsam kam er auf den Hof, nur ein wenig rasch um die Hausecke herum, nur ein wenig schnell in die Türe, das würden ihm nicht viele nachmachen, das wußte er.

Abends konnte er nichts essen, und er bat den Knecht, die Pferde zu versorgen.

Am nächsten Tag hielt er sich daheim und machte nur allerhand kleine Arbeiten. Valborg bat ihn fast nie um irgendeine Hilfeleistung; aber an diesem Tag bat sie ihn, ein Schaff voll Wäsche mit ihr zum Brunnen zu tragen. Per griff zu, aber es gelang ihm nicht. »Ich habe mir gestern abend die eine Hand so verdehnt.« – Faß mit der andern an, hier!« meinte sie. – »Und den Rücken auch, hörst du!« Er rief es, daß es in den Wänden hallte. – »Hoho«, sagte sie ruhig. So hatte sie ihn, seit sie hierher gezogen waren, nicht mehr gehört. Damit hob sie das Schaff allein auf.

Er besserte das alte Kreuz über der Stalltür aus, als es niemand sah; er nagelte ein Hufeisen über der Türe zum Pferdestall an. Im Bett versteckte er ein Messerblatt unterm Stroh. Er grinste, während er dies tat, und sah hinterlistig aus. Anders aber hatte alles gesehen, und nun wollte er wissen: »Hilft denn so etwas gegen Runen und Zauberei?« Und als er keine Antwort erhielt, fuhr er fort: »Hilft das gegen die kleinen Geister?«

»Pah!« sagte Per. »Es gehört nur so zu Haaberg. Jeder Hof hat so das Seine.«

Ob er denn krank sei? fragte der Sohn später, und ebenso fragte auch Valborg. – Ja, er habe ein bißchen Gicht im Körper, ein wenig Reißen in der einen Hüfte – im Rücken wollte er sagen.

Sie lachten nicht, als sie fragten, nein. Aber wenn die Weiber erfahren, daß ein Mann seine Gesundheit nicht hat, daß ihm auch nur das Geringste fehlt, daß er auch nur ein wenig gezeichnet ist, dann ist es zu Ende. Ja, dann ist es zu Ende.

4

In Paalsnese gab es ein Begräbnis. Der Andreas war gestorben. Ane hatte ihn draußen an der Vortreppe gefunden, und da war's mit ihm vorbei gewesen. So fand man sie, manchmal. Was es war, wußte man kaum.

Es war Spätherbst und Frostwetter. Die Leute hatten den Sarg weich auf Tannenzweige gebettet und fuhren so vorsichtig wie nur möglich, trotzdem rumpelte und ratterte der Wagen, daß es ein Grauen war; wenn sie über die schlimmsten Stellen fuhren, biß sich Ane in die Lippe, daß sie weiß wurde. Im übrigen trug sie es sehr gefaßt; sie hatte sich nie viel Gutes vom Leben erwartet.

Man sagte ihr schöne Worte, denn sie gehörte zu den Leuten, mit denen man reden mußte. Und die Leute redeten auch untereinander, als sie von der Kirche zurückgekehrt waren. Wie schön war es doch in Paalsnese gewesen, seit die beiden geheiratet hatten. Sie hatten sich so gut vertragen. Ane sparte, und er half ihr dabei. Sie seufzte, und er versuchte es auch zu tun. Sie sah aus, als sei alles in der Welt gegen sie, und er unterstützte sie dabei so gut er konnte. Ein wahres Glück, daß er daran gedacht hatte, für sie nach seinem Tode zu sorgen: Erst kurz ehe er starb, hatte er mit einem Brudersohn noch darüber gesprochen; es war wohl wie eine Vorahnung gewesen.

»Ja, Ahnung«, seufzte Ane. Sie hatte an zwei Tagen hintereinander das Mißgeschick gehabt, den Daumen durch die Brotrinde zu drücken, so daß danach ein rundes Loch zu sehen war! – »Ja, da konnte man es ja wissen!« seufzte es von allen Seiten.

Per Haaberg raffte sich auf und räusperte sich. »Die reden von Ahnung«, sagte er. »Die reden von Vorbotschaft.« – Die Gäste saßen bereits bei Tisch, und Per war wie verändert, denn es gab ein herrliches Bier bei diesem Leichenschmaus: eine Tonne Malz auf eine Tonne Bier! Jetzt stand er mitten im Raum und fühlte sich mutig, war sich selber ganz fremd. Nie vorher hatte er über das Maß getrunken, aber entweder war er jetzt bereits betrunken oder – er würde es werden. Auch die anderen saßen nicht schweigend da, die Stube war von einem Surren erfüllt, lauter angesehene Gäste, redeten die von Vorahnung? Ja, Vorahnung! Zeichen werden geschehen! Es ist schon so, daß es rings um dich davon wimmelt, und wenn du darauf achtest, dann wirst du sie auch gewahr. Ja. Er erinnerte sich noch, wie er im vergangenen Jahr gesät hatte: er ging gegen den Wind, wie es richtig ist, trotzdem aber war es, als nehme einer ihm die Körner aus der Hand und werfe sie einfach vor ihm in die Luft hinaus – er hätte eigentlich nicht ein Korn säen dürfen. Und wie war es jetzt im Herbst gewesen, ehe er sich verdehnte und zerriß? Er hatte ein starkes Wetterleuchten am Himmel gesehen, das plötzlich zerriß, ja, und einmal war es, als zerrisse das Land vor ihm, in den Bergen im Süden –

Hatte er sich denn verdehnt und zerrissen?

