Alexander Dumas
Königin Margot. Erster Band
Alexander Dumas

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Maurevel

Während sich diese ganze lustige und scheinbar auch sorglose Jugend wie ein goldener Strudel über den Weg von Bondy ergoß, rollte Katharina die kostbare Urkunde, die der König unterfertigt hatte, ein. Dann ließ sie jenen Mann in ihr Schreibzimmer eintreten, dem der Kapitän ihrer Garde ein paar Tage vorher einen Brief in die Straße la Cerisaie, im Viertel des Arsenals, überbracht hatte.

Eine breite Taftbinde, ähnlich dem Band eines Totenkranzes, überdeckte das eine Auge dieses Mannes. Zwischen den starken Backenknochen sprang eine Hakennase wie der Schnabel eines Geiers hervor, während ein graugesprenkelter Vollbart die untere Gesichtshälfte verdeckte. Eingehüllt war der Mann in einen langen und dichten Mantel, unter dem man eine ganze Waffensammlung vermuten konnte. Außerdem trug er an der Seite, obwohl das sonst Leute, die an den Hof befohlen waren, nicht tragen durften, ein langes Bauernschwert, mit breiter Klinge und doppeltem Stichblatt. Die eine Hand hielt er versteckt, sie verließ den Griff eines langen Dolches nicht, der unter dem Mantel verborgen war.

»Ah! Sie sind hier, mein Herr,« sagte die Königin und ließ sich nieder. »Sie erinnern sich vielleicht, daß ich Ihnen nach der Bartholomäusnacht, in der Sie uns so hervorragende Dienste geleistet, versprochen habe, Sie nicht ganz in Untätigkeit zu lassen. Eine Gelegenheit bietet sich jetzt dar, vielmehr, ich habe sie eigentlich veranlaßt. Bedanken Sie sich demnach.«

»Madame, ich danke Eurer Majestät untertänigst!« antwortete der Mann mit der schwarzen Binde; in dieser Antwort lag eine niedrige und zugleich unverschämte Zurückhaltung.

»Eine schöne Gelegenheit, mein Herr, wie Sie sie in Ihrem Leben sicherlich nicht zweimal finden werden. Nützen Sie sie daher aus.«

»Ich bin bereit, Madame. Ich fürchte nur nach dieser Einleitung . . .«

»Daß es kein Auftrag für eine Gewalttätigkeit ist? Etwa nur ein Leckerbissen für solche Leute, die vorwärts kommen wollen? Der Auftrag, von dem ich rede, würde den Neid eines Tavannes, ja selbst eines Guise erregen.«

»Ah, Madame! Glauben Sie mir, was es für ein Auftrag auch immer sei, ich stehe Eurer Majestät zu Diensten.«

»Unter solchen Umständen . . . lesen Sie!«

Sie hielt dem Mann die Urkunde hin.

Der überflog die Zeilen und erbleichte.

»Was?« rief er. »Der Befehl, den König von Navarra festzunehmen?«

»Nun, und was ist denn so Außergewöhnliches daran?«

»Aber ein König, Madame! Wahrhaftig, ich zweifle, ich fürchte, hierzu doch nicht Edelmann genug zu sein!«

»Mein Vertrauen erhebt Sie zum ersten Edelmann meines Hofstaates, Herr von Maurevel!« sagte Katharina.

»Tiefer Dank sei Eurer Majestät hierfür übermittelt!« sagte der Meuchelmörder so erregt, daß seine Antwort fast zaghaft klang.

»Sie werden also gehorchen?«

»Ist das nicht meine Pflicht, wenn Eure Majestät befehlen?«

»Ja, ich befehle!«

»Und ich werde dem Befehl folgen.«

»Auf welche Art werden Sie ihn festnehmen?«

»Das weiß ich gerade noch nicht, Madame, und ich würde es sehr wünschen, von Eurer Majestät eine nähere Anweisung zu erhalten.«

»Sie scheuen den Lärm?«

»Das muß ich zugeben!«

»Nehmen Sie sich zwölf sichere Männer, mehr noch, wenn es nötig ist.«

»Ich verstehe, daß Eure Majestät mir zweifellos Überlegenheit sichern wollen, und ich bin sehr dankbar dafür. Aber wo werde ich den König von Navarra festnehmen?«

»Welcher Ort würde Ihnen für die Festnahme am besten passen?«

»Ein Ort, an dem ich durch Seine Majestät selbst geschützt bin, wenn das möglich wäre!«

»Ja, ich verstehe . . . also in einem königlichen Palast; was würden Sie zum Beispiel zum Louvre sagen?«

»Oh, wenn Eure Majestät mir das erlauben, das wäre eine große Gnade!«

»Sie werden ihn also im Louvre verhaften.«

»Und in welchem Teil des Louvre?«

»In seinem eigenen Zimmer!«

Maurevel verbeugte sich.

