Alexander Dumas
Königin Margot. Erster Band
Alexander Dumas

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Die bezahlte Schuld

Wenn jetzt der Leser wissen möchte, warum Herr von La Mole vom König von Navarra nicht empfangen wurde, warum Herr von Coconas den Herzog von Guise nicht sprechen konnte, warum endlich beide im Gasthof »Zum schönen Sternbild« einen Eierkuchen verzehrten, statt ihren Gaumen im Louvre an Fasanen, Rebhühnern und Rehbraten zu letzen, dann muß er die Güte haben, uns in den alten Palast des Königs zu begleiten und der Königin Margarete von Navarra zu folgen, welche Herr von La Mole aus den Augen verloren, als er die große Galerie betreten hatte.

Während die Königin die Treppe hinabstieg, befand sich der Herzog von Guise, den sie seit ihrer Hochzeitsnacht nicht mehr gesehen hatte, im Zimmer des Königs. Bei dieser Treppe befand sich ein Ausgang. In dem Zimmer, in welchem der Herzog weilte, befand sich eine Tür, die in den gleichen Gang führte, an dessen Mündung jener Treppenausgang lag. Durch diesen Gang aber kam man in die Gemächer der Königin-Mutter, Katharina von Medici.

Katharina von Medici war allein. Sie saß an einem Tisch, stützte einen Ellbogen auf ein halboffenes Gebetbuch und hatte ihr Haupt in die noch immer auffallend schöne Hand gelegt. Die Hautpflegemittel, die ihr der Florentiner René verabreichte, bewirkten die Erhaltung dieser Schönheit, jener René, der am Hofe der Königin-Mutter ein doppeltes Geschäft versah, das eines Würzkrämers und das eines Giftmischers.

Die Witwe Heinrichs des Zweiten war, wie immer seit dem Tode ihres Gemahls, in Trauer gekleidet. Sie war damals eine Frau zwischen zweiundfünfzig und dreiundfünfzig Jahren, die, ihrer noch jugendfrischen Körperfülle wegen, Spuren einstiger Schönheit verriet. Wie ihre Kleidung, so war auch ihre ganze Wohnung dem Witwenstand angepaßt. Alles hatte ein dunkles und finsteres Gepräge: Mauern, Stoffe und Einrichtungsstücke. Nur auf einer Art Thronhimmel, der einen königlichen Polsterstuhl überdeckte, konnte man einen sehr natürlich gemalten Regenbogen sehen, um welchen die griechischen Worte geschrieben waren, die der König Franz der Erste für ihn gewählt hatte: Phos pherei kai aithzen! Licht bringt er und Glanz.

Augenblicklich schlief die Lieblingshündin der Königin-Mutter auf diesen Polstern, ein Windspiel, das sie von ihrem Schwiegersohn, dem König von Navarra zum Geschenk erhalten hatte und das auf den mythologischen Namen Phöbe hörte. Plötzlich, als die Königin-Mutter ganz in einen Gedanken vertieft schien, als ein leises und zaghaftes Lächeln ihre karminrot gefärbten Lippen aufblühen ließ, öffnete sich eine Tür, ein Mann mit blassem Gesicht hob den Vorhang empor und sagte: »Alles geht schlecht!«

Katharina hob den Kopf und erkannte den Herzog von Guise. »Wieso geht alles schlecht?« antwortete sie. »Was wollen Sie damit sagen, Heinrich?«

»Der König hat mehr denn je an den verfluchten Hugenotten einen Narren gefressen, auf seine Erlaubnis für unsere große Unternehmung können wir noch lange warten, vielleicht auf immer!«

»Was ist denn geschehen?« fragte Katharina. Ihr Gesicht, das, wenn sich die Gelegenheit ergab, den Ausdruck stärkster Widersetzlichkeit annehmen konnte, blieb diesmal so harmlos und unverändert, wie gewöhnlich.

