Alexander Dumas
Königin Margot. Erster Band
Alexander Dumas

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Was die Frau will, will Gott

Margarete hatte sich nicht getäuscht; das abgekartete Spiel hatte Katharina dermaßen gereizt, daß sie, weil sie ja doch nicht imstande war, die Winkelzüge der anderen zu durchkreuzen, ihren Zorn an irgend jemandem auslassen mußte. Anstatt in ihre Wohnung zurückzukehren, begab sich die Königin-Mutter geradewegs zu ihrer Hofdame.

Frau von Sauve erwartete zwei Besuche. Sie hoffte auf den Besuch Heinrichs von Navarra und befürchtete den der Königin-Mutter. Sie lag halbentkleidet auf ihrem Bette, und Dariole wachte im Vorzimmer, als sie plötzlich vernahm, wie ein Schlüssel in einer Tür knirschte, wie sich langsame Schritte näherten, die man auch schwer hätte nennen können, wenn dichte Teppiche sie nicht gedämpft hätten. Das war nicht der leichte, jugendfrische Schritt Heinrichs von Navarra. Sie ahnte, daß man Dariole an einer Anmeldung hindern würde und erwartete mit aufgestützten Armen, Auge und Ohr gespannt, den kommenden Besuch.

Der Türvorhang hob sich und die junge Frau erblickte starr vor Schrecken Katharina von Medici auf der Schwelle.

Die Königin-Mutter schien ruhig zu sein, doch Frau von Sauve, die seit zwei Jahren aus den Zügen dieser Frau zu lesen gelernt hatte, erkannte, daß sich hinter dieser scheinbaren Ruhe böse Absichten und Gedanken grausamer Rache verbargen.

Sie wollte beim Anblick Katharinas aus ihrem Bett springen, doch die Königin-Mutter gab ihr mit der Hand ein Zeichen zu bleiben. Die arme Charlotte blieb wie angenagelt auf ihrem Platze und nahm innerlich alle Seelenkräfte zusammen, um dem Gewitter, das sich so still vorbereitete, die Stirn bieten zu können.

»Haben Sie den Schlüssel dem König von Navarra zukommen lassen?« fragte Katharina, ohne daß man ihrer Stimme die geringste Aufregung anmerken konnte. Nur ihre Lippen wurden bei diesen Worten bleicher.

»Ja, Madame,« antwortete Charlotte, die sich nutzlos bemühte, Katharina mit der gleichen Ruhe zu begegnen.

»Und Sie haben ihn gesehen?«

»Wen?« fragte Frau von Sauve.

»Den König von Navarra?«

»Nein, Madame, doch ich erwarte ihn, und als sich der Schlüssel drehte, glaubte ich sogar, daß er käme.«

Die Antwort der Frau von Sauve, die entweder vollkommenes Vertrauen oder aber äußerste Verstellung enthalten konnte, bewirkte, daß Katharina unwillkürlich erbebte. Sie ballte ihre fleischige, kurze Hand zusammen.

»Und trotzdem,« sagte sie mit ihrem bösen Lächeln, »trotzdem wußtest du genau, Carlotta, daß der König von Navarra in dieser Nacht nicht kommen würde.«

»Ich, Madame, ich hätte das wissen sollen!« rief Charlotte mit gut gespieltem Erstaunen.

»Ja, du wußtest es!«

»Nur unter der Voraussetzung, daß er tot wäre, könnte ich glauben, daß er nicht erscheinen wird!« rief Charlotte zitternd.

Das Bewußtsein, daß sie im Falle einer Entdeckung ihres kleinen Verrates gleichfalls Rache üben könnte, gab Frau von Sauve den Mut, derart zu lügen.

»Du hast also dem König von Navarra nicht geschrieben, Carlotta mia?« sagte die Königin mit ruhigem, grausamem Lächeln.

»Nein, Madame!« erwiderte Charlotte mit bewundernswerter Harmlosigkeit. »Eure Majestät haben mir das, wie mir scheint, gar nicht anbefohlen.«

Einen Augenblick lang herrschte Stille. Die Königin-Mutter sah Charlotte wie eine Schlange an, die einen Vogel mit ihrem Blick lähmen will.

»Du hältst dich für schön, du hältst dich für geschickt, ist es nicht so?«

»Nein, Madame,« antwortete die junge Frau, »ich weiß nur, daß Eure Majestät manchmal sehr viel Geduld mit mir haben mußten, sobald es sich um meine Geschicklichkeit oder um meine Schönheit handelte.«

»Nun gut!« sagte Katharina lebhafter. »Du hast dich geirrt, wenn du das glaubtest, und ich habe gelogen, wenn ich das sagte, denn neben meiner Tochter Margot bist du nichts anderes, als eine Gans und ein Scheusal!«

»Oh, das ist richtig, Madame, und ich würde gar nie versuchen, es in Abrede zu stellen, namentlich Ihnen gegenüber nicht!«

»Auch zieht der König von Navarra meine Tochter vor, und zwar gegen deinen Willen, wie ich glaube, und ganz gegen unsere Vereinbarung.«

»Ach, leider, Madame!« schluchzte Charlotte mit einer Heftigkeit, die sie sich hätte ersparen können. »Wenn es so ist, so bin ich tief unglücklich!«

»So ist es!« sagte Katharina und sah Frau von Sauve an, als ob sie sie mit ihren Blicken erdolchen wollte.

