Max Dreyer
Ohm Peter
Max Dreyer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

28

Was? Der Bengel ist seit gestern hier und läßt sich nicht bei uns blicken! Das wäre mir neu! Dann wird er einfach geholt.«

Der Ohm hatte bei Ellen traurige Augen gesehen. Und nun schickte er Vater Wittmüs mit einem Brief zum Lehrer Karsten, wenn sich Ewald nicht endlich heute am dritten Festtag einfände, dann käme er, Peter Brandt, selbst angerückt und kriegte den jungen Herrn beim Kanthaken.

Ellen bat darum, daß die Botschaft unterbleiben solle. Wenn er nicht von selber käme – nachlaufen wollten sie ihm doch nicht! Aber aus ihrem Zorn hörte der Ohm mehr Klage als Stolz, und Johann Wittmüs ging.

Am Nachmittag machte Ewald seinen Besuch. Sie sahen ihn schon von ferne. »Donnerwetter! Pikfein! Schmeißt der Bengel einen Schatten!« rief der Ohm, und es war zuerst nur ein harmlos-kräftiges 294 Sichverwundern. Als der junge Mann aber bei ihnen eintrat und ihn Peter Brandt sich aus der Nähe besah, da wurde für diesen bei allem guten Willen ein ehrliches Mißbehagen daraus. Nur Ellen blieb noch in der Verwunderung, die kein Urteil sprach.

Ewald war ein Weltmann geworden. Sein Selbstgefühl so hoch wie sein Kragen. Mit einer wehmütigen Zärtlichkeit dachte die Kleine der schiefen Absätze, die er bei ihrem ersten Zusammensein getragen hatte.

Und nun sprach er von sich und nur von sich. Unaufgefordert und mit gewählter Langsamkeit, wie sie dem Wichtigsten gebührt. Zwischendurch schlich eine Bescheidenheit, eine lauernde, die das Lob hervorlocken wollte.

Der Ohm schüttelte sich. Aber er hielt sich zusammen.

»Die gnädige Frau hat mir ein Studio einrichten lassen. Drei Stunden am Tag unterrichte ich die Jungs. Die andre Zeit habe ich für mich.«

»Du studierst Theologie, nicht?« fragte Ellen.

»Nein. Immatrikuliert bin ich ja. Aber ins Kolleg gehe ich nicht.«

Das waren Tatsachen, die dem Ohm sonst 295 unbedingt gefallen hätten. Aber wie der Junge sie aussprach, das nahm ihnen alle Weihe. Es war nichts Frisches darin, weder Ehrlichkeit noch Renommisterei, es war eine kokette Ueberlegenheit, die Peter Brandt noch Schlimmeres ahnen ließ. Er sah Ewald mit festen Blicken ins Gesicht. In den großen blauen Augen irrte ein Schatten.

»Und die gnädige Frau bezahlt alles?« sagte er hart. Seine Blicke hielten den Jungen fest.

»Ja – ja.« Ewald sah zum Fenster hinaus. »Das heißt, ich habe sie ja gemalt. Und für das Bild hab' ich nichts gekriegt. Alle sagen, es wäre gut. Daraufhin hat mich auch Professor Döhring als Schüler aufgenommen. Es wird nicht lange dauern, dann hab' ich Aufträge so viel ich will.«

»Malst du nur Bildnisse?« fragte jetzt Ellen wieder.

»Ja. Damenbildnisse. Dafür hab' ich am meisten Talent. Und damit ist auch am meisten zu machen.«

Was er sagte, war schlimm. Aber noch schlimmer war, wie er es sagte.

Der Ohm stand auf. Er sah sich Ewald noch einmal an, der suchte vor den packenden Blicken Heil auf seinen glänzenden Stiefelspitzen. 296

›Der Junge ist geliefert. Rettungslos. Nun, was kümmert's mich!‹ Peter Brandt ging hinaus auf den Balkon. Der klare Frosthauch drängte sich an ihn mit herber Zärtlichkeit. Die Sonne war hinter die Hügel versunken. Stille war in den Breiten. In den abendlichen Glanz des Westens flog lautlos ein Entenpaar. Als es verschwand, war kein Leben mehr in der Luft außer dem Herdrauch des nächsten Hauses.

Was lag ihm an dem Jungen? Was war ihm dessen Untergang? Und doch – eine Hoffnung war bei ihm gewesen. Eine Hoffnung, die der Jugend anhängt und ihren Kämpfen zujauchzt. Kampflos versank hier eine Jugend. Und ob ihn nichts Inneres an dies Schicksal band – weiß Gott, der Junge hatte ihm im Grunde von jeher widerstrebt! – es war ihm doch, als schwebe eine Trauer durch die dämmernde Zeit, weil wieder eine Kraft aus der Welt gegangen war. Und er war nicht mehr reich, denn er war alt.

