Alexander Dumas
Königin Margot. Erster Band
Alexander Dumas

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Eine Feindesleiche hat keinen üblen Geruch

Keine Veranstaltung, so glänzend sie auch wäre, könnte einen Begriff von dem Schaugepränge, das sich an diesem Tage abspielte, geben. Die farbenreiche, üppige und auffallende Kleidung, wie sie Franz der Erste seinen Nachkommen als prunkvolle Tracht hinterlassen, war damals noch nicht der knappen und düsteren Bekleidung gewichen, die später unter Heinrich dem Dritten zur guten Sitte gehörte. Die Tracht unter Karl dem Neunten, die vielleicht weniger reich, jedoch gefälliger war, als die Bekleidung früherer Zeitläufte, stach besonders durch ihre geschmackvolle Übereinstimmung hervor. In unseren Tagen hält ein Aufzug aus ähnlichen Gründen einen Vergleich mit jener Prachtentfaltung nicht aus. Denn wir sind bei unseren Festzügen in jeder Beziehung auf Gleichmaß und Gleichförmigkeit beschränkt.

Pagen, Schildknappen, Edelleute niederen Ranges, Pferde und Hunde begleiteten den Zug seitlich und rückwärts und umgaben das Gefolge des Königs wie eine Armee. Dahinter kam erst das Volk, oder besser gesagt, das Volk befand sich eigentlich überall.

Das Volk folgte, begleitete und schritt voran. Freudenrufe ertönten und auch Zetergeschrei, denn man bemerkte im Gefolge einige spottsüchtige Kalvinisten, und das Volk ist bekanntlich sehr rachsüchtig.

Am Morgen hatte Karl der Neunte in Gegenwart Katharinas und des Herzogs von Guise zu Heinrich von Navarra von dem Besuch des Galgens in Montfaucon gesprochen. Er behandelte diese Angelegenheit wie etwas Selbstverständliches und als ob sie nicht den Zweck hätte, den verstümmelten und aufgehängten Leichnam des Admirals zu besichtigen. Der erste Gedanke gab Heinrich ein, sich von der Teilnahme an diesem Besuch fernzuhalten. Das hatte Katharina erwartet. Bei den ersten ablehnenden Worten wechselte sie mit dem Herzog von Guise einen schnellen Blick und lächelte. Heinrich hatte jedoch beides bemerkt, hatte verstanden, nahm sich plötzlich zusammen und meinte: »Doch eigentlich, . . . warum sollte ich nicht auch hingehen? Ich bin Katholik und bin das meiner neuen Religion schuldig!«

Dann wandte er sich an Karl den Neunten: »Wollen Eure Majestät nur auf mich rechnen, ich werde immer glücklich sein, Eure Majestät überall hin zu begleiten.«

Er warf einen raschen Blick um sich her, um die Augenbrauen zu zählen, die sich auf seine Antwort hin zusammenzogen.

Heinrich von Navarra war es, den man während des Rittes unter allen Gefolgsleuten des Königs mit der größten Neugierde beobachtete, den Sohn ohne Mutter, den König ohne Königreich, den Hugenotten, aus dem man einen Katholiken gemacht hatte. Seine lange und eigenartige Gestalt, seine etwas gewöhnliche Haltung, seine Leutseligkeit mit den Untergebenen, waren Anhaltspunkte für die suchenden Zuschauer. Diese Leutseligkeit erreichte oft einen Grad, der nicht mit der Hoheit eines Königs im Einklang stand, sie stammte von den Bergbewohnern her, unter welchen er seine Jugend verbracht hatte, und er bewahrte sie sich auch bis zu seinem Tode. Einige aus dem Volk riefen dem König von Navarra zu: »Zur Messe, Henriot, zur Messe!«

Und Heinrich antwortete ihnen: »Ich war gestern in der Messe, ich komme heute aus der Messe und ich werde morgen wieder in die Messe gehen! Himmel und Hölle! Ich glaube, das ist gerade genug!«

Auch Margarete saß zu Pferd und sah so schön, blühend und edel aus, daß eine einstimmige Bewunderung hörbar wurde. Ein Teil des Beifalls – das muß aufrichtig gesagt werden – war für ihre Begleitung, die Herzogin von Nevers bestimmt. Sie ritt einen Schimmel, der, als ob er auf die schöne Last besonders stolz wäre, schnaubend den Kopf herabbog.

»Nun, Herzogin,« fragte die Königin von Navarra, »was gibt es Neues?«

»Madame,« antwortete die Herzogin ganz laut, »ich weiß gar nichts von Bedeutung.«

Und leise fügte sie hinzu: »Was ist aus dem Hugenotten geworden?«

»Ich habe einen ziemlich sicheren Unterschlupf für ihn gefunden,« erwiderte Margarete, »und was hast du mit deinem Menschenschlächter gemacht?«

»Er wollte an dem Feste teilnehmen. Er reitet das Schlachtroß des Herzogs von Nevers, einen Gaul, der an Größe einem Elefanten gleichkommt. Sein Anblick ist geradezu erschreckend. Ich habe ihm erlaubt, bei der Feierlichkeit anwesend zu sein, da ich voraussetzte, daß dein Hugenotte klugerweise in seinem Zimmer bleiben würde, daß also auf diese Art ein Zusammenstoß nicht zu befürchten wäre.«

»Ach, meiner Treu!« sagte Margarete lächelnd. »Wäre er hier – er ist es ja nicht! – dann wäre trotzdem kein Auftritt zu erwarten. Mein Hugenotte ist ein hübscher Mensch, doch nichts anderes . . . ist eine Taube und nicht ein Geier, er gurrt, aber er schnappt nicht. Nach allem,« fuhr sie in einem Tone fort, der nicht wiederzugeben ist, und zuckte leicht die Schultern, »nach allem haben wir ihn vielleicht für einen Hugenotten gehalten, dieweil er ein Brahmane ist und seine Religion ihm verbietet Blut zu vergießen.«

»Wo ist denn der Herzog von Alençon?« fragte Henriette. »Ich sehe ihn nirgends.«

»Er muß zu uns stoßen. Er hatte heute morgen Augenschmerzen und wollte eigentlich nicht kommen. Doch da man weiß, daß er, um nicht der gleichen Ansicht zu sein wie sein Bruder Karl und sein Schwager Heinrich, zu den Hugenotten hindrängt, hat man ihm zu wissen gegeben, daß der König seine Abwesenheit falsch auslegen könnte, und da hat er sich doch zur Teilnahme entschlossen. Aber warte doch! Gerade sieht jetzt alles dort hinüber. Man ruft auch . . . wahrscheinlich wird er es sein, der vom Tor Montmartre herübergeritten kommt.«

»Ja, ja, er ist es, ich erkenne ihn!« sagte Henriette. »Wahrhaftig, er sieht heute gut aus! Seit einiger Zeit hält er mehr auf sich, er muß verliebt sein! Sehen Sie doch, wie es vorteilhaft ist, ein Prinz königlichen Geblütes zu sein: er galoppiert einfach auf alle Leute los, und alle Leute machen sofort Platz.«

»Wirklich,« meinte Margarete lachend, »er wird uns noch zermalmen! Doch Gott verzeih mir! So lassen Sie doch Ihre Edelleute Platz machen, Herzogin, denn dort gibt es einen, der nicht zur Seite schwenkt, er wird überritten werden!«

»Eh, das ist der Unerschrockene!« rief die Herzogin. »Sieh doch, sieh doch hin!«

Coconas hatte tatsächlich seine Einteilung verlassen, um sich der Herzogin von Nevers zu nähern. Doch in dem Augenblick, als sein Pferd die äußere Straßenseite von Faubourg-Saint-Denis überquerte, stieß ein Reiter aus dem Gefolge des Herzogs von Alençon, der sein durchgehendes Pferd vergeblich aufzuhalten versuchte, mit voller Kraft auf ihn. Aus dem Gleichgewicht gebracht, wankte Coconas auf seinem riesenhaften Tier, sein Hut drohte herabzufallen, er fing ihn noch auf und drehte sich wütend herum.

»Mein Gott!« flüsterte Margarete und neigte sich zum Ohr der Freundin herab. »Herr von La Mole!!!«

»Was, dieser hübsche, blasse junge Mann?« rief die Herzogin, die ihren ersten Eindruck nicht verheimlichen konnte.