»Wer kann Ihnen diesen Glauben beibringen?«

»Geh zur Königin von Navarra hinunter, pazza! Und du wirst deinen Liebhaber bei ihr finden!«

»Ach!« stöhnte Frau von Sauve.

Katharina zuckte die Achseln.

»Bist du zufällig sehr eifersüchtig?« fragte die Königin-Mutter.

»Ich?« Charlotte nahm ihre schwindenden Kräfte zusammen.

»Ja, du! Ich wäre neugierig, einmal die Eifersucht einer Französin kennen zu lernen.«

»Wie wollten Eure Majestät, daß ich anders eifersüchtig wäre, als aus Eitelkeit? Ich liebe den König von Navarra nur soweit, als es Eurer Majestät dienlich ist.«

Katharina beobachtete sie eine Weile lang mit nachdenklichen Augen.

»Das was du mir hier sagst, kann alles in allem genommen, wahr sein,« murmelte sie.

»Eure Majestät lesen in meinem Herzen!«

»Ist mir dieses Herz ganz ergeben?«

»Befehlen Sie nur, Madame, und Sie können dann urteilen!«

»Da du dich also meinem Dienste opferst, Carlotta, mußt du, stets in Hochhaltung dieses Dienstes, vom König von Navarra ganz begeistert sein, mußt namentlich eifersüchtig sein wie eine Italienerin.«

»Madame, in welcher Art ist die Italienerin eifersüchtig?«

»Das werde ich dir schon begreiflich machen!« sagte Katharina, bewegte ihren Kopf zwei- oder dreimal auf und nieder und entfernte sich so still und langsam, als sie gekommen war, aus dem Zimmer.

Charlotte war von dem hellen Blick der nach Katzen- oder Pantherart erweiterten Augen der Königin wie verwirrt. Trotz der Erweiterung hatten die Augen nichts an Schärfe verloren. Die junge Frau war wie verloren, konnte kein Wort sprechen und wagte nicht laut zu atmen. Erst als sie hörte, wie sich die Türe schloß und Dariole hereinkam, um zu melden, daß die schreckliche Erscheinung verschwunden sei, seufzte sie tief auf.

»Dariole,« bat sie, »zieh' einen Stuhl an mein Bett heran, laß dich nieder und verbringe die Nacht bei mir. Ich bitte dich darum, denn ich fürchte mich in der Nacht allein zu bleiben.«

Dariole gehorchte. Doch trotz der Anwesenheit der Kammerfrau, trotz des Lampenlichtes, das zur größeren Beruhigung während der ganzen Nacht brennen mußte, schlief Frau von Sauve auch erst bei Tagesanbruch ein, so sehr klang noch der metallische Ton der Stimme Katharinas in ihren Ohren nach.

Unterdessen erwachte Margarete, obwohl sie erst bei Morgengrauen eingeschlafen war, schon beim ersten Ton der Trompeten, beim ersten Gebell der Hunde. Sie stand sofort auf und zog ein Morgenkleid an, das gleichzeitig nachlässig und gleichzeitig auf Wirkung berechnet war. Dann rief sie ihre Frauen und ließ die Edelleute vom Dienst des Königs von Navarra in das Vorzimmer eintreten. Mit dem Schlüssel, der Heinrich von Navarra und La Mole im Nebenzimmer abgesperrt hielt, öffnete sie dessen Tür, wünschte La Mole mit freundlichem Blick einen guten Morgen und rief den König an: »Wohlan, Sire, es genügt nicht allein, meiner Mutter etwas vorzutäuschen, es ist auch notwendig, daß Sie Ihren ganzen Hofstaat davon überzeugen, daß zwischen uns beiden ein gutes Einvernehmen herrscht. Doch beruhigen Sie sich,« fügte sie lächelnd bei, »und mindern Sie den Sinn meiner Worte, die die Umstände fast in aller Form Rechtens gemacht hätten, herab. Denn heute wird es das letzte Mal gewesen sein, daß ich Eure Majestät auf eine so grausame Probe gestellt habe.«

Der König von Navarra schmunzelte und befahl, daß man die Edelleute hereinließe.

In dem Augenblick, als ihn diese begrüßten, tat er so, als ob er es jetzt erst bemerke, daß sein Mantel auf dem Bett der Königin liegen geblieben war. Er entschuldigte sich bei ihnen wegen des Formfehlers und nahm den Mantel aus den Händen der errötenden Margarete entgegen. Dann befestigte er ihn mit einer Spange an der Schulter und befragte die Angekommenen um Neuigkeiten aus der Stadt und vom Hofe.

Margarete bemerkte mit einem Auge das fast unmerkliche Staunen der Edelleute über die Herzlichkeit, die zwischen dem König und der Königin von Navarra entstanden war. Plötzlich trat ein Palastdiener ein, dem mehrere Höflinge folgten, und meldete die Ankunft des Herzogs von Alençon.

Um den Herzog zu diesem Besuch zu veranlassen, hatte Gillonne nichts weiteres zu besorgen gehabt, als ihm die Nächtigung des Königs von Navarra bei seiner Gattin zu Ohren kommen zu lassen.

