Alexander Dumas
Königin Margot. Erster Band
Alexander Dumas

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Das Blutbad

Das Haus des Admirals lag, wie schon erwähnt, in der Straße von Bethizy. Es bestand aus einem mächtigen Gebäude, das im Hintergrund eines Hofes stand, der von zwei bis an die Straße reichenden Flügeln gebildet wurde. Ein großes Tor und zwei kleine Gittertüren gewährten Einlaß in diesen Hof.

Als die drei Anhänger des Herzogs von Guise am äußersten Ende der Straße von Bethizy anlangten, dort wo sie die Fortsetzung der Straße von Fosses-Saint-Germain-l'Auxerrois bildet, bemerkten sie, daß das Gebäude von Schweizern, von Soldaten und von bewaffneten Bürgern umstellt war. In den rechten Händen hielten sie alle Degen, Lanzen oder Hakenbüchsen, in den linken Händen hielten einige Fackeln, die über das ganze Bild ein zwar taghelles, aber düster flackerndes Licht verbreiteten. Die Bewegungen der Fackelträger teilten sich dem Lichtschein mit, der sich bald über das Pflaster ergoß, bald an den Mauern hinaufleckte, bald über das lebende Meer flammte, aus welchem allerhand Waffen aufblitzten. Rings um das Haus herum und in den Straßen Tirechappe, Etienne und Bertin-Poiree bereitete sich das furchtbare Unternehmen vor. Langgezogene Schreie wurden hörbar, das Musketenfeuer prasselte, und von Zeit zu Zeit kamen einige Unglückliche vorüber, zur Hälfte nackt und blutbefleckt. Sie kamen in langen Sätzen, wie gehetztes Damwild, in den Umkreis des düsteren Lichtes, wo sich eine Welt von Dämonen hin und her zu bewegen schien.

Eine Zeitlang gerieten Coconas, Maurevel und La Hurière infolge ihres weit erkennbaren weißen Kreuzes mit lauten Rufen bewillkommt, in das dichteste Gedränge der keuchenden Menge und wurden zusammengedrückt, wie gekoppelte Hunde. Zweifellos wären sie nicht durchgekommen, wenn Maurevel nicht erkannt und darum Platz gemacht worden wäre. Coconas und La Hurière schoben sich hinter ihm durch, und allen dreien gelang es, in den Hof zu schlüpfen.

In der Mitte dieses Hofes, dessen drei Tore eingedrückt waren, stand ein Mann, um den die Mörder ehrfurchtsvoll einen freien Raum gelassen hatten. Er stützte sich auf seinen blanken Degen und richtete seine Blicke auf einen etwa fünfzehn Fuß über der Erde befindlichen Balkon, der vor dem Hauptfenster des Gebäudes angebracht war. Der Mann klopfte ungeduldig mit einem Fuß den Boden und drehte sich von Zeit zu Zeit herum, um die ihm zunächst stehenden Leute zu Rat zu ziehen. »Immer noch nichts . . .!« brummte er. »Niemand . . .! Er wird am Ende benachrichtigt worden sein und ist entflohen. Was glauben Sie, Herr von Gast?«

»Unmöglich, gnädigster Herr.«

»Warum nicht? Haben Sie mir nicht erzählt, daß kurz vor unserer Ankunft ein Mann ohne Hut auf dem Kopf, mit blankem Degen in der Hand und laufend, als ob er verfolgt würde, an das Tor geklopft hat und daß man ihm sofort geöffnet hat?«

»Jawohl, gnädigster Herr, doch fast zur gleichen Zeit ist Herr von Besme angekommen, die Tore wurden eingedrückt und das Haus umringt. Der Mann ist wohl hineingekommen, doch sicherlich ist er nicht mehr heraus.«

»Täusche ich mich etwa,« meinte Coconas zu La Hurière, »oder ist das doch nicht der Herr von Guise, den ich da vor mir sehe?«