»Wann, Madame?«

»Heute abend oder vielmehr heute nacht.«

»Sehr wohl, Madame. Jetzt geruhen Eure Majestät, mir noch über etwas Auskunft zu geben.«

»Was für eine Auskunft?«

»Über die seiner Stellung schuldige Rücksichtnahme.«

»Rücksichtnahme? . . . Stellung?« sagte Katharina. »Sie vergessen ganz, mein Herr, daß der König von Frankreich in seinem Reiche keiner Person, wer sie auch immer wäre, irgend eine Rücksichtnahme schuldig ist, weil er auch in seinem Reiche keinen Gleichgestellten anzuerkennen braucht.«

Maurevel verbeugte sich zum zweitenmal.

»Ich muß trotzdem auf diese Frage ein Gewicht legen,« sagte er, »wenn Eure Majestät es erlauben.«

»Ich erlaube es, mein Herr.«

»Wenn der König die Echtheit dieses Befehls in Abrede stellen würde . . . es ist ja nicht wahrscheinlich, doch immerhin . . .«

»Ganz im Gegenteil, das ist sogar sicher.«

»Er wird die Echtheit bezweifeln?«

»Das ist gar keine Frage.«

»Und in weiterer Folge wird er den Gehorsam verweigern.«

»Das befürchte ich auch.«

»Und er wird sich widersetzen?«

»Wahrscheinlich.«

»Ah, Teufel!« sagte Maurevel. »Und in diesem Falle . . .«

»In was für einem Falle?« fragte Katharina mit ihrem starren Blick.

»Aber in dem Fall, daß er sich widersetzen wird, was soll da geschehen?«

»Was machen Sie, wenn Sie durch einen Befehl des Königs bevollmächtigt sind, das heißt also, wenn Sie den König vertreten, und man sich Ihnen widersetzt, Herr von Maurevel?«

»Aber, Madame,« erwiderte der Häscher, »wenn ich durch einen derartigen Auftrag beehrt bin und der Auftrag einen einfachen Edelmann betrifft, dann töte ich ihn selbstverständlich.«

»Ich sagte Ihnen schon, mein Herr,« erklärte Katharina, »und es ist, glaube ich, noch nicht so viel Zeit seither verflossen, daß Sie meine Worte hätten vergessen können, ich sagte Ihnen, daß der König von Frankreich in seinem Reich gegebenen Falles auf keine Stellung Rücksicht zu nehmen braucht. Der König von Frankreich ist allein König, und neben ihm sind die Größten des Reiches nur gewöhnliche Edelleute.«

Maurevel erbleichte, denn er fing langsam zu begreifen an.

»Oh, oh!« sagte er. »Den König von Navarra töten!«

»Aber wer sagt Ihnen denn, daß Sie ihn töten sollen? Wo ist der Befehl, ihn zu töten? Der König will, daß man ihn in die Bastille abführt, und der Befehl enthält nur das. Wenn er sich verhaften läßt, dann ist alles gut; wenn er sich aber nicht festnehmen läßt, wenn er sich widersetzt, wenn er Sie zu töten versucht . . .«

Maurevel wurde blässer.

». . . dann werden Sie sich eben verteidigen,« schloß Katharina.

»Man kann doch von einem tapferen Menschen, wie Sie es sind, nicht verlangen, daß er sich, ohne sich wehren zu dürfen, töten läßt. Und wenn Sie sich dann verteidigen müssen . . . was gibt es da zu überlegen? Was geschehen soll, wird eben geschehen. Sie verstehen mich doch, nicht wahr?«

»Jawohl, Madame, doch indessen . . .«

»Ach ja, Sie wollen wahrscheinlich, daß ich hinter die Worte: ›Befehl, den König festzunehmen,‹ noch eigenhändig dazuschreibe: ›tot oder lebendig‹?«

»Ich gebe zu, Madame, daß das mein Gewissen erleichtern würde.«

»Gut, das läßt sich ja machen, wenn es für die Ausführung des Befehles, wie Sie glauben, unumgänglich notwendig ist.«

Katharina zuckte mit den Schultern, entrollte mit einer Hand das Schriftstück und schrieb mit der anderen »tot oder lebendig« zwischen die Zeilen hinein.