Franz von Alençon trat so ungestüm ein, daß er die Edelleute, die vor ihm gingen, fast umgestoßen hätte. Sein erster Blick galt Heinrich von Navarra, erst sein zweiter traf Margarete.

Heinrich antwortete mit einem ritterlichen Gruß, Margarete gab ihrem Gesicht den Ausdruck vollkommenster Zufriedenheit.

Mit einem zweiten unsicheren, doch forschenden Blick umfaßte der Herzog das ganze Zimmer. Er sah das Bett und die in Unordnung geratenen Vorhänge, er sah das an das Bettende gedrückte doppelte Kopfkissen, sah den Hut des Königs, den dieser auf einen Stuhl geworfen hatte.

Er erbleichte, gewann aber gleich seine Fassung wieder.

»Mein Bruder Heinrich,« sagte er, »kommen Sie heute morgen zum Ballspiel mit dem König?«

»Gibt mir der König die Ehre, mich zum Spielgenossen zu wünschen,« fragte Heinrich, »oder ist das nur eine Aufmerksamkeit von Ihnen, mein Schwager?«

»Aber nein, der König hat gar nicht davon gesprochen,« erwiderte der Herzog ein wenig verlegen, »doch sind Sie nicht von seiner ständigen Partie?«

Heinrich lächelte, denn es hatte sich seit seinem letzten Spiel mit dem König so Vieles und so Ernstes zugetragen, daß es durchaus nicht verwunderlich gewesen wäre, wenn Karl der Neunte seine Spielpartner gewechselt hätte.

»Ich werde kommen!« sagte Heinrich freundlich.

»So gehen wir,« erwiderte der Herzog.

»Sie begeben sich fort?« fragte Margarete.

»Ja, Schwester!«

»Sie haben es also sehr eilig?«

»Sehr eilig!«

»Wenn ich mir aber noch ein paar Minuten ausbedingen möchte?«

Ein solches Verlangen aus dem Munde Margaretes war so ungewöhnlich und selten, daß ihr Bruder sie, bald erbleichend, bald errötend, anstarrte.

Was sie ihm wohl sagen will? dachte Heinrich, nicht weniger erstaunt als der Herzog von Alençon.

Wie wenn Margarete die Gedanken ihres Gemahls erraten hätte, wendete sie sich zu ihm und sagte: »Mein Herr,« und ihre Worte begleitete ein reizendes Lächeln, »Sie können sich ruhig zum König begeben, wenn es Ihnen gut dünkt, da Ihnen das Geheimnis, das ich meinem Bruder zu eröffnen habe, bereits bekannt ist und weil die Frage, die ich gestern betreffs dieses Geheimnisses gestellt habe, von Eurer Majestät mehr oder minder abgelehnt wurde. Ich möchte doch nicht Eure Majestät zum zweiten Male mit der Äußerung eines Wunsches ermüden, der Eurer Majestät unangenehm zu sein scheint.«

»Um was handelt es sich denn?« fragte der Herzog und sah beide erstaunt an.

»Ah, ah!« rief Heinrich und seine Wangen röteten sich vor Verdruß. »Ich weiß, was Sie sagen wollen, Madame! Wahrhaftig, ich bedauere es, mich nicht größerer Freiheit erfreuen zu können. Doch wenn ich dem Herrn von La Mole schon selbst nicht eine Gastfreundschaft gewähren kann, die ihm alle Sicherheit bietet, so kann ich um so weniger gemäß Ihrer Angaben meinem Bruder Alençon die Person anempfehlen, für die Sie sich erwärmen. Ja, um den soeben betonten Worten mehr Nachdruck zu verleihen, ja, vielleicht wird mein Bruder sogar auf einen Einfall kommen, demzufolge Sie Herrn von La Mole behalten können . . . hier . . . bei sich . . . was immerhin besser wäre, als jede andere Möglichkeit, nicht wahr, Madame?«

»Gut, gut!« sagte sich Margarete. »Beide werden das tun, was nicht der eine und nicht der andere von beiden allein für sich besorgen will!«

Während sie die Tür des Nebenzimmers öffnete, um den verwundeten, jungen Mann eintreten zu lassen, sagte sie zu Heinrich: »Es liegt an Ihnen, mein Herr, meinem Bruder zu erklären, aus welchem Grunde wir uns des Herrn von La Mole annehmen.«

In eine Klemme geraten, erzählte nun Heinrich mit ein paar Worten dem Herzog, wie Herr von La Mole in Paris angekommen. Der eine, halb Katholik aus Klugheit, erzählte dem andern, der aus Widerspruchsgeist halb Protestant war, wie der junge Mann verwundet worden war, als er im Begriff gewesen, ihm einen Brief von Herrn von Auriac zu überbringen.

Als sich der Herzog umsah, trat gerade La Mole aus dem Nebenzimmer und stellte sich aufrecht vor ihm hin.

Abermals fühlte Franz von Alençon ein Gefühl des Ärgers aus dem Grunde seiner Seele aufsteigen, als er den schönen, blassen Jüngling erblickte, der durch sein bleiches Aussehen und durch seine Schönheit doppelt bestechend wirkte. Margarete hielt diesen Ärger für den Ausdruck einer Eifersucht und gereizter Selbstsucht.

