Alexander Dumas
Königin Margot. Erster Band
Alexander Dumas

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Der Aufbruch zur Jagd

Als am nächsten Morgen eine schöne, rote, doch strahlenlose Sonne, wie sie an besonders prächtigen Wintertagen am Himmel zu erscheinen pflegt, sich hinter den Hügeln von Paris in die Höhe hob, war der Hof des Louvre schon seit zwei Stunden voll Leben und Bewegung.

Ein prächtiger Berberhengst, erregt und hoch aufgerichtet, mit Beinen, auf denen sich die Adern, wie bei einem Hirsch, netzartig kreuzten, mit gespitzten Ohren, scharrte den Boden des Hofes, blies Feuer aus seinen Nüstern und wartete auf Karl den Neunten. Immerhin war das Tier noch weniger ungeduldig, als sein Herr, den die Königin-Mutter auf seinem Wege aufgehalten hatte, um ihm, wie sie sagte, von sehr wichtigen Dingen Mitteilung zu machen.

Beide standen in der verglasten Galerie, Katharina kühl, blaß und unbeweglich wie immer, Karl der Neunte war zappelig, kaute an seinen Fingernägeln und hieb mit der Gerte auf seine zwei Lieblingshunde ein. Die waren von einem Ringelpanzer umkleidet, als Schutz gegen die Waffen des Keilers und damit sie so das mächtige Tier gefahrlos stellen könnten. Am Brustteil des Panzers war ein kleines Schild mit dem Reichswappen Frankreichs aufgenäht und sah genau so aus, wie das Brustschild, das die Pagen trugen, die diese bevorzugten vierbeinigen Lieblinge des Hofes nicht selten um ihre Vorrechte beneideten.

»Nehmen Sie sich nur in acht, Karl,« sagte die Königin Katharina, »niemand, als Sie und ich, wissen um die demnächst zu gewärtigende Ankunft der Polen. Der König von Navarra aber, Gott verzeih mir, benimmt sich so, als ob auch er von diesem Ereignis etwas wissen würde. Trotz seines Abschwörens, dem ich übrigens immer mißtraute, setzt er seinen Verkehr mit den Hugenotten fort. Haben Sie vielleicht nicht bemerkt, daß er in den letzten Tagen sehr viel ausgeht? Er hat auf einmal Geld, er, der niemals welches hatte! Er kauft sich Pferde, Waffen, und an Regentagen übt er sich von früh bis abends im Fechten!«

»Eh, mein Gott, liebe Mutter,« sagte Karl der Neunte mit großer Ungeduld, »glauben Sie denn, daß er am Ende gar die Absicht hätte, mich oder meinen Bruder Anjou zu töten? In diesem Falle müßte er jedoch noch einige Unterrichtsstunden im Fechten nehmen, denn erst gestern habe ich ihm elf Knopflöcher in sein Wams gebohrt, das nur sechs Löcher braucht. Und mein Bruder Anjou? Von ihm wissen Sie ja doch, daß er den Degen noch besser zu führen weiß als ich oder, wie er es behauptet, wenigstens ebenso gut wie ich!«

»Hören Sie mich an, Karl, und nehmen Sie die Ratschläge Ihrer Mutter nicht auf die leichte Achsel. Die polnischen Gesandten werden erscheinen . . . und dann, dann werden Sie es erleben! Wenn die einmal in Paris sind, wird Heinrich alles tun, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Er ist ein Schmeichler, er ist ein Duckmäuser! Und auch mit seiner Frau muß man rechnen, die, ich weiß nicht aus welchem Grunde, unbedingt zu ihm hält. Sie wird mit den Gesandten schwatzen, wird mit ihnen lateinisch, griechisch, ungarisch und ich weiß nicht noch welche Sprache reden! Oh, ich sage Ihnen, Karl, und Sie wissen es wohl, ich irre mich niemals, ich sage Ihnen, daß hier ein abgekartetes Spiel getrieben wird!«

In dem Augenblick schlug die Uhr, Karl hörte nicht mehr auf seine Mutter, weil er die Schläge zählte.

