Max Dreyer
Ohm Peter
Max Dreyer

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Heute wollen wir einmal feierlich sein. Und stilgemäß. Heut am Sonntag gehen wir zu Pastors. In die Kirche lieber nicht. Aber zu Pastors. Sie werden sonst böse. Und er soll dir doch Stunde geben.«

»Soll ich mein bestes Kleid anziehen? Oder mein zweitbestes?«

»Ei du kleine Eitelkeit! Und daß du so viel beste Kleider hast!«

»Du weißt doch – mein rosa und mein gestreiftes!«

»Nein. Das weiß ich wirklich nicht! Aber ich will mir Mühe geben, es zu lernen und zu behalten.«

Er sagte es lachenden Auges, mit scherzendem Munde. Aber sie fühlte doch heraus, daß darin ein Tadel für sie lag, so genau verstand sie sich schon auf jede Schwingung seines Tones.

Es war das erstemal, daß der Ohm etwas an ihr tadelte. Das senkte sich ihr tief ins Gemüt, 94 sie hob und hob daran und brachte es allein nicht wieder heraus.

Und bei Ohm Peter war in der Tat, so freundlich er sich auch zeigte, ein leises beklemmendes Gefühl heraufgezogen. Das Frauenzimmerliche, das hinter den Fragen des Kindes schlummerte, trat ihm als Störung in den Weg. Es war ja so gering, so unbewußt, so ganz und gar kindlich, so selbstverständlich und ungetrübt. So natürlich im Grunde. Er hätte es zu andrer Stunde vielleicht gar nicht beachtet. Und doch lebte etwas darin, was er scheute, weil es fremd in seine Kreise tönte.

Da sie aber beide von gleich zartmütiger Empfindung waren, so lag etwas wie ein leichter Schatten auf ihnen, als sie über die Wiesen dem Kirchdorfe zuschritten.

Jetzt kamen sie an einen Graben. Der Steg war verfallen.

»Ist doch schade, daß du kein Junge bist!« sagte der Ohm. Es war etwas Rauhes und Bedeutsames darin. »Jetzt müssen wir den weiten Umweg machen!«

Sie sehnte sich nach seiner Anerkennung.

»Ich springe mit 'rüber! Glaubst du, ich kann es nicht!« 95

»Der Graben ist breit.«

»Schadet nichts. Komm. Wenn du mich an die Hand nimmst –«

Er faßte sie an, sie machten zusammen den Anlauf und sprangen.

Das Wasser war doch zu breit für die Kleine. Wohl riß Peter sie mit sich, aber nur einer ihrer Füße faßte den Rand, der andre patschte ins Wasser und bespritzte ihr Kleid hochauf mit moorigen Flecken.

»O – klein Ellen! Was haben wir da gemacht! Das schöne Kleid!« Er war jetzt ganz unbefangen und froh, wo er sorgen und helfen konnte. »Jetzt müssen wir wieder nach Hause. Du mußt dich doch umziehen!«

»I wo! Das trocknet wieder. Und dann reib' ich es ab!« Grauenhaft war ihr der Schmutz, aber sie wollte und wollte nicht zimperlich erscheinen, gerade jetzt am wenigsten.

»Und dein Stiefel! Der Fuß muß ja ganz naß sein.«

»Schadet nichts.«

»Das erlaub' ich nun nicht, daß du damit so weitergehst!«

»Dann zieh' ich einfach den Strumpf aus und 96 geh' barfuß und lass' ihn im Gehen trocknen!« sagte sie forsch.

Und damit setzte sie sich hin und knöpfte sich den Stiefel auf. In dieser frischen Entschlossenheit fand sie sich wieder. Der Ohm sollte nicht Klage darüber führen, daß sie bloß ein Mädel war!

Schon schwenkte sie den Strumpf in der Luft, und nun gab es einen fröhlichen Marsch. Peter nahm den Schuh, in den er die Hand hineinsteckte, Ellen hakte sich bei ihm ein und ließ ihren Strumpf in der Sonne wehn.

So schritten sie fürbaß, in gleichem Tritt, und dann summten sie dazu, und jetzt sang Peter und machte nach dem Marschtakte töricht-harmlose Reime, wie es so seine Art war.

Was ist denn das hier für ein Mann,
Was hat der für'n Handschuh an?

Was ist das für ein Mägdulein?
Die hat ein solch' und solch ein Bein!

Und zu jedem Vers schwenkte Ellen fröhlich ihre Standarte. So vollendeten sie in klarer, echter Kameradschaft ihren Weg.

Und über ihnen jubelten die Lerchen.

Als sie so das Wiesengelände durchschritten 97 hatten, war der Strumpf getrocknet. Ellen setzte sich an den Hang unter dem Knickbusch und zog ihn an, dann säuberte sie, so gut es ging, ihr Kleid, während Peter den Stiefel mit einer Grasbürste bearbeitete.

Just war sie mit ihrer Toilette fertig, da erklangen ernst und gebietend die Kirchenglocken.