»Ja, ja, derselbe, der deinen Piemontesen umreiten wollte!«

»Ach,« sagte die Herzogin, »da wird sich aber gleich eine furchtbare Sache zutragen! Sie mustern sich schon, sie erkennen sich!«

Während er sich umsah, hatte Coconas tatsächlich La Mole schon erkannt. Überrascht ließ er die Zügel seines Pferdes aus den Händen gleiten, denn er war der festen Meinung gewesen, den ehemaligen Reisegenossen getötet oder zum mindesten für lange Zeit außer Gefecht gesetzt zu haben. Auch La Mole hatte seinerseits Coconas erkannt und fühlte, wie ihm eine heiße Röte ins Gesicht stieg. Wenige Sekunden lang, eine Zeit, die vollauf genügte, um die gegenseitigen Empfindungen der beiden Männer zum Ausdruck zu bringen, umschlangen sie sich mit Blicken, die beide Frauen erzittern ließen. Nachdem sich La Mole im Kreise umgesehen hatte und zweifellos der Ansicht war, daß der Platz für eine Auseinandersetzung nicht geeignet wäre, spornte er sein Pferd und ritt zum Herzog von Alençon zurück. Coconas blieb einige Augenblicke unbeweglich auf der Stelle stehen, zwirbelte dann seinen Schnurrbart in die Höhe, daß die Spitzen fast in die Augen stachen, und setzte seinen Weg fort, als er sah, daß sich La Mole wortlos entfernt hatte.

»Ah, ah!« sagte Margarete schmerzlich und verachtend. »Ich hatte mich also doch nicht geirrt . . . Oh, diesmal ist das zu arg!«

Sie biß sich bis auf das Blut in die Lippen.

»Er ist immerhin schön!« sagte die Herzogin mitfühlend.

Gerade in diesem Augenblick erreichte der Herzog von Alençon sein Ziel und reihte sich hinter dem König und der Königin-Mutter ein. Sein Gefolge war genötigt bei der Königin von Navarra und der Herzogin von Nevers vorbeizureiten. Als an La Mole die Reihe kam, bei den beiden Prinzessinnen vorüberzureiten, zog er seinen Hut, grüßte die Königin und neigte sich tief bis zum Pferdehals herab, er wartete entblößten Hauptes, daß Ihre Majestät ihn eines Blickes würdigen würde.

Doch Margarete wandte stolz ihr Haupt zur Seite.

La Mole erkannte in ihrem Gesichte den Ausdruck einer Verachtung, und wenn sein Antlitz bisher bleich war, so wurde es jetzt bleifarbig. Um nicht vom Pferde zu fallen, mußte er sich an dessen Mähne festhalten.

»Oh,« murmelte Henriette zur Königin, »sieh doch hin, Grausame! Er befindet sich nicht wohl!«

»Gut,« antwortete die Königin mit einem verletzenden Lächeln, »das würde uns noch gerade fehlen! . . . Hast du Riechsalz bei dir?«

Die Herzogin hatte sich getäuscht.

La Mole, der ein wenig wankte, fand seine Kraft wieder und indem er seinen Sitz berichtigte, ritt er vor und reihte sich in das Gefolge des Herzogs von Alençon ein.

Unterdessen war man weiter gekommen, man sah schon von ferne das düstere Schattenbild des Galgens, der von Enguerrand von Marigny aufgerichtet und zum erstenmal zur Benützung übergeben worden war.

Die Gardesoldaten und Palastdiener marschierten nach vorwärts und bildeten einen weiten Kreis um den abgesteckten Raum. Bei ihrer Annäherung flogen Raben vom Galgen auf und zogen mit verzweifeltem Krächzen davon.

Das Hochgericht auf dem Montfaucon gewährte hinter seinen Säulen meist Hunden Unterkunft, weil sie dort häufig Beute witterten, oder es kamen nachdenkliche Wegelagerer dahin, die über den traurigen Wechsel des Glückes grübelten.

An diesem Tage aber waren, wenigstens dem Anschein nach, weder Hunde noch Strauchdiebe auf dem Montfaucon anwesend. Die Palastdiener und Soldaten hatten die ersten mit den Raben davongejagt und die andern waren in der Menge untergetaucht, um hier einige gute Griffe zu tun, was sie zu den glücklichen Wechselfällen ihres Geschäftes rechneten.

Der Reiterzug rückte an. Als erste langten der König und Katharina von Medici an, dann folgte der Herzog von Anjou, der Herzog von Alençon, der König von Navarra, der Herzog von Guise und alle Edelleute. Hierauf kam die Königin von Navarra, dann die Herzogin von Nevers und der weibliche Hofstaat, den man als fliegende Eskadron der Königin zu bezeichnen pflegte. Hintennach folgten die Pagen, die Reitknechte, die Dienerschaft und das Volk, im ganzen etwa zehntausend Personen.

