Max Dreyer
Ohm Peter
Max Dreyer

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So, Kleine« – sie hatten den Professor verladen und ihm die letzten Abschiedsgrüße zugewinkt, eben war der Wagen in der Niederung verschwunden – »jetzt bist du ganz in meiner Gewalt, jetzt bist du mir überlassen mit Haut und Haar!«

Er packte ihren Arm. »Was machst du jetzt, wenn ich dich auffresse ohne Pfeffer und Salz?«

»Bist du ein Menschenfresser?«

»Ja. Und du bist eine kleine Prinzessin, ein Königskind. Die fressen Menschenfresser am liebsten. Vorher aber wirst du noch geplagt und erniedrigt und mußt Magddienste leisten. Komm mit in den Garten. Du kannst mir da helfen.«

»Ei ja!«

»Wir wollen Bohnen legen. Die sind jetzt dran. Ende Mai – allerhöchste Eisenbahn.«

Sie gingen zum Gartenhaus, wo Peter die Geräte und Sämereien aufbewahrte, und machten 87 sich dann an die Arbeit. Die Beete waren schon gegraben und geharkt. Peter zeigte dem Kinde, in welchen Abständen es Löcher in die Erde zu machen hatte, ließ sie dann die Bohnen hineinlegen und mit Erde zudecken. Sie wurde rot vor Freude, als er ihr sagte, sie habe ihre Sache gut gemacht. »Wie lange dauert's, bis sie aufgehn?« fragte sie.

»Gut vierzehn Tage.«

»Und dann werden Stangen eingesteckt –!«

»Was so ein Stadtkind alles weiß! Hier können wir aber keine Stangen einstecken!«

»Warum nicht?«

»Weil es zu windig dafür ist. Dies sind Krupbohnen. Es bleiben niedrige Büsche.«

»Und wenn Bohnen daran sind, dann essen wir sie!«

»Dazu sind wir imstande! Und weißt du, wer sie kochen soll?«

»Nein –«

»Wer sie gepflanzt hat.«

»Du?«

»Du!«

Sie sah ihn an wie aus verklärter Höhe. Dann aber schwindelte es ihr, und verzagt ließ sie den Kopf hängen. »Ich kann ja gar nicht kochen.« 88

»Dann wirst du es lernen.«

Als sie hier fertig waren, stürzte die Kleine zu Mutter Wittmüs und hängte sich an die Alte und bestürmte sie mit Fragen, wie man Bohnen koche, und fragte wieder und ging ihr nicht von der Seite.

Eine große Zukunft hatte sich vor ihr aufgetan.

Am Nachmittag machte Peter mit der Kleinen einen Spaziergang in die Schönheiten der Halbinsel, welche man von der Höhe des Hauses übersah.

Durch dichten Wald mußten sie schreiten, ehe sie an die äußerste Spitze kamen. Unter den Baumkronen, in denen die Seewinde sich schaukelten, dichtes Untergehölz: Tannen, Haselnußbüsche und Wacholder; wo es sich lichtete, ein undurchdringliches Gewebe von Stauden, Kräutern und Gräsern, aus denen bunte Frühlingsblüten ohne Zahl hervorleuchteten.

Ellen wollte sich in dieses Blumenmeer stürzen. Aber Peter hielt sie an der Hand. »Warte. Ich hab' noch Besseres für dich! Etwas, was für dich wie geschaffen ist.«

So gingen sie weiter. Schmetternde Finken grüßten ihren Weg. Leise und neckisch zwitscherten Meisen über sie her. 89

Und nun kamen sie an eine große Lichtung – einen weiten grünen Plan – und auf dem Grün ein schimmerndes, flimmerndes Weiß von unzähligen Blüten, die keine andern Farben neben sich duldeten.

»Maiglöckchen – o sieh doch!« jauchzte das Kind.