»Er selbst ist es, mein Herr. Ja, das ist der große Heinrich von Guise in eigener Person, und er wartet ohne Zweifel darauf, daß der Admiral aus dem Haus kommt, um mit ihm so abzurechnen, wie jener mit seinem Vater abgerechnet hat. Für jeden schlägt einmal eine gute Stunde, mein Herr, und . . . Gott sei Dank! . . . heute schlägt sie für uns!«

»Holla, Besme, holla!« rief der Herzog mit seiner mächtigen Stimme. »Ist denn die Sache noch immer nicht fertig?«

Mit seiner Degenspitze ließ er ungeduldig von den Pflastersteinen die Funken spritzen.

In dem Augenblick vernahm man Geschrei im Hause, dann fielen einige Schüsse, der Lärm von vielen Schritten wurde hörbar und das Gerassel von Waffen. Darauf folgte eine neuerliche Stille.

Der Herzog machte eine Bewegung, als ob er sich in das Haus stürzen wollte.

»Gnädigster Herr!« rief Du Gast und hielt ihn zurück, »Eure Würde verlangt, zu bleiben und zu warten.«

»Du hast recht. Danke, ich werde warten. Tatsächlich sterbe ich aber vor Ungeduld und Unruhe. Ah, wenn er mir entkommen wäre!«

Plötzlich vernahm man den Schall von Schritten . . . die Fenster des ersten Stockwerkes leuchteten auf, als ob ein Brand ausgekommen wäre.

Das Hauptfenster, auf das der Herzog so oft geblickt hatte, öffnete sich, vielmehr es flog mit Lärm auf.

Ein Mann, blaß im Gesicht, mit nacktem Hals und von Blut bespritzt, erschien auf dem Balkon.

»Besme!« schrie der Herzog. »Endlich bist du da, was gibt es?«

»Hier, hier!« antwortete kaltblütig der Deutsche, bückte sich, richtete sich aber gleich wieder auf und schien eine beträchtliche Last emporheben zu wollen.

»Wo sind die andern?« fragte der Herzog ungeduldig. »Die andern?«

»Die andern geben den andern den Rest.«

»Was hast du vollbracht?«

»Ich? . . . werden gleich sehen! Sehen Sie sich ein wenig vor!«

Der Herzog machte einige Schritte zurück.

Jetzt konnte man den Gegenstand erkennen, den Besme mit so großer Anstrengung an sich zog.

Es war die Leiche eines alten Mannes.

Er hob sie über die Brüstung des Erkers, hielt sie einen Augenblick lang in der Luft und warf sie dann hinab, gerade vor die Füße seines Gebieters hin.

Der dumpfe Lärm des schweren Falles, das Blut, das in Strömen aus dem Körper drang und das Pflaster weithin rot färbte, versetzten sogar den Herzog in Schrecken. Dieses Gefühl dauerte aber nicht zu lange, bald überwog die Neugierde, man drängte sich heran, und der Schein einer Fackel fiel flimmernd auf das Opfer.

Man unterschied jetzt einen weißen Bart, ein ehrwürdiges Antlitz und die im Tod erstarrten Hände.

»Der Admiral!« riefen zwanzig Stimmen auf einmal und verstummten wieder sogleich.

»Ja, der Admiral!« murmelte der Herzog, näherte sich dem Leichnam und betrachtete ihn in wortloser Genugtuung.

»Der Admiral, der Admiral!« wiederholten auch halblaut alle Zeugen des furchtbaren Vorfalles, drückten sich scheu aneinander, näherten sich zaghaft der Leiche des hingemordeten großen Greises.

»So haben wir dich jetzt, Gaspard!« sagte der Herzog frohlockend. »Du hast meinen Vater morden lassen, nun habe ich ihn gerächt.«

Er erdreistete sich, seinen Fuß auf die Brust des protestantischen Helden zu setzen.