»Tod meines Lebens, sieben Uhr!« rief er aus, »eine Stunde für das Hinreiten, das macht acht Uhr, eine Stunde für das Ankommen auf dem Sammelplatz und für das Loslassen der Hunde . . . wir werden mit der Jagd erst um neun Uhr beginnen können! Wahrhaftig, liebe Mutter, Sie haben mich recht viel Zeit verlieren lassen! . . . herunter, Risquetout! . . . Tod meines Lebens! Herunter, sage ich, du Räuberseele!«

Ein heftiger Gertenhieb fuhr auf den Rücken des Hundes nieder; das arme Tier, das erstaunt statt einer Liebkosung eine Züchtigung hinnehmen mußte, heulte laut auf.

»Karl,« begann abermals Katharina, »hören Sie mich doch um Gottes willen an! Werfen Sie nicht Ihr Glück und Frankreichs Glück einem zufälligen Schicksal vor die Füße. Die Jagd, die Jagd und wiederum die Jagd . . . das ist Ihr Ein und Alles! Eh, Sie werden noch immer Zeit genug zum Jagen haben, wenn Sie Ihren Pflichten als König nachgekommen sein werden!«

»Aber, aber, liebe Mutter!« sagte Karl, blaß vor Ungeduld. »Sprechen Sie doch kurz und bündig, Sie bringen mich ja in Verzweiflung. Wahrhaftig, es gibt Tage, an denen ich Sie durchaus nicht verstehen kann!«

Er hielt inne und schlug mit der Reitpeitsche auf die Stulpen seiner Stiefel.

Katharina merkte, daß ein günstiger Augenblick gekommen sei, den sie nicht vorübergehen lassen durfte.

»Mein Sohn,« sagte sie, »wir haben Beweise dafür, daß Mouy wieder nach Paris gekommen ist. Herr von Maurevel, den Sie ja gut kennen, hat ihn gesehen. Dieser Umstand kann nur zum König von Navarra in Beziehung stehen. Das genügt wohl, wie ich hoffe, daß uns der König verdächtiger sein muß, als es jemals früher der Fall war.«

»Also, jetzt sind Sie wieder bei meinem armen Henriot angelangt! Sie wollen mir ihn töten lassen, nicht wahr?«

»Oh, nein!«

»Verbannen? Ja, verstehen Sie denn nicht, daß er uns in der Verbannung viel gefährlicher werden kann als hier, unter unseren Augen, im Louvre, wo er nichts unternehmen kann, was uns nicht sofort zur Kenntnis gelangt?«

»Ich will auch gar nicht, daß er verbannt wird.«

»Was wollen Sie also? Sagen Sie es rasch!«

»Ich will, daß man ihn in Gewahrsam hält, wenn die Polen da sein werden . . . in der Bastille zum Beispiel!«

»Ah, meiner Treu, nein!« rief Karl der Neunte. »Wir jagen heute einen Keiler, Henriot ist einer meiner besten Jagdgenossen, ohne ihn ist die ganze Jagd verfehlt, verdammt, liebe Mutter! Sie denken wirklich an nichts anderes, als mich fortwährend zu ärgern!«

»Eh, mein Sohn, ich sprach ja nicht von heute früh! Die Gesandten werden nicht vor morgen oder übermorgen da sein. Nehmen wir ihn erst nach der Jagd fest . . . vielleicht am Abend . . .oder in der Nacht . . .«

»Na, ja, das ist etwas anderes! Wir werden darüber noch reden, wir werden ja sehen . . . nach der Jagd, meinetwegen! Adieu! . . . Vorwärts, zu mir, Risquetout, willst du mir jetzt trotzig werden?«

»Karl,« sagte Katharina und hielt den König beim Arm fest, obwohl sie wegen dieser neuen Verzögerung einen Zornausbruch erwarten konnte, »ich glaube, es wäre am besten, einerlei ob die Durchführung heute abend oder heute in der Nacht erfolgen wird, gleich jetzt den schriftlichen Befehl zur Festnahme zu unterfertigen.«

»Unterschreiben, den Befehl ausfertigen, das Urkundensiegel holen, wo man mich jetzt zur Jagd erwartet, mich, der nie auf sich warten läßt? Zum Teufel noch einmal!«

»Aber nein! Ich liebe Sie zu sehr, um Sie in Ihrem Vergnügen aufzuhalten, ich habe alles vorhergesehen. Treten Sie hier ein, zu mir herein, wollen Sie?«

Und Katharina, flink, als ob sie erst zwanzig Jahre zählte, öffnete eine Tür, die zu ihrem Schreibzimmer führte, und zeigte dort dem König ein bereitgestelltes Tintenfaß, eine Feder, eine Urkunde, das Siegel und eine brennende Kerze.

