Alexander Dumas
Königin Margot. Erster Band
Alexander Dumas

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Schlüssel, die Türen öffnen, für die sie nicht bestimmt sind

Als die Königin von Navarra in den Louvre zurückgekehrt war, fand sie Gillonne in großer Aufregung. Frau von Sauve war in der Zwischenzeit dagewesen. Sie hatte einen Schlüssel überbracht, den ihr die Königin-Mutter hatte übermitteln lassen. Es war der Schlüssel, der das Zimmer des gefangenen Heinrich von Navarra sperrte. Augenscheinlich wünschte die Königin-Mutter aus irgendeinem Grunde, daß der Bearner die kommende Nacht bei Frau von Sauve verbringen sollte.

Margarete übernahm den Schlüssel und besah ihn nachdenklich von allen Seiten. Sie ließ sich dann eingehenden Bericht über die Bemerkungen der Frau von Sauve erstatten, erwog sie Wort für Wort und glaubte, den ganzen Plan Katharinas verstanden zu haben.

Sie nahm Tinte und Feder zur Hand und schrieb folgendes auf ein Papier: »Statt heute abend zu Frau von Sauve zu gehen, begeben Sie sich zur Königin von Navarra. Margarete.«

Dann rollte sie das Papier ein, steckte es in die Höhlung des Schlüssels und beauftragte Gillonne, diesen Schlüssel, sobald die Nacht eingebrochen sein würde, unter der Türe des Gefangenen durchzuschieben.

Nach Erledigung dieser Sorge, dachte Margarete an ihren armen Verwundeten, schloß alle Türen und trat in das Nebenzimmer ein. Zu ihrem großen Erstaunen sah sie, daß La Mole die noch blutbefleckten und zerrissenen Kleider wieder angezogen hatte.

Er versuchte sich zu erheben, als er die Königin bemerkte. Er wankte, konnte sich nicht aufrechthalten und fiel wieder auf den Liegestuhl zurück, den man zum Bett umgewandelt hatte.

»Was geht hier vor, mein Herr?« fragte Margarete. »Warum folgen Sie den Anordnungen Ihres Arztes nicht? Ich habe Ihnen Ruhe verordnet, und statt zu gehorchen, machen Sie gerade das Gegenteil hiervon.«

»Ach, Madame,« sagte Gillonne, »meine Schuld ist es nicht, daß es so weit kam. Ich habe den Herrn Grafen gebeten, ihn sogar inständigst darum ersucht, keine Tollheiten zu begehen, aber er erklärte, daß ihn nichts im Louvre zurückhalten könne.«

»Den Louvre verlassen!« rief Margarete erstaunt und maß den jungen Mann, der die Augen zu Boden schlug. »Das ist ja unmöglich! Sie können ja noch kaum einen Schritt gehen, Sie sind kraftlos und blaß, man sieht, wie Ihre Knie zittern. Heute früh hat die Wunde an Ihrer Schulter noch geblutet.«

»Madame,« antwortete der junge Mann, »so sehr ich Ihnen zu Dank dafür verpflichtet bin, mir gestern abend einen Zufluchtsort gewährt zu haben, so sehr muß ich Eure Majestät jetzt bitten, mir erlauben zu wollen, daß ich mich heute entferne.«

»Aber,« staunte Margarete, »ich weiß wirklich nicht, wofür ich diesen wahnsinnigen Entschluß halten soll. Das ist ärger als Undankbarkeit!«

»Oh, Madame!« rief La Mole und rang die Hände, »weit davon entfernt undankbar zu sein, bleibt im Gegenteil in meinem Herzen ein lebenslängliches Gefühl der Dankbarkeit bestehen.«

»Dann wird dieses Gefühl nicht zu lange währen!« sagte Margarete. Sie war von dem Ton dieser Worte, die an ihrer Aufrichtigkeit nicht zweifeln ließen, ergriffen. »Denn Ihre Wunden werden sich wieder öffnen, Sie werden verbluten und sterben oder man wird Sie als Hugenotten erkennen. Sie werden keine hundert Schritte in der Straße gemacht haben und man wird Sie schon umgebracht haben.

»Und doch muß ich den Louvre verlassen,« murmelte La Mole.

»Sie müssen?« sagte Margarete und blickte ihn tief und durchdringend an. Ein wenig erblassend setzte sie dann fort: »O ja! Ich begreife alles, verzeihen Sie, mein Herr! Zweifelsohne befindet sich außerhalb des Louvre eine Person, welcher Ihre Abwesenheit ernste Sorge bereitet. Das ist selbstverständlich, Herr von La Mole, und auch ganz natürlich, ich verstehe es. Daß Sie das aber nicht gleich gesagt haben, oder vielmehr, daß ich das nicht selbst schon überlegte! Wenn man Gastfreundschaft übt, wird es Pflicht, auch die Empfindungen seiner Gastes zu schonen, genau so, wie man seine Wunden behandeln muß, wird es Pflicht, seinem seelischen Zustand die gleiche Pflege angedeihen zu lassen wie seinem Körper.«

»Leider, Madame,« antwortete La Mole, »leider irren Sie sich sehr. Ich stehe fast allein auf dieser Welt und schon ganz allein in Paris, wo mich niemand kennt. Mein Verfolger ist der erste Mann, mit dem ich hier gesprochen habe, und Eure Majestät sind die erste Frau, die mich angeredet hat.«

»Warum wollen Sie dann fort von hier?« fragte Margarete erstaunt.

»Weil Eure Majestät in der vergangenen Nacht nicht zur Ruhe gekommen sind, und weil in dieser Nacht . . .« Margarete errötete.

»Gillonne,« sagte sie, »die Nacht ist hereingebrochen, ich glaube, daß es Zeit wird, den Schlüssel an seine Stelle zu bringen.«

Gillonne lächelte und zog sich zurück.

»Wenn Sie aber allein in Paris sind,« begann Margarete wieder, »keine Freunde haben, was wollen Sie dann nur anfangen?«

»Ich werde bald genug Freunde haben, Madame. Während ich verfolgt wurde, da dachte ich an meine Mutter, die eine Katholikin war. Ich sah sie vor mir, wie sie, ein Kreuz in der Hand, vor mir herschwebte und mir den Weg zum Louvre wies. Da tat ich den Schwur, daß, wenn Gott mir das Leben schenken sollte, ich den Glauben meiner Mutter annehmen würde. Gott hat noch mehr getan, als mir das Leben zu retten, Madame, er hat mir einen seiner Engel gesandt, um mich dieses Leben auch lieben zu lehren.«

»Sie werden aber keinen Schritt gehen können, nach einer kurzen Wegstrecke werden Sie ohnmächtig zusammensinken.«

»Ich habe mich hier im Zimmer ein wenig im Gehen geübt, Madame. Es geht zwar nur langsam und mit Schmerzen, das ist richtig. Wenn ich aber einmal auf dem Platz vor dem Louvre bin, wird geschehen, was möglich ist.«

Margarete stützte ihren Kopf in die Hand und dachte ernst nach.

»Und der König von Navarra?« fragte sie mit einer gewissen Absicht. »Sie reden gar nicht mehr von ihm. Haben Sie denn die Lust verloren, ihm weiter zu dienen, weil Sie Ihren Glauben wechseln wollen?«

»Madame,« sagte La Mole erbleichend, »Sie nennen gerade die wahre Ursache meines Abschiedes . . . Ich weiß, daß der König in höchster Gefahr schwebt, und daß ihm der ganze Einfluß Eurer Majestät als Königstochter von Frankreich kaum zur Rettung genügen wird.«

»Wie, mein Herr? Was wollen Sie damit sagen und von welcher Gefahr sprechen Sie?«

»Madame,« erwiderte La Mole zögernd, »man hört aus diesem Zimmer alles.«

»Das ist wahr,« sagte Margarete mehr zu sich selbst, »das gleiche hat mir auch der Herzog von Guise mitgeteilt.«

Dann sagte sie laut: »Was haben Sie also gehört?«

»Zuerst die Besprechung, die Eure Majestät heute morgen mit Ihrem Bruder gehabt haben.«

»Mit meinem Bruder Franz?« rief Margarete und errötete.

»Mit dem Herzog von Alençon, jawohl! Dann während Ihrer Abwesenheit die Unterredung der Frau von Sauve mit Gillonne.«

»Und diese zwei Gespräche . . .

