Max Dreyer
Ohm Peter
Max Dreyer

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Peter hörte, als er mit Ellen langsam die Dorfstraße hinaufschritt, ein asthmatisches Schnaufen hinter sich, und wie er sich wandte, gewahrte er den Organisten, Lehrer Karsten, der seine Geschäfte im Pastorenhaus schnell erledigt hatte und nun seiner Wohnung zustrebte.

Peter blieb stehen, um ihn zu begrüßen. Er hatte ihn liebgewonnen wegen seines Orgelspiels, in dem nichts war von der sich aufblähenden, brausenden und lärmenden Zuversicht nüchterner Selbstgenügsamkeit, worin die meisten Organisten das musikalische Heil der Choräle erblicken.

»Bei Ihnen ist nicht das glaubenseifrige Hurrageblöke der Schafe Gottes die Hauptsache,« so hatte er ihm einmal seine Anerkennung ausgesprochen. »Man sieht in Ihrem Spiel die Träne der gequälten Kreatur. Und wenn ich in meinem Gemüt auch dafür nicht allzuviel übrig habe, es ist ein 102 Heimliches in Ihrer Art. Kunst. Und dessen sollen Sie gelobet sein!«

Thomas Karsten war ein ältlicher Mann mit stillen, sanften Zügen und Augen, die in sich gekehrt waren, wenn er ihnen nicht eine flimmernde Fröhlichkeit aufzwang. Und das tat er gerne, wenn er mit andern zusammentraf. Denn es widerstrebte ihm aufs tiefste, gedrückt und gequält zu erscheinen oder gar fremdes Mitleid zu wecken.

Er war ein unglücklicher Mensch, geplagt von seinem asthmatischen Leiden, noch mehr aber von einer grenzenlosen Hypochondrie. Doch mit seinem peinlichen, bis zur Eitelkeit geschraubten Stolzgefühl ließ er keinen in diese seine Not hineinblicken.

Nur Peter war seinem geängstigten Gemüt auf die Sprünge gekommen. Und der scheute sich nicht, dem Leidenden in die umschattete Seele hineinzuleuchten, dachte wohl auch, er könnte dadurch die Geister der Schwermut verscheuchen. Aber das gelang ihm nur auf kurze Dauer, im Grunde erreichte er damit nur, daß sich das Innere des Kranken noch einsamer und finsterer abschloß.

»Guten Tag, Meister Thomas! Nun, wie geht's?«

»Danke, Herr Brandt. Gut geht es!«

Herr Brandt aber traute dem Frieden nicht. 103 »Was ist denn heute dran? Milzbrand, Rotz, Tollwut oder Wundstarrkrampf?«

Thomas Karsten war kein gewöhnlicher Hypochonder, mit Kleinigkeiten gab er sich nicht ab. Sein eignes, ihm ehrlich zugehörendes Leiden, so schwere Qualen es ihm brachte, wollte seiner Einbildungskraft nicht genügen. Und andre Krankheiten, wie unheimlich und gefährlich sie auch waren, als da sind Krebs, Steinleiden und so weiter, sie alle, sintemal ihrer Heilung sich immer noch eine Möglichkeit bot, verdienten es nicht, daß er sich aus ihnen eine Rute band. Nur in dem Höchsten und Aeußersten lebten seine Phantasien. So hatte er auch von dem, was Peter da eben aufführte, die Tollwut, bei der die Schutzimpfung so guter Erfolge sich rühmen durfte – er war über alle wissenschaftlichen Ergebnisse, die seine Innenwelt berührten, wohl unterrichtet – die Tollwut also hatte er längst glücklich überwunden. Und bei dem Gedanken an Peters offenkundige Verständnislosigkeit vermochte er ganz ungezwungen zu lächeln.

Peter drang deshalb auch nicht weiter in ihn, er stellte ihm Ellen vor und fragte ihn nach Ewald, seinem Sprößlinge. Das war, seit er seine Frau und eine blühende Tochter ins Grab gelegt hatte, 104 der einzige Mensch, der ihm noch zugehörte, und er hing an dem Jungen mit weicher Zärtlichkeit.