»So,« meinte sie, »ist der Befehl jetzt vollständig genug?«

»Ja, Madame,« erwiderte Maurevel, »doch nun bitte ich Eure Majestät, mir in der Durchführung des Unternehmens auch vollständige Freiheit zu lassen.«

»In welcher Beziehung könnten meine Verfügungen der Durchführung hinderlich sein?«

»Eure Majestät bestimmten, daß ich zwölf Mann zu mir nehmen soll.«

»Ja, um eines Erfolges sicherer zu sein . . .«

»Nun, ich bitte um die Erlaubnis nur sechs Mann mitnehmen zu dürfen.«

»Warum denn?«

»Weil, wenn dem Prinzen ein Unglück widerfahren sollte, was sehr wahrscheinlich ist, sechs Mann entschuldigt werden würden. Man würde ihnen eine rasche und tatkräftige Handlung im Hinblick auf ihre Absicht, den Haftbefehl unbedingt durchzuführen, nachsehen. Niemand hingegen würde es entschuldigen, wenn zwölf Mann die Hand auf eine Majestät legen, bevor sich nicht wenigstens die Hälfte von ihnen hätte töten lassen.«

»Schöne Majestät, meiner Treu, die kein Reich hat!«

»Madame,« erwiderte Maurevel, »nicht das Reich macht den König, sondern die Geburt.«

»Also gut! Handeln Sie, wie es Ihnen belieben wird, nur muß ich Sie auf meinen Wunsch aufmerksam machen, daß Sie den Louvre nicht verlassen.«

»Aber, Madame, ich muß mir doch meine Leute zusammensuchen?«

»Sie verfügen doch sicher über eine Art Unteroffizier, den Sie damit beauftragen könnten?«

»Ich habe einen Diener, der nicht nur ein treuer Bursche ist, sondern mir in dieser Art Unternehmungen schon vielfach gute Dienste geleistet hat.«

»Lassen Sie ihn holen und besprechen Sie sich mit ihm. Sie kennen doch den Waffensaal des Königs, nicht wahr? Dort wird man Ihnen ein Frühstück auftragen und dort können Sie Ihre Befehle erteilen. Dieser Ort wird Sie in Ihren Entschlüssen stärken, wenn sie wankend werden sollten. Hernach, wenn mein Sohn von der Jagd heimgekehrt sein wird, werden Sie sich in mein Betzimmer begeben, um dort die gegebene Stunde abzuwarten.«

»Wie werden wir aber in das Zimmer des Königs von Navarra eindringen können? Der König wird zweifellos einen Verdacht hegen und wird sich im Zimmer absperren.«

»Ich habe zu allen Türen Doppelschlüssel,« erklärte Katharina, »und außerdem hat man die Riegel von der Tür Heinrichs von Navarra abgenommen. Adieu, Herr von Maurevel, auf baldiges Wiedersehen! Ich lasse Sie jetzt in den Waffensaal des Königs führen . . . und bei dieser Gelegenheit noch eines: bedenken Sie wohl, daß der Befehl des Königs vor allen andern durchgeführt werden muß! Hierbei gibt es gar keine Entschuldigungen, eine Ausflucht oder ein Mißerfolg würde der Ehre des Königs Schaden antun. Die Sache ist ernst.«

Ohne eine Antwort Maurevels abzuwarten, rief die Königin Herrn von Nancey, Kapitän der Garde und befahl ihm, Maurevel in den Waffensaal des Königs zu führen.

»Verdammt!« sagte sich Maurevel, als er seinem Führer folgte. »Ich komme ja in der Rangordnung des Verbrechens recht gut weiter: von einem einfachen Edelmann angefangen bis zu einem Kapitän, vom Kapitän bis zum Admiral, vom Admiral bis zu einem König ohne Krone! Und wer weiß, ob ich eines Tages auch nicht bis zu einem gekrönten König hinaufkomme!«

 


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