Per blinzelte mit den Augen, denn es war so hell von all den Kerzen, und dort sah er Valborg, die zu ihm herüberstarrte.

»Worüber grinst du, Weib?« Die Röte stieg ihm heiß in die Wangen. Ja, er war ein wenig zu Schaden gekommen, über dem Magen, hatte so verkehrt nach einem Stein gegriffen, aber jetzt war er wieder hergestellt, war wie ein neuer Mensch.

sprach rasch weiter: Eines Tages hatte er die Kirchenglocken bis heim nach Haaberg läuten hören, gegen den Wind. Das hatte dem Andreas gegolten. Und jetzt hier im Herbst, hatte man es nicht bemerkt? Da standen zwei Sterne am östlichen Himmel, einer dicht über dem anderen, und der eine hing wie ein schweres Gewicht am oberen, ja, hier gab es zahllose Zeichen rings um einen, und wenn man ihrer nur achtete – – dann könne man nicht fehlgehen, sagte Valborg, sie lachte laut und scharf. Vorahnungen von dem, was schon geschehen sei!

»Hm«, sagte Per. Er wandte sich ab und murmelte etwas vor sich hin.

Kaum hatte Per vorhin zu sprechen begonnen, so war den anderen das Reden vergangen, denn es kam so unerwartet, daß er etwas sagte; bald aber lebte das Schwatzen in der Stube wieder auf, die Leute teilten sich in kleine satte und zufriedene Gruppen und redeten und unterhielten sich, für sie war dies eben wie ein Gastgelage. Per hörte nur das Summen der Stimmen und dann und wann ein Wort:

Die Katzeneule, sagten sie, was sollte man von der halten? Krähen und Elstern, das war doch etwas anderes, die flogen um die Häuser herum und stahlen. Die Katzeneule wollte dort gar nichts – warum aber tauchte sie dann überhaupt da auf? Sie war ein Unglücksvogel.

Sogar Mikkal von Juwika machte den Mund auf. Er redete, daß er sich selbst ganz darüber vergaß. »Ich habe mir immer zu helfen gewußt, bis auf ein einziges Mal: Ich kam mit einem schwerbeladenen Boot von der Mühle, in einer stürmischen Nacht mit dickem Schneetreiben, das Boot war leck, und der Wasserschöpfer war zu klein, und ich hatte einen geschwollenen Finger und Durchfall; da wußte ich kaum noch –«

Per räusperte sich und richtete sich auf. Er schüttelte einen Alp von sich ab, der auf ihm ritt, so fühlte er es: Er war nicht anders als die anderen und wollte es auch nicht sein, er war einer von vielen, ein Ton im Lied, ja! Juwiking? Zum Teufel mit dem Juwiking! Wartet nur, bis ich wieder gesund bin! – Er wandte sich zu Aasel: »Laß dir Zeit, dann wirst du schon sehen! Die Juwikinger gingen jenen Weg, ich gehe den hier. Denn was wurde im Grunde aus ihnen? Haben sie etwa einen breiten Weg hinter sich gelassen?«

Eine Weile stand er schweigend da. Die Reden und die Menge saugten ihn auf. Er glaubte, was die anderen glaubten; er versank so getrost unter sie alle. – Irgend etwas mußte man doch glauben dürfen, zum Teufel? He? Jetzt sollten sie ihn aber endlich tränken, er sei durstig!

Aber man hörte nicht auf ihn, es war jemand hereingekommen, dem alle ihre Blicke zuwandten. Ein feiner Mann, in Pelz und hohen Lappenfellstiefeln. Jetzt erkannte Per den Mann. Sein Gesicht wurde plötzlich leer, die Kinnlade fiel ihm herunter, die Wangen wurden graubleich, die Augen aber standen wie festgebannt, dann trat er einen Schritt vor:

»Es ist nicht wahr! Du bist es nicht, verflucht noch einmal!«

Aber er war es doch, es war der Jens, der auf ihn zutrat und ihm die Hand gab und dann herumging und einem jeden die Hand reichte. Per mußte zu Valborg hinübersehen. Sie wurde nicht blaß, nichts war ihr anzusehen, sie zögerte nur ein wenig, als sie Jens die Hand geben sollte.

Jens redete laut und ganz offen: er war vom Norden gekommen, ja ganz oben von der Finnmark, es war eine tüchtige Segelfahrt gewesen, und gesegelt hatten sie wie wirkliche Mannsbilder. Es hatte sich eine »Gelegenheit« geboten, und die wollte er ausnützen, um nach Süden zu fahren, um alte Plätze wiederzusehen, sozusagen, hahaha! Und es hatte den Anschein, als sei er gerade zur rechten Stunde gekommen. Jawohl, ein guter Trunk Bier – und auf ein gutes Jahr alle miteinander.

