Max Dreyer
Ohm Peter
Max Dreyer

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17

Das Wetter wollte nicht heraufkommen, es stand fest am Horizont, wie eingekeilt zwischen Himmel und Meer. Die Luft blieb in stiller, regungsloser Erwartung, nur wenn ein Donner mächtiger sich hob, bebte sie leise zusammen.

Der Ohm war wieder schweigsam geworden, und auch Ellen hatte nicht viel zu sagen. Sie begleitete mit der traumwandelnden Schwärmerei ihrer jungen Jahre den, der eben von ihnen gegangen war, auf seinen Wegen.

So zog der Abend herauf. Peter machte sich nach dem Essen noch im Garten zu tun, Ellen ging früh ins Bett. Sie freute sich auf ihre Träume.

Als das Dunkel dem Ohm die weitere Arbeit verbot, setzte er sich in der Vorhalle nieder, stützte den Kopf in die Hände und sah den Blitzen zu, die unaufhörlich flammten. 161

Und jetzt war es auch, als ob ein leiser Windstoß in den Abend hineintaste.

Er sah nach oben: über die Sterne zog sich ein Dunst, und Wolkenkämme schoben sich langsam höher und höher.

Dann – wie Rufe klingt es kurz und abgerissen – sind es Warnungslaute – sind es Befehlstöne – es zieht etwas herauf, etwas Schweres und Dunkles, etwas unheimlich Machtvolles –

Jetzt ein Schrei – ein Brausen – trommelnd schlägt der Wind mit den Fäusten an die Holzwände des Hauses – ein wilder Wirbel in der Luft – und nun prasselt der Regen hