Max Dreyer
Ohm Peter
Max Dreyer

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Du mußt schwimmen lernen, Ellen!«

»Das will ich gern,« sagte sie voll Ergebenheit. Aber die Angst vor der See stieg doch in ihr auf und legte sich ihr aufs Herz.

»Dann hol deinen Badeanzug!«

Er war so schnell in allem. Sie ging gleich und zwang sich zur Freudigkeit. Sie wollte ihre Angst nicht zeigen, er sollte sie nicht verachten – das Furchtbare sollte nicht wieder aufleben – nie, nie wieder!

Als er ihr nachsah, kam etwas Düsteres in seine Augen.

Es war das erstemal, daß ihr Geschlecht ihm Gedanken machte.

Er hatte bisher nur das Kind in ihr gesehen – selbstverständlich, denn das war sie. Und zum Donnerwetter! – er gab sich einen nachhaltigen Ruck – das wär' auch noch besser, wenn es nicht so bliebe! 138

Ein Kind ist ein Kind – ganz gleich, ob Mädel oder Junge!

Und wenn er mit Jim und Jum zusammen badete, warf er sich doch auch nicht im reinen Naturzustand, wie es sonst seine Art und seine Freude war, dem Meer in die Arme.

Den Zwang des Badeanzugs mußte er für sich selbst also auch hier ganz ohne weiteres in derselben Weise hinnehmen.

Das nächste Mal sollten dann auch Jim und Jum dabei sein, die fertigen Schwimmer, gewissermaßen als Schrittmacher für die Kleine!

Und Spaß würde es ihr machen, wenn er mit den beiden kleinen Seehunden im Wasser seine Kunststücke vollführte!

Alles Nächtige war aus seinen Augen geschwunden, als die Kleine wieder bei ihm antrat. Und mit harmloser Freude an dem Neuen, von der auf das Kind selbst etwas überging, nahm er sie an die Hand und führte sie so, daß Wanderlust mit ihnen war, dem Strande zu.

Hier wies er ihr ein Dünennest. »So, Ellenkind, da zieh dich aus.«

Er selbst ging eine Strecke weiter, entkleidete sich schnell, schlüpfte in sein Trikot und rannte 139 sofort mit jungenhaftem Gebrüll in die Brandung hinein, fiel hin, überschlug sich und blieb eine Weile verschwunden, so daß Ellen, die dem Spiele zusah, in Angst erstarrte.

Aber dann kam auch schon ein Bein wieder zum Vorschein, dann ein zweites, darauf der Kopf, der Nacken, und nun stand der ganze Ohm Peter wieder auf den Füßen, er reckte die Arme, rief ein lautes, klingendes »Joho!« und kam ans Land auf Ellen zu, die sich badefertig aus den Dünen erhob.

Der Ohm winkte ihr, seine weißen Zähne lachten ihr entgegen durch den herabgezogenen Schnurrbart, sie trat zu ihm, nahm seine Hand. und mit niedergeschlagenen Augen, wie ein Jungfräulein, das zum Menuettanz die Füße ansetzt, ging sie trippelnd neben ihm auf die Brandung los.

Sie hatte eine Heidenangst, aber sie bezwang sich mit Gewalt, und daß der Ohm sie hielt, das stärkte ihre Kraft. Als sie an die Brandung kamen, kniff sie die Augen zu und mit Todesverachtung schritt sie hinein.

Ein leiser Schrei, den das Rauschen erstickte, dann warf sie sich mit dem Ohm der nächsten Welle entgegen und ließ den schäumenden Kamm über ihren Rücken brausen. 140

Mit vollem Entzücken sah Peter der scheuen Anmut ihrer Bewegungen zu. Sie aber fühlte sich nicht eben sicher und behaglich in dem Wellenspiel. Als der Ohm sie losließ, tastete sie wieder nach seiner Hand. Und ihn freute es, sie zu halten.

»So, klein Ellen, jetzt wollen wir einmal in das tiefere Wasser. Da ist es ruhiger, und da sollst du einmal das Schwimmen versuchen.«

Er hatte bei Jum und Jim ein ebenso einfaches wie zweckmäßiges Verfahren angewandt. Die kleinen Bengel hatte er unter den Armen so weit hinausgenommen, daß sie keinen Grund mehr bekamen, worauf er sie ohne weiteres los und sich selbst überließ.

