Alexander Dumas
Königin Margot. Erster Band
Alexander Dumas

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Der Brief aus Rom

Nach einigen Tagen erschien an einem Morgen eine von mehreren Edelleuten in den Farben des Herzogs von Guise begleitete Sänfte beim Louvre. Man meldete der Königin von Navarra, daß die Herzogin von Nevers um die Ehre einer Aufwartung ersuchen ließ.

Margarete hatte gerade Frau von Sauve empfangen, die schöne Baronin hatte zum erstenmal seit ihrer angeblichen Krankheit das Zimmer verlassen. Sie hatte vernommen, daß die Königin ihrem Gemahl wegen dieses Unwohlseins, das durch eine Woche das Tagesgespräch im Louvre gewesen war, den Ausdruck ihrer Besorgnis übermittelt hatte und war gekommen, um hierfür ihren Dank auszusprechen.

Margarete beglückwünschte sie in ihrer Gesundung und zum glücklichen Ausgang des so plötzlichen und rätselhaften Krankheitsfalles, dessen Ernst sie als Königstochter Frankreichs sehr richtig einzuschätzen wußte.

»Sie werden wohl der großen Jagd beiwohnen können, die schon einmal verschoben wurde, und die endgültig morgen stattfinden soll?« fragte Margarete. »Das Wetter ist trotz der Winterzeit sehr mild, die Sonne hat den Boden erweicht, und alle unsere Jäger behaupten, daß der morgige Tag besonders günstig werden dürfte.«

»Madame,« erwiderte die Baronin, »ich weiß aber doch nicht, ob ich soweit wiederhergestellt sein werde.«

»Bah! Sie werden sich eben etwas zusammennehmen müssen. Da ich in dergleichen Dingen Erfahrung habe, habe ich den König ermächtigt, ein kleines Bearner Pferd, das eigentlich für mich bestimmt war, Ihnen zur Verfügung zu stellen, es wird Sie sehr gut tragen. Haben Sie davon noch nichts gehört?«

»O ja! Doch ich wußte nicht, daß dieses kleine Pferd für Eure Majestät bereitgehalten wurde, sonst hätte ich selbstverständlich den Antrag nicht angenommen.«

»Aus Stolz, Baronin?«

»Nein, Madame, im Gegenteil, aus Ehrfurcht.«

»Sie werden also kommen?«

»Eure Majestät überhäufen mich mit Ehre. Ich werde kommen, wenn Eure Majestät es befehlen.«

In dem Augenblick meldete man die Ankunft der Herzogin von Nevers. Bei Nennung dieses Namens verriet Margarete solche Freude, daß Frau von Sauve begriff, daß die zwei Frauen miteinander plaudern wollten. Sie erhob sich, um sich zurückzuziehen.

»Auf morgen also?« sagte Margarete.

»Auf morgen, Madame.«

»Ja, richtig, Baronin,« setzte Margarete noch hinzu und verabschiedete sie mit einer Handreichung, »Sie wissen es doch: für die Öffentlichkeit bin ich Ihre Feindin, weil ich furchtbar eifersüchtig auf Sie bin!«

»Unter vier Augen aber, Madame?« fragte die Baronin.

»Oh, unter vier Augen verzeihe ich Ihnen nicht nur, sondern ich danke Ihnen sogar!«

»Dann werden Eure Majestät erlauben . . .«

Margarete hielt ihr die Hand hin, die Baronin küßte sie ehrerbietig und ging mit einer tiefen Verbeugung hinaus. Während Frau von Sauve ihre Stiege hinaufging, wie ein Reh wankte, das gefangen war und dem man plötzlich die Fesseln zerschnitten hatte, tauschte die Herzogin von Nevers mit der Königin Margarete die nach der Hofsitte vorgeschriebenen Begrüßungen aus und gab ihrem Gefolge Zeit sich zurückzuziehen.

»Gillonne,« rief Margarete, als sich die Tür hinter dem letzten Höfling geschlossen hatte, »Gillonne, trage Sorge dafür, daß uns niemand stört!«

»Ja,« meinte die Herzogin, »denn wir haben äußerst ernste Sachen zu besprechen.«

Ohne weitere Umstände ließ sie sich nun nieder, weil sie wußte, daß jetzt niemand die zwischen der Königin und ihr vereinbarte Vertraulichkeit stören würde und nahm gleich den besten Platz beim Feuer und in der Sonne für sich in Anspruch.