»Nichts, als daß ich bereits zum zwanzigstenmal bei Seiner Majestät die Frage angeschnitten habe, ob man sich den Trotz und Hohn der Herren der anderen Religion noch länger bieten lassen solle. Seit ihr Admiral verwundet wurde, übersteigt die Frechheit schon alle Grenzen.«

»Und was hat Ihnen mein Sohn geantwortet?«

»Die Antwort war: ›Herr Herzog, Sie müssen vom Volk verdächtigt werden, den Mordversuch an meinem zweiten Vater, dem Herrn Admiral, bestellt zu haben? Verteidigen Sie sich, wie es Ihnen beliebt. Ich werde mich schon zu verteidigen wissen, wenn man mich verhöhnt . . .‹ Nach diesen Worten kehrte er mir den Rücken, um seinen Hunden das Fressen vorzuwerfen!«

»Sie haben nicht versucht, ihn zurückzuhalten?«

»Gewiß! Doch er hat mir mit jener Stimme, die Sie an ihm kennen und mit jenem Blick, über den nur er allein verfügt, folgendes zur Antwort gegeben: ›Herr Herzog, meine Hunde haben Hunger und sie sind keine Menschen, die ich warten lassen kann!‹ . . . Davon wollte ich Sie benachrichtigen.«

»Das war recht von Ihnen,« sagte die Königin-Mutter.

»Was soll man jetzt beschließen?«

»Einen letzten Versuch zu wagen!«

»Wer wird das tun?«

»Ich! . . . Ist der König allein?«

»Nein, es ist Herr von Tavannes bei ihm.«

»Warten Sie hier auf mich . . . oder besser: folgen Sie mir in einer gewissen Entfernung.«

Katharina erhob sich alsbald und ging in das Zimmer, wo sich die Lieblinge des Königs, die Windhunde, auf türkischen Teppichen und Samtkissen lagerten. Auf Querstangen an der Mauer saßen zwei oder drei besonders ausgesuchte Falken und ein kleiner Würger, mit welchem Karl der Neunte im Garten des Louvre und in den Gärten der Tuilerien, die damals gebaut wurden, auf kleine Vögel zu beizen pflegte.

Während ihres Weges hatte sich die Königin-Mutter ein blasses und ängstliches Gesicht zurechtgelegt und brachte sogar eine letzte oder vielmehr eine erste Träne auf.

Geräuschlos näherte sie sich Karl dem Neunten, der gerade seinen Hunden gleichgroß geschnittene Kuchenstücke vorwarf.

»Mein Sohn!« hauchte Katharina, und die Erregung war so gut gespielt, daß der König erschrak.

Er wendete sich lebhaft um.

»Was fehlt Ihnen, Madame?«

»Die Erlaubnis, mein Sohn, daß ich mich in eines Ihrer Schlösser zurückziehen darf. Dessen Wahl ist mir gleichgültig, wenn es nur recht weit von Paris entfernt ist!«

»Warum denn das?« Karl der Neunte richtete seine glasigen Augen, die unter Umständen so durchdringend blicken konnten, erstaunt auf die Mutter.

»Weil ich täglich neuen Beschimpfungen durch die Protestanten ausgesetzt bin, weil ich heute sogar gehört habe, wie die Reformierten Sie selbst im Louvre bedrohen, und weil ich keine Lust mehr habe, Zeuge solcher Gemeinheiten zu sein.«

»Ja, aber schließlich hat man ihnen ihren Admiral töten wollen,« sagte Karl mit dem Ausdruck vollen Verständnisses, »ein elender Mörder hat den armen Menschen schon den tapferen Mouy getötet. Leben und Tod! Liebe Mutter . . . in einem Königreich muß es doch Gerechtigkeit geben!«

»Über den Punkt können Sie vollkommen beruhigt sein, die Gerechtigkeit wird diesen Leuten nicht mangeln! Wenn Sie sie ihnen verweigern, werden sie sich diese auf ihre eigene Art zu finden wissen; heute kommt eben Herr von Guise daran, morgen vielleicht ich und später kommen Sie selbst an die Reihe!«

»Oh, Madame!« rief Karl und ließ in seiner Stimme den ersten Zweifel hören. »Können Sie so etwas glauben?«

»Eh! mein Sohn,« antwortete Katharina und überließ sich nun ganz ihrer heftigen Stimmung, »wissen Sie denn nicht, daß es sich hier gar nicht mehr um den Tod des Herzogs Franz von Guise oder des Herrn Admirals handelt, ebenso nicht um die protestantische oder katholische Religion, sondern ganz einfach um den Ersatz des Sohnes Heinrichs des Zweiten durch den Sohn Antons von Bourbon?«

»Sachte, sachte, liebe Mutter, Sie fallen wieder in Ihre gewohnten Übertreibungen zurück!« sagte der König.