Wie wenn ein Wunder geschähe, öffnete der schon Totgeglaubte mit Anstrengung noch einmal die Augen, seine verstümmelte blutige Hand krampfte sich zusammen. Unbeweglich, rief er seinem Schänder mit Grabesstimme noch folgende Worte zu: »Heinrich von Guise! Auch du wirst eines Tages den Fuß deines Mörders auf deiner Brust fühlen. Ich habe deinen Vater nicht getötet! Sei verflucht!«

Bleich und zitternd fühlte sich der Herzog von einem eisigen Schauer erfaßt, er legte eine Hand an die Stirne, als ob er eine düstere Ahnung verscheuchen wollte. Als er sie wieder herabfallen ließ, den Admiral wieder zu betrachten wagte, waren dessen Augen schon geschlossen, die Hand war unbeweglich geworden und schwarzes Blut war aus seinem Mund auf den weißen Bart geflossen, aus dem Mund, der eben die furchtbaren Worte gesprochen.

Mit dem Ausdruck verzweifelter Entschlossenheit hob der Herzog seinen Degen in die Höhe.

»Nun, mein Herr,« fragte Besme, »sind zufrieden?«

»Ja, mein Guter, ja,« antwortete Heinrich, »denn du hast gerächt.«

»Den Herzog Franz von Guise, nicht wahr?«

»Die Religion . . .« setzte der Herzog mit tonloser Stimme fort, »und jetzt,« sagte er und wendete sich gegen die Schweizer, »Soldaten und Bürger, die ihr hier den Hof und die Straßen versperrt, an die Arbeit, an die Arbeit!«

»Guten Tag, Herr von Besme!« rief Coconas und näherte sich mit einer Art Bewunderung dem Deutschen, der noch immer auf dem Balkon stand und mit Seelenruhe seinen Degen abwischte.

»Sie sind es also, der ihn befördert hat?« schrie La Hurière begeistert. »Wie haben Sie das angestellt, mein hochgeehrter Herr?«

»Oh, ganz einfach, ganz einfach! Er hat Lärm gehört, er hat Tür aufgemacht, ich habe ihm Degen durch ganzen Körper gestochen. Aber das ist noch nicht alles, ich glaube dieser Teligny . . . ich höre ihn schreien!«

Wirklich waren gerade Angstrufe zu vernehmen, die scheinbar aus dem Mund einer Frau zu kommen schienen. Rötlicher Widerschein leuchtete in einem der zwei Gebäudeflügel auf, dort, wo sich eine offene Galerie befand. Zwei Männer wurden sichtbar, verfolgt von einer Rotte von Menschenschlächtern. Kugelschüsse töteten den einen, der andere fand ein offenes Fenster und ohne die Höhe zu messen, ohne sich über die Feinde zu beunruhigen, die ihn unten erwarteten, sprang er unerschrocken in den Hof hinab.

»Tötet ihn, tötet ihn!« schrien die Mörder, die ihr Opfer entfliehen sahen.

Der Mann erhob sich sofort, griff nach seinem Degen, der ihm im Fall aus der Hand entglitten war, lief die Herumstehenden mit gesenktem Haupt von der Seite an, rannte drei oder vier über den Haufen und stach einen mit dem Degen nieder. Inmitten des Pistolenfeuers, verfolgt von den Verwünschungen der über ihre Fehlschüsse wütenden Soldaten, erschien er plötzlich wie ein Blitz vor Coconas, der ihn, den Dolch in der Hand, vor einem der Tore erwartete.

»Da!« schrie der Piemontese und durchbohrte ihm den Arm mit der feinen und spitzen Klinge.

»Feigling!« gab der Flüchtige zur Antwort und hieb seinem Feind mit der flachen Klinge eins über das Gesicht, weil er nicht Zeit und Raum fand, ihm einen Faustschlag zu versetzen.

»Alle guten Geister!« rief Coconas. »Das ist Herr von La Mole!«

»Herr von La Mole!« schrien gleichzeitig La Hurière und Maurevel.

»Das ist der, der den Admiral gewarnt hat!« riefen einige Soldaten.