Die Kerlchen gingen unter, kamen dann wieder herauf und strebten in ihrer Todesangst mit allen Kräften auf ihn zu, den einzigen Halt, pudelnd wie die Hunde – er wich ihnen aus, sie gingen wieder unter, tauchten wieder in die Höhe, strampelten und pudelten aufs neue, bis er sich ihnen endlich, wo der Atem sie ganz verließ, als Rettungspfosten stellte.

Nachdem sie so gelernt hatten, sich über Wasser zu halten und im Wasser fortzubewegen, machte es 141 keine große Mühe, ihnen die regelrechten Schwimmbewegungen beizubringen.

Ebenso, wenn auch gelinder, wollte er Ellen in die Schule nehmen. Er hob sie auf die Arme und trug sie hinaus, sie schmiegte den Kopf fest an seine Schulter, ihre Augen waren halb geschlossen, in den so verschleierten Blicken mischten sich Scheu und stille Fügsamkeit.

Peter zuckte zusammen. Ein weiblicher Zug war auf dem Kindergesicht, ein Zug so zagender Ergebenheit, so bang bereiten Duldenwollens – aber wie er so auffuhr, schlug sie die Augen groß zu ihm empor, und nun sah er Kinderaugen voll vertrauenden Gehorsams.

Und seine Blicke freuten sich ihrer kindlich zarten Gestalt, der schmalen knochigen Füße, der überschlanken Arme. Und seine Finger streichelten ihren mageren Hals.

Jetzt waren sie weit genug draußen.

»So, Ellen, nun laß ich dich los.«

Sie wollte »nein« rufen, aber es ward nur ein Gurgeln, denn schon war ihr Mund unter Wasser – – –

Peter, der zurückgetreten war, wartete und wartete – sie kam nicht wieder zum Vorschein. 142 Da wurde es ihm angst und bange, er tauchte, wo die Blasen emporgurgelten, und hob sie an die Luft.

Wild warf Ellen die Augen herum, aber ihre Arme hingen schlaff und suchten keinen Halt. Sie hatte so viel Wasser geschluckt, daß sie fast zerbarst. Und es kostete viele Künste, ehe sie sich einigermaßen davon befreit hatte. Doch ihre Augen blieben gehorsam und zu allem bereit.

Da sagte aber der Ohm: »Nein, mein liebes Kind. Hast du eine Methode! Was tut klein Ellen, wenn sie keinen Grund mehr hat? Sie trinkt einfach von der See das nötige Quantum ab!«

Schon lachte sie, und zur Belohnung verkündete ihr Ohm Peter, daß sie für heute aufhören wollten. In flacherem Wasser, wenn einmal noch weniger Brandung wäre als heut, wollten sie die Versuche wieder aufnehmen.

Sie gingen an Land. Der Ohm gab ihr einen zärtlichen Klaps. »So, Kleine, nun zieh dich schnell an!«

Sie lief in ihr Nest und gab sich alle Mühe, mit dem Ohm zu gleicher Zeit fertig zu werden, was ihr denn auch so ziemlich gelang.

Heute war sie mit sich zufrieden. Sie war 143 stärker gewesen als ihre Angst. Sie hatte dem Ohm keinen Anlaß gegeben, ihr böse zu sein.

Wenig verlangte er ja nicht. Und die ganze Art seines Schwimmunterrichts – ei wei, ei wei! Sie mußte immer noch spucken. Und sie würde heute nichts essen können, der Salzwassergeschmack machte ihr übel.

Aber was lag daran? Sie hatte sich heute so ganz anders benommen als auf der Segelfahrt. Jetzt brauchte sie an diese Fahrt und all das, was mit ihr zusammenhing, nicht mehr zu denken.

Und das machte sie so froh.

Freilich, die große Angst vor der See, die blieb bei ihr, und die würde auch wohl niemals von ihr weichen.

Der Ohm rief zu ihr herüber.

»Ja! Ich bin auch soweit!« gab sie zurück.

Peter musterte sie, wie sie in vollem Anzug vor ihn trat. Sie erschien ihm so größer, älter und mädchenhafter, viel kindlicher war sie in dem Badekleid.

Er nickte zu dieser Beobachtung, wie um die Tatsache noch fester zu machen. Es war eine leise Zufriedenheit dabei und etwas von wohliger Ruhe. 144

 


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