Am Hauptgalgen hing eine unförmliche Masse, ein schwarzer, mit geronnenem Blut beschmutzter Leichnam, der stellenweise durch den Anflug des Staubes lichte Flecken aufwies. Der Leiche fehlte der Kopf. Man hatte sie daher an den Füßen aufgehängt. Schließlich hatte der Pöbel, erfinderisch, wie er zu sein pflegt, den fehlenden Kopf durch einen Strohballen ersetzt. Um diesen war eine Larve gebunden und in die Mundöffnung dieser Larve hatten einige Spaßvögel, die mit den Gewohnheiten des Admirals vertraut waren, einen Zahnstocher hineingesteckt.

Es war ein zugleich düsterer und schnurriger Anblick, wenn man die vielen vornehmen Herrn und die reizenden Damen, in Art eines von Goya gemalten Wallfahrerzuges, mitten durch die geschwärzten Gerippe und durch die Galgen mit den mageren, langen Armen pilgern sah. Je lärmender die Heiterkeit der Besucher war, desto mehr stand die finstere Ruhe, die eisige Unempfindlichkeit der Leichen hierzu im Gegensatz, dieser Leichen, die noch zum Gegenstand eines Spaßes gemacht worden waren. Die Spottvögel mochten bei ihrer Arbeit aber geschaudert haben.

Viele ertrugen nur mit größter Mühe den furchtbaren Anblick. In der Gruppe der versammelten Hugenotten war vor allen namentlich Heinrich von Navarra an seiner Blässe erkennbar. So viel Selbstbeherrschung er auch besaß, so viel Arten von Verstellungsmöglichkeiten ihm der Himmel auch geschenkt hatte, er konnte sich nicht fassen. Er schützte den widerwärtigen Geruch vor, der sich von diesen menschlichen Überresten überallhin verbreitete. Seite an Seite standen Karl der Neunte und Katharina vor der Leiche des Admirals, ihnen näherte sich Heinrich von Navarra und sagte: »Sire, finden Eure Majestät denn nicht, daß dieser unglückselige Leichnam für einen längeren Aufenthalt auf diesem Ort doch zu übel riecht?«

»Findest du, Henriot?« fragte Karl der Neunte, dessen Augen vor wilder Freude glänzten.

»Ja, Sire!«

»Nun also, ich bin nicht deiner Ansicht, ich . . . eine Feindesleiche hat niemals einen üblen Geruch!«

»Meiner Treu!« sagte Tavannes. »Da Eure Majestät wußten, daß wir dem Admiral den kleinen Besuch abstatten würden, hätten Eure Majestät Peter Ronsard, den Meister der Dichtkunst, einladen sollen. Er hätte auf der Stelle dem alten Gaspard eine Grabschrift gedichtet.«

»Wir haben ihn gar nicht nötig,« erwiderte der König, »das besorgen wir auch selbst . . . hören Sie zum Beispiel, meine Herren,« meinte Karl der Neunte, nachdem er einen Augenblick nachgedacht:

Hier ruht . . . schlecht ist des Wortes Wahl,
Ihm ist kein ehrlich Grab erlaubt! . . .
Darum: hier hängt der Admiral
Am Fuß geknüpft, weil ohne Haupt!«

»Bravo, bravo!« riefen einstimmig alle katholischen Edelleute, während die versammelten Hugenotten die Stirne runzelten und Schweigen bewahrten.

Heinrich von Navarra, der mit Margarete und mit der Herzogin von Nevers plauderte, tat so, als ob er kein Wort gehört hätte.

»Gehen wir, gehen wir,« unterbrach Katharina, welcher der Geruch, obwohl sie sich mit Duftwässern und Salben förmlich überschüttet hatte, doch unangenehm zu werden anfing, »gehen wir! Keine, Gesellschaft ist, sei sie noch so angenehm, von ewiger Dauer! Sagen wir dem Herrn Admiral Lebewohl und begeben wir uns nach Paris zurück.«

Sie begleitete ihre Worte mit einem hohnwitzigen Kopfnicken, als ob sie auf diese Art Abschied von einem guten Freunde nehmen wollte, setzte sich an die Spitze des Reiterzuges und schlug den Weg nach Hause ein, während das Gefolge nochmals bei der Leiche Colignys vorbeiritt.