Er war gleichsam noch mit vollen Segeln hereingekommen, und es fehlte nicht viel, so hätte er sie alle umgeblasen. So stürmisch kam man sonst nicht von weit her, aber man mußte daran denken, daß er sehr weit in der Welt draußen gewesen war; verflucht noch einmal, sagte er immer wieder, und fremdartig war er in allem und jedem. Willkommen daheim!

Als er alle begrüßt und etwas in den Magen bekommen hatte, wurde er still. Ja, Handelsmann war er gewesen, und das war er noch; und er sollte auch wieder nach dem Norden. Aber es war jetzt kein Zug mehr in ihm; er blieb mit einem halben Lächeln sitzen und sah die Leute ringsum an. Bisweilen kratzte er sich ein wenig im Bart.

Das Gesicht war von rotem, krausem Bart überwuchert. Im übrigen war er der alte, das sah Per sofort. Gleichwohl konnte er kaum glauben, daß es Jens sei. Genau so war Jens auch früher gewesen, aber Per hatte es nicht gesehen. Er hatte nicht gesehen, daß sein Blick so unstet war, nicht, daß die Kinnladen so breit und wild waren, und nicht, daß das Kinn so viel zu klein war. – »Aus zu altem Geschlecht«, murmelte er plötzlich vor sich hin. »Und Brüder sind wir.« Dann ging er hinaus.

Draußen blies der Sturm wie immer in Paalsnese, denn hier gab es keinen Schutz vor dem Landwind. Fragten Kinder ihre Mutter: »Was macht der Wind, wenn er nicht bläst?«, antwortete die Mutter immer: »Dann ist er in Paalsnese und reißt die Häuser ein.« Aber die Häuser stehen noch, dachte Per. Wenn hier in Paalsnese einmal ein Haus einfällt, so kommt das daher, daß es sich nicht an den Wind hat anlehnen können. – Der Landwind fuhr um die Hausecke, toste wie die Brandung unten am Strand, rannte immer wieder gegen die Wand an und erschütterte alles. »Nur zu!« sagte Per. Die Sterne flackerten am ganzen Himmel, groß und unruhig, wie vom Wind angefachte Glut. »Wenn er sie nur nicht herunterbläst – denn dann wird es heiß hier auf der Erde«, lachte Per. Er stand barhäuptig im Wind. So stand auch der Vater oft, mußte er denken. Und nun war der Jens heimgekommen, ja wirklich. »Habe ich nicht eines Abends vor der Tür gestanden und ihn kommen sehen, ganz glaubhaft, einen großen, weißen Stier mitten aus dem Wald heraus? – Aber was wollte ich eigentlich sagen –«

Er hob die Hände und legte sie um den Nacken. In dieser Stunde fühlte er, daß der Haaberghof eine sinnlose Last auf seinem Rücken gewesen war. Ebenso wie es eine Last war, ein Juwiking zu sein. Nein, er wollte wieder zu den anderen hineingehen. Er wollte oft zu ihnen gehen, es tat gut, mit ihnen zusammen zu sein. Es war doch gar nichts so ungeheuer Großartiges, allein herumzugehen und sein Lebtag das nicht zu glauben, was die anderen glaubten? – Beherzt sein war ja ganz gut, aber er für sein Teil wollte lieber der sein, der er war. »Und komm mir keiner mit was anderem!«

Per trat mit raschen Schritten wieder in die Stube. Er sah nicht nach der Seite, wo Jens saß, und Jens blickte auch nicht nach ihm. Sie tranken alle beide, und das taten alle miteinander. Als Jens fühlte, wie ihm das Bier zu Kopf stieg, kam wieder Leben in ihn, und er hörte nicht auf, bis er die ganze Stube aufgeweckt hatte. Sie sollten tanzen. Alan hatte schon vorher daran gedacht, viele von den Gästen, und es dauerte nicht lange, so tanzten sie, daß der Boden zitterte.

Per tanzte nicht, er stand in der Tür und sah zu. Nie hatte er einen Menschen so wild und froh gesehen wie Jens, wenn er tanzte, das war nicht das Gesicht eines vernünftigen Mannes: der Juwiking flog jetzt vom Schaft! Der Juwiking, von dem war nur noch die Haut da, und die war häßlich. – »Teufel, nein, wir sind nicht Brüder!« sagte er.

Die Leute von Haaberg fuhren erst am nächsten Tage heim, und da kam Jens mit ihnen.

»Wie steht es drüben in Juwika?« fragte Valborg.

Jens sah sie an. Er dachte ein wenig nach und fing dann wieder an, mit Per zu reden. Er ließ sich's nicht anfechten.

Als Valborg mit Per allein war, stemmte sie die Hände in die Seite und stellte sich vor ihn hin. So hatte sie noch nie vor ihm gestanden, sie war so breit und so sommersprossig und so stark und schön. Sie sah ihm geradeaus ins Gesicht. Eines schönen Tages wird sie mich anfallen, mit Krallen und Klauen, dachte er. Wenn sie merkt, daß ich tief genug drunten bin. Und im selben Augenblick, da er dies dachte, fühlte er, wie es gehen würde, er sah traurig weit in die Zukunft hinein.