»Nun,« fragte Margarete lächelnd, »was treiben wir mit unserm berüchtigten Leuteschinder?«

»Meine liebe Königin,« begann die Herzogin, »der ist bei meiner Seele ein mythologisches Wesen! Sein Verstand ist unvergleichlich und versagt niemals. Über seine witzigen Einfälle könnte ein Heiliger in seinem Reliquienschrank noch vor Lachen bersten. Im übrigen ist er der rasendste Heide, der jemals in einer Katholikenhaut eingenäht war! Ich bin ganz vernarrt in ihn! Und du? Was treibst du mit deinem Apollo?«

»Ach Gott!« seufzte Margarete.

»Oh, mich beängstigt das Seufzen, liebe Königin! Ist denn dieser nette Herr von La Mole zu ehrfurchtsvoll oder zu träumerisch? Der wäre, ich muß es eingestehen, ein reiner Gegensatz zu seinem Freunde Coconas.«

»Aber nein, er hat schon auch seine guten Seiten, und dieser Seufzer bezog sich nur auf mich.«

»Was soll er bedeuten?«

»Er soll sagen, liebe Herzogin, daß ich mich schrecklich davor ängstige, ihn wirklich aus vollem Herzen zu lieben.«

»Du liebst ihn wirklich so sehr?«

»So wahr ich Margarete heiße!«

»Ach, umso besser! Was für ein frohes Leben werden wir führen!« rief Henriette. »Ein wenig zu lieben, das war immer mein Traum, viel zu lieben, das war der deine. Es ist so süß, liebe und weise Königin, den Geist einmal ruhen und nur das Herz sprechen zu lassen, nicht wahr? Nach einer Verrücktheit die Beglücktheit zu genießen . . . Ah, Margarete, ich habe die Vorahnung, daß wir ein recht schönes Jahr erleben werden.«

»Glaubst du?« sagte die Königin. »Ich habe wieder gegenteilige Ahnungen. Ich weiß nicht, wie es kommt, aber ich sehe alle Dinge der Zukunft durch einen trüben Schleier. Diese Staatsangelegenheiten beschäftigen mich zu sehr. Übrigens, bei dieser Gelegenheit trachte zu erfahren, ob dein Hannibal meinem Bruder wirklich so ergeben ist, wie es den Anschein hat. Lasse dich darüber aufklären, es ist sehr wichtig!«

»Er, einer Person oder einer Sache ergeben? Daraus erkennt man wohl, daß du ihn nicht so kennst, wie ich! Wenn er sich jemals einer Sache geweiht hat, so nur seinem Ehrgeiz, und das ist auch alles. Ist dein Bruder vermögend genug, um ihm große Versprechungen zu machen, oh, dann ist alles gut, er wird deinem Bruder ergeben sein. Doch dein Bruder, wenn er auch ein Königssohn Frankreichs ist, soll sich hüten, diese Versprechen nicht zu halten, denn dann, meiner Treu, wehe deinem Bruder!«

»Ist das wahr?«

»Das ist so, wie ich es sage. Wahrlich, Margarete, es gibt Augenblicke, in denen dieser Tiger, den ich da gezähmt habe, mir selbst Schrecken einflößt. Ein anderesmal sagte ich zu ihm: Hannibal, nehmen Sie sich in acht und betrügen Sie mich nicht, denn wenn Sie mich betrügen würden . . .! Ich sagte ihm das übrigens mit einem smaragdfarbenen Blick, der einstmals Ronsard veranlaßt hat, die Verse zu machen:

Die Herzogin von Nevers
Hat Augen grün, wie ein Meer.
Durch die Wimpern, die wundervollen,
Schleudert der Blitze sie mehr,
Als zwanzigmal Jupiter
    Im Wolkenheer,
Wenn die Donner rollen und grollen.«

»Nun und?«

»Nun gut, ich dachte, er würde mir antworten: Ich Sie betrügen? Ich, niemals! und so weiter . . . Weißt du, was er mir geantwortet hat?«

»Nein.«

»Höre und beurteile den Mann! ›Und Sie,‹ sagte er, ›wenn Sie mich hintergehen würden, nehmen Sie sich umso mehr in acht, denn obgleich Sie eine Prinzessin sind . . .‹ Und während er so sprach, drohte er mir nicht nur mit den Augen, sondern auch mit seinem magern und spitzigen Finger, der noch dazu mit einem nach Art einer Eisenlanze geschnittenen Nagel bewehrt ist. Den hielt er mir fast unter die Nase, und in diesem Augenblick, ich muß es zugeben, hatte er ein so wenig vertrauenerregendes Gesicht, daß ich erschrak, und du weißt es doch, ich gehöre gerade nicht zu den Furchtsamen.«