Die Sonne war an den Rand des Horizontes gelangt.

Die Menge folgte den Spuren Ihrer Majestäten, um die Pracht des Aufzuges und die Einzelheiten des Schaustückes bis zum letzten Rest auszukosten. Zehn Minuten nach Abritt des Königs befand sich niemand mehr in der Nähe der verstümmelten Admiralsleiche, und nur die ersten Abendlüfte streiften den entseelten Körper.

Es ist zu viel gesagt, wenn behauptet wurde, daß gar niemand auf dem Richtplatz zurückblieb. Ein Edelmann auf einem Rappen, der scheinbar wegen der großen königlichen Ehrung, die der Leiche zuteil geworden war, nicht Zeit und Muße genug gefunden hatte, auch seinerseits den unförmlichen Stumpf am Galgen zu betrachten, war als letzter zurückgeblieben. Er unterhielt sich damit, in allen Einzelheiten die Ketten, die Krampen, die Steinpfeiler und endlich den Galgen selbst zu beschauen. Einem Menschen wie ihm, der erst seit einigen Tagen in Paris weilte und dem daher die Vervollkommnung auf allen Gebieten in einer Reichshauptstadt etwas Neues war, mußte dieser Galgen als der Gipfelpunkt aller Scheußlichkeiten erscheinen, die je ein Mensch zu ergründen imstande gewesen.

Es ist nicht erst notwendig festzustellen, daß dieser Mann unser Freund Coconas war. Ein geübtes Frauenauge hatte ihn bereits vergeblich unter der Reiterschar gesucht, hatte alle Reihen durchblickt, ohne ihn finden zu können.

Herr von Coconas indessen verging in Bewunderung vor dem Werke Enguerrands von Marigny.

Doch nicht allein die Frau suchte Herrn von Coconas. Ein anderer Edelmann, auffallend durch sein Wams aus weißem Atlas und durch eine zierliche Feder auf dem Hut, hatte sich nach vorwärts und nach allen Seiten vergeblich nach ihm umgesehen. Endlich blickte er auch nach rückwärts und sah, wie sich im letzten roten Licht der untergehenden Sonne die hohe Gestalt Coconas und das riesenhafte Schattenbild seines Pferdes vom Himmel abhoben.

Daraufhin verließ der junge Mann im weißen Wams die Marschrichtung der Reitermasse, ritt nach seitwärts zu einem Fußsteig und schwenkte im Bogen zum Galgen zurück.

Gleichzeitig näherte sich jene Dame, in der wir die Herzogin von Nevers genau so erkannt haben, wie wir früher in dem großen Reiter auf dem Rappen Coconas ermittelten, der Königin von Navarra.

»Wir haben uns beide geirrt, Margarete,« sagte sie, »denn der Piemontese ist zurückgeblieben und Herr von La Mole ist ihm gefolgt.«

»Verdammt,« erwiderte Margarete lachend, »da wird sich also etwas zutragen! Wahrlich, ich würde mich gar nicht darüber ärgern, wenn er seinen Fehler wieder gutmachen möchte.«

Margarete wendete sich um und sah, daß La Mole tatsächlich die von uns erwähnte Wendung nach rückwärts unternahm.

Jetzt entschlossen sich die zwei Prinzessinnen ihre Einteilung zu verlassen. Die Gelegenheit hierzu war besonders günstig. Man bog gerade vor einem mit breiten Hecken eingesäumten Pfad ab, der wieder bergaufwärts und zurück zum Galgen führte. Dort ging er kaum dreißig Schritte bei der Richtstätte vorbei.

Die Herzogin von Nevers flüsterte ihrem Kapitän ein Wort in das Ohr und Margarete gab Gillonne ein Zeichen. Die vier Personen begaben sich nun auf den Querweg, ritten zurück und bezogen bei einem Gebüsch einen Hinterhalt, recht nahe dem Platze, auf dem sich der von ihnen erwartete Auftritt abspielen sollte. Die Entfernung von hier bis zu Coconas betrug, wie schon erwähnt, ungefähr dreißig Schritte. Der stand noch vor dem Leichnam des Admirals und gebärdete sich, hingerissen vor Begeisterung, recht lebhaft.