»Schlagt ihn tot, nieder mit ihm!« heulte es von allen Seiten.

Coconas, La Hurière und zehn Soldaten machten sich auf, um La Mole zu verfolgen. Blutbedeckt und bis an jenen Grad der Erregtheit gelangt, in welchem noch die letzte Möglichkeit menschlicher Kraftanstrengung liegt, sprang La Mole durch die Straßen und nur der Selbsterhaltungstrieb war sein Führer. Der Lärm und das Geschrei seiner verfolgenden Feinde spornten ihn an und schienen ihm Flügel zu verleihen. Zuweilen pfiff eine Kugel an seinen Ohren vorbei und beschleunigte stets seinen Lauf, wenn die Geschwindigkeit nachzulassen drohte. Es war kein Atem, der sich seiner Brust entrang, kein Schöpfen nach Luft, sondern ein dumpfes Röcheln, ein heiseres Geheul. Blut und Schweiß tropften von seinen Haaren und rannen vermengt über sein Gesicht.

Bald ward ihm das Wams zu eng, zu gepreßt fühlte sich sein klopfendes Herz, er riß sich das Tuch vom Leibe. Bald wurde ihm der Degen zu schwer, er warf ihn weit von sich fort. Manchmal kam es ihm vor, daß die verfolgenden Schritte undeutlicher zu hören wären, daß er seinen Henkern entronnen wäre. Doch auf ihr Schreien und Rufen fanden sich andere Schlächter ein, die ihm näher waren, ihr greuliches Geschäft im Stich ließen und sich der Verfolgung anschlossen. Plötzlich sah er zu seiner Linken den ruhig dahinfließenden Fluß. Da packte ihn die Lust, sich gleich einem totgehetzten Hirsch in die Fluten zu werfen und nur die letzte Kraft der Vernunft hielt ihn davon zurück. Rechts von ihm lag der Louvre, finster, unbeweglich, doch erfüllt von dumpfem und unheimlichem Lärm. Auf der Zugbrücke bewegten sich Helme und Harnische hin und her, in ihnen schimmerte der frostige Glanz des Mondes. La Mole dachte an den König von Navarra, wie er früher an Coligny gedacht hatte, denn die waren seine einzigen Beschützer. Er sammelte noch einmal seine ganze Kraft, blickte gegen den Himmel und machte heimlich das Gelübde, abzuschwören, wenn er dem Blutbad entrinnen würde. Er schlug einen Haken und darob verlor die verfolgende Rotte an die dreißig Schritte Entfernung. Dann lief er geradeaus auf den Louvre zu, sprang auf die Brücke und geriet mit den Soldaten in ein Durcheinander. Hier erhielt er einen neuerlichen Dolchstoß, der ihn an der Seite streifte, doch trotz der Rufe: »Tötet ihn, tötet ihn!«, die hinter ihm und um ihn ausgestoßen wurden, trotz der Angriffsbereitschaft der Wachposten, gelang es ihm wie ein Pfeil in den Hof hineinzufliegen. Er raste in eine Vorhalle, sprang auf eine Treppe und flüchtete zwei Stockwerke hinauf. Endlich erreichte er eine ihm bekannt scheinende Tür, lehnte sich an sie an und begann mit Füßen und Händen an ihren Füllungen zu klopfen.

»Wer ist es?« murmelte eine Frauenstimme.

»Oh, mein Gott, mein Gott!« stammelte La Mole, »sie kommen schon, ich höre sie . . . da sind sie . . . ich sehe sie . . . ich bin es, ich!«

»Wer ist der Ich?« fragte die Stimme.

La Mole erinnerte sich an das Losungswort.

»Navarra! Navarra!« schrie er.

Sofort öffnete sich die Tür. Ohne Gillonne zu beachten, ohne ihr zu danken, stürzte La Mole in ein Vorzimmer, durchlief dann einen Gang, kam durch zwei oder drei Gemächer und landete endlich in einem Zimmer, das von einer Hängelampe erleuchtet war.