Jetzt gab es für sie kein Halten mehr, sie lief auf die blühende Au, sie kniete dort nieder, sie warf sich in die Blütendecke mit ausgebreiteten Armen und badete sich in dem Duft.

Dann pflückte sie von den Blumen, soviel ihre kleinen Hände fassen konnten, und brachte sie Peter, der auf dem Wege geblieben war und freudig ihren Freuden zusah.

»Die sollst du haben!«

»Danke. Die wollen wir uns in die Halle stellen. Und nun komm.«

»Bleiben wir nicht hier? Hier ist es doch so schön.«

»Wir wollen erst einmal an die Spitze.«

Und sie gingen dorthin, es waren nur noch wenige Schritte. Jetzt standen sie auf dem Höwt, an dessen Fuß die Brandung griff, hoch über der Flut, und blickten über die See, die in tiefem 90 sanftem Blau vor ihnen sich dehnte und wiegte und zog.

Links sahen sie die Küste von Saßnitz, rechts erhob sich die Oie in glänzendem Goldschein aus den Wassern, dazwischen war die endlose Ferne.

»Da, wo der Himmel mit dem Wasser zusammenstößt, da geht die Ewigkeit an, nicht wahr?« so fragte Ellen.

Peter nickte.

»Und ehe man dahinkommt, muß man über das große Wasser. Das Sterben, das ist das große Wasser.«

Peter sah innig in sie hinein.

»Darum hab' ich auch wohl Angst vor der See. Weil sie wie der Tod ist.«

»Sieht das nach Tod aus, klein Ellen? Was so leuchtet!«

»Daß es so weit sein muß und so verlassen –! – So einsam ist es. Und dahinten geht dann der Himmel an –«

»Mit dem Himmel scheinst du nicht viel im Sinn zu haben!«

»Ich glaube, hier auf dem Erdenland ist es am schönsten!« 91

Sie sah etwas an dem Hange, was sie anzog, und kletterte dort herum, biegsam und schmeidig.

»Sieh dich vor, Ellen. Der Boden gibt da manchmal nach.«

Schon war sie wieder bei ihm, drei verblühte Butterblumen hielt sie sorgsam an den Stengeln.

»Die sind früh verblüht,« sagte Peter, »da an dem sonnigen Hang.«

»Ja und weißt du, was man damit machen muß?«

»Blasen.«

Sie setzten sich auf die Bank.

»Weißt du, Ohm Peter, was Frieda Körner sagt?«

»Nein, das weiß ich leider nicht.«

»Die ist sehr wild, aber sehr klug. Die sagt, man muß daran sehen, wie lange es dauert, bis man einen Mann bekommt.«

»Nun, dann sieh doch einmal nach.«

Die Kleine blies, die beflügelten Körner stoben davon, dann zählte sie, wieviel auf dem Fruchtboden stehen geblieben waren. Zehn waren es.

»Zehn Jahre. Na, ist nicht so sehr lange. Nun kommst du, Ohm Peter. Wie lange es dauert, bis du eine Frau kriegst.«

»Ach mein liebes Kind, das ist vorbei. Dazu bin ich viel zu alt.« 92

»Alt bist du ja – aber so sehr alt bist du doch noch nicht!«

»Bei mir fragt man höchstens, wie lange es noch dauert, bis ich abschramme.«

Er blies gegen den zweiten Stengel. Alle Körner flogen fort bis auf eins.

»Siehst du! Ein Jahr noch!«

»Ja, wenn du aber auch so doll pustest!«

Und die Kleine blies jetzt mit vollen Backen aus Leibeskräften über die dritte Orakelblume, so daß keine einzige Frucht stehen blieb.

»Siehst du, Ohm – jetzt bin ich überhaupt schon tot.«

Sie legte den Kopf an seinen Arm, und da sie müde war, dämmerte sie mit geschlossenen Augen vor sich hin.

Aus ihrem Haar stieg ein Duft von Frühling, von Wald und Maiblumen zu ihm auf. 93

 


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