»Ja, Madame! Seit kaum acht Tagen verheiratet, lieben Sie Ihren Gemahl. Ihr Gatte wird herkommen, gerade so wie der Herzog von Alençon und Frau von Sauve gekommen sind. Er wird mit Ihnen über seine Geheimnisse sprechen. Nun gut, ich darf sie nicht hören . . . das wäre unbescheiden von mir . . . ich kann nicht zudringlich sein, darf es nicht sein . . . und vor allem anderen, ich will es nicht sein.«

Der Ton, in dem La Mole die letzten Worte gesprochen hatte, seine unsichere Stimme, der Verlust seiner Selbstbeherrschung, erleuchteten Margaretes Verstand in plötzlicher Erkenntnis.

»Ah,« sagte sie, »Sie haben also alles gehört, was bisher in diesem Zimmer gesagt wurde?«

»Ja, Madame!«

Diese Worte waren nur gehaucht.

»Und Sie wollen in dieser Nacht, noch am Abend weg, um nicht noch mehr zu hören?«

»Sogleich, wenn Eure Majestät es mir erlauben.«

»Armer Junge!« sagte Margarete mit einem sonderbaren Ton innigen Mitleids.

Erstaunt über die sanfte Antwort, da er doch eher eine strenge Erwiderung erwartet hatte, hob La Mole bescheiden sein Haupt. Seine Augen begegneten denen Margaretes und blieben gebannt wie durch magnetische Kraft an dem durchdringenden, tiefen Blick der Königin hängen.

»Sie halten sich also für unfähig, ein Geheimnis zu wahren, Herr von La Mole?« fragte die Königin leise. An die Rückseite ihres Stuhles gelehnt, durch den Schatten eines dichten Vorhanges halb verdeckt, freute sie sich daran, in der Seele des jungen Mannes so deutlich zu lesen und dabei selbst unerforschlich zu bleiben.

»Madame,« sagte La Mole, »ich bin von unglücklicher Veranlagung, ich mißtraue mir selbst und das Glück anderer peinigt mich.«

»Wessen Glück?« sagte Margarete lächelnd. »Ach ja. das Glück des Königs von Navarra . . . armer Heinrich!«

»Sie sehen es selbst ein, daß er glücklich ist!« rief lebhaft La Mole.

»Glücklich?«

»Ja, weil Eure Majestät ihn bedauern.«

Margarete zerknitterte die Seide ihrer Geldbörse und zerfaserte die goldenen Fransen.

»Sie weigern sich also, den König von Navarra zu sehen?« fragte sie. »Das haben Sie bei sich bestimmt und beschlossen?«

»Ich fürchte, Seiner Majestät in einem solchen Augenblick lästig zu fallen.«

»Und dem Herzog von Alençon, meinem Bruder?«

»Oh, Madame,« rief La Mole aus, »der Herr Herzog von Alençon! Nein, nein, mehr noch dem Herzog von Alençon, als dem König von Navarra.«

»Warum das?« fragte Margarete so erregt, daß ihre Stimme fast zitterte.

»Weil ich, obwohl ich schon ein zu schlechter Hugenotte bin, um Seiner Majestät, dem König von Navarra, treu zu dienen, doch noch kein so guter Katholik bin, um mich zu den Freunden des Herzogs von Alençon und des Herzogs von Guise zählen zu dürfen.«

Es war jetzt an Margarete, die Augen niederzuschlagen. Den Hieb fühlte sie bis auf den tiefsten Grund ihres Herzens. Sie hätte nicht sagen können, ob die Worte La Moles für sie eine Schmeichelei oder einen Schmerz bedeuteten.

In dem Augenblick trat Gillonne ein und Margarete befragte sie mit den Augen. Die Antwort Gillonnes fiel auf die gleiche Art bejahend aus. Es war ihr gelungen, den Schlüssel in die Hände des Königs von Navarra zu bringen.

Margarete blickte wieder auf La Mole. Der stand unentschlossen vor ihr, ließ den Kopf auf die Brust sinken und war blaß wie einer, der seelisch und körperlich leidet.

»Herr von La Mole ist stolz,« sagte sie, »und ich zögere, ihm den Vorschlag zu machen, den er zweifellos ablehnen wird.« La Mole raffte sich zusammen und machte einen Schritt auf die Königin zu. Er wollte sich zum Zeichen, daß er bereit sei, ihre Befehle entgegenzunehmen, vor ihr verbeugen. Aber ein beißender, quälender Schmerz trieb ihm plötzlich die Tränen in die Augen, er fühlte, daß er niedersinken müßte und griff rasch nach dem Vorhang, um sich festzuhalten.