»Ewald kommt zu Pfingsten.«

»Da freut sich Vater Karsten! Wie ist es denn mit seiner Malerei?«

»Er kommt jetzt nicht recht dazu. Sie haben zuviel auf in der Prima.«

»Und Ewald ist unheimlich strebsam!«

»Fleißig ist er.«

»Und dann soll er Theologie studieren?«

»Ja.« Sie waren vor dem Schulgebäude angelangt, in dem Lehrer Karsten seine Wohnung hatte. Als sie hier stehen blieben, sich zu verabschieden, faßte er an die Brusttasche. »Ein Bild hat der Junge ja neulich noch geschickt. Ich wollte es dem Herrn Pastor zeigen, hab's dann aber lieber doch gelassen.«

»Warum?«

»Mir ist es so, als wär' es dem nicht recht, daß Ewald so gerne malt –«

»Was geht denn den das an!«

»Nun, der Junge hat doch ein Stipendium durch des Herrn Pastors Vermittlung – aber schließlich, er versäumt ja damit nichts in der Schule. Wollen Sie das Bild einmal sehen?« 105

»Gerne.«

»Es ist sein erstes Porträt,« sagte Thomas Karsten bedeutsam. Er hatte es in Seidenpapier gewickelt, sorgsam packte er es aus, es war auf Holz gemalt, nicht viel größer als eine Kabinettphotographie. Zärtlich blies er darüber hin. Dann reichte er es Peter.

»O, das ist er ja selbst! Fabelhaft, wo der Junge die Fertigkeit her hat!«

Es war ein Selbstbildnis, das die überraschend feinen und edeln, nur etwas weichlichen Züge eines Achtzehnjährigen zeigte: glänzend braune Locken, große, suchende blaue Augen; auf der Oberlippe lag ein zarter, samtweicher Flaum.

Das alles war unzureichend im Körperlichen, in den Knochen, in der Plastik, die Farbe aber war bis in alle Einzelheiten mit Sicherheit behandelt, nur daß sie hier und da allzu lieblich und schönrednerisch wirkte. Und das Ganze war mit einer Sorgfalt ausgeführt, die ins Peinliche ging.

»Nicht wahr, das ist doch wundervoll?« sagte der Vater mit glücklichem Blick.

»Darf ich nicht auch einmal sehen?« bat ihn Ellen.

»Gewiß, mein Kind!« Und er reichte das Bild 106 der Kleinen, die es mit einem Ruf des Entzückens in die Hand nahm.

»Ich will Ihnen was sagen, Meister Karsten,« erklärte Peter. »Die Technik ist verblüffend. Aber das Ganze ist mir zu frauenzimmerlich. Und es gefällt mir auch nicht, daß der Junge so weichhändig sich selber streichelt. Himmel, muß der mit seinem Spiegel lieb Kind sein!«

Thomas Karsten zuckte die Achseln. Dann sagte er schüchtern, um sein Glücksgefühl zu verteidigen: »Sie sind ein zu strenger Kritiker, Herr Brandt. Und er ist doch noch so jung.«

»Na ja. Und das wird sich ja wohl verwachsen. Daß ich's mit dem Jungen gut meine, das wissen Sie doch!«

»Ja, das weiß ich.«

Und jetzt wandte sich Karsten an Ellen, die so in das Bild versunken war, daß sie von Ohm Peters Urteil nichts gehört hatte. »Nun, wie gefällt es dir?«

»So sehr! Ich glaub', ich hab' noch nie ein so schönes Bild gesehen!«

Das war ein gutes Wort zum Abschied.

Aber ehe sie auseinander kamen, trat aus einem der gegenüberliegenden Häuser ein Fischer, Jakob 107 Pisch, den sie den Seeräuber nannten. Er hatte offenbar stark gefrühstückt, der schwere Mann war mit seinem Gleichgewicht zerfallen, und die Art, wie er sich ihnen näherte, konnte feindselig aussehen.

Fluchtartig schlüpfte Thomas Karsten hinter das Staket seines Hauses, dabei zog er mit ängstlichen Händen Peter und Ellen näher an sich heran, um sie vor jeder Berührung mit dem Vorbeisegelnden zu bewahren. Zugleich bohrten sich seine weitgeöffneten Augen forschend in das Gesicht des unliebsamen Nachbarn, der in Gleichmut vorüberstrich, Peter mit einem unbefangenen: »Gun Dag ook, Herr Brandt!« begrüßte, und dann, vorm Winde kreuzend, seinen Kurs weiter verfolgte.