Wie sollten sie es nun anfangen? fragte sie. – »Anfangen?« »Ja, um Jens dazu zu bringen, Weib und Kind mit sich zu nehmen und seiner Wege zu gehen.«

Sie hat recht, dachte Per. Kein Mann in der ganzen Gemeinde hatte soviel Schande über sich gebracht wie Jens. Sich mit einer Magd verheiraten! Und dann vom Hof weglaufen! Das war zuviel, und Per hatte nie so recht daran gedacht. Aber als er darüber nachdachte, packte ihn die Wut gegen sie und die Gemeinde und die ganze Schmach.

Er würde schon mit ihm reden, murmelte Per. – »Ja, wenn du's nur wahr machst«, lachte sie höhnisch. – »Nein, es ist schon möglich, daß ich's auch sein lasse!«

5

Er machte es nicht wahr. Vierzehn Tage waren vergangen und immer noch war Jens auf Haaberg. Er half da und dort auf dem Hof, die meiste Zeit aber schlenderte er im Pelz umher und besuchte einen jeden Bekannten, sie konnten alle sehen, welch großer Mann aus ihm geworden war. Man sprach darüber zu Per, er sei ja ein großer Mann geworden, der Jens, an ihm hätten Lensmann und Pfarrer ihresgleichen gefunden, ob er bald wieder nach Norden segelte? – –

– Ja, dies könne jeden Tag eintreffen. Er warte nur auf eine Gelegenheit. – Ja so, auf eine Gelegenheit. Das seien keine kleinen Leute, die auf so etwas warteten. Es war nicht boshaft gemeint, Per begriff es wohl, sie hatten alle Daaret und Juwika vergessen. Ja, ja, der Pelz tat seine Wirkung, das merkte er.

Per fuhr immer noch Steine. Es lag zwar wenig Schnee, aber er fuhr mit dem Schlitten auf dem Rasen und trieb die Gäule an. Die Gäule waren herrliche Geschöpfe, die konnte man gut antreiben. Er selbst mußte vorsichtig sein und den Leib einziehen und sich jede Bewegung überlegen, bevor er einen Stein aufhob. Noch schlimmer war es mit dem Essen. Er aß wie immer, ließ sich nichts anmerken, aber er behielt es nicht bei sich.

Valborg beobachtete ihn ständig. Sie kochte das leichteste Essen, das sie wußte, und überlegte hin und her, was sie tun sollte. Endlich redete sie mit Jens. Sie tat dies, obwohl es ihr widerstrebte wie eine verdorbene Speise: »Ich weiß nicht«, sagte sie, »er ist nicht recht gesund, der Per.« – »Der?« – »Ja, ich glaube – er hat sich mit einem Stein überhoben. Er hat sich einen Schaden zugefügt.«

Jens lebte immer auf, wenn Valborg mit ihm sprach, denn das kam so selten vor. – He? sei Per nicht mehr wert? Sich überheben? Das habe ein Juwiking doch noch nie getan. Sie seien wohl alle nicht mehr viel wert – ja, ja, Glück zu!

Valborg biß sich hart auf die Lippe. – »Er hat sich mit dem Hinke-Andreas überworfen und hat ihn ein wenig hart angefaßt, am Tag darauf bekam er es. Wenn man ihn nur wenigstens von der schwersten Arbeit abhalten könnte?«

Jens legte die Büchse weg, mit der er soeben hantiert hatte. Dann suchte er sich eine alte Joppe und ging auf den Acker hinaus.

»Nein, Per, jetzt mußt du mich eine Weile fahren lassen!« rief er von weitem. »Ich halte es nicht aus, so gar nichts zu tun zu haben – geh heim und hack Brennholz fürs Weib.«

Per sah Jens an; suchend und fragend glitten die Blicke über ihn hin. Jens sah weg; dann gab er nach und lachte, denn Per hatte ihn durchschaut.

Er könne ja heim Aufladen helfen, meinte Per.

Schön. Und nun arbeiteten sie um die Wette. Immer größere und größere Steine nahmen sie und warfen sie auf den Schlitten hinauf, es ging wie in früheren Zeiten. Endlich sah Jens, was er angerichtet hatte. Per war bleich wie ein Toter; er biß die Zähne zusammen, daß sie knirschten.

»Puh, nein«, sagte Jens, »ich kann nicht mehr. Machen wir lieber morgen weiter.«

»Ja, wie's dir lieber ist«, sagte Per.

Jens schlenderte nach Hause, und Per fuhr mit der Last davon. Gehen konnte er noch, schlimmer war es nicht.

Gleich darauf kam Anders nach, er war mit den Schlittschuhen auf dem kleinen See gewesen. Per bat ihn, heimzugehen und Brennholz für den Abend ins Haus zu tragen. »Sofort!« sagte er scharf, und der Junge zog sich zurück, mit langem und erstauntem Gesicht. Aber es war zu spät. Per neigte sich über den Stein und erbrach sich. Anders stand noch da und sah es. – »Blut«, flüsterte er, er hielt den Atem zwischen den Zähnen an, als sei er in kaltes Wasser gefallen. Dann lief er mit großen Sätzen heim.