Unter einem mit goldenen Lilien verzierten Samtvorhang, in einem geschnitzten Eichenbett, lag eine Frau, halb entblößt, stützte sich auf einen Arm und hielt den schreckerfüllten Blick auf den Eintretenden gerichtet.

La Mole eilte zu ihr hin.

»Madame,« rief er, »man mordet, man erschlägt meine Brüder. Man will auch mich töten, will mich meucheln. Ah! Sie sind die Königin . . . retten Sie mich!«

Er stürzte zu ihren Füßen nieder, eine lange Blutspur auf dem Teppich kennzeichnete seine Schritte.

Angesichts dieses blassen, abgezehrten Mannes zu ihren Füßen, erhob sich die Königin von Navarra rasch von ihrem Lager und während sie ihr Antlitz in den Händen barg, rief sie um Hilfe.

»Madame,« bat La Mole und machte den vergeblichen Versuch sich vom Boden zu erheben, »rufen Sie nicht . . . im Namen des Himmels! Wenn man Sie hört, bin ich verloren! Mörder verfolgen mich . . . schon eilten sie hinter mir die Treppen hinauf . . . ich höre sie . . . sie kommen . . . sie kommen!«

»Zu Hilfe!« rief die Königin außer sich, »zu Hilfe!«

»Ah! Nun töten Sie mich!« klagte La Mole verzweifelt. »Sterben müssen durch eine so schöne Stimme . . . sterben müssen durch eine so schöne Hand . . . ich hätte es nie für möglich gehalten!«

Im nächsten Augenblick wurde die Tür aufgerissen und ein Schwarm keuchender, wütender Männer drang herein. Ihre Gesichter waren pulvergeschwärzt und blutbedeckt, sie trugen Büchsen, Hellebarden und hatten ihre Degen zum Angriff erhoben.

An ihrer Spitze stand Coconas. Mit seinen ruppigen roten Haaren, den blaßblauen, unnatürlich erweiterten Augen, mit der Wange, in deren Fleisch der Degen La Moles eine blutig Furche gezogen, bot der Piemontese, beschmutzt und entstellt, einen furchtbaren Anblick.

»Verdammt!« schrie er. »Da ist er, da liegt er, ah, diesmal haben wir ihn endlich fest!«

La Mole suchte nach einer Waffe und fand keine. Er warf einen Blitz auf die Königin und erkannte in ihrem Antlitz den Ausdruck tiefsten Mitleids. Jetzt begriff er, daß nur sie allein ihn noch retten konnte, wankte auf sie zu und umarmte sie.

Coconas ging drei Schritte vor und stach mit der Spitze seines langen Degens noch einmal in die Schulter seines Gegners hinein. Einige Tropfen hochroten, warmen Blutes benetzten wie ein Tau die weißen, duftenden Linnen der Königin.

Margarete sah das Blut fließen, fühlte das Zittern des Verwundeten, der sich an sie schmiegte und warf sich mit ihm in den schmalen Raum zwischen Bett und Wand. Es war höchste Zeit. La Mole, an das Ende seiner Kräfte gelangt, war bereits unfähig, eine Bewegung zu vollführen, weder um zu fliehen, noch um sich zu verteidigen. Er legte den fahlen Kopf auf die Schulter der jungen Frau, mit gekrümmten Fingern klammerte er sich an sie an und zerriß das feingestickte Linnen, das wie ein wallender Schleier den Körper Margaretes bedeckte.

»Ah! Madame,« hauchte er mit sterbender Stimme, »retten Sie mich!«

Das war alles, was er noch sagen konnte. Die Schatten des Todes begannen seine Augen zu verdunkeln, sein Kopf fiel schwer nach rückwärts, die Arme lösten sich, sein Rücken gab nach und er glitt zu Boden, sank in sein eigenes Blut und zog die Königin mit sich.

