Max Dreyer
Ohm Peter
Max Dreyer

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Das Haus stand auf der Höhe. Und seine Haltung war so, daß man ihm die Liebe zum Meere ansah, so freudig gehoben blickte es auf die Flut und immer nur auf die Flut.

Zu seinen Füßen lag ein Garten mit Rasenhängen, denen Wind und Sonne das Leben bitterschwer machten; darin waren ein paar Beete mit niedrigen Rosen eingebettet, und die Rosen sahen mit großen, scheuverwunderten Augen in die harte Helle dieser Luft, über die der Wind selbstherrlich gebot, die nichts Heimliches, Lauschendes und Kosendes hegte. Und doch leuchteten sie in all ihrer Angst, wagten es kaum, schön zu sein, und leuchteten doch. Der ewige Wind verbot ihnen den Duft, da blieb dieser verhalten in ihnen zurück und wurde selbst zum Leuchten. So wurde ihre scheue Pracht nur noch inniglicher.

Aber das Haus sah hinweg über diese leise, zitternde, fragende Daseinslust, wie weiter über die 14 gleichgültige Selbstverständlichkeit der breiten Kartoffelfelder, und blickte immer nur auf die See.

Mit all ihren Wandlungen war es vertraut, all ihre Regungen fühlte es auch, daß davon in seinem Holz ein Tönen und Klingen lebendig war.

Es empfand den Schauer, der durch die Welt ging, wenn die Morgendämmer sich teilten und das Meer die Sonne gebar, wenn die ersten Strahlen leise über die Fluten strichen wie lose, selige Kinderhände über einer Mutter ernstes Antlitz.

All die Farbentöne klingen in ihm auf, wenn zwischen Wolkenzügen, dunkeln und hellen, das gewachsene Licht über die Wellen sich ausströmt, hier ein Purpursaum, dort ein schwarzer Todesschlund, dahinter ein Blumenfeld, lila, veilchenfarben, da ein grüner Wiesenstreif und daneben ein Dunkelblau wie ein Stück Himmel. Und durch das alles ziehen die Wogen die weißen Streifen ihres jubelnden, sich hebenden, farbenfrohen Lebens, daß all das Bunte dagegen noch tiefer, noch glühender, noch unfaßbarer aufflammt.

Und wenn der Abend kam, sanft und zärtlich, wenn er die Fluten koste und ihnen ihre Nebelschleier abschmeichelte, all seine Geheimnisse darein zu hüllen, all sein Ahnen und seine Träume, und 15 wenn dann die Nacht das Meer zudeckte – sie die Erfüllung, die Ruhe, das Leid und das Glück: das alles war in dem Hause lebendig wie in den Wassern.

Und nun erst, wenn der Sturm kam, der freudige Zerstörer, der brausende, jauchzende, der laute, lebendige, lachende Tod! Das Haus fühlte sein Kommen.

Noch ist es still in der Luft und hell, aber das Licht ist unstet und die Sonne flackert. Dort hinten, ganz weit, wo Himmel und Wasser sich berühren, ist ein schwarzer Strich gezogen. Breiter und breiter wird der Streif, ganz gerade bleibt er und scharf, eine Schlachtordnung, fest und unerbittlich. So wächst es heran. Und das Meer duckt sich, nicht vor Angst, es ist ein wohliges, sich schmiegendes Kauern, und ein Funkeln da und dort – Raubtiere, die auf den Sprung sich freuen. Aber auf dem Lande ist die Angst. Und alles kriecht zusammen, die Hügel, die Hänge, der Wald und das Dorf. Nah und klein und eng wird hier alles. Die See aber wird immer größer und mächtiger, grausamer und froher.

Und dann bricht es los. Erst ein geller Pfiff, wie ein Signal. Und jetzt ein Brausen, ein Grollen und Rollen, ein Donnern, dazwischen brüllende Rufe, Flüche und Schreie des Grauens, tobendes 16 Frohlocken und Schreie des Jubels. Die Erde zittert und dampft. Die Wolken werden in Fetzen zerrissen, aber das Meer behält seine Wellen, seine Kraft und seine sich türmende Freude; nur Schaumflocken reißt der Sturm über das bebende Land, ein höhnischer Gruß an die bange Not.

Im Hause tönt es wieder, was der Sturm atmet. In seinem Holze harft das wilde Grauen und die wildere Lust. Wie ein Rieseninstrument ist es, von einer Götterhand gespielt.

Und Peter Brandt sitzt in dem Hause, bewegungslos, die Ellbogen auf die Kniee gepreßt, die Stirn in die Hände gegraben, und horcht und trinkt und saugt mit allen Fibern: kein Ton, kein Klang, kein Akkord, den er nicht ins innerste Mark hineinschlürft.

Und wenn er sich so vollgetrunken hat von Musik, dann holt er sein Cello und versucht das nachzusprechen, was seine Seele gehört hat. Nicht alles kommt wieder, wie es einzog. Aber vieles wird klingendes Leben und tönende Wahrheit. Und jetzt fliegt ein Zucken durch seine Glieder, und seine Augen sind voll Tränen.

Das sind Peter Brandts heilige Stunden, in denen er weint, ohne daß er's weiß.

Hätte aber jemand diesen großen grauen Augen 17 ins Gesicht gesagt, daß sie in Tränen schwimmen könnten, sie hätten ihn angewettert mit lachendem Zorn. So sehr war es ihr Streben, den Dingen dieser Welt klar, fest und trocken, ohne Hingebung an die Stunde, ohne Trübung und Brechung, ohne Schleier zuzuschauen, daß sie die Zeiten der Vergessenheit, sobald sie vorüber waren, vergaßen. Und wenn nicht vergaßen, so doch mit einem inbrünstigen Groll vor den andern verbargen.

So heilig war ihm der Quell, aus dem seine Tränen kamen, daß seine eignen Gedanken nur, wenn sie rein, stark und groß waren, in ihn hineinschauen durften – er wußte, sie konnten sonst die Schauer nicht ertragen und mußten sich verkriechen, geschüttelt von wahnsinnigem Grauen.

Die Welt aber, die Menschen, was waren sie ihm, daß sie von etwas wissen sollten, was er selbst sich nur in geweihten Stunden zu wissen getraute!

Und selten war er ein Wissender, ein Priester seines eignen Heiligtums, denn der Alltag gebot mit den Jahren immer mehr über ihn. Und so wehrte er sich gegen alle Offenbarungsschauer mit Nüchternheit und Hohn, mit dem Behagen des Gewöhnlichen, mit der Freude am Groben und der Lust zu verblüffen. 18

 


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