Jetzt dachte er daran, wie sich Ellen wohl mit dem jungen Herrn abfinden würde, dessen schöne Augen in ihre Träume kamen. War es gut, daß er sie allein mit ihm ließ?

Und er machte Miene wieder hineinzugehen. 297 Aber er blieb. Er hatte deutlich eine eifersüchtige Angst verspürt, und darum blieb er, ebenso fest und ebenso deutlich gegen sich selbst.

Wenn sie sich nicht allein mit Ewald abfand, wie hätte er, der Ohm, ihr helfen können? Und hätte er ihr helfen wollen, wenn sie sich so von ihm verlor?

Aber schon reckte er sich auf und sah klar in die klare Luft. Er wußte so gewiß, daß sie mit dem Jungen fertig werden würde, gerade so wie er. Nicht so schnell wie er, aber ebenso sicher.

So wahr sie seine Ellen war, seines Geistes Kind!

Er blickte in das verklingende Sonnenlicht, in die westliche Ferne. Dorthin würde sie ziehen – fünf Tage waren es noch. Dann ließ sie ihn zurück. Er war wieder allein. Seine Einsamkeit hatte er dann wieder, die er nicht aufhören konnte zu rühmen als sein höchstes Gut.

In fünf Tagen nahm sie Abschied von diesem allen. Er schüttelte den Kopf dazu und zog es doch an sich wie das Notwendige. Dann schritt er in den Garten. Frostwind kam von der See. Tief schlürfte der Ohm an dem klaren Hauch.

»Du bist blaß geworden in Berlin,« sagte Ellen. 298 »Strengst du dich auch zu sehr an mit dem Malen?« Sie zeigte ein echtes Bedauern, sie wollte die alte Vertraulichkeit wieder.

»Ach, das ist bloß so die Berliner Luft.« Er drehte den Kopf. Dann aber sah er ihr groß ins Gesicht. »Du bist so frisch und so stattlich. Eine junge Dame.« Seine Blicke glitten an ihr nieder, unbewußt erschrak sie davon und strich sich mit beiden Händen über Kleid und Schürze.

»Dummes Zeug!« sagte sie ärgerlich – worüber ward ihr nicht klar. Aber es gab hier etwas, was sie störte. Und sie rettete sich in das, was früher war.

»Weißt du noch, wie wir damals in den Dünen saßen? Du hast mich gezeichnet. Und Lieder hast du mir vorgesungen. In dem einen ist einer ertrunken. Und das andre war lustig. Weißt du das noch?«

»Ob ich das weiß!«

»Singst du immer noch so schön?«

»Ich hab' seit der Zeit nicht mehr gesungen.«

Das war gelogen, aber es klang wie nur die Wahrheit klingen kann, so schauerlich süß, und seine großen Augen blickten aus so wehmütiger Tiefe, ihr junges Herz erbebte davon. Er fühlte seine Macht und rückte ihr näher. Und erzählte ihr, 299 wie oft er an ihr Beisammensein hätte denken müssen. Dabei nahm er ihre Hand in die seine, die hatte eine weiche, feuchte Lauheit, daß es ihren klaren, festen, kleinen Fingern unbehaglich in ihr wurde und sie sich ihr entzogen.

Nun hob er die Hand zu ihrem Kopf und faßte ihr Haar, und näher beugte er sich ihr – starr blickte sie in seine Augen, da sah die Unberührtheit etwas darin, wovor sie sich verschloß, und Ellen stieß ihn zurück, gerade wie seine Lippen sich an ihr Gesicht pressen wollten.

»Ohm! Ohm!« rief sie laut und sprang in die Höhe.

Da war der Gerufene schon bei ihnen. Und er sah gerade noch, wie sie den Jungen von sich gehalten hatte.

Peter Brandt stand eine Weile mit geballten Händen, dann wandte er sich, holte ruhigen Schrittes den Hut des Gastes und gab ihm den wortlos in die Hand. Ewald nahm den Hut mit irrenden Augen. Dann ging er zu seinem Mantel, verbeugte sich und verließ eilig die Halle. Dabei wurde kein Wort gesprochen.

Der Ohm riß die Fenster auf. »'raus mit dem Parfüm der gnädigen Frau!« 300

Dann trat er frisch zu Ellen, die zwischen Traum und Leben hilflos eingekeilt war. »Komm, Kleine, wir gehen noch eine Stunde an den Strand. Wir haben Ostwind. Wir kriegen stärkeren Frost. Die Sterne freuen sich schon.« 301

 


 << zurück weiter >>