»Sehen Sie,« rief Margarete, lief auf ihn zu und fing ihn mit den Armen auf, »sehen Sie, mein Herr, wie Sie mich noch brauchen!«

Kaum merkbar bewegten sich die Lippen La Moles.

»O ja!« murmelte er. »Wie die Luft, die ich atme, wie den Tag und sein Licht!«

In dem Augenblick ertönten drei Schläge an der Tür.

»Hören Sie, Madame?« sagte Gillonne erschrocken.

»Schon?« murmelte Margarete.

»Soll ich öffnen?«

»Warte noch, vielleicht ist es der König von Navarra!«

»Oh, Madame!« rief La Mole, den diese wenigen Worte, obwohl sie die Königin so leise und nur an Gillonne gerichtet geflüstert hatte, wieder aufrichteten. »Oh, Madame, ich flehe Sie auf den Knien an: lassen Sie mich fort, ja, tot oder lebend, Madame! Haben Sie Mitleid mit mir! Ach, Sie antworten mir nicht . . . nun gut! Dann will ich reden und wenn ich gesprochen haben werde, dann werden Sie mich, wie ich hoffe, davonjagen!«

»Schweigen Sie, Unglücklicher!« sagte Margarete, und doch empfand sie einen unendlichen Reiz, den vorwurfsvollen Worten des jungen Mannes zuzuhören . . . Schweigen Sie doch!«

»Madame,« erwiderte La Mole, der im Ton Margaretes nicht die Strenge heraushörte, die er unzweifelhaft erwartet hatte, »Madame, ich wiederhole es: aus diesem Zimmer vernimmt man alles! Ach, lassen Sie mich doch nicht eines Todes sterben, den die grausamsten Henker nicht erfinden würden!«

»Still, still!« sagte Margarete.

»Oh! Madame, Sie haben kein Mitleid! Sie wollen nichts hören. Sie wollen nichts verstehen. Begreifen Sie doch . . . daß ich Sie liebe . . .«

»Ruhe doch, wenn ich es schon sage!« unterbrach ihn Margarete. Sie legte ihre warme, duftige Hand auf den Mund des jungen Mannes, und er ergriff sie und preßte seine Lippen darauf.

»Aber . . .« flüsterte La Mole.

»Aber schweigen Sie doch. Sie Kind! Wollen Sie sich gegen die Befehle Ihrer Königin auflehnen?«

Dann eilte sie aus dem Zimmer, schloß die Tür ab und lehnte sich an die Wand, um mit beiden Händen an der Brust das wildschlagende Herz zu beruhigen.

»Öffne, Gillonne!«

Gillonne verließ das Zimmer und einen Augenblick später erschien der feine, geistreiche Kopf des Königs von Navarra unter dem Vorhang. Seine Miene drückte ein wenig Besorgnis aus.

»Sie haben mich zu sich bestellt, Madame?« fragte der König.

»Ja, haben Eure Majestät meinen Brief erhalten?«

»Nicht ohne Staunen, das muß ich gestehen,« sagte Heinrich und blickte mit Mißtrauen um sich herum, beruhigte sich aber gleich wieder.

»Und nicht ohne eine gewisse Besorgnis, nicht wahr?« meinte Margarete.

»Das müßte ich zugeben, jedoch, Madame, umgeben von erbitterten Feinden, wie ich bin, umgeben von vielleicht noch gefährlicheren Freunden, erinnerte ich mich, daß ich an einem Abend in Ihren Augen das Gefühl der Großmut aufleuchten gesehen. Das war am Abend nach unserer Hochzeit. Ich erinnerte mich, daß ich an einem anderen Tag in Ihren Augen auch Mut und Entschlossenheit blitzen sah, und dieser andere Tag war gestern, der Tag, für den mein Tod festgesetzt war.«

»Und, mein Herr?« fragte Margarete lächelnd, während Heinrich anscheinend im Grunde Ihres Herzens zu lesen versuchte.

»Und in Anbetracht dessen, Madame, sagte ich mir, als ich Ihren Brief in die Hand bekam, sofort: Aller Freunde beraubt, gefangen, entwaffnet, hat der König von Navarra nur eine Möglichkeit, eines wirkungsvollen Todes zu sterben, eines Todes, den wenigstens die Geschichte verzeichnen muß, das ist der Tod durch Verrat seiner Frau. Darum bin ich gekommen.«

»Sire,« gab Margarete zur Antwort, »Sie werden Ihre Sprache sogleich ändern, wenn Sie erfahren werden, daß jetzt alles das Werk einer Person ist, welche Sie liebt . . . und die Sie ebenso lieben.«

Heinrich wich vor diesen Worten zurück, sein graues, scharfes Auge beobachtete unter den schwarzen Wimpern die Königin mit Neugierde.

»Ach, beruhigen Sie sich, Sire!« sagte die Königin lächelnd, »fern liegt mir die Anmaßung, behaupten zu wollen, daß ich diese Person bin.«

»Trotzdem sind Sie es gewesen, die mir diesen Schlüssel übermittelt hat, diese Schrift ist doch die Ihre!«

»Die Schrift ist allerdings die meinige, das gebe ich zu, und der Brief kam von mir, das leugne ich nicht, aber mit dem Schlüssel hat es eine andere Bewandtnis. Es mag Ihnen genügen zu erfahren, daß der Schlüssel durch die Hände von vier Frauen gegangen ist, bevor er in Ihre Hände gelangte.«

»Von vier Frauen!« rief Heinrich erstaunt.

»Ja, durch die Hände der Königin-Mutter, durch die Hände der Frau von Sauve, die Hände Gillonnes und durch meine Hände.«

Heinrich beschäftigte sich mit der Lösung dieses Rätsels.

»Jetzt reden wir vernünftig, mein Herr, und vor allem andern reden wir aufrichtig miteinander. Ist es wahr – heute wird bereits öffentlich darüber gesprochen – daß Eure Majestät Ihrem Glauben abschwören wollen?«

»Die öffentliche Meinung irrt sich, Madame; ich habe noch in keiner Weise meine Zustimmung gegeben.«

»Doch Sie sind schon dazu entschlossen?«

»Das heißt, ich überlege noch! Was wollen Sie denn auch? Wenn man zwanzig Jahre alt ist, schon nahezu ein König ist . . . Himmel und Hölle, dann steht das Leben schon um eine Messe dafür!«

»Gewiß, vor allen andern Dingen das Leben selbst.«

Heinrich konnte ein feines Lächeln nicht unterdrücken.

»Sie sagen nicht alles, was Sie denken, Sire,« sagte Margarete.

»Für meine Verbündeten habe ich immer noch geheime Vorbehalte, die sie nicht zu erfahren brauchen . . . und da wir ja bloß Verbündete sind . . . wenn Sie zugleich Bundesgenosse und . . .«

». . . ich, Ihre Frau wäre, nicht wahr, Sire?«

»Meiner Treu, ja . . . meine Frau.«

»Dann?«

»Dann könnte eine andere Auffassung die vorherrschende werden . . . und vielleicht würde ich viel darum geben, der König der Hugenotten zu bleiben, wie man sagt . . . jetzt aber muß ich mich damit zufrieden geben, am Leben zu bleiben.«

Margarete sah Heinrich so eigentümlich an, daß ein weniger feiner Geist, als der des Königs von Navarra, irgend einen Verdacht hätte schöpfen müssen.

»Und sind Sie wenigstens sicher, diesen Erfolg zu haben?« fragte sie.

»So beiläufig schon!« antwortete Heinrich. »Wissen Sie doch, Madame, daß man in dieser Welt keiner Sache so sicher sein darf.«

»Es ist richtig,« meinte Margarete, »Eure Majestät bekunden eine derartige Zurückhaltung, bringen eine derartige Gleichgültigkeit zum Ausdruck, daß Eure Majestät nach einer Thronentsagung, nach Abschwörung des Glaubens, ebenso der Verbindung mit einer Königstochter Frankreichs – so hofft man wenigstens – entsagen werden.«

In diesen Worten lag eine so tiefe Bedeutung, daß Heinrich unwillkürlich stutzte. Doch die Verblüffung war blitzartig überwunden.