Margarete, die Herzogin und Gillonne saßen von ihren Pferden ab. Auch der Kapitän schwang sich herab und ergriff die Zügel der vier Pferde. Frischer und dichter Rasen bot den drei Frauen eine Sitzgelegenheit, wie sie den Bedürfnissen von Prinzessinnen nur entsprechen konnte.

Der noch lichte Himmel ermöglichte genauen und deutlichen Ausblick.

La Mole hatte seinen Bogen durchritten und kam hinter Coconas zu stehen. Er streckte seine Hand aus und klopfte ihm auf die Schulter.

Der Piemontese wendete sich heftig nach rückwärts.

»Oh,« sagte er, »es war also kein Traum, Sie leben noch!«

»Ja, mein Herr,« erwiderte La Mole, »ja, ich lebe noch! Sie sind zwar daran nicht schuld, doch endlich und schließlich: ich lebe!«

»Verdammt! Ich erkenne Sie wohl, trotz Ihres blassen Gesichtes! Als wir uns das letzte Mal gesehen, da waren Sie bedeutend röter!«

»Auch ich erkenne Sie sehr gut,« meinte La Mole, »trotz des gelben Striches, der Ihnen das Gesicht durchschneidet. Sie waren wohl damals viel blässer, als ich Ihnen den Strich beibrachte!«

Coconas biß sich in die Lippen. Doch anscheinend entschlossen, das Gespräch in der gleichen spottenden Tonart fortzusetzen, sagte er: »Das ist doch äußerst gelungen, nicht wahr, Herr von La Mole? Und namentlich für einen Hugenotten, den Herrn Admiral da auf einmal an einem eisernen Galgen hängen zu sehen! Und da gibt es Leute mit übertriebenen Meinungen, die uns nachsagen, wir hätten die kleinen Hugenotten an der Mutterbrust getötet!«

»Graf Coconas,« sagte La Mole und verbeugte sich, »ich bin nicht mehr Hugenotte, ich habe das Vergnügen, ein Katholik zu sein.«

»Bah!« schrie Coconas lachend. »Sie haben den Glauben gewechselt, mein Herr? Oh, wie das geschickt war!«

»Mein Herr,« sagte La Mole und befleißigte sich gleicher Höflichkeit und gleichen Ernstes, »ich hatte ein Gelübde getan, meinem Glauben abzuschwören, wenn ich aus dem Gemetzel gerettet werden würde.«

»Graf von La Mole, das war ein sehr kluges Gelübde! Ich beglückwünsche Sie! Sollten Sie aber nicht noch andere Gelübde abgelegt haben?«

»Ja, ganz richtig, mein Herr, ich habe noch ein zweites abgelegt!« erwiderte La Mole und streichelte in vollkommener Ruhe den Hals seines Pferdes.

»Welches?« fragte Coconas.

»Das Gelübde, Sie da oben aufzuknüpfen, sehen Sie? An dem kleinen Nagel da oben, der gerade oberhalb des Herrn von Coligny auf Sie schon zu warten scheint!«

»Wie,« sagte Coconas, »so wie ich hier bin? Zappelnd vielleicht?«

»Nein, mein Herr, selbstverständlich werde ich Ihnen vorher meinen Degen durch den Leib stoßen.«

Coconas wurde puterrot, aus seinen grünen Augen schossen Flammen.

»Sehen Sie bis zu diesem Nagel hinauf?« fragte er spottend.

»Ja,« meinte La Mole, »bis zu diesem Nagel . . .«

»Sie sind nicht genug groß dazu, mein kleiner Herr!«

»Dann werde ich auf Ihr Pferd steigen, Sie gewaltiger Leuteschinder!« gab La Mole zur Antwort. »Ah! Sie glauben, verehrter Herr Hannibal von Coconas, daß man unter dem ehrenhaften und redlichen Vorwand, hundert gegen einen zu sein, ungestraft Leute hinmorden darf? Niemals! Denn es kommt noch immer der Tag, an dem der Mann seinen Mann findet, und wie mir scheint, ist dieser Tag heute gekommen. Ich hätte gute Lust, Ihren gemeinen Kopf mit einem Pistolenschuß zu zerschmettern, aber bah, ich würde schlecht zielen, denn meine Hand zittert noch von den Wunden, die Sie mir heimtückisch beigebracht haben.«

»Mein gemeiner Kopf!« heulte Coconas auf und sprang vom Pferd. »Auf die Erde! Wohlan, wohlan! Ziehen wir vom Leder, Herr Graf!«

Er griff nach seinem Degen.