»Dir drohen, Henriette? Er hat es gewagt?«

»Ach, verdammt! Ich habe ihm ja auch gedroht, aber im Grunde genommen, hatte er ja recht. Aus dem ersiehst du: ergeben bis zu einem gewissen Grade, oder besser gesagt, bis zu einem ungewissen Grad.«

»Gut, es wird sich alles finden,« sagte Margarete nachdenklich, »ich werde mit La Mole darüber sprechen. Hattest du mir nicht noch etwas anderes zu sagen?«

»Gewiß! Eine sehr bedeutsame Sache; ihretwegen bin ich eigentlich gekommen. Doch was willst du denn? Du warst vielleicht im Begriff, mir noch Eindrucksvolleres zu erzählen! Ich habe Nachrichten erhalten.«

»Aus Rom?«

»Ja, es kam ein Eilbote meines Gatten.«

»Nun? Die Angelegenheit in Polen?«

»Alles ist im richtigen Fahrwasser, und du wirst vermutlich in wenigen Tagen deinen Bruder Anjou los und ledig sein.«

»Der Papst hat also seine Wahl zum König unterzeichnet?«

»Ja, meine Liebe!«

»Und das sagst du mir nicht gleich?« rief Margarete. »Eh, schnell, schnell, berichte mir von den Einzelheiten!«

»Oh, meiner Treu! Viel mehr weiß ich nicht, als das, was ich schon gesagt habe. Übrigens ich werde dir den Brief vom Herzog von Nevers übergeben. So, da ist er! . . . Eh! Nein, nein, das sind ja die Verse von Hannibal . . . gräßliche Verse, meine arme Margarete, er tut es nicht anders! So, diesmal ist es richtig, da ist der Brief! . . . Nein, wieder nicht! Das ist nämlich ein kleines Briefchen, das ich mitbrachte, damit du es ihm durch Herrn von La Mole übermitteln läßt. Ah, endlich, diesmal ist es wirklich der fragliche Brief!«

Die Herzogin händigte der Königin von Navarra das Schreiben ein.

Margarete öffnete den Umschlag und überflog dann die Zeilen. Doch tatsächlich stand nichts anderes im Briefe, als das, was die Freundin schon erwähnt hatte.

»Auf welche Art ist dir dieser Brief zugekommen?«

»Durch einen Boten meines Mannes, der den Befehl hatte, zuerst im Palast Guise den Brief für mich abzugeben, bevor er den Brief für den König im Louvre übergeben würde. Ich kannte ja die Bedeutung, welche meine Königin dieser Nachricht beimaß, hatte daher dem Herrn von Revers geschrieben, diese Mitteilung auf die erwähnte Art zu veranlassen. Du siehst, er gehorchte! Der ist nicht so, wie das Ungeheuer, der Coconas! Augenblicklich gibt es also in ganz Paris, außer dem König, dir und mir, niemand, der diese Neuigkeit kennt. Höchstens noch der Mann, der unsern Boten verfolgt hat . . .«

»Was für ein Mann?«

»Oh, ein undankbares Geschäft! Stelle dir nur vor, daß unser Bote ganz verstaubt und erschöpft hier angekommen ist. Er ist sieben Tage gereist, Tag und Nacht geritten, ohne sich nur einen Augenblick aufzuhalten.«

»Aber was ist mit dem Mann, von dem du eben gesprochen hast?«

»So warte doch! Der arme Bote wurde ununterbrochen von einem Mann von wildem Aussehen verfolgt. Der hatte die Reisestaffel genau so eingestellt, wie er, und ritt während dieser vierhundert Meilen ebenso schnell, wie der Bote, der in jedem Augenblick befürchtete, eine Kugel in den Rücken zu bekommen. Beide sind beim Schranken Saint-Marcell fast zu gleicher Zeit angelangt, beide sind dann durch die Straße Moussetard im stärksten Galopp hinuntergeritten und beide haben die innere Stadt durchquert. Beim Ende der Notre-Dame-Brücke aber ritt unser Eilbote nach rechts, während der andere nach links abbog, über den Platz du Chatelet ritt, um dann pfeilschnell bei den Kais nach der Seite des Louvre hin zu verschwinden.«

»Danke, meine gute Henriette, danke!« rief Margarete. »Du hattest recht, das sind ja ganz besondere Neuigkeiten. Für wen war wohl dieser andere Bote bestimmt? Ich werde es schon erfahren! Doch jetzt mußt du mich allein lassen. Also heute abend in der Straße Tizon, nicht wahr? Und morgen die Jagd! Nimm nur ein recht unangenehmes Pferd, das dir nicht folgt, damit wir uns seitlich irgendwo miteinander unterhalten können. Ich werde dir heute abend noch sagen, was du von deinem Coconas herausbekommen mußt.«

»Du wirst mein kleines Briefchen nicht vergessen?« fragte die Herzogin lachend.