Was ihm denn fehle? wollte die Mutter wissen. »Nein, nichts.« – »War es vielleicht etwas mit dem Vater?« – »Ja. Er hat Blut gebrochen!« Der Junge drehte sich weg und lief wieder zur Türe. Valborg setzte sich. Ganz still setzte sie sich hin und legte die Hände in den Schoß. Sie war allein in der Stube, saß da und blickte ins Feuer, bis jemand hereinkam.

Es war Jens. Valborg stand hastig auf, sie vermochte ihn jetzt kaum anzusehen. Er redete lauter drauflos denn je. »Weißt du es schon. Valborg, jetzt haben wir den Schweden über uns, ich hab's vom Lensmann selber gehört; also verstehst du: Der Karl Johan ist König über Fredrikstein und ganz Norwegen, he? Pfui Teufel noch einmal.«

Valborg wandte sich ihm zu. Sie hatte sich's inzwischen überlegt. – Wäre es nicht das beste, wenn er sich nun bald in Juwika nach Frau und Kind umsähe? – »Ja, da sagst du was!« – »Denn solange das nicht anders wird, erleben wir nichts als lauter Unglück und Unheil. Und er, der am wenigsten schuld daran ist, muß es am härtesten büßen.«

Jens trat zum Herd und stocherte in der Glut. Er lächelte: »Sie haben mir den Hof verkauft, heißt es.« Valborg tat, als höre sie es nicht. »Und noch etwas, Jens. Wie war es denn mit Morten Aune und dem Schwarzfels und alledem? Jetzt sollst du mir darauf antworten. Denn jetzt ist es die höchste Zeit – der Per – Gott weiß, was mit ihm ist – er geht vielleicht bald zugrunde! Steh doch nicht da und lache mich an, ich mein's bitterernst! Wollen wir denn die schwarze Rache über uns hängen lassen, nur und bloß um deinetwillen – daß du dich nicht schämst! Was nützt es da, sich Mühe zu geben und auf sich zu halten, was nützt es da, zu ihm da oben zu beten!«

Jens kniff das eine Auge zu. »Du freust dich wohl, daß du mir dies endlich einmal sagen kannst, das höre ich. Aber in einem hast du recht: Es geht abwärts mit uns. – Und – es ist möglich, daß es um Per schlimm steht, ich weiß es nicht.« – Jens lachte vor sich hin: »Und außerdem muß er aber auch alles zu Ende denken. Immer geht er nur mit der Pelzmütze auf die Augen herabgezogen umher und sagt kein Wort vor lauter Denken – allem muß er auf den Grund kommen!«

Valborg trat einen Schritt näher. – Ja, jetzt wisse er wohl, was er zu tun habe. Weib und Kind zu sich zu nehmen wie ein anständiger Mensch. Jens wich ihr mit den Augen aus, wie ein Dieb, dachte sie, aber noch hatte sie die Übermacht, und diesmal mußte sie gewinnen. – »Ich fühlte es damals schon, als euer Vater starb, daß das Beste nun dahin war. Es war so seltsam. Aber ich glaube, es würde eine Wendung geben, wenn nur du auch deine Pflicht tätest. Dann könnte Per – die seine tun. Er könnte zum Pfarrer gehen und die Sache mit Morten und dem allem erzählen; so unbarmherzig würde der Herrgott doch nicht sein, daß er uns ganz aufsässig wäre; ich kann es fühlen, daß die bösen Mächte sich dann geben müßten.«

»Ja, ja«, erwiderte Jens, und er sagte dies wirklich ganz wie ein guter Mensch. Dann ging er wieder hinaus.

Den nächsten Tag und noch einen zweiten mußte Per zu Bett liegenbleiben. Valborg hielt ihn mit sanfter Hand zurück, er war wie zum Kind geworden und fügte sich wortlos. Dann kam eine Zeit, in der er wieder aufstehen konnte. Über seine Krankheit sprach er nicht.

An den Abenden saßen Jens und er bei der Herdstätte, und bisweilen sprachen sie ein wenig miteinander, besonders wenn sie beide allein waren. Jens erzählte von der Finnmark, griff dies und jenes Erlebnis aus jener Zeit heraus: es war Tollheit und ein wildes Leben, und mehr als die Hälfte konnte wohl kaum auf Wahrheit beruhen. Es wurde immer mehr daraus, je öfter er erzählte. Jens ging auch zu den anderen Höfen und erzählte dort; Per aber fand Erquickung in diesen Lügen, es lag Heilung in diesem Miterleben. Oft saß er tagsüber da und träumte davon vor sich hin, Stück für Stück: er und Jens und das Messer und die Flasche, und ein wildfremdes Land! Das war ein Herrscherleben!

Dann aber war er wieder auf Haaberg. Abends, als sie allein beieinander saßen, sagte er: »Daß ich doch so in der Arbeit aufgehalten sein muß. Hast du den flachen Acker hier unten gesehen? Und alles andere? Haaberg – der Hof liegt da und dreht und wendet sich nach mir um, wo ich geh und steh, wie eine Kuh. Er erwartet tausend Dinge von mir. Ja, und die Häuser: Ich möcht sie am liebsten gleich einreißen, eine Küche einrichten und schönere Fenster machen lassen; ich sitze wie auf Kohlen.« – »Ja«, sagte Jens, »es ist lustig, so dazusitzen Und sich alles mögliche auszudenken.« – »Ja, und es dann auszuführen, das wäre noch schöner!« – »Na, es kommt darauf an«, meinte Jens. »Ich für mein Teil« – er gähnte und reckte sich, sah Per an und grinste: »Da sitzen wir nun, du und ich. Nicht wahr? Und sind alle beide gleich weit gekommen. Und besonders du«, fügte er hinzu.