»Wie denken denn Sie darüber, mein Sohn?«

»Geduld werde ich haben, Geduld und wieder Geduld! Die ganze menschliche Weisheit liegt in diesem einen Worte. Der größte, der stärkste und der geschickteste Mensch wird immer der sein, der Geduld zu wahren weiß.«

»So gedulden Sie sich denn! . . . Ich bin mit meiner Geduld zu Ende!«

Nach diesen Worten verneigte sich Katharina und näherte sich der Tür, um sich wieder in ihre Gemächer zurückzubegeben. Doch der König hielt sie zurück.

»Was also tun, liebe Mutter?« sagte er. »Denn ich bin vor allem anderen gerecht und möchte, daß jeder mit mir zufrieden ist.«

Katharina näherte sich wieder.

»Kommen Sie, Herr Graf,« sagte sie zu Tavannes, der gerade mit dem Würger des Königs schöntat, »kommen Sie und sagen Sie dem König, was nach Ihrer Meinung geschehen soll.«

»Erlauben es Eure Majestät?«

»Sprich, Tavannes, sprich!«

»Was machen Eure Majestät auf der Jagd, wenn der Keiler Eure Majestät anläuft?«

»Teufel! Ich erwarte ihn festen Fußes,« rief Karl der Neunte, »und dann treibe ich ihm die Saufeder in den Hals!«

»Einzig darum, damit er Ihnen keinen Schaden antut,« warf Katharina ein.

»Und auch um mich zu unterhalten,« sagte der König mit einem Seufzer, der einen bis zur Wildheit steigerungsfähigen Mut verriet, »doch werde ich mich nicht damit unterhalten, meine Untertanen zu töten, und die Hugenotten sind genauso meine Untertanen als die Katholiken.«

»Dann, Sire,« erklärte die Königin-Mutter, »werden sich Ihre Untertanen, die Hugenotten, ebenso benehmen, wie ein Keiler, den man nicht unschädlich macht, sie werden Ihnen den Thron entreißen!«

»Ach was! Glauben Sie das wirklich, Madame?« sagte Karl in einem Tone, der wenig Zutrauen für die Vorhersagungen seiner Mutter verriet.

»Haben Sie denn heute nicht Herrn von Mouy und seine Getreuen gesehen?«

»Freilich, da ich sie doch selbst verabschiedet habe. Seine Forderung war jedoch ganz gerechtfertigt: er hat mich um das Todesurteil über den Mörder seines Vaters und des Admirals gebeten! Haben wir auch nicht Herrn von Montgommery gestraft, der meinen Vater, Euren Gemahl, tötete, obwohl dieser Tod bloß auf einen unglücklichen Zufall zurückzuführen war?«

»Das ist alles richtig,« sagte Katharina verletzt, »reden wir nicht weiter darüber! Eure Majestät sind unter dem Schutze Gottes, Gott wird Eure Majestät mit Kraft, Weisheit und Vertrauen begnaden. Ich aber, arme Frau, von Gott zweifellos ihrer Sünden wegen verlassen, ich lebe in Furcht und ich weiche.«

Auf diese Worte hin verneigte sich Katharina zum zweitenmal und ging zur Tür. Dem Herzog von Guise, der mittlerweile eingetreten war, machte sie das Zeichen zu bleiben, um noch einen letzten Überredungsversuch zu wagen.

Karl der Neunte verfolgte die Mutter mit seinen Blicken, doch er rief sie diesmal nicht zurück. Er begann eine Jagdweise zu pfeifen und liebkoste seine Hunde.

Plötzlich unterbrach er seine Beschäftigung.

»Meine Mutter ist wahrhaft von königlichem Geist beseelt,« meinte er, »sie hat nie die geringsten Zweifel. Doch vorsätzlich einige Dutzend Hugenotten zu töten, weil sie Gerechtigkeit verlangen, ist das nicht nach allem ihr Recht?«

»Einige Dutzend!« murmelte der Herzog von Guise.