»Geruhen, Madame, sich daran zu erinnern, daß ich gegenwärtig keinen freien Willen habe. Demnach muß ich tun, was mir der König von Frankreich anbefehlen wird. Wenn man mich aber in dieser Frage, bei der es sich ja um nichts weniger handelt als um meine Krone, meine Ehre und mein Leben, zu Rate ziehen würde, dann würde ich es, statt meine Zukunft auf die Vorteile unserer erzwungenen Heirat aufzubauen, allerdings vorziehen, mich als Jäger in irgendeinem Schlosse oder als Büßer in irgendeinem Kloster begraben zu lassen.«

Diese ruhige Entsagungsbereitschaft, dieser Verzicht auf die Freuden der Welt, erschreckten Margarete. Sie dachte schon, daß die Trennung ihrer Ehe eine zwischen dem König Karl dem Neunten, der Königin-Mutter und dem König von Navarra abgemachte und vereinbarte Sache wäre. Warum würde man nicht auch sie betrügen und der Politik zum Opfer bringen? Deshalb vielleicht nicht, weil sie die Schwester des einen oder die Tochter der anderen war? Die Erfahrung hatte sie gelehrt, daß dies niemals Grund genug sein könnte, um sich in Sicherheit zu wiegen. Nun stachelte ein Ehrgeiz die junge Frau oder vielmehr die Königin auf, ein Ehrgeiz, der viel zu erhaben war, um etwa in den Fehler gekränkter Eitelkeit zu verfallen. Denn jede Frau, selbst eine von nur mittelmäßiger Veranlagung, unterliegt, sobald sie wahrhaft zu lieben imstande ist, niemals den erbärmlichen menschlichen Schwächen, weil ja die wahre Liebe nichts anderes ist, als eine Art von Ehrgeiz.

»Eure Majestät,« sagte Margarete wie in spöttischer Verachtung, »haben, wie mir scheint, kein zu großes Zutrauen zu dem Stern, der über dem Haupt eines jeden Königs schwebt.«

»Ah,« entgegnete Heinrich, »ich kann jetzt meinen Stern suchen! Der ist von den Gewitterwolken verdeckt, die zur Stunde grollend gegen mich heraufsteigen.«

»Und wenn nun der Hauch einer Frau dieses Gewitter in alle Richtungen zerstreuen würde, daß der Stern glanzvoller leuchten könnte denn jemals?«

»Das ist wohl recht schwer möglich,« meinte Heinrich.

»Leugnen Sie das Vorhandensein einer solchen Frau, mein Herr?«

»Nein, aber ich spreche ihr das Können ab.«

»Vielleicht wollten Sie sagen: ihren Willen?«

»Ich sagte: ihr Können, und ich wiederhole dieses Wort. Eine Frau ist nur dann mit Erfolg zu Leistungen fähig, wenn sich die Liebe und der Eigennutz in ihr im gleichen Maße vereinigen. Wenn eine dieser Eigenschaften allein vorherrscht, dann ist sie verwundbar, wie Achilles. Täusche ich mich nicht, so kann ich bei dieser ehrgeizigen Frau auf Liebe nicht rechnen.«

Margarete schwieg.

»Hören Sie,« setzte Heinrich fort, »bei den letzten Glockenschlägen von Saint-Germain-l'Auxerrois mußten Sie doch daran denken, sich die Freiheit wiederzuerobern, Ihre Freiheit, die man auf das Spiel gesetzt hatte, um meine Partei zu vernichten. Ich mußte daran denken, mein Leben zu retten. Das war eine dringende Sorge . . . Ich verliere mein Königreich Navarra, ich weiß es wohl, doch das ist ein geringfügiger Verlust, dieses Navarra, wenn ich dagegen Ihre wiedergewonnene Freiheit in Betracht ziehe. Die Freiheit besteht schon darin, ganz laut im eigenen Zimmer reden zu dürfen, was Sie ja früher nie tun durften, weil immer einer da war, der Sie aus diesem Nebenzimmer belauschte.«

Obwohl ausschließlich mit eigenen Gedanken beschäftigt, konnte sich Margarete nicht enthalten zu lächeln. Der König von Navarra hatte sich schon erhoben, um in seine Wohnung zurückzukehren. Vor einiger Zeit hatten die Glocken schon elf Uhr geschlagen, und im Louvre schlief schon alles oder es schien wenigstens schon alles schlafen gegangen zu sein.

Heinrich machte drei Schritte gegen die Ausgangstür. Doch plötzlich blieb er stehen, und als ob er sich jetzt erst des Umstandes erinnerte, der ihn in das Zimmer der Königin geführt, sagte er: »Richtig, Madame, hatten Sie mir nicht bestimmte Mitteilungen zu machen? Oder wollten Sie mir nur Gelegenheit geben, mich bei Ihnen für Ihr tapferes Einschreiten im Waffensaal des Königs zu bedanken, das mir gestern eine Galgenfrist gewährt hat? Wahrhaftig, Madame, es war höchste Zeit gewesen, das kann ich nicht leugnen, und Sie sind wie eine antike Gottheit auf die Schaubühne herabgestiegen, gerade zum rechten Zeitpunkt, um mir das Leben zu retten.