In der Stube war es dunkel. Das Feuer flackerte manchmal auf und warf seinen Schein auf die beiden: auf Per, der die Wangen in die Hände gestützt hatte, er war blaß und farblos, und wenn er blinzelte, schien die Krankheit förmlich die Augenlider herabzusaugen; auf Jens, der hier bärtig und verwittert dasaß und dessen Gesicht jedesmal aufzutauen schien, wenn der Feuerschein ihn traf. Auf einmal murmelte er vor sich hin und sah dabei schräg zu Per hinüber:

»Nein, ich hätte nicht auf Juwika bleiben mögen, wirklich nicht. Das ist aber wahr«, fügte er hinzu: »sobald man von dort fortzieht und woanders lebt, ist man heimatlos. So ist es wohl.«

»Es ist immerhin etwas, daß du dich überhaupt noch nach Hause sehnen kannst. Es ist, scheint's, so, wie sie immer sagen: daß wir nur nach rückwärts blicken können. Aber ich wollt es um jeden Preis erproben. Und wenn ich den Bösen selbst gegen mich gehabt hätte!«

Per schüttelte sich ganz beklommen, als er dies gesagt hatte. Die Dunkelheit nahm zu und drang in ihn ein. Er fühlte, daß er ein Wort zuviel gesagt hatte.

Eine Weile später, als er einmal hinausging, bekam er dies bewahrheitet. Er rannte gegen ihn an. Es war hinter der Türe, im Vorraum zum Stall, er tastete sich im Dunkeln vorwärts, da bekam er den anderen zu fassen. Er griff sich an wie ein dicker zottiger Stock. Angst fühlte er, und wütend wurde er, und da hieb er zu und wollte ihn nicht mehr auslassen. Da aber war der andere verschwunden. Per hörte nur noch, wie er sich raschelnd in der Dunkelheit entfernte und leise hustete; er sah ein kleines, glühendes Schweinsauge auf sich gerichtet. Er ging hinein, um ein Licht zu holen: An der Stalltüre war nicht das geringste zu sehen, nur glatte Wände grinsten ihm entgegen.

Erst in der Nacht überfiel Per das Entsetzen. Valborg schlief, und alle anderen schliefen auch. Per griff zu Valborg hinüber und weckte sie. – »Bist du es?« fragte sie. »Ja, ich bin's.« Und innerlich betete er aus tiefster Herzensnot: »Und erlöse uns von dem Übel!« Und wahrhaftig war es ihm, als beruhige sich alles rings um ihn so merkwürdig. Der Mensch war wohl nur ein Nichts gegen die Macht des Satans, das begriff er. Wenigstens wenn man mit der Gesundheit so herunter war, dann brauchte man etwas, auf das man sich verlassen konnte.

6

Jens ging ein paar Tage nachdenklich umher, er kam sich so weich und gutherzig vor. Er mußte irgend etwas tun. So kam er zum Per und zur Valborg und sagte: Er wolle über den Fjord nach Juwika. Denn er wolle nicht Rache und Unglück über jemand bringen. Und als Valborg hinausgegangen war, sagte er ganz offen: »Ich werd wohl dieses Weibsbild mit mir nehmen müssen, wie sie ist, und das Kind auch, wenn ich jetzt fortziehe. Ich habe euch schon Schande und Schaden genug gemacht. So einer wie ich, der es wagt, seinen Erbhof im Stich zu lassen – das wird manch einem schon schlimm genug erscheinen. Und wenn ich schon dort bin, so kann ich auch zum Schwarzfels hinüberschauen und versuchen, ob es mir nicht gelingt, den Morten zum Stilliegen zu bringen. Wenn ich ihm mich selber verspreche oder irgendeinen anderen guten Bissen. Willst du mit dabei sein, Per?«

Per stieg das Blut in die Wangen. Er fühlte brennende Lust darauf, ganz wie in früheren Zeiten, wenn Jens auf irgend etwas verfiel. Aber dies ging bald vorüber, und bleich und schwindelig saß er da, ganz heruntergekommen. – »Ich tue bei solchem Unsinn nicht mit«, sagte er.

»Nein, und so soll er wohl liegenbleiben, mit dem Stein am Fuß?« meinte Jens.