»Ah! Sie auch hier, Herr Herzog?« fragte der König und tut so, als ob er ihn jetzt erst sähe. »Jawohl, einige Dutzend! Ein hübscher Verlust. Ah, wenn jemand käme und mir sagte: ›Sire, Sie werden alle Ihre Feinde mit einem Male loswerden und keiner, der Ihnen den Tod der anderen vorwerfen könnte, wird übrig bleiben . . .‹ ah! dann würde ich nichts einzuwenden haben . . .«

»Nun also, Sire?«

Der König unterbrach dieses Gespräch.

»Tavannes, Sie ermüden Margot, setzen Sie den Vogel wieder auf seine Stange. Daß ich ihm den Namen meiner Schwester der Königin von Navarra gegeben habe, ist noch lange kein Grund, daß alle Welt mit ihm liebelt!«

Tavannes ließ den Würger auf eine Stange hüpfen und unterhielt sich jetzt damit, die Behänge eines Windhundes ein- und aufzurollen.

»Doch, Sire,« fing der Herzog wieder an, »wenn einer sagen würde: ›Eure Majestät werden morgen von allen Feinden befreit sein‹?«

»Und welcher Heilige soll so ein Wunder vermitteln?«

»Sire, wir schreiben heute den 24. August . . . das Wunder würde also mit Beistand des heiligen Bartholomäus vollbracht werden!«

»Ein schöner Heiliger, der sich bei lebendigem Leib schinden ließ!«

»Umso besser! Je mehr er gelitten, desto mehr wird er seinen Peinigern grollen.«

»Sind es Sie, mein Herr Vetter,« scherzte der König, »sind es Sie, der mit seinem netten kleinen Degen mit dem goldenen Griff von heute auf morgen zehntausend Hugenotten ins bessere Jenseits befördern wird? Ah, ah! Tod und Teufel! Sie sind possierlich, Herr von Guise!«

Der König brach in ein Gelächter aus, sein Lachen war aber so falsch, daß es im Zimmer nur kläglichen Widerhall fand. »Sire, noch ein Wort, ein einziges!« sagte der Herzog, den dies unmenschliche Gelächter seltsam erregt hatte. »Ein Zeichen von Ihnen, und alles wird bereit sein! Ich verfüge über die Schweizer, über elfhundert Edelleute, über die berittene Leibgarde und über alle katholischen Bürger. Eure Majestät haben die eigenen Leibwachen, viele Freunde und den ganzen katholischen Adel . . . wir sind zwanzig gegen einen!«

»Schön! Wenn Sie so stark sind, Herr Vetter, warum, Teufel, liegen Sie mir mit der Geschichte immerfort in den Ohren? Handeln Sie ohne mich, handeln Sie!«

Und der König wandte sich wieder seinen Hunden zu.

Der Türvorhang hob sich in die Höhe, die Königin-Mutter erschien zum zweiten Male.

»Alles geht gut,« flüsterte sie dem Herzog zu, »dringen Sie weiter in ihn, er wird nachgeben!«

Der Vorhang fiel wieder zurück, ohne daß Karl der Neunte seine Mutter bemerkt hatte oder hatte bemerken wollen.

»Trotzdem,« bemerkte der Herzog von Guise, »muß ich wissen, ob ich und meine Unternehmung die Genehmigung Eurer Majestät finden werden?«

»Wahrhaftig, Vetter Heinrich, Sie setzen mir das Messer an die Kehle, doch ich bleibe standhaft . . . Himmel und Hölle! Bin ich denn nicht der König?«

»Nein, noch nicht, Sire. Wenn Sie es wollen, werden Sie es aber morgen sein!«

»Da höre einer einmal!« rief Karl der Neunte. »Man würde also auch den König von Navarra töten, den Prinzen von Condé . . . in meinem Louvre!«

Dann fügte er kaum verständlich hinzu: »Wenn das wenigstens draußen geschähe, würde ich nichts sagen . . .«

»Sire,« rief der Herzog, »Sie gehen heute abend aus, um mit dem Herzog von Alençon, Ihrem Bruder, Vergnügungen nachzujagen.«