»Unglücklicher!« rief Margarete mit dumpfer Stimme aus und faßte ihren Gemahl bei beiden Armen. »Sehen Sie denn nicht, daß nichts gerettet wurde, nicht Ihre Freiheit, nicht Ihre Krone und nicht Ihr Leben! . . . Blinder! Narr, armer Narr! Sie haben aus meinem Brief nichts anderes herausgelesen, als ein Stelldichein, nicht wahr? Sie haben gedacht, daß Margarete, durch Ihren kalten Hochmut zum äußersten gereizt, Genugtuung von Ihnen verlangen wollte?«

»Aber, Madame,« sagte Heinrich erstaunt, »ich versichere . . .«

Mit einem unbeschreiblichen Ausdruck zuckte Margarete die Achseln.

Im gleichen Augenblick wurde an der heimlichen Tür ein sonderbares Geräusch hörbar, ein scharfes, eiliges Kratzen. Margarete führte den König in die Richtung der kleinen Pforte.

»Hören Sie?« sagte sie.

»Die Königin-Mutter verläßt ihre Gemächer!« murmelte eine ängstliche, hastige Stimme hinter der Tür. Heinrich erkannte sofort die Stimme der Frau von Sauve.

»Wohin begibt sie sich?« fragte Margarete.

»Sie kommt zu Eurer Majestät!«

Und schon war auch das Rauschen eines Seidenkleides zu vernehmen, das sich immer mehr entfernte. Frau von Sauve war davongeflüchtet.

»Oh, oh!« rief Heinrich von Navarra aus.

»Ich war fest überzeugt davon, daß sie kommen würde,« sagte Margarete.

»Und ich befürchtete es, da ist der Beweis!«

Mit einer raschen Bewegung öffnete Heinrich sein Wams aus schwarzem Samt und ließ Margarete ein Panzerhemd sehen, das an seiner Brust funkelte, gleichzeitig auch einen langen Mailänder Dolch, der in seiner Hand wie eine Viper im Sonnenschein glänzte.

»Mit Panzer und Eisen ist hier Vorsorge getroffen!« rief Margarete. »Doch lassen Sie das, Sire, stecken Sie den Dolch wieder ein, die Königin-Mutter ist es, das ist richtig . . . aber die Königin-Mutter ganz allein.«

»Immerhin . . .«

»Sie ist es, ich höre sie kommen, Ruhe!«

Indem sich Margarete zum Ohr Heinrichs hinneigte, flüsterte sie ihm mit leiser Stimme einige Worte zu. Der junge König vernahm sie mit Aufmerksamkeit und mit Staunen. Im nächsten Augenblick verbarg sich Heinrich hinter den Bettvorhängen.

Mit der Geschicklichkeit eines Panthers sprang Margarete in das Nebenzimmer, wo La Mole erregt wartete, fand den jungen Mann in der Dunkelheit, preßte ihm die Hand und raunte ihm zu: »Ruhig bleiben!«

Sie stand so nahe bei ihm, daß er fühlte, wie ihr warmer, duftiger Atem mild sein Gesicht streifte.

»Ruhe!«

Dann eilte sie in ihr Zimmer zurück, verschloß die Tür und begann sich das Haar rasch aufzuknoten. Mit einem Dolch schnitt sie ebenso schnell alle Schnürbänder ihres Kleides durch und warf sich in das Bett.

Es war höchste Zeit gewesen, schon drehte sich der Schlüssel im Türschloß.

Katharina besaß einen Hauptschlüssel für alle Türen im Louvre.

»Wer da?« rief Margarete, während Katharina einem Gefolge von vier Edelleuten den Posten an der Türe anwies.

Als ob sie über den so plötzlichen Eintritt in ihr Zimmer erschrocken wäre, sprang Margarete im weißen Schlafrock unter den Vorhängen aus dem Bett heraus. Sie erkannte Katharina und spielte ihr Erstaunen so gut, daß sich selbst die Florentinerin täuschen ließ. Dann küßte Margarete die Hand ihrer Mutter.

 


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