»Nein, nein, Sei unbesorgt! Er wird es erhalten, und zwar rechtzeitig.«

Die Herzogin ging davon und sofort ließ Margarete den König von Navarra holen. Heinrich kam eilends zu seiner Gemahlin und sie übergab ihm den Brief des Herzogs von Nevers.

»Oh, oh!« staunte er während des Lesens.

Dann erzählte ihm Margarete die Geschichte von dem zweiten Eilboten.

»Tatsächlich habe ich den Mann in den Louvre eintreten sehen,« sagte Heinrich.

»Vielleicht war er für die Königin-Mutter bestimmt?«

»Das kann nicht stimmen, ich bin dessen sogar sicher, weil ich mich für alle Fälle im Gang aufgehalten habe, und dort habe ich niemand vorbeikommen sehen.«

»Dann,« meinte Margarete und sah ihren Gatten an, »muß der Bote wohl für . . .«

»Ihren Bruder Alençon gewesen sein, nicht wahr?«

»Ja, aber wie könnte man das erfahren?«

»Könnte man nicht nach einem dieser zwei Edelleute schicken,« fragte Heinrich mit einer gewissen Nachlässigkeit im Ton, »und vielleicht durch ihn erfahren . . .«

»Sie haben recht, Sire,« rief Margarete, die durch den Vorschlag ihres Gatten in das richtige Fahrwasser gekommen zu sein schien, »ich werde Herrn von La Mole herbeirufen lassen . . . Gillonne, Gillonne!«

Das junge Mädchen erschien.

»Ich muß dringend Herrn von La Mole sprechen,« sagte die Königin, »trachten Sie ihn zu finden und bringen Sie ihn sofort hierher!«

Gillonne eilte davon. Heinrich ließ sich an einen Tisch nieder, auf dem ein deutsches Buch mit Holzschnitten von Albrecht Dürer lag. Er nahm es in die Hand und blätterte darin so aufmerksam herum, daß er den eintretenden La Mole gar nicht zu hören schien, wenigstens sah er gar nicht vom Buche auf.

Der junge Mann erblickte den König, blieb aufrecht auf der Türschwelle stehen, stumm, überrascht und bleich vor Unruhe.

Margarete ging auf ihn zu.

»Herr von La Mole,« fragte sie, »könnten Sie mir sagen, wer heute Wachtdienst beim Herrn Herzog von Alençon hat?«

»Coconas, Madame . . .« erwiderte La Mole.

»Trachten Sie von ihm zu erfahren, ob er einen staubbedeckten Mann, der so aussah, als ob er einen sehr langen Ritt mit verhängten Zügeln hinter sich hätte, zu seinem Herrn eingelassen hat?«

»Ah, Madame, ich fürchte sehr, daß er es mir nicht sagen wird. Seit einigen Tagen ist er sehr schweigsam geworden.«

»Wirklich? Doch wenn Sie ihm diesen kleinen Brief übergeben werden, so wird er Ihnen doch einen kleinen Gegendienst erweisen wollen?«

»Von der Herzogin? . . . Ah, mit diesem Brief kann ich es versuchen.«

»Fügen Sie hinzu,« sagte Margarete und mäßigte ihre Stimme, »daß dieser Brief ihm zugleich als Erkennungszeichen dienen wird, wenn er in das auch Ihnen bekannte Haus wird eintreten wollen.«

»Und welches wird mein Erkennungszeichen sein?« fragte La Mole ganz leise.

»Sie werden Ihren Namen nennen und das wird genügen!«

»Geben Sie mir den Brief, Madame, geben Sie mir ihn!« sagte La Mole bebend vor Liebe, »Ich stehe für alles ein!«

Er entfernte sich.

»Wir werden morgen wissen, ob der Herzog von Alençon über die Angelegenheiten in Polen unterrichtet ist,« sagte Margarete ruhig und sah sich nach ihrem Gatten um.

»Dieser Herr von La Mole ist wirklich eine prächtige Stütze!« meinte der Bearner mit jenem Lächeln, das ihm allein eigen war, »und . . . bei der heiligen Messe, ich werde einmal sein Glück machen!«

 


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