In diesem Augenblick streckte Coconas, erregt durch das Geschrei, berauscht durch den Geruch des Blutes, erbittert von der hitzigen Jagd, die er hinter sich hatte, seine Hand gegen die Bettnische der Königin aus. In der kürzesten Zeitspanne mußte der Degen das Herz La Moles durchbohren und vielleicht zu gleicher Zeit das der Königin selbst.

Als sie das blanke Eisen erblickte, früher noch, als sie sich der unverschämten Gewalt gegenübersah, erhob sich die Königstochter in ihrer ganzen Größe und stieß einen Schrei aus, der derart von Schrecken, Empörung und Zorn erfüllt war, daß der Piemontese, von einem plötzlichen, unbekannten Gefühl übermannt, innehielt. Wenn sich dieser Auftritt, beschränkt auf die gleichen handelnden Personen, hätte verlängern lassen, dann ist es allerdings wahrscheinlich, daß dieses Gefühl wie ein Morgenschnee von der Aprilsonne hinweggeschmolzen worden wäre.

Doch auf einmal trat durch eine im Mauerwerk versteckte Tür ein junger Mann von etwa sechzehn bis siebzehn Jahren in das Zimmer ein. Er war schwarz gekleidet, von auffallender Blässe und sein Haar war in Unordnung geraten.

»Warte, liebe Schwester, warte,« schrie er, »hier bin ich!«

»Zu Hilfe, hilf mir!« rief Margarete.

»Der Herzog von Alençon!« brummte La Hurière und ließ die Büchse sinken.

»Verdammt, ein Sohn Frankreichs!« murrte Coconas und trat einen Schritt zurück.

Der Herzog von Alençon warf einen Blick um sich herum. Er sah Margarete, schöner denn je, mit aufgelösten Haaren an der Wand stehen, sah sie umringt von wutblickenden Männern, denen der Schweiß an der Stirne perlte und der Schaum vor dem Munde stand.

»Elende!« rief er aus.

»Retten Sie mich, mein Bruder,« murmelte Margarete, vollständig erschöpft, »sie wollen mich ermorden.«

Die Flamme des Zornes flog über das blasse Gesicht des Herzogs.

Obwohl unbewaffnet, fühlte er sich zweifellos durch seinen Namen geschützt, denn mit geballten Fäusten ging er auf Coconas los. Der Piemontese und seine Genossen wichen, erschreckt durch die Blitze, die dem Herzog aus den Augen sprühten, langsam zurück.

»Werden Sie auf diese Weise auch einen Sohn Frankreichs morden wollen? Versuchen Sie es!«

Dann, als die Horde noch weiter zurückwich, rief er: »He! Herr Kapitän der Leibwache, herbei, herbei! Und daß man mir diese Gauner alle an den Galgen bringt!«

Coconas war durch den Anblick des jungen unbewaffneten Mannes in größeren Schrecken versetzt worden, als ihn eine Kompanie deutscher Reiter oder Landsknechte hätte ängstigen können. Allmählich hatte er den Ausgang des Zimmers erreicht. La Hurière sprang, flüchtig wie ein Hirsch, die Treppen hinunter, die Soldaten stießen ineinander, überstürzten sich in der Eile der Flucht in der Vorhalle und fanden das Tor im Vergleich zur Sehnsucht hinauszugelangen viel zu eng. Während dieser Zeit hatte Margarete unwillkürlich ihre Damastdecke über den bewußtlosen jungen Mann geworfen und hatte sich von ihm entfernt.

Als der letzte Eindringling verschwunden war, kehrte sich der Herzog von Alençon um.

»Liebe Schwester,« rief er, als er bei Margarete Spuren von Blut bemerkte, »wärest du verwundet worden?«

Er ging auf seine Schwester zu mit einer Unruhe, die seiner zärtlichen Liebe alle Ehre gemacht haben würde, wenn man nicht allgemein gefunden hätte, daß diese Zärtlichkeit den Grad einer Bruderliebe bei weitem überschreite.

