Max Dreyer
Ohm Peter
Max Dreyer

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16

Heute war ein unvergeßlicher Tag, denn er zeitigte drei gleich bedeutende Ereignisse. Am Morgen kochte Ellen ihre Bohnen, am Nachmittag kam Ewald, der langersehnte, leibhaftig zum Besuch, und am Abend spielte der Ohm Cello, das erstemal, seit die Kleine bei ihm war.

Wie ein Hausmütterchen, mit einer großen Küchenschürze angetan, stand das Kind vor dem Herd, und ihr kleines Herz pendelte zwischen Angst und Würde.

Nachdem ihre Finger mit scheuer Unbeholfenheit die Schoten abgezogen hatten, fragte sie Mutter Wittmüs wohl ein dutzendmal immer dasselbe: wie lange die Bohnen kochen müßten, wieviel Salz dazugehörte, ob sie in kaltem oder heißem Wasser aufgesetzt würden. Wenn aber die Alte, der Antwort müde, selber zugreifen wollte, zog sie sie mit eifersüchtigem Zorn vom Herde. 150

Nun gab es noch eine Not: würde der Ohm auch zur rechten Zeit nach Hause kommen? Er war mit Johann Wittmüs zum Netzeeinholen ausgefahren, da ließ sich die Stunde nicht so genau innehalten, am wenigsten heute, wo der Wind ganz abgeflaut war und statt seiner ein bleierner Glanz am Horizont aufzitterte.

Ellen lief in den Garten und stellte sich auf die Höhe, nach den Männern auszuschauen. Dann zog die Sorge sie wieder zu ihrem Kochtopf, und wenngleich der Dampf in lebhaften Stößen den Deckel hob, nahm sie ihn doch herunter, um mit eignen Augen zu sehen, ob das Wasser auch richtig im Kochen war, nahm darauf einen Löffel, um zum vierten Male die Brühe zu probieren, und obwohl sie sich dabei lediglich den Mund verbrannte, nickte sie doch mit fachmännisch wichtiger Miene: »Ich glaube, es ist gut!«

Und wieder rannte sie in den Garten und guckte sich die Augen aus, um dann mit dem herzensbangen Schrei: »Mutter Wittmüs, es ist schon eine Minute zu viel!« an den Herd zurückzufliegen.

»Na – so genau –!« wehrte die Alte gelassen ab.

»Doch – doch!« Und die Kleine nahm den Topf vom Feuer. 151

»So stehenbleiben dürfen sie aber auch nich lang'!« mahnte die Küchenmeisterin. »Denn verlieren sie 'n Geschmack!«

»Was machen wir denn bloß!« klagte das Kind. »Kochen dürfen sie nicht mehr, und so stehen dürfen sie auch nicht!« Sie war in heller Verzweiflung.

Wie klopfte ihr Herz, als sie Schritte im Garten hörte! Sein Schritt war es – und richtig, der Ohm kam den Weg herauf. Er hatte noch im Dorf zu tun gehabt und war von der andern Seite heimgegangen.

Nun hatte alle Not ein Ende.

Voll Stolz und zugleich mit tödlichem Bangen trug Ellen ihre Schüssel auf. Mit so schwerer zitternder Frage hängt keine junge Frau beim ersten Mittagessen an dem Munde ihres Mannes.

Sie hatte von ihren Taten kein Wort gesagt, aber er merkte an ihrer verklärten Scheu, an ihrer zaghaften Feierlichkeit, was hier geschehen war, und vor der Größe solchen Geschehnisses wahrte auch er andächtiges Schweigen.

Er aß nur, nickte ihr zu, klopfte sein Zwerchfell, schnalzte mit der Zunge und nahm sich aufs neue.

Und Ellen war eitel Glückseligkeit.

Schweigsam blieb der Ohm auch späterhin. Die 152 Kleine betrachtete ihn mehrmals von der Seite, sie fand, daß er müde aussah, seine Augen waren ohne rechten Glanz, und die leichten Falten in den Winkeln wollten sich tiefer graben.

Sie legte langsam die Hand auf seinen Arm. »Ist dir etwas, Ohm?«

»Was soll mir sein? Nichts ist mir!«

Das klang verweisend. Solche Mitleiderei war nicht nach seinem Herzen. Dann sagte er ruhiger: »Ich glaube, wir kriegen ein Gewitter. Das steckt mir immer schon vorher in den Knochen. Das erste Gewitter im Jahr – das hat Macht über mich wie der erste Schnee. Im übrigen« – er gähnte lange und tief – »will ich heute mal ausnahmsweise einen Mittagsschlaf halten.«

Ellen hing seinem Verweise nicht weiter nach. Sie sah ihn immer nur ihre Bohnen essen, hörte das Schnalzen seiner Zunge und dachte an seine Blicke, als er sich mit der Hand auf den Magen klopfte, zum Zeichen, wie gut es ihm schmeckte. Und sie sang leise vor sich hin, als sie der Alten in der Küche beim Abwaschen half.