»Mein Bruder,« sagte sie dem Herzog, »der junge Mann wird, dafür stehe ich, dem, der ihn zu verwenden weiß, sehr gute Dienste leisten. Wenn Sie ihn in Ihre Dienste nehmen, so wird er in Ihnen einen mächtigen Herrn, Sie in ihm einen ergebenen Diener finden. In unserer Zeit muß man sich mit einem verläßlichen Gefolge umgeben und hauptsächlich dann,« ihre Stimme klang nur ihm verständlich, »wenn man ehrgeizig ist und das Unglück hat, der dritte Sohn der Königsfamilie Frankreichs zu sein.«

Sie legte einen Finger auf den Mund, um damit anzuzeigen, daß sie trotz dieser Eröffnung noch andere wichtige Gedanken über diesen Gegenstand bei sich behielt.

»Und dann,« fügte sie bei, »werden Sie vielleicht, ganz im Gegenteil zu Heinrich, der Ansicht sein, daß es doch nicht schicklich ist, den jungen Mann so nahe bei mir wohnen zu lassen.«

»Meine Schwester,« antwortete der Herzog lebhaft, »wenn es Herrn von La Mole paßt, so kann er in einer halben Stunde in meiner Wohnung untergebracht sein, wo er gewiß keine Gefahr zu befürchten haben wird. Liebt er mich, dann werde auch ich ihn lieben!«

Franz von Alençon log, denn im Grunde seines Herzens haßte er schon jetzt Herrn von La Mole.

»Gut, gut . . . ich hatte mich also doch nicht geirrt,« murmelte Margarete, während sie bemerkte, wie der König von Navarra die Brauen zusammenzog. »Um den einen und den andern auf den richtigen Weg zu bringen, muß man den einen durch den andern lenken lassen, so viel habe ich schon heraus!«

Und ihren Gedanken vervollständigend, sagte sie sich noch: »Recht so, recht so! Margarete! . . . den Beifall würde mir Henriette bei der Gelegenheit sicherlich zollen!«

Eine halbe Stunde später küßte La Mole, von Margarete ernsthaft ins Gebet genommen, den Saum ihres Kleides und begab sich, trotz seiner Verwundung flink genug, zur Stiege, die in die Wohnung des Herzogs von Alençon führte.

Zwei oder drei Tage waren vergangen, und das Einvernehmen zwischen Heinrich und seiner Frau schien sich von Stunde zu Stunde zu bessern. Heinrich hatte es durchgesetzt, seinem Glauben nicht öffentlich abschwören zu müssen, aber er hatte seinen Eid in die Hände des Beichtvaters des Königs abgelegt und wohnte täglich in der Frühe der Messe bei, die im Louvre gelesen wurde. Am Abend ging er offenkundig in die Wohnung seiner Frau, trat durch die große Tür ein, plauderte eine Weile mit ihr und entfernte sich dann durch die kleine geheime Pforte, um sich zu Frau von Sauve zu begeben. Diese hatte es nicht verabsäumt, ihm von dem Besuch der Königin-Mutter zu erzählen und ihn auf die unbestreitbare Gefahr aufmerksam zu machen, die ihn stündlich bedrohte. Von zwei Seiten auf dem Laufenden gehalten, verdoppelte nun Heinrich sein Mißtrauen der Königin-Mutter gegenüber, und das mit umsomehr Berechtigung, als sich das Antlitz Katharinas fast unmerklich aufzuheitern begann. Heinrich wollte sogar an einem Morgen ein Lächeln des Wohlwollens auf ihren matten Lippen aufblühen gesehen haben. An diesem Tage verwendete er seine ganze Sorge darauf, nur Eier zu essen, die er selbst hatte kochen lassen und Wasser zu trinken, das vor seinen Augen aus der Seine geschöpft worden war. Die Schlächtereien wurden fortgesetzt, nichtsdestoweniger näherten sie sich ihrem Ende. Man hatte die Hugenotten so massenhaft hingemordet, daß ihre Zahl erklecklich abgenommen hatte. Die große Hälfte war tot, ein Teil war geflohen, wenige noch hielten sich versteckt.

Von Zeit zu Zeit erhob sich noch in einem oder dem anderen Hause ein großes Geschrei, das war, wenn man einen Verborgenen aufgefunden hatte. Die Hinrichtung erfolgte dann im Hause oder öffentlich, je nachdem ob der Unglückliche in die Enge getrieben worden war oder das Freie hatte erreichen können. Im letzteren Falle herrschte dann immer große Freude in dem Stadtviertel, wo sich das Ereignis abgespielt hatte. Denn statt sich nach Vernichtung ihrer Feinde zu beruhigen, wurden die Katholiken noch immer blutdürstiger. Je weniger von den Feinden übrigblieben, desto eifriger verfolgten sie die unglücklichen Überlebenden.

Karl dem Neunten hatte die Menschenjagd großes Vergnügen bereitet. Als er selbst nicht mehr jagen konnte, freute er sich an dem Lärm, den die Verfolgung der Hugenotten durch andere verursachte.

Eines Tages, als er vom Laufspiel zurückkehrte, das nächst der Jagd und dem Ballspiel sein Lieblingsvergnügen war, trat er, von seinen ständigen Höflingen begleitet, freudestrahlend bei seiner Mutter ein.