»Ich glaube, daß ihn dein Hugenotte einen gemeinen Kopf genannt hat,« flüsterte die Herzogin von Nevers Margarete in das Ohr. »Findest du ihn wirklich häßlich?«

»Er ist reizend!« lachte Margarete, »und ich bin sogar gezwungen zu erklären, daß der Zorn Herrn von La Mole zu ungerechten Beurteilungen verleitet . . . doch ruhig! Sehen wir zu!«

La Mole war mit derselben Geschwindigkeit vom Pferde gestiegen, als Coconas. Er hatte seinen kirschroten Mantel abgenommen, ihn auf die Erde gelegt, hatte den Degen gezogen und war in Fechterstellung übergegangen.

»Au!« klagte er, während er seinen Arm streckte.

»Uff!« brummte Coconas, als er in die Auslage ging, denn beide waren, wie erinnerlich, an den Schultern verletzt worden und empfanden bei zu raschen Bewegungen Schmerzen.

Ein schlecht verhaltenes Lachen klang aus dem Busch herüber. Die zwei Prinzessinnen hatten sich, als sie sahen, wie sich die Kämpfer mit verzerrten Gesichtern die Schulterblätter rieben, nicht beherrschen können. Der Lärm des Lachens war bis an die zwei Edelleute gedrungen, die keine Ahnung davon hatten, daß Zeugen anwesend waren. Sie sahen sich um und erkannten ihre beiden Damen.

La Mole nahm Deckung, fest und ruhig wie eine Maschine, und Coconas band seine Klinge mit einem laut vernehmlichen »Verdammt!« an die seines Gegners.

»Aber sie gehen ja regelrecht aufeinander los und werden sich umbringen, wenn wir sie nicht zur Ordnung rufen. Genug der Scherze! Holla, meine Herrn, holla!« rief Margarete.

»Lasse sie, lasse sie!« sagte die Herzogin. Sie hatte Coconas fechten gesehen und hoffte insgeheim, daß er auch La Mole so gut abfertigen würde, als er vor ein paar Tagen die zwei Neffen und den Sohn des alten Mercandon kampfunfähig gemacht hatte.

»Sie sind wirklich sehenswert in ihrem Zorn,« sagte Margarete. »Sieh doch hin, man möchte glauben, daß sie Feuer atmen.«

Das Gefecht, das mit Spöttereien und Herausforderungen begonnen hatte, begann in der Tat ernst zu werden, seit die zwei Fechter die Klingen gekreuzt hatten.

Beide verließen sich nicht zu sehr auf ihre Kraft, und sowohl der eine, als auch der andere unterdrückte den Schmerz, den die alten Wunden hervorriefen, wenn eine Bewegung zu rasch war. Indessen rückte La Mole mit starren, brennenden Augen, halbgeöffnetem Munde und zusammengebissenen Zähnen, mit kurzen, harten Schritten an seinen Gegner heran. Coconas merkte bald, daß er einen Meister im Fechten vor sich hatte, wich Schritt für Schritt zurück, er wich eben doch zurück. Beide gelangten schließlich an den Rand des Grabens, auf dessen anderem Saum sich die Zuschauer befanden. Als ob dieser Rückzug von Coconas nur mit der Absicht durchgeführt worden wäre, sich auf die Art seiner Dame zu nähern, hielt er plötzlich am Grabenrande stand, und als La Mole ein wenig nachlässig Bindung nahm, führte er mit Blitzesschnelle einen Rechtshieb auf den Gegner aus. Im gleichen Augenblick färbte sich das weißseidene Wams La Moles mit einem Blutflecken, der allmählich breiter wurde.

»Mut!« schrie die Herzogin.

»Ah, armer La Mole!« sagte Margarete schmerzvoll.

La Mole hatte den Ruf gehört, warf der Königin einen jener Blicke zu, die tiefer in das Herz einzudringen vermögen, als eine Degenspitze, dann machte er nach einer Finte einen heftigen Ausfall auf den Gegner.

Diesmal stießen beide Damen einen Schrei aus, der sich zu einem einzigen vereinte. Die blutige Spitze des Stoßdegens des Herrn von La Mole war im Rücken des Herrn von Coconas erschienen.