Als der Ohm und die Kleine ihren Nachmittagskaffee in der Vorhalle tranken, sahen sie eine schlanke Knabengestalt durch die Gartenpforte eintreten. 153

»Scheint mir der Ewald zu sein,« sagte der Ohm.

Und er war es.

Die Kleine sprang auf. Sie lief dem Besuch entgegen, wie bezwungen von seiner ganzen Erscheinung nahm sie ihn bei der Hand. So Hand in Hand mit ihm trat sie vor den Ohm.

»Ja, es ist Ewald. Und er will uns besuchen.«

Sie führte ihn vor, als wär' er ihr längst bekannt.

Dafür traf sie ein großer, verwunderter Blick vom Ohm. Dann aber begrüßte er den jungen Gast, der bescheiden, den Hut in der Hand, sich verneigte, mit aller Freundlichkeit.

»Setzen Sie sich, Ewald. Und du, Kleine, bring noch eine Tasse.«

Wie sie zusammensaßen, fragte Peter den Jungen vor allen Dingen nach seiner Malerei.

Der Befragte senkte die Augen, und Verlegenheit lag auf seinen ersten Worten. Dann aber wurde er lebhafter und freier, und schließlich trat ein reges Selbstbewußtsein heraus, das freilich verstand, sich geschmackvoll und gefällig in Bescheidenheit zu kleiden.

Er bekannte, daß er vom Malen nicht lassen könne, daß er dafür jede freie Minute verwende, 154 deren allerdings nicht gerade sehr viele seien, da er natürlich seine Schulpflichten jetzt vor der Abgangsprüfung besonders sorgsam erfüllen müsse, daß er die Malstunden, die ihm ein alter einsiedlerischer Künstler umsonst gebe, niemals versäume, daß er jeden Pfennig, den er von seinem Taschengeld erübrige – und das sei fürwahr nicht allzu reichlich bemessen –, in Farben, Pinsel und Leinwand anlege.

Von all dem Schwierigen lasse er sich nicht unterkriegen, und auch die Zukunft, die nicht gerade gnädig auf sein Streben herabscheine, könne ihn seiner Kunst nicht abspenstig machen.

»Sie werden Theologie studieren?« fragte Peter.

»Ich muß wohl.«

»Das heißt also, Sie wollen nicht!«

»O doch!«

»Hören Sie mal, dies ›wohl‹ und dies ›doch‹ – mit ›wohl‹ und ›doch‹ und solchen geflickten Empfindungen studiert ein ehrlicher Kerl nicht Theologie. Haben Sie nicht ein glattes, klares, innerliches ›ich will‹ dafür –«

»Das hab' ich!«

Peter sah ihm ins Gesicht, Ewald hielt den Blick aus. Doch war sich Peter nicht klar, ob die 155 großen, tiefblauen, schwarzbewimperten Augen des Jungen sich nicht allzugut auf sich selbst verstünden und nicht die willfährigen Diener all seiner Wünsche seien.

Die Kleine aber sah zu diesen Augen empor, den Kopf auf die Hände gestützt, gläubig wie die Engel zu Füßen der Sixtinischen Madonna. Sie hätte sich für die unbefleckte Reinheit aller Blicke dieser Augen in Stücke reißen lassen.

»Nun gut – wenn Sie wollen – dann wird sich ja wohl auch hier zwischen Kirche und Malerei ein Einvernehmen herstellen lassen. Wie mancher Geistliche ist nicht ein großer Maler gewesen! Sie wissen doch, daß jemand die Malerei die Lieblingsschwester der Theologie genannt hat.«

»O ja.«

»Davon ist mir allerdings nichts bekannt, aber es könnte immerhin jemand gesagt haben.« Ohm Peter unterdrückte ein Spitzbubenlächeln und fuhr dann ernsthaft fort: »Dieses Verwandtschaftsverhältnis ist unzweifelhaft. Und seine Wurzeln gehen in die Tiefe. Religion und Malerei sind Stammesgenossen. Religion ist schlechthin Malerei. ›Im Anfang war das Bild‹ soll man sagen. Das Urbild, dessen Abbild das Leben ist, mit all seinen Gleichnissen.« 156

Er hätte gern seine Gedanken, die an Wendungen ihre Freude hatten, sich weiter schlingen lassen, aber er fand in Ewalds Augen, die, wie ihm scheinen wollte, auf Verständnisinnigkeit bewußt eingestellt waren, nicht die lebendige Gegenliebe.

›Ist der Bengel nicht bloß hübsch, ist er auch dumm?‹ fragte sein lachender Ingrimm.