»Mutter,« sagte er und umarmte die Florentinerin, »liebe Mutter, gute Nachrichten!«

Katharina hatte die freudige Erregung längst bemerkt und versucht ihren Grund zu erraten.

»Tod und Teufel, wissen Sie das Neueste? Der berühmte Rumpf des Admirals, den man schon verloren geglaubt, hat sich wieder gefunden!«

»Ach so?« sagte Katharina.

»Ja, mein Gott, ja! Nicht wahr, liebe Mutter, Sie glaubten doch wie ich, daß auch die Hunde ihr Hochzeitsmahl gehabt hätten? Nein, das hatten sie nicht. Mein Volk, mein liebes Volk, mein gutes Volk ist auf einen prächtigen Gedanken gekommen: es hat den Admiral an den Galgen von Montfaucon gehängt . . .:

Von hoch herab hat man Gaspard gebracht,
Von unten ihn erhöht schon über Nacht!«

»Nun und?« fragte Katharina.

»Nun denn, liebe Mutter,« fing Karl wieder an, »ich hatte immer die Sehnsucht, den lieben Mann wiederzusehen, seit ich wußte, daß er nicht mehr ist. Es ist heute schön draußen, alles sieht nach Blüte aus, die Luft ist belebend und duftig. Ich fühle mich heute so wohl, wie überhaupt noch nie. Wenn Sie einverstanden sind, liebe Mutter, werden wir zum Montfaucon reiten?«

»Sehr gerne, mein Sohn, wenn ich nicht schon eine Verabredung hätte, der ich folgen muß. Wenn man einen so bedeutenden Mann, wie der Admiral es war, besuchen will, dann muß man allerdings den ganzen Hof zur Teilnahme einladen. Der Besuch wird Beobachtern eine schöne Gelegenheit bieten, vielsagende Wahrnehmungen zu machen. Man wird sehen, wer dazu kommen und wer sich fernhalten wird.«

»Sie haben, meiner Treu, recht, liebe Mutter! Wir verschieben die Sache auf morgen, das wird günstiger sein. Schicken Sie also Ihre Einladungen ab, ich werde die meinigen besorgen . . . oder noch besser, wir laden überhaupt niemand ein. Wir werden nur verbreiten lassen, daß wir dahin reiten. Das heißt demnach: jeder kann machen, was er will! Adieu, liebe Mutter, ich will ein wenig auf meinem Jagdhorn blasen.«

»Sie übernehmen sich zu sehr, Karl! Ambrosius Paré sagt Ihnen das ohne Unterlaß und hat auch ganz recht. Die Übung ist für Sie viel zu anstrengend.«

»Bah, bah, bah!« rief Karl der Neunte. »Wenn ich nur sicher wüßte, daß dies der Grund meines Todes sein wird! In solchem Falle würde ich alle Welt hier noch zu Grabe tragen, selbst Henriot, der uns eines Tages alle noch beerben soll, wie Nostradamus prophezeit.«

Katharina runzelte die Brauen.

»Mein Sohn,« sagte sie, »mißtrauen Sie in allen Dingen, die anscheinend unmöglich sind, warten Sie ab und schonen Sie sich!«

»Nur zwei oder drei Fanfaren, um meinen Hunden eine Freude zu machen, die armen Tiere langweilen sich zu Tod. Ich hätte sie auf die Hugenotten hetzen sollen, das wäre ein Spaß für sie gewesen!«

Karl der Neunte verließ die Wohnung seiner Mutter, ging in seinen Waffensaal und nahm ein Jagdhorn von der Wand. Dann blies er mit solcher Kraft, daß die Töne sogar einem Roland Ehre gemacht hätten. Es war unverständlich, daß ein so schwacher, kränklicher Körper mit seinen blassen Lippen über derartig kräftige Lungen verfügte.

Katharina erwartete, wie sie es auch ihrem Sohn gesagt hatte, tatsächlich jemand. Einen Augenblick später kam eine ihrer Kammerfrauen und sprach mit ihr ganz leise. Die Königin lächelte, erhob sich, grüßte ihren Hofstaat und folgte der Botin.

Der Florentiner René, derselbe, dem der König von Navarra am Abend der Bartholomäusnacht eine so vorsichtige Begrüßung vorbehalten hatte, erschien im Gebetzimmer der Königin-Mutter.

»Ah! Sie sind es, René, ich erwartete Sie schon mit Ungeduld!« sagte Katharina von Medici.

René verbeugte sich.

»Haben Sie gestern meine kurze Nachricht erhalten?«

»Ich hatte die Ehre!«

»Erneuerten Sie meinem Wunsche entsprechend die Probe bezüglich der von Ruggieri gemachten Vorhersagung? Sie stimmt so auffallend mit der Prophezeiung des Nostradamus überein, nach welcher meine drei Söhne alle zur Regierung kommen sollen? . . . Seit einigen Tagen haben sich die Dinge bedeutend geändert, René, und ich glaube an die Möglichkeit, daß unser Schicksal ein weniger bedrohliches Gepräge erhalten wird.«

»Madame,« antwortete René und senkte den Kopf, »Eure Majestät wissen sehr gut, daß nicht die Dinge das Schicksal zu berichtigen imstande sind, sondern daß im Gegenteil das Schicksal den Gang der Dinge beeinflußt und lenkt.«

»Sie haben nichtsdestoweniger die Opferhandlung wiederholt, nicht wahr?«

»Jawohl, Madame,« antwortete René, »Ihnen zu gehorchen, ist meine erste Pflicht!«

»Nun, und der Erfolg?«

»Das Ergebnis ist das gleiche geblieben, Madame!«

»Wie? Das schwarze Lamm hat immer dieselben drei Schreie ausgestoßen?«

»Wie immer, Madame!«

»Das bedeutet dreifachen, gewaltsamen Tod in meiner Familie!« murmelte Katharina vor sich hin.

»Leider!« lispelte René.

»Und hernach?«

»Hernach, Madame, fand sich bei Untersuchung der Eingeweide wieder diese merkwürdig veränderte Lage der Leber vor, die wir schon bei den zwei früheren Fällen feststellen konnten, und die der Grund zu einer sehr widerspruchsvollen Auslegung sein kann.«

»Wechsel des Herrscherhauses! Immer und immer wieder!« empörte sich Katharina. »Trotz allem müssen wir diese Schicksalsbestimmung bekämpfen, René!« René ließ den Kopf hängen.

»Ich sagte es schon Eurer Majestät: das Schicksal lenkt!«

»Das ist unbedingt deine Ansicht?«

»Jawohl, Madame.«

»Erinnerst du dich an die Schicksalsdeutung der Johanna d'Albret?«

»Gewiß, Madame.«

»Sage mir den Spruch noch einmal, ich habe ihn vergessen.«

»Vives honorata,« erklärte René, »morieris reformidata, regina amplificabere.«

»Das soll doch heißen: ›Du wirst in großen Ehren leben!‹; und hierzu hat der armen Frau das Notwendigste gefehlt. ›Gefürchtet wirst du sterben!‹ und wir haben uns nur lustig über sie gemacht. ›Du wirst größer werden, als du es als Königin gewesen bist!‹ und da haben wir es: sie ist gestorben und ihre ganze Größe ruht unter einem Grabstein, auf dem wir bisher sogar ihren Namen einzumeißeln vergessen haben.«

»Madame, Eure Majestät übersetzen das ›vives honorata‹ nicht richtig. Die Königin von Navarra hat tatsächlich in großen Ehren gelebt, denn sie erfreute sich, solange sie lebte, der Liebe ihrer Kinder und der Ehrfurcht ihrer Anhänger. Diese Liebe und Ehrfurcht waren aber umso aufrichtiger, als die Königin arm an andern Gütern war.«

»Gut! Ich gebe diese Auslegung des ›vives honorata‹ zu! Doch das ›morieris reformidata‹, wie erklären Sie das?«

»Wie soll ich das anders erklären? Die Übersetzung ist doch einfach genug: gefürchtet wirst du sterben!«

»Und ist sie wirklich gefürchtet gestorben?«

»So sehr gefürchtet, Madame, daß sie ja nicht tot wäre, wenn Eure Majestät vor ihr nicht Angst gehabt hätten! Und endlich das letzte: ›Als Königin wirst du groß werden oder du wirst noch größer werden, als du es als Königin gewesen bist!‹ Auch das ist richtig, Madame, denn im Austausch mit der vergänglichen Krone, krönt sie vielleicht jetzt als Königin und Märtyrerin die Krone des Himmels, und außerdem: wer weiß, was für eine Zukunft ihrem Geschlechte hier auf Erden noch vorbehalten bleibt!«

Katharina war über alle Maßen abergläubisch. Die Kaltblütigkeit Renés erschreckte sie aber vielleicht noch mehr, als die Beständigkeit der Wahrsager. Da für sie jedoch ein heimtückischer Plan Grund genug war, um einen Gesprächsgegenstand dreist zu überspringen, sagte sie ohne jeden Übergang auf ihre stille Gedankenarbeit ganz plötzlich zu René: »Sind Spezereien aus Italien angekommen?«

»Jawohl, Madame!«

»Sie werden mir ein gefülltes Kästchen übersenden.«

»Mit welchen Duftmitteln gefüllt?«

»Mit den zuletzt angekommenen Mitteln, mit den . . .«

Katharina stockte.

»Mit jenen, welche die Königin von Navarra so besonders liebte?« fragte René.

»Ganz richtig!«

»Es ist wohl nicht nötig, sie eigens zuzubereiten, nicht wahr, Madame? Eure Majestät sind ja gegenwärtig schon so erfahren, als ich selbst.«

»Findest du das?« sagte Katharina. »Die Hauptsache bleibt, daß die Mittel wirksam sind.«

»Eure Majestät haben mir nichts mehr zu sagen?« fragte der Gewürzkrämer.

»Nein, nein,« erwiderte Katharina nachdenklich, »ich glaube wenigstens nicht! Immerhin können Sie mir es sagen lassen, wenn sich bei den Opferhandlungen etwas Neues zeigt. Übrigens lassen wir jetzt einmal die Lämmer und versuchen wir es mit Hühnern.«

»Leider, Madame, ich fürchte, daß ein Wechsel der Opfertiere keinen Wechsel in den Vorhersagungen bringen wird.«

»Tu das, was ich befehle.«

René grüßte und ging.

Katharina blieb noch eine Weile nachdenklich sitzen. Dann erhob sie sich und kehrte in ihr Schlafzimmer zurück. Dort erwarteten sie ihre Kammerfrauen und sie kündigte ihnen für den kommenden Tag die Wallfahrtsreise zum Hügel Montfaucon an.

Dieser beabsichtigte Vergnügungsritt bildete während des ganzen Abends das ausschließliche Palast- und Stadtgespräch. Die Damen ließen sich die geschmackvollsten Kleider vorbereiten, die Herren ihre kostbarsten Waffen und ihre Galapferde. Die Kaufleute schlossen ihre Läden und Warenlager und die Müßiggänger der Straße töteten, bald hier, bald dort, noch einige durch Zufall verschont gebliebene Hugenotten, um dem Leichnam des Admirals noch eine schickliche Beigabe zu schaffen.

Die ganze Abendzeit hindurch und auch während eines guten Teiles der Nacht hörte die lärmende Geschäftigkeit nicht auf. La Mole hatte einen traurigen Tag verbracht und ihm waren noch drei oder vier gleich düstere Tage gefolgt.

Der Herzog von Alençon, dem Wunsche Margaretes gehorchend, hatte La Mole bei sich untergebracht, hatte ihn aber seither mit keinem Auge gesehen. La Mole fühlte sich plötzlich wie ein verlassenes Kind, verlustig der zarten und liebenswürdigen Sorge zweier Frauen. Die Erinnerung an eine drohte ihm Kopf und Herz zu sprengen. Wohl bekam er einige Nachrichten von ihr und zwar durch Ambrosius Paré, den sie ihm geschickt hatte. Doch diese Nachrichten, die ihm ein Mann von fünfzig Jahren übermittelte, ein Mann, der die Anteilnahme La Moles an den geringsten Ereignissen, die Margarete betrafen, nicht ahnte oder nicht ahnen wollte, waren unvollständig und nicht befriedigend. Es ist richtig, daß Gillonne einmal gekommen war, in ihrem eigenen Namen, wohlverstanden, um Neuigkeiten über den Verwundeten zu hören. Dieser Besuch hatte die Wirkung eines Sonnenstrahls in einem Gefängnis, La Mole blieb wie geblendet zurück, erwartete täglich ein zweites Erscheinen, das aber, obwohl schon zwei Tage seit dem ersten vergangen waren, nicht eintrat.

Als dem Genesenden die Mitteilung von der glänzenden Versammlung des ganzen Hofes für den nächsten Tag überbracht wurde, ließ er beim Herzog um die Gnade der Begleitung ansuchen.

Ohne zu überlegen, ob La Mole die Anstrengung werde ertragen können, befahl der Herzog: »Ausgezeichnet! Man gebe ihm eines meiner Pferde!«

Das war alles, was sich La Mole nur wünschen konnte. Wie gewöhnlich kam Meister Ambrosius Paré, um seine Wunden zu verbinden. La Mole machte ihm begreiflich, daß er zu Pferd steigen müßte und bat ihn beim Anlegen der Verbände doppelte Sorgfalt zu verwenden. Beide Wunden hatten sich geschlossen, sowohl die an der Brust, als auch die an der Schulter, nur die letztere schmerzte noch. Beide Verletzungen zeigten auch eine starke Rötung, wie es bei Fleischwunden ordnungsmäßig ist, wenn sie sich im Zustande der Heilung befinden. Paré überdeckte sie mit gummiertem Taft, wie es bei derartigen Fällen in jener Zeit gebräuchlich war. Er versprach La Mole die Haltbarkeit und Zweckmäßigkeit des Verbandes, nur dürfte er bei dem beabsichtigten Ausritt keine allzu heftigen Bewegungen machen.

La Mole schwelgte im Übermaß von Freude. Abgesehen von einer gewissen Schwäche, die durch den Blutverlust erklärlich war und einem kleinen Schwindel, der damit im Zusammenhang stand, fühlte er sich soweit als möglich wohl. Und Margarete würde zweifelsohne an dem Ritt teilnehmen! Er würde sie wiedersehen und, wenn er daran dachte, wie wohl ihm schon der Anblick Gillones getan hatte, so stellte er die viel größere Wirksamkeit der Erscheinung Margaretes in keinen Zweifel.

Der junge Mann verwendete nun einen Teil des Geldes, das er bei seiner Abreise aus der Heimat erhalten hatte, zum Ankauf eines prächtigen Knierockes aus weißem Atlas. Dann kaufte er die reichsten Mantelverzierungen, die ihm ein bekannter und gesuchter Schneider verschaffen konnte. Dieser lieferte ihm auch Stiefel aus wohlriechendem Leder, wie sie in der damaligen Zeit im Schwange waren. Alles wurde ihm am Morgen gebracht, nur eine halbe Stunde später, als er die Sachen bestellt hatte, so daß er nicht viel zanken konnte. Er zog sich schleunigst an, sah in den Spiegel und fand, daß er durchaus anständig gekleidet war, daß er auch gut gekämmt und genügend mit Duftwässern besprengt war, um vollauf befriedigt sein zu können. Dann vergewisserte er sich nach einigen recht schmerzhaften raschen Bewegungen im Zimmer, daß immerhin die seelische Freude die körperlichen Übelstände unterdrücken würde.

Ein kirschroter Mantel nach eigener Erfindung, der entgegen der damaligen Tracht etwas länger zugeschnitten war, kleidete ihn außerordentlich gut.

Während sich solches im Louvre abspielte, vollzog sich im Palast Guise eine Handlung ähnlicher Art. Ein Edelmann von hohem Wuchs und rotem Haar betrachtete im Spiegel den rötlich schimmernden Streifen, der ihm in ärgerlicher Weise das Gesicht entstellte. Er kämmte und salbte seinen Schnurrbart und strich auf das unglückselige Wundmal, das trotz aller gebräuchlicher Hautpflegemittel immer wieder zum Vorschein kam, eine dreifache Lage weißer und roter Schminke auf. Da aber auch diese Handlung nicht genügte, kam ihm folgender Gedanke: eine brennende Sonne, eine Augustsonne sandte ihre Strahlen in den Hof hinab. Diesen Umstand wollte er ausnützen und er stieg gleich in den Hof hinunter, nahm den Hut ab, schloß die Augen und hob die Nase gegen den Himmel. So spazierte er durch zehn Minuten umher und gab sich freiwillig der sengenden Hitze, die so reichlich vom Himmel herabströmte, preis.

Nach Verlauf von zehn Minuten hatte der junge Edelmann infolge eines Sonnenstiches ersten Grades ein so rotleuchtendes Gesicht, daß jetzt die Wunde im Gegensatz zu ihrer Umgebung blaß und gelb erschien. Der junge Mann schien von dieser Art Regenbogen soweit befriedigt, daß er jetzt mit einer Lage Zinnoberrot das Wundmal dem übrigen Gesichtsteil, so gut, als möglich, anpaßte. Dann schlüpfte er in ein prächtiges Bekleidungsstück, das ihm ein Schneider in das Zimmer gelegt hatte, bevor er überhaupt ein solches bestellt hatte.

Aufgeputzt, geziert und vom Scheitel bis zur Sohle bewaffnet, stieg er zum zweiten Male in den Hof hinunter und begann hier einen großen Rapphengst zu streicheln, der von unvergleichlicher Schönheit gewesen wäre, wenn ihn nicht eine große Schramme, ganz ähnlich der Wundnarbe seines Herrn, entstellt hätte. Diese hatte ihm der Säbel eines deutschen Reiters in einem der letzten Straßengefechte beigebracht.

Von diesem Pferde nichtsdestoweniger entzückt, wie auch über sich selbst vollkommen befriedigt, stieg der junge Mann, den der Leser ohne Mühe erkannt haben wird, eine Viertelstunde vor allen anderen in den Sattel. Er ließ im Hofe des Palastes Guise die Hufschläge seines Renners widerhallen und in dem Maß, als er sich Herr über den Gaul fühlte, begleiteten ungezählte und in allen Tonarten hervorgebrachte Flüche wie »verdammt!« das Getrappel. In kurzer Zeit fühlte das vollständig gebändigte Pferd vermöge seiner Geschmeidigkeit und Gehorsamkeit, daß es von einem sattelfesten und verständigen Reiter beherrscht würde. Die Überwindung verschiedener Unstimmigkeiten zwischen Reiter und Pferd war aber nicht ganz ohne Lärm abgegangen, und dieser Lärm (auf ihn hatte der Edelmann vielleicht auch gerechnet) hatte eine Dame veranlaßt, an das Fenster zu treten. Unser Rossebändiger grüßte sie ehrerbietigst und hatte die Freude, seine Verbeugung mit dem reizendsten Lächeln belohnt zu sehen.

Fünf Minuten später ließ die Herzogin von Nevers ihren Haushofmeister kommen.

»Hat man dem Herrn Grafen von Coconas ein entsprechendes Frühstück aufgetragen?« fragte sie.

»Jawohl, Madame!« antwortete der Haushofmeister. »Er hat sogar heute morgen mit viel mehr Appetit gegessen, als es bisher der Fall gewesen.«

»Gut!« sagte die Herzogin.

Dann wendete sie sich zum nächststehenden Kammerherrn: »Herr von Arguzon, wir reiten jetzt zum Louvre. Ich ersuche Sie, den Herrn Grafen Hannibal von Coconas im Auge behalten zu wollen, er ist verwundet und daher noch schwach, ich möchte um alles in der Welt nicht, daß ihm ein Unglück geschähe. Das würde die Hugenotten freuen, die ihm seit jenem Abend des wohlgelungenen Bartholomäustages übelwollen.«

Die Herzogin bestieg ihr Pferd und begann in bester Laune ihren Weg zum Louvre zu nehmen, woselbst sich alles versammeln sollte.

Es war ungefähr zwei Uhr nachmittags, als eine lange Reihe von goldglänzenden, juwelengeschmückten Reitern in prächtiger Kleidung in der Straße Saint-Denis erschien, bei der Ecke des Friedhofes der Unschuldigen vorbeiritt, sich dann aber im Sonnenschein zwischen den dunklen Häuserzeilen wie eine ungeheure, ringelgepanzerte Schlange dahinwälzte.

 


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