Der König nahm den schriftlichen Befehl in die Hand und durchflog die Zeilen.

»Befehl . . . und so weiter und so weiter . . . meinen Bruder Heinrich von Navarra festnehmen und in die Bastille abführen zu lassen . . .«

»So, das wäre erledigt!« sagte er und unterschrieb mit einem Federzug. »Adieu, liebe Mutter!«

Er eilte aus dem Schreibzimmer hinaus, seine Hunde folgten ihm, und er schien erleichtert und befriedigt darüber zu sein, sich seiner Mutter auf so glimpfliche Art entledigt zu haben.

Der König war schon mit Ungeduld erwartet worden. Da man seine Pünktlichkeit bei Jagdgelegenheiten kannte, so wunderte sich jeder über diese Verspätung. Als er erschien, grüßten ihn die Jäger mit Vivatrufen, die Pikenreiter mit Fanfaren, die Pferde mit Wiehern und die Hunde mit ihrem Geläut. Der Lärm und das Getöse bewirkten, daß eine leichte Röte die blassen Wangen des Königs färbte, sein Herz schwoll, Karl wurde eine Sekunde lang jung und glücklich.

Der König hatte kaum Zeit, die glänzende Gesellschaft, die sich im Hofe versammelt hatte, zu begrüßen. Er nickte dem Herzog von Alençon zu, winkte seiner Schwester Margarete mit der Hand, ging bei Heinrich vorüber, als ob er ihn nicht bemerke und schwang sich auf seinen Berberhengst, der ungeduldig unter ihm in die Höhe stieg. Doch nach zwei oder drei Bocksprüngen merkte der Hengst, mit wem er es zu tun hatte und beruhigte sich.

Gleich darauf ertönten wieder Fanfaren, der König ritt aus dem Louvre hinaus. Es folgten ihm der Herzog von Alençon, der König von Navarra, die Königin Margarete, die Herzogin von Nevers, Frau von Sauve, Herr von Tavennes und die anderen vornehmsten Herren vom Hofe.

Selbstverständlich waren auch Herr von La Mole und Herr von Coconas Teilnehmer an der Jagd.

Der Herzog von Anjou befand sich schon seit drei Monaten bei der Belagerung von La Rochelle.

Während man auf den König gewartet hatte, hatte Heinrich seine Frau begrüßt. Seinen Gruß erwidernd, hatte sie ihm ins Ohr geflüstert: »Der gewisse Bote aus Rom ist von Herrn von Coconas persönlich zum Herzog von Alençon hineingeführt worden, und zwar eine Viertelstunde früher, als der Bote des Herzogs von Nevers beim König eingetreten ist.«

»Er weiß also alles?« sagte Heinrich.

»Er muß alles wissen, erwiderte Margarete; »übrigens brauchen Sie nur einen Blick auf ihn zu werfen, um zu erkennen, daß trotz seiner Verstellungsgabe seine Augen förmlich leuchten.«

»Himmel und Hölle!« brummte der Bearner. »Das glaube ich gern; er will heute eine dreifache Beute erjagen: Frankreich, Polen und Navarra, ohne das Wildschwein zu rechnen! Er grüßte seine Gemahlin, ritt in seine Einteilung zurück und rief einen seiner Leute zu sich heran. Das war ein gebürtiger Bearner, dessen Ahnen schon seit einem Jahrhundert immer bei der Königsfamilie bedienstet gewesen waren und den Heinrich von Navarra gewöhnlich als Boten in seinen Liebesangelegenheiten zu verwenden pflegte.

»Orthon,« sagte er ihm, »nimm diesen Schlüssel und trage ihn zu dem Vetter der Frau von Sauve, der, wie du ja weißt, bei seiner Geliebten wohnt, an der Ecke der Straße des Quatre-Fils. Du wirst ihm sagen, daß seine Base ihn heute abend zu sprechen wünscht. Er soll in mein Zimmer eintreten, und wenn ich nicht da bin, möge er dort warten. Wenn ich mich aber sehr verspäte, kann er sich auf mein Bett werfen und schlafend auf mich warten.«

»Keine Antwort darauf, Sire?«

»Nein. Du kannst mir nur dann melden, ob du ihn angetroffen hast. Der Schlüssel ist für ihn allein, du verstehst mich?«

»Jawohl, Sire.«

»Warte doch, reite nicht von hier weg, zum Teufel! Bevor wir aus Paris herauskommen, werde ich dich zu mir heranrufen, als ob ich mein Pferd übersatteln lassen wollte; du wirst dann wie selbstverständlich etwas zurückbleiben, kannst hierauf deine Besorgung machen und in Bondy wieder zu uns stoßen.«

Der Diener machte ein Zeichen, daß er verstanden habe, und zog sich gehorsam zurück.