Oder tat er dem Jungen unrecht – und deshalb nur, weil die Kleine mit so schönheitsfrohen Sinnen selig in seinen Anblick sich vergrub!

Er sprang auf und reckte sich. Was ging es ihn an! Mochte sie ihre Blicke vergraben, wo sie wollte! Was kümmerte ihn der Junge – was kümmerten ihn die beiden im Grunde! Fremder Leute Kinder – – –

Aus der dunstigen Ferne brach züngelnd der erste Blitz. Gott sei Dank! Jetzt war ein Loch in die elendige Schwüle gerissen, die ihn schon den ganzen Tag einschloß und umspannte. Und mit leichterem Mut sah er dem Donnerwetter entgegen.

Die beiden jungen Menschen waren nebeneinander sitzen geblieben. Erst schweigend, dann fand sich ein Wort, noch schüchtern und zag, bald 157 aber zog es andre nach sich, und dann war ein kindliches Gespräch im Gange.

Das gefiel Ohm Peter nun wieder an dem Jungen, daß er nichts Ueberlegenes zur Schau trug, daß er nicht mit Primanerhochmut Konversation machte, vielmehr mit der Kleinen einfach und anspruchslos sich gab und offene Freude zeigte, so mit ihr zu plaudern.

Es war etwas Unberührtes in Ewald, das erkannte Peter wohl, und allmählich stieg ein Wohlgefallen an dem Wesen der beiden in ihm auf.

Jetzt sprach der Junge von seinem Vater in Kinderworten, die ehrlich zeigten, mit welcher Liebe er an ihm hing und wie dessen Gemütstrübungen ihn selber quälten.

Da bat ihm Peter manches ab. Er glaubte jetzt selber, daß seine leidige Schroffheit dem Jungen unrecht getan hatte.

Und da er sich nicht zu schonen pflegte, stellte er sich selbst die harte Frage, ob es nicht niederträchtige väterliche Eifersucht war, was ihn so auf Ewald gehetzt hatte.

Wie lächerlich war das! Wie elend lächerlich! Wenn die beiden sich aneinander freuten, mußte der Glanz nicht auf ihn selber fallen? 158

Hegen und fördern mußte er diese werdende Jugendfreundschaft!

War das nicht ein wundervolles Bild, diese schönen jungen Menschen, die einander zugetan waren auf den ersten Blick – das Bild leuchtender Notwendigkeit! Mußte in ihm selbst nicht die Jugendlust des eignen Lebens zurückfluten – in ihm, der mit seinem Alter abseits stand, ein wissender Zuschauer, in klarer Gelassenheit nickend zu dem, was sich immer blühend wiederholt.

War nicht das Köstlichste hier im Entstehen – die Jugendfreundschaft zwischen Knabe und Mädchen, in der alle Blumen, alle Sterne des Lebens schlummern?

Und wenn daraus Liebe würde, wenn die beiden später sich zusammenfänden – weiß Gott, an ihm, an seiner Hilfe sollte es dann nicht fehlen!

Er wollte schon dafür sorgen, daß aus Ewald ein tüchtiger Kerl würde. Von der Theologie würde er ihn loseisen, in seiner Kunst sollte er es zu etwas bringen!

Ein großer Maler wird der Junge – und dann – –

Peter – alter Peter! Bist doch immer derselbe. Immer von einem Ueberschwang zum andern. Erst hast du gar kein Vertrauen zu dem Jungen, 159 jetzt teilst du ihm das Höchste zu. Bist doch ein verrückter Kerl.

Und dich hat einmal einer, dem deine Rücksichtslosigkeit in die Rippen fuhr, den »Eisernen« genannt!

Eisern – du lieber Gott! Ja, ein Eisenspan vielleicht. Den erst der eine Pol anzieht, und wenn er sich da vollgesogen mit all seinem wilden Durst, dann läßt der Pol ihn los, und er fällt und fliegt dem entgegengesetzten zu. Und da wiederholt sich das Alte. So bleibt es ein Dürsten und Fallen und Fliegen –

Peter – der eiserne Span.

Er lachte sich aus, und dann lachte er den Blitzen zu, die jetzt schneller und greller flammten – schon hörte man auch den Donner in dumpfen Wellen herüberzittern.

Ewald brach auf. Er hatte einen weiten Weg.

Natürlich! Das Jüngelchen fürchtet sich vor den paar Regentropfen! So wollte ihn Peters Uebelwollen verabschieden. Aber der Nachhall war eine um so größere Güte, die den Jungen bat, recht oft wiederzukommen, auch mit der Kleinen einmal spazieren zu gehen.

Freudig sagte Ewald zu, und so trennten sich alle in einhelliger Zärtlichkeit. 160

 


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