»Es war die höchste Zeit,« sagte sie mit feierlicher Schelmerei und stellte sich steif in ihrer Fertigkeit auf die Füße.

Der Gottesdienst war aus, Kirchgänger trafen sie nicht, denn die zogen die Hauptwege, und auch die Dorfstraße war leer, als sie dem Pfarrhause zusteuerten.

Im Garten fanden sie Klara, die fahrige Dienstmaid. Ihre blaßblauen Augen waren in ewigem Geflacker – Ohm Peter behauptete, sie sähen aus wie zwei tobsüchtig gewordene Vergißmeinnicht. Von ihr erfuhren sie, daß Herr und Frau Pastor im Hause, Jum und Jim aber im Garten seien.

Peter steckte den Finger in den Mund und pfiff gellend. Da kamen die beiden angerast.

Auf Ellens Zügen lag noch die muntere Jungenhaftigkeit, fast herausfordernd blickte sie drein, dermaßen, daß Jim und Jum erst bissig und voll 98 Kampfbegier sie umkreisten. Sie war größer als die Jungen und blitzte hochgehobenen Kopfes die beiden Kobolde an, belustigt über das Doppelspiel.

Da trat einer von den beiden kurzfertig auf sie zu, packte ihren Oberarm und befühlte dessen Muskeln. Kopfschüttelnd winkte er seinem Spießgesellen ab. Er hatte erkannt, daß in Ellen keine Penthesilea stak. Und so ergaben sie sich der Weiblichkeit friedfertigen Sinnes.

Stiller und zaghafter wurde es Ellen zumute, als sie vor die Pastorsleute traten, diese großen, geradlinigen und bestimmten Menschen, und es dauerte geraume Zeit, bis sie in der lauten, etwas harten und fest zugreifenden Freundlichkeit Frau Brigittens die Seele herausgefühlt hatte.

Aber das Huschende, Träumende und Heimliche ihrer Art versteckte sich doch triebmäßig vor der engen Selbstverständlichkeit und Selbstgewißheit, der fraglosen, gesetzlichen, dogmenhaften Helle, die in diesem Hause vorherrschte.

»Es ist zu viel Schneelicht bei euch!« hatte Peter einmal zu den Pastorsleuten gesagt.

Und Ellen empfand gleich, ohne daß sie Worte dafür gehabt hätte, die reine und kühle Klarheit dieser Luft, von der Reinheit erfrischt und gehoben, 99 doch von der Kühle gedrückt, geengt und in sich selbst vertrieben.

Sie hätte hier doch nicht hausen mögen. Wie ganz anders war es bei ihrem Ohm!

Pastor Willers stieg nicht in den Turm und predigte nicht aus der Luke, er bemühte sich vielmehr, fein sänftiglich mit dem Heidenkind zu fahren. Und Ellen gewann auch so viel Vertrauen zu ihm, daß sie ohne Scheu dem Religionsunterricht entgegensah, der sie zweimal in der Woche hierherführen sollte. Aber ihr Herz öffnete sie ihm nicht, und auch Frau Brigitte, so gütig und frohgemut sie sich zeigte, kam nicht an die stillen Tiefen ihrer Seele.

Das fühlten auch alle, daß etwas in dem Kinde sich nicht auftun wollte. Ein inniger und voller Einklang wollte sich darum nicht finden, und als der Küster und Organist sich melden ließ, benutzte Peter die Gelegenheit, sich mit Ellen zu verabschieden.

Jum und Jim begleiteten sie durch den Garten. Sie waren unzufrieden mit Peter und plapperten scheltend im Wechselgesang zu ihm auf:

»Jetzt kommst du gar nicht mehr zu uns, wo du dein eignes Kind hast!«

»Und ist doch bloß 'n Mädchen!« 100

»Kann sie überhaupt 'n Kopfsprung?«

»Wie weit kann sie unter Wasser schwimmen?«

»Kleinigkeit!« entgegnete Peter. »Wenn sie das nicht könnte!«

»Was kann sie denn sonst!«

»Was sie sonst kann? O sie – sie schlägt beide Beine hinter dem Rücken zusammen und hupft dann auf den Händen wie 'n Frosch. Das macht ihr erst einmal nach!«

»Das soll sie zeigen!«

»Jetzt am Sonntag! Und in dem guten Kleid! Seht mal zu, ob ihr das nicht auch könnt.«

Sie blickten Ellen, die sich ganz ernsthaft hielt, in so starrer Bewunderung an, daß sie das Adieusagen vergaßen.

Als Peter die Pforte geschlossen hatte und sich nach ihnen umdrehte, sah er die beiden sich in unglaublichen Verrenkungen auf dem Rasen wälzen. Wie die Mutter sie später zum Essen rief, fand sie zwei festverknotete Knäuel, die bewegungslos dalagen und die sie nur mit Aufgebot ihrer ganzen weiblichen Kunstfertigkeit wieder zu menschenähnlichen Gebilden entwirren konnte. 101

 


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