»Nein,« sagte sie, »ich glaube nicht, und wenn, dann bin ich höchstens nur ganz leicht verwundet.«

»Doch dieses Blut,« meinte der Herzog und dabei lief sein Blick von den zitternden Händen der jungen Frau über ihren ganzen Körper, »dieses Blut, woher kommt es nur?«

»Ich weiß es nicht. Einer von den Elenden hat Hand an mich gelegt, vielleicht war er verwundet.«

»Hand an meine Schwester gelegt!« schrie der Herzog auf. »Oh, wenn du ihn mir nur wenigstens gezeigt hättest, wenn du mir gesagt hättest, welcher es war, wenn ich wüßte, wo er zu finden ist . . .

»Still!« sagte Margarete.

»Warum?«

»Wenn man Sie zu dieser Zeit hier in meinem Zimmer sähe . . .«

»Kann denn ein Bruder nicht seine Schwester besuchen, Margarete?«

Die Königin warf dem Herzog von Alençon einen so starren und dabei so drohenden Blick zu, daß er zurückwich.

»Ja, ja, Margarete, du hast recht,« meinte er, »ich kehre wieder in meine Wohnung zurück. Doch du kannst in der schrecklichen Nacht nicht allein bleiben, soll ich Gillonne rufen?«

»Nein, niemand, Franz, nein! Geh auf demselben Weg zurück, auf dem du gekommen bist.«

Der junge Prinz gehorchte. Gleich nachdem er verschwunden war, hörte Margarete einen leisen Seufzer hinter ihrem Bett. Sie lief auf die geheime Tür zu und verriegelte sie. Desgleichen versperrte sie auch die andere Tür und zwar gerade in dem Augenblick, als eine Rotte der Scharwache und Soldaten in Verfolgung einiger im Louvre wohnhafter Hugenotten wie ein Orkan gegen das andere Ende des Ganges vorübersausten.

Hernach, als sie sich überzeugt hatte, daß sie wirklich allein war, ging sie zur Nische ihres Bettes hin und hob die Damastdecke auf, die den Körper La Moles vor Entdeckung durch den Herzog von Alençon geschützt hatte. Hierauf zog sie mit großer Anstrengung den unbeweglichen Körper in das Zimmer hinein. Als sie aber bemerkte, daß der Unglückliche noch atmete, setzte sie sich zu ihm nieder, lehnte seinen Kopf an ihre Knie und goß ihm kühles Wasser auf den Kopf, um ihn zu Bewußtsein zu bringen.

Jetzt erst, als das Wasser die Staubschicht und das Blut vom Antlitz des Verwundeten entfernte, erkannte Margarete den schönen jungen Edelmann in ihm, der drei oder vier Stunden vorher, lebens- und hoffnungsfroh, um eine Empfehlung beim König von Navarra ersucht hatte. Selbst auch ein wenig tiefsinnig geworden, hatte sie ihn, der von ihrer Schönheit hingerissen war, dann verlassen.

Margarete stieß einen leisen Ruf des Schreckens aus, denn sie fühlte, daß es weniger Mitleid, als schon eine Neigung war, die sie zum Verwundeten hinzog. Der verletzte Edelmann war tatsächlich für sie nicht mehr ein gewöhnlicher Fremder, sondern eine Bekanntschaft. Unter ihrer sorglichen Hand wurde das schöne Antlitz La Moles wieder kenntlicher, doch war es blaß und von den Schmerzen müde. Sie legte in Angst vor dem Tode und selbst auch so bleich, wie der Verunglückte, ihre Hand auf sein Herz, das Herz schlug noch. Dann streckte sie diese Hand nach einem Fläschchen aus, das sich auf einem nahen Tisch befand, und ließ ihn von seinem Inhalt einatmen.

La Mole öffnete die Augen.

»Oh, mein Gott!« stöhnte er. »Wo bin ich?«

»Gerettet! Fassen Sie Mut, gerettet!« sagte Margarete.