In diesem Augenblick gewahrte er, daß Anders in der Türe stand. »Ich will mit, ich!« sagte er, und er sagte es so, daß sein Vater keinen Einspruch erheben konnte. – »Das ist recht! meinte Jens. »Gerade darauf habe ich gewartet. Wagst du den Jungen, Per?«

Per antwortete nicht, und Anders kam mit. Jens wandte sich in der Türe um, sah zu Per zurück und grinste glatt:

»Wenn wir aus dieser Sache mit heilen Knochen zurückkehren, dann haben wir gewonnenes Spiel. Und dann kommen wir noch heute nacht.«

Es wurde ein langer Tag und eine lange Nacht. Schon früh am Abend war es pechschwarz und so still, daß man keinen Lufthauch verspürte. In der Stube ließ sich's nicht aushalten und draußen war es nicht viel besser. Dann kam der Schneefall. Land und Meer verschwanden im Schnee, und jetzt konnte man merken, wie der Sturm in der Stille draußen hing und wartete, wie ein gefährlicher Mensch hinter einer unverschlossenen Türe.

Spät am Abend kam der Sturm dann vom Meer herein, in seiner ganzen Schwere. Er ging hart um mit dem alten Haaberghaus – und seine Stimme war kalt und rauh. Er ging auf nichts Gutes aus.

Per konnte es nicht mehr ertragen, er mußte sich zu Bett legen. Aber er gestand es nur sich selber ein, daß es sich so verhielt. Zu Valborg sagte er, es lohne sich nicht, deshalb aufzubleiben. – »Der Anders – du brauchst dich nicht um ihn zu ängstigen. Wir haben schon Finnenzauber und andere Sachen bezwungen – warte nur, du wirst sehen, es geht alles gut!«

Valborg hörte nicht auf ihn und erwiderte kein Wort. Bleich wie die gekalkte Wand saß sie da.

Endlich kam auch sie und legte sich zu Bett. Lange, lange lagen sie da.

»Ich fühle es jetzt, daß der Junge auf dem Fjord ist«, sagte Per. »Aber deshalb brauchst du keine Angst zu haben.«

Er stand auf, trat vor die Türe und stand halb angezogen im Schneetreiben, kam wieder herein; dann machte er Feuer auf der Herdstätte. Valborg lag still im Bett.

»Glaubst du – – daß wir ihn nie wieder sehen werden? sagte er plötzlich. »Kannst du mir nicht antworten, Valborg?«

»Wenn man nur wüßte – – was man antworten soll!«

Per setzte sich ans Feuer. Valborg richtete sich im Bett auf. Sie glaubten, die Zeit vergehe nicht, und sie erwarteten auch nicht, daß sie vergehen solle. Sie hörten den Anders alle Augenblicke, seine Stimme war in allen Wänden und in allen Türen; sie klang so klar und frisch. »Wenn ich wiederkomme, so komme ich heute nacht«, sagte er. Per neigte sich vornüber, er jammerte laut in seine Hände hinein. »Ach ja, ja! Du kommst schon, du wirst nichts anderes tun.«

Dann kamen sie alle beide, er und Jens. Füße stampften vor dem Haus, und die Tür wurde heftig aufgerissen, jetzt sind sie im Vorraum, und Jens ist betrunken. Er kam nicht zum erstenmal so nach Hause. Jens flucht, daß es nur so schallt, dann taumelt er an die Wand, bleibt eine Weile liegen, bis er endlich sagt: »He! Speist du einen guten Trunk aus, du Hundsfott! Auf mit dir, Jens!« Damit rafft er sich wieder auf die Beine, und Anders hilft ihm über die Treppe hinauf – jetzt singen sie alle beide – also auch Anders ist betrunken.

Am nächsten Morgen schliefen sie lange in den Tag hinein und kamen gleichzeitig vom Dachraum herunter. – »Ihr habt wohl gehört, daß wir kamen?« sagte Jens. »Und wir sind auch gekommen, Teufel noch einmal, wenngleich ich auf Händen und Füßen vom Meer heraufgekrochen bin. Sie haben viel Schnaps gebrannt, drüben in Juwika, ich vergaß, Gott verzeihe mir die Sünde, wahrhaftig mein Anliegen. Ja, den Schwarzfelsgeist haben wir zwar gehörig gezüchtigt. Wir lagen dort und höhnten ihn gewaltig, daß er sich sehen lassen sollte. Nein. Dann fragten wir, ob er in geweihte Erde kommen wolle, ob es ihn›nach dem Kirchhof dürste‹? Kein Wort – es gibt gar keinen Schwarzfelsgeist! Wir boten ihm an, den Platz mit ihm zu tauschen! O nein, nichts. Ja, der Sturm kam, aber der kam von einer anderen Seite. Und heimgekehrt sind wir auch, wie gesagt; er ist zu kurz gekommen!«

Jens wollte sich gerade herumdrehen und hinausgehen. Da hielt ihn irgend etwas zurück. Es war Valborg. Sie hatte ihre Arbeit weggelegt und saß mit glühenden Wangen da.