Man nahm den Weg durch die Straße Saint-Honoré und die Straße Saint-Denis und kam in die Vorstadt. In der Straße Saint-Laurent wurden plötzlich die Gurten des Pferdes des Königs locker, Orthon ritt herbei und nun spielte sich alles so ab, wie es zwischen ihm und seinem Herrn vereinbart worden war. Heinrich von Navarra ritt dann dem Gefolge des Königs Karl nach und holte es in der Straße des Recollets ein, während der treue Diener die Straße du Temple benützte.

Als Heinrich den König wieder erreicht hatte, war Karl gerade mit dem Herzog von Alençon in ein so fesselndes und zeitgemäßes Gespräch über das vermutliche Alter des bestätigten Keilers und über den Ort, wo der alte Eingänger sein Lager geschlagen hatte, verwickelt, daß er es gar nicht bemerkt hatte oder nicht hatte bemerken wollen, daß Heinrich für einen Augenblick zurückgeblieben war.

Während der ganzen Zeit hatte Margarete beobachtet, wie sich der eine oder der andere zu beherrschen verstand, bestimmt glaubte sie aber bemerkt zu haben, daß sich ihres Bruders jedesmal eine gewisse Verlegenheit bemächtigte, wenn er seinen Blick auf Heinrich richtete. Die Herzogin von Nevers war lustig und ausgelassen, weil Coconas, ebenso besonders gut aufgelegt, in ihrer Nähe allerlei Hanswurstwitze zum Besten gab und alle Damen lachen machte.

La Mole hingegen hatte schon zweimal die Gelegenheit wahrgenommen, Margaretes weiße Schärpe mit den Goldfransen zu küssen, ohne daß diese Bewegung, die mit der üblichen Geschicklichkeit eines Liebhabers ausgeführt wurde, von mehr als drei oder vier Personen bemerkt worden war.

Um viertel auf neun Uhr kam man in Bondy an.

Die erste Sorge Karls des Neunten war, sich zu erkundigen, ob der Keiler seinen Stand gehalten hatte.

Der Keiler war in seinem Lager geblieben, und der Pikenreiter, der ihn ausgemacht hatte, bürgte für sein Verbleiben.

Ein Frühstück war bereitgestellt. Der König trank ein Glas ungarischen Weines. Dann lud er die Damen ein, sich zu Tisch zu setzen, und entfernte sich, in Ungeduld und bestrebt, seine Zeit auszunützen. Er besichtigte die Hundeställe und die Falkenkäfige und befahl, daß man sein Pferd nicht absattle, weil er, wie er betonte, noch niemals ein so ausdauerndes, starkes Pferd geritten habe.

Während der König seinen Rundgang machte, erschien der Herzog von Guise. Er war eher kriegsmäßig als jagdmäßig gekleidet, und zwanzig oder dreißig Edelleute, ausgerüstet wie ihr Herr, begleiteten ihn. Er erkundigte sich sofort nach dem König, ging ihm nach und kehrte dann plaudernd mit ihm zurück.

Punkt neun Uhr gab der König selbst das Hornzeichen zum Loskoppeln der Hunde, man bestieg die Pferde und begab sich auf den Weg zum Versammlungsort.

Heinrich von Navarra fand auf diesem Weg wieder Gelegenheit, sich seiner Gemahlin zu nähern.

»Nun,« fragte er, »etwas Neues erfahren?«

»Nein,« antwortete Margarete, »nur: mein Bruder Karl betrachtet Sie mit so merkwürdigen Blicken!«

»Das habe ich schon bemerkt.«

»Haben Sie irgendwelche Vorsichtsmaßregeln ergriffen?«

»Auf meiner Brust trage ich ein Panzerhemd und an meiner Seite ein ausgezeichnetes spanisches Jagdmesser, haarscharf wie ein Rasiermesser, spitzig wie eine Nadel, mit der Spitze kann ich Goldmünzen durchbohren.«

»Also,« sagte Margarete, »Gott schütze Sie!«

Der Pikenreiter, der die Reitergruppe führte, machte ein Zeichen, man war in die Nähe des Lagers gekommen.

 


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