Doch keiner von beiden wankte oder fiel. Sie blieben aufrecht stehen, sahen sich mit offnem Munde an und fühlten beide, daß ihnen bei der geringsten Bewegung das Gleichgewicht abhandenkommen müßte. Schließlich ließ sich der Piemontese, der gefährlicher verwundet war als sein Gegner und fühlte, daß seine Kräfte mit dem fließenden Blut fortwährend abnahmen, schwer auf La Mole fallen, drückte ihn mit einem Arm fest an sich, während er mit dem anderen seinen Dolch aus der Scheide zu ziehen versuchte. La Mole nahm seinerseits seine ganze Kraft zusammen, hob seinen Arm und ließ seinen Degenknopf mitten auf die Stirne Coconas fallen. Betäubt durch diesen Schlag fiel der Piemontese nieder. Im Fall aber riß er seinen Gegner mit sich und beide rollten in den Graben hinab.

Sofort stürzten Margarete und die Herzogin von Nevers, die bemerkt hatten, daß sich beide Gegner, obwohl sterbend, noch den Gnadenstoß versetzen wollten, zu ihnen hin. Der Gardekapitän kam ihnen zu Hilfe. Bevor sie noch zu ihnen gelangt waren, ließen sich die Hände der Beiden los, ihre Augen schlossen sich, die Waffen entglitten ihnen, sie erstarrten nach einigen letzten Zuckungen.

Eine Blutwelle schäumte bei ihnen auf.

»Oh, tapferer, tapferer La Mole!« rief Margarete aus, sie war unfähig, ihre Bewunderung länger zu unterdrücken. »Verzeihung, tausendmal Verzeihung, daß ich dich falsch verdächtigt hatte!«

Ihre Augen füllten sich mit Tränen.

»Ach, leider, leider!« murmelte die Herzogin von Nevers. »Mutiger Hannibal! . . . Sagen Sie, Madame, haben Sie jemals zwei unerschrockenere Löwen gesehen?«

Sie schluchzte laut auf.

»Tausend Wetter, das waren tüchtige Hiebe!« sagte der Kapitän und versuchte das Blut zu stillen, das in Strömen aus den Wunden floß, ». . . holla, wer da kommt . . . holla, der beeile sich ein wenig!«

Das Rollen eines Wagens wurde hörbar und tatsächlich erschien im Abendnebel eine Art Henkerkarren, der rot angestrichen war. Vorne auf dem Kutschbock saß ein Mann. Er sang das alte Liedchen, das ihm zweifelsohne das Wunder auf dem Friedhof der Unschuldigen in Erinnerung gebracht hatte:

Schöner Dorn, der du blühst,
Grüngolden glühst
An den Rändern des Haines,
Jährlich dich noch umschlang
Das Gerank
Wilden Weines.

Sängerin Philomele,
Mit süßer Kehle
Von der Liebe zu schmettern,
Dich der Liebe zu weih'n,
Mietest dich ein
In seinen Blättern.

Weißdorn, Schmuck im Geländ',
Leb' ohne End',
Lebe! kein Blitz dir werde,
Kein Beil, kein Sturm zum Leid,
Auch nicht die Zeit,
Nie neig' dich zur . . .

»Holla he!« wiederholte der Kapitän. »Kommen Sie doch, wenn man Sie ruft! Sehen Sie denn nicht, daß die zwei Edelleute Hilfe brauchen?«

Der Mann auf dem Karren, dessen abstoßendes Äußere und dessen rohes Gesicht im seltsamen Gegensatze zu dem lieblichen Hirtenliede standen, das wir wiedergegeben haben, hielt sein Pferd an, stieg ab und beugte sich zu den zwei leblosen Körpern hinunter.

»Ah, das sind recht schöne Wunden!« meinte er. »Doch ich, ich kann noch weit schönere beibringen!«

»Wer sind Sie denn?« fragte Margarete, die unwillkürlich einen gewissen, unbezwingbaren Schrecken empfand.

»Madame,« erwiderte dieser Mann und verbeugte sich bis auf die Erde, »ich heiße Meister Caboche, bin Henker des Pariser Obergerichtes und habe auf der Richtstätte gerade einige Genossen des Herrn Admirals aufknüpfen wollen.«

»Nun gut, ich bin die Königin von Navarra,« sagte Margarete, »werfen Sie Ihre Leichen herab, breiten Sie auf Ihrem Karren die Schabracken unserer Pferde aus und führen Sie die zwei Edelleute vorsichtig hinter uns bis zum Louvre!«

 


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