»Jetzt meine ich aber, daß du von hier fortgehst.« Sie sagte es ruhig, gefährlich ruhig. Aber Jens griff dies nicht an. »Meinethalben lauf du von deinem Weib davon und bring uns alle in Schande; aber hier, daß du's weißt, hier bleibst du nicht eine Nacht mehr!« Sie wandte sich um und sah Per an: »Wir haben doch Kinder, zum mindesten.«

»Ja, ja, du hast recht«, sagte Jens; er war trocken wie ein Mühlstein. »Wenn sie nur endlich mit dem Schiff kämen und wir guten Wind hätten. Ich werde meine Sachen nehmen und nach Paalsnese gehen, heute nacht – es ist so gut, ein Dach über dem Kopf zu haben.«

Valborg war hinausgegangen, still hatte sie die Türe hinter sich geschlossen. Per sagte nichts, und Jens vermaß sich nicht ihn anzusehen. Er nahm die Pelzstiefel und den Pelz, suchte seinen Koffer hervor und kam dann mit ausgestreckter Hand zu Per:

»Laß dir's gut gehen, Per, und Dank für alles – und – und – und Dank für alles, ja, und leb wohl!«

Er ging zu allen und nahm Abschied, Valborg traf er vor der Tür und nahm sie herzhaft bei der Hand; er war obenauf.

Per begleitete ihn nicht hinaus, sondern blieb sitzen, wo er saß.

Die Knechte begaben sich wieder in die Scheune und die Mägde an ihre Arbeit. In der Stube waren nur noch der Bauer und die Bäuerin.

Jetzt erhob sich Per, stand da und blickte eine Weile starr zu Boden. Er schnaubte und stieß die Luft durch die Nase, die Achseln schoben sich immer höher. – »Früher haben sie ihre Weiber verprügelt«, sagte er vor sich hin. Er sah Valborg durchbohrend an – sie stand da, als warte sie darauf.

»Was nimmst du dir da für ein Recht heraus?«

»Recht?«

»Ja, so habe ich gefragt.«

»Man muß sich sein Recht nehmen, wenn es nötig ist.«

»Nötig?« Er kam ihr bedrohlich nahe.

Valborg lachte ihm ins Gesicht: »Was ist denn mit dir, Mann?«

Da erbleichte er über das ganze Gesicht, als habe er eine Todeswunde in sich aufgerissen. Gleich darauf aber wurde er dunkelrot, sein Gesicht wurde unkenntlich und häßlich. Er packte Valborg beim Haar, riß ihren Kopf hin und her. Sie ließ alles mit sich geschehen, zunächst, aber gleich darauf erstarrte sie, ihr Körper wollte sich nicht darein finden, ihr Hals wurde wie ein Pfosten. Ganz leise, als sollte niemand es hören, sagte sie:

»Du mußt dich ja schämen, Per!«

»Schämen?« Er ließ sie los. Rote und weiße Schauer flogen über sein Gesicht.

»Ja – – Und dabei – solltest du dich doch in acht nehmen.«

»Mich in acht nehmen – he! Mich in acht nehmen? Glaubst du, man hat sich früher in acht genommen? Man wird doch wohl noch Herr in seinem eigenen Hause sein – du mußt dich in acht nehmen! Du!«

»Ja, wer ist der Herr und wer nicht – wer den Verstand hat, der muß ihn gebrauchen und die Macht dazu!« Sie schrie es ihm entgegen, und nun ging es in ihr über, Weinen schüttelte sie, das aber wollte sie am allerwenigsten, und überdies sah sie Anders vor dem Fenster draußen, er hatte dort gestanden und hereingesehen. »Pfui, schäm dich, Per!« schluchzte sie.

Da packte er sie, stieß sie gegen die Wand, daß die ganze Stube zitterte, und verprügelte sie. Er wußte sehr gut, was er tat; durch seinen ganzen Körper knurrte es kalt:

»Das braucht's. Das braucht's!«

Als er fertig war, konnte er sich gerade noch zur Bank schleppen. Er wußte nicht, ob sie Widerstand geleistet hatte, aber er war ganz erschöpft, hatte sich übernommen, so daß es ihm schwarz vor den Augen wurde. Valborg verließ die Stube. Jetzt erst wurde er Anders gewahr, und jetzt hörte er, was dieser sagte. »Vater!« hatte er gerufen, und jetzt kam der Bub heran und blieb vor ihm stehen, hieb mit der Faust auf den Tisch, rot wie ein wütender Juwiking:

»Pfui, schäm dich, Vater!« Seine Stimme schlug über, aber er packte von neuem an: »Wenn du die Mutter noch einmal anrührst, dann soll der Teufel –«

Per lächelte. Er vermochte sich nicht zu erheben und dem Lausbuben Prügel zu geben, und so lächelte sein Gesicht von selbst, tat das klügste, was er tun konnte. – »Geh hinaus Und hacke Holz«, sagte er. Eine Weile später sagte er, aber nur zu sich:

»Wär's einer von den Alten statt meiner gewesen: Der hätte dem Weib Vernunft beigebracht!«

»Nicht der Mutter, nein – niemals! Und wenn – dann wär ich dir ins Gesicht gesprungen!« Anders zitierte am ganzen Leib, und dann war er draußen.

Per blieb allein. Draußen aber hörte er, wie Anders mit der Mutter redete:

»Daß du's nur weißt, Mutter: Du wirst dem Vater gehorchen!«

»Nicht nach diesem, Kind. Geh mir aus dem Weg.«

Als Valborg eintrat, tat sie, als sei Per nicht in der Stube. Per fühlte, daß er verloren hatte.

Aber merkwürdig war es doch mit diesem Jungen. Es steckte bereits Mark in ihm. Und das Böse, davon kann uns niemand erlösen; was uns zugemessen ist, bleibt nicht aus.


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