»Haben Sie ihn gesehen –?« fragte Thomas Karsten. Er trat jetzt wieder hinter dem Zaun hervor, und da Peter sich anschickte, seinen Weg fortzusetzen, schloß er sich ihm an, ihn eine Strecke zu begleiten.

»Wen – den Seeräuber?«

»Haben Sie gesehen, was er im Gesicht hat?«

»Ja. Ausschlag. Vom Suff. Feuerwasserblumen.«

»Wenn das nur nicht etwas andres ist!«

»Auch möglich.«

»Wissen Sie, daß er als Seefahrer in den 108 Tropen gewesen ist? Daß er als Schiffbrüchiger auf Hawai gelegen hat?«

»Na – und –?« Peter ahnte etwas, aber er wollte den Mann ruhig sich aussprechen lassen.

»Sein Ausschlag – es bilden sich bei ihm Knoten in den Augenbrauen – haben Sie das nicht bemerkt?«

»Nee.«

»Das ist ein bedenkliches Symptom. Und auf Hawai ist der Aussatz unheimlich verbreitet.«

Nun war es heraus. »Ja, das weiß ich aus eigner Anschauung,« sagte Peter gelassen.

»Sind Sie – auch dagewesen?«

»Ja. Auf meiner Reise um die Welt.«

Thomas Karsten trat unwillkürlich weiter zur Seite und sah forschend in Peters Gesicht. »An zwölfhundert Aussätzige leben dort –«

»Das weiß ich nicht so genau. Grauenhafte Gestalten hab' ich da allerdings mehrfach gesehen. Uebrigens hab' ich immer, wenn es sich so gab, die Kolonien von Aussätzigen besucht. In Kreta. Im Kapland. In Florida. Es gibt ja nichts Größeres in seiner Furchtbarkeit als solch eine Gesellschaft, so einen ganzen Staat von Todgeweihten und langsam Sterbenden. Und dem Großen soll man nirgends aus dem Wege gehen.« 109

Absichtlich und ausdrücklich ergab er sich so dem vollen Ernst der Sache, aber sein Begleiter ward damit aus seinen Wahnvorstellungen nicht herausgerissen. Nur flüchtig mischte sich bei dem Kranken die Angst mit einer fernen Bewunderung für Peter, auf dessen Haut seine Blicke wieder flackernd herumforschten. Da sie nichts fanden, eilten seine Phantasien aufs neue dem entschwundenen Seeräuber nach.

»Wissen kann man's ja nicht – und es laufen doch vermutlich auch bei uns an den Küsten, in den Hafenstädten verkappte Aussätzige herum – ehe die Leute zum Arzt gehen – und die Aerzte bei uns, wissen die denn so viel von Lepra, daß sie die Krankheit gleich richtig erkennen –?«

Peter blickte in seine verirrten Augen. Und es war Mitleid, aber auch ein lachender Zorn, als er zu ihm sagte: »Na, also, Meister Thomas! Denn ist jetzt glücklich die Lepra dran! Weiter kann man's wohl nicht gut bringen.«

»Ich denke ja nicht an mich. Der Mann hat doch Familie – Kinder – und die Gefahr fürs ganze Dorf –! Was mich betrifft –« Er pfiff vor sich hin und lächelte – aber wie.

Peter wußte, daß diesem Geißelbruder nicht zu 110 helfen war, nicht durch Güte noch durch Härte, und mit gesundem Aerger überließ er ihn seinem Schicksal.

Mochte er sich weiterquälen, bis die Erschöpfung ihn beruhigte. So gab er ihm schnell und unvermittelt die Hand. »Adieu, Vater Karsten. Und schicken Sie mir Ihren Ewald, wenn er kommt.«

Als Peter und Ellen das Dorf hinter sich hatten und wieder auf der Wiese waren, fragte er das Kind, wie ihm die Pastorsleute gefallen hätten.

»Ganz gut. Aber noch besser hat mir Herr Karsten gefallen.«

»Wirklich?«

»Und weißt du, wer mir am allerbesten gefallen hat?«

»Nun?«

»Ewald.«

»Seh einer an!« 111

 


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