»Tavannes,« unterbrach der König mit vorzüglich gespielter Ungeduld den Herzog, »sehen Sie denn nicht, daß Sie meinen Hund quälen? Hierher, Actäon, hierher!«

Und plötzlich ging der König aus dem Zimmer, ohne über die Angelegenheit noch mehr vernehmen zu wollen, und ließ, Herrn von Tavannes und den Herzog von Guise so unentschieden zurück, als sie vorher waren. –

Während dieser Zeit spielte sich bei Katharina von Medici eine Begebenheit von ganz anderer Art ab. Diese war, nachdem sie dem Herzog von Guise den Rat erteilt hatte, durchzuhalten, in ihre Wohnung zurückgekehrt. Dort hatten sich alle jene Personen eingefunden, welche dem Zubettgehen der Königin-Mutter beizuwohnen pflegten.

Bei ihrer Rückkehr sah Katharina in demselben Maße freundlich und froh aus, als sie vorher, bei ihrem Abgange, verdrießlich gewesen war. Allmählich entließ sie mit vollendeter Artigkeit ihre Frauen und Höflinge. Bald blieb nur ihre Tochter Margarete bei ihr zurück, saß bei einem der offenen Fenster und blickte gedankenvoll zum Sternenhimmel hinauf.

Als sie sich mit der Königin von Navarra allein sah, öffnete Katharina ein- oder zweimal den Mund, um zu sprechen, doch jedesmal unterdrückte ein finsterer Gedanke die Worte, die ihr auf den Lippen lagen.

Unterdessen hob sich der Türvorhang, und Heinrich von Navarra erschien auf der Schwelle.

Die kleine Windhündin, die auf dem Thronsessel geschlafen hatte, sprang auf und lief auf ihn zu.

»Sie hier, mein Sohn?« fragte Katharina unruhig. »Essen Sie denn im Louvre zu Abend?«

»Nein, Madame, wir durchstöbern heute abend die Stadt, der Herzog von Alençon, der Prinz von Condé und ich,« entgegnete Heinrich. »Ich glaubte fast, daß sie Ihnen hier ihre Aufwartung machten.«

Katharina lächelte.

»Ach, gehen Sie, meine Herrn! . . . Die Männer werden gerade glücklich sein, sich hier drängen zu dürfen . . . ist es nicht so, meine Tochter?«

»Das ist wahr,« meinte Margarete; »es gibt ja nichts Besseres und Süßeres auf der Welt, als frei zu sein!«

»Soll das heißen, daß ich Ihre Freiheit behindere, Madame?« fragte Heinrich und verneigte sich vor seiner Frau.

»Nein, nicht mich bedaure ich, sondern nur die Lage der Frauen im allgemeinen.«

»Sie wollen vielleicht heute den Herrn Admiral besuchen, mein Sohn?« erkundigte sich die Königin-Mutter.

»Ja, möglicherweise!«

»Tun Sie das nur, das wird ein gutes Beispiel sein, und morgen bringen Sie mir Nachrichten über ihn.«

»Soll geschehen, Madame, da Sie diesen Gang gutheißen.«

»Ich will gar nichts gutgeheißen haben . . . Doch wer ist da bei der Tür? . . . Schicken Sie ihn fort, sogleich!«

Heinrich ging auf die Tür zu, um dem Wunsch der Königin-Mutter nachzukommen, doch im gleichen Augenblick hob sich der Wandteppich und Frau von Sauve steckte ihren blonden Kopf herein.

»Madame,« meldete sie, »René, der Würzkrämer, ist da, wie es Eure Majestät befohlen haben.«

Katharina warf einen blitzschnellen Blick auf Heinrich von Navarra.

Der junge Prinz errötete zuerst, dann bedeckte aber eine erschreckende Blässe sein Antlitz. Man hatte den Mörder seiner Mutter mit Namen genannt! Er fühlte, daß sein Gesicht die innere Erregung verraten mußte, er ging an ein Fenster und lehnte sich an dessen Brüstung.

Die kleine Windhündin winselte.

Zwei Personen traten ein, die angekündigte und eine, die sich nicht anzumelden lassen brauchte.

Die erste war René, der sich Katharina mit der unterwürfigen Höflichkeit eines florentinischen Dieners näherte. Er öffnete eine Schachtel, und man konnte bemerken, daß alle ihre Fächer mit verschiedenen Pulvern und Fläschchen angefüllt waren.

Die zweite Person war die ältere Schwester Margaretes, die Herzogin von Lothringen. Sie war durch eine heimliche Tür eingetreten, die zu den Zimmern des Königs führte. Blaß und zitternd, in der Erwartung, daß die Königin-Mutter sie gar nicht bemerkt hätte, setzte sie sich neben Margarete hin. Katharina besichtigte mit Frau von Sauve den Inhalt der Schachtel, die René mitgebracht hatte. Heinrich von Navarra stand aufrecht neben seiner Frau und hielt die Hand an die Stirne, als ob er sich von einem plötzlichen Schwindelanfall erholen wollte.

Im nächsten Augenblick kehrte sich Katharina um.

»Liebe Tochter,« sagte sie zu Margarete, »es ist Zeit, sich zurückzuziehen. Mein Sohn, gehen Sie nun in die Stadt, um sich zu unterhalten.«

Margarete erhob sich und Heinrich vollführte eine halbe Wendung. Die Herzogin von Lothringen faßte die Hand ihrer Schwester.

»Liebe Schwester,« flüsterte sie hastig, »im Namen des Herzogs von Guise, der Sie rettet, wie Sie ihn einst gerettet haben, entfernen Sie sich nicht von hier, begeben Sie sich nicht in Ihre Wohnung!«

»Was gibt es? Was sagten Sie, Claude?« fragte Katharina und wandte sich um.

»Nichts, meine Mutter.«

»Sie haben doch eben ganz leise mit Margarete gesprochen?«

»Nur um ihr einen guten Abend zu wünschen und ihr viele Grüße von der Herzogin von Nevers auszurichten.«

»Wo ist denn jetzt die schöne Herzogin?«

»Bei ihrem Schwager, dem Herzog von Guise.«

Katharina betrachtete die beiden Frauen mit mißtrauischen Blicken und runzelte die Brauen.

»Kommen Sie hierher, Claude!« rief sie.

Die Tochter folgte und Katharina ergriff ihre Hand.

»Was haben Sie ihr zugeflüstert? . . . Wie plauderhaft sind Sie!« murmelte sie und preßte das Handgelenk ihrer Tochter, daß sie hätte schreien mögen.

»Madame,« sagte Heinrich zu seiner Frau, ohne etwas vernommen zu haben, »würden Sie mir die Ehre schenken, Ihre Hand küssen zu dürfen?«

Aus dem Gebärdenspiel der drei Frauen hatte er einiges zu erraten geglaubt, und als Margarete ihm ihre zitternde Hand gab, beugte er sich, um seine Lippen der Hand zu nähern, sehr tief nieder.

»Was hat Ihnen Ihre Schwester gesagt?« flüsterte er ganz leise.

»Daß ich mich nicht entfernen soll. Um Himmelswillen, entfernen Sie sich ebenfalls nicht!«

Das war nur wie ein Blitz, doch aus dem Schein dieses Blitzes, so kurz und plötzlich er auch war, erriet Heinrich eine ganze Verschwörung.

»Das ist noch nicht alles! Hier ist ein Brief, den ein provenzalischer Edelmann abgegeben hat.«

»Herr von La Mole?«

»Ja.«

»Danke,« sagte er, nahm den Brief und schob ihn in sein Wams. Indem er dann bei der bestürzten Frau vorbeiging, legte er seine Hand auf die Schulter des Florentiners.

»Nun, Meister René,« begann er, »wie geht denn das Geschäft?«

»Aber recht gut, mein gnädigster Herr, recht gut!« antwortete der Giftmischer mit seinem hinterlistigen Lächeln.

»Das glaube ich gern, wenn man wie Sie ein Händler für alle gekrönten Häupter Frankreichs und des Auslandes ist!«

»Mit Ausnahme des Königs von Navarra,« erwiderte der Florentiner unverschämt.

»Alle Wetter! Meister René! Sie haben recht, ich bin nicht Ihr Kunde, trotzdem meine arme Mutter Sie mir noch auf dem Totenbett anempfohlen hat. Kommen Sie mich morgen oder übermorgen in meiner Wohnung besuchen und bringen Sie Ihre besten Erzeugnisse in Duftwässern und Salben mit!«

»Das wird gar nicht so ohne sein,« sagte Katharina lächelnd, »denn man sagt . . .«

»Daß ich einen feinen Achselgeruch habe,« fiel Heinrich lachend ein. »Wer hat Ihnen denn das erzählt, liebe Mutter, am Ende Margot?«

»Nein, mein Sohn,« sagte Katharina, »es war Frau von Sauve.«

Da begann plötzlich die Herzogin von Lothringen, die sich trotz aller Anstrengungen nicht mehr zurückhalten konnte, laut zu schluchzen.

Heinrich von Navarra drehte sich nicht einmal um.

»Liebste Schwester,« rief Margarete und lief auf sie zu, »was fehlt Ihnen denn?«

»Gar nichts,« erklärte Katharina und trat zwischen die zwei jungen Frauen, »gar nichts. Sie hat nur diese nervösen Unruhen, die ihr Mazille mit gewissen Gewürzen zu heilen anempfohlen hat.«

Nach diesen Worten drückte sie den Arm ihrer älteren Tochter noch fester und wandte sich streng an die jüngere: »Nun, Margot, haben Sie nicht gehört, daß ich Sie ersucht habe, sich in Ihre Wohnung zurückzuziehen? Wenn das nicht genügt haben sollte, so befehle ich es Ihnen.«

»Verzeihung,« sagte Margarete bleich und zitternd, »ich wünsche Eurer Majestät eine gute Nacht.«

»Und ich hoffe, daß sich dieser Wunsch erfüllen wird. Guten Abend, guten Abend!«

Wankend entfernte sich Margarete und versuchte noch vergeblich einen Blick ihres Gemahls zu erhaschen. Der sah sich aber gar nicht nach ihr um.

Einen Augenblick lang herrschte Stille im Zimmer. Die Königin-Mutter betrachtete die Herzogin von Lothringen, die stumm und mit gefalteten Händen vor ihr stand, mit starren Blicken.

Heinrich von Navarra kehrte ihnen den Rücken, doch während er sich, anscheinend sehr beschäftigt, den Schnurrbart mit einer Salbe Renés strich, beobachtete er die zwei Frauen in einem Spiegel.

»Und Sie, Heinrich, werden Sie nicht ausgehen?« fragte plötzlich Katharina.

»Ja, natürlich!« rief der König von Navarra. »Ich hätte jetzt wahrhaftig ganz vergessen, daß mich ja der Herzog von Alençon und der Prinz von Condè erwarten! Das sind die vorzüglichen Spezereien Renés, die mich ganz eingenommen haben, ich habe meine Gedanken darüber verloren . . . Auf Wiedersehen, Madame!«

»Auf Wiedersehen! Morgen werden Sie mir also Neuigkeiten über den Admiral bringen, nicht wahr?«

»Ich werde nicht ermangeln, es zu tun! Na, Phöbe, was gibt es denn?«

»Phöbe!« rief die Königin-Mutter mit sichtlicher Ungeduld.

»Rufen Sie nur Ihren Hund, Madame,« sagte der Bearner, »er will mich ja nicht hinauslassen.«

Katharina erhob sich, erfaßte die kleine Hündin beim Halsband und hielt sie zurück. Heinrich aber entfernte sich lächelnd und so ruhig, als ob er nicht im Grunde seines Herzens die Todesgefahr ahnte, der er entgegenging.

Die kleine Hündin, nunmehr von Katharina freigelassen, wollte ihm nachlaufen, doch die Tür war bereits geschlossen und so steckte sie nur ihre Nase hinter den Vorhang und heulte gottsjämmerlich.

»Und nun, Charlotte,« sagte Katharina zu Frau von Sauve, »hole mir den Herzog von Guise und Herrn von Tavannes, die beide in meinem Betzimmer warten. Komm gleich mit ihnen zurück, denn du mußt ja der Herzogin von Lothringen Gesellschaft leisten. Hat sie ja doch wieder einmal ihre hysterischen Launen!«

 


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