La Mole richtete mit Anstrengung seinen Blick auf die Königin, verschlang sie einen Augenblick mit den Augen und stammelte: »O wie schön Sie sind!«

Und wie geblendet senkte er sofort die Lider und seufzte tief auf.

Margarete sah dies mit einem Schreckenslaut, denn der junge Mann war, soweit dies möglich war, noch mehr erblaßt, und sie fürchtete, daß sein Seufzer am Ende der letzte gewesen wäre.

»O mein Gott, mein Gott!« betete sie. »Erbarmen Sie sich seiner.«

Plötzlich wurde heftig an die Tür gepocht, die in den Gang führte.

Margarete richtete sich halb auf und hielt La Mole unter den Schultern fest.

»Wer ist da?« rief sie.

»Madame, Madame, ich bin es, ich!« klang eine Frauenstimme. »Ich, die Herzogin von Nevers.«

»Henriette!« rief Margarete. »Oh, es gibt keine Gefahr, es ist eine Freundin, hören Sie, mein Herr?«

La Mole raffte sich zusammen und erhob sich auf ein Knie.

»Versuchen Sie es, sich aufrecht zu erhalten, während ich die Tür öffne,« sagte die Königin.

Der junge Mann stützte sich mit einer Hand auf der Erde und es gelang ihm, das Gleichgewicht zu erhalten.

Margarete machte einen Schritt gegen die Tür, doch plötzlich blieb sie stehen und zitterte vor Schreck.

»Ah, du bist nicht allein!« rief sie, denn sie hatte Waffenlärm vernommen.

»Nein, ich bin von zwölf Gardesoldaten begleitet, die mir mein Schwager Heinrich von Guise zur Sicherheit mitgegeben.«

»Herr von Guise!« murmelte La Mole. »Oh, der Mörder, der Mörder!«

»Ruhig,« flüsterte Margarete, »kein Wort mehr!«

Sie blickte sich nach allen Seiten um, um ein Versteck für den Verwundeten zu entdecken.

»Einen Degen, einen Dolch!« hauchte La Mole.

»Zur Verteidigung? . . . Ist nutzlos! Haben Sie nicht gehört, ihrer sind zwölf und Sie sind allein.«

»Nicht, um mich zu verteidigen, nur, um nicht lebend in ihre Hände zu fallen.

»Nein, nein,« antwortete Margarete, »ich werde Sie retten, kommen Sie in das kleine Nebenzimmer.«

La Mole machte eine Bewegung, und unterstützt von Margarete gelang es ihm, sich bis in das Nebenzimmer zu schleppen. Margarete versperrte die Tür hinter ihm und verbarg den Schlüssel in ihrer Geldbörse. »Nicht ein Schrei, nicht eine Klage, nicht ein Seufzer,« flüsterte sie ihm durch die Türverkleidung zu, »und dann sind Sie gerettet.«

Sie warf nun einen Nachtmantel um ihre Schultern und öffnete ihrer Freundin, die sich in ihre Arme stürzte.

»Ah,« sagte die Herzogin, »es ist Ihnen also nichts geschehen, nicht wahr, Madame?«

»Nichts!« erwiderte Margarete und hielt den Mantel zu, damit die Blutflecke auf ihrem Überwurf nicht sichtbar würden.

»Umso besser! Doch auf alle Fälle: da mir der Herzog zwölf Mann zur Verfügung gestellt hat, die mich in seinen Palast zurückführen sollen, ich aber eine so große Bedeckung keineswegs brauche, so lasse ich sechs Eurer Majestät zur Bewachung. Sechs Gardesoldaten des Herzogs wiegen heute nacht ein ganzes Garderegiment des Königs auf.«

Margarete durfte nicht ablehnen. Sie brachte die sechs Soldaten im Gang unter und umarmte die Herzogin. Diese erreichte mit den sechs übrigen den Palast des Herzogs von Guise, in welchem sie in Abwesenheit ihres Gemahls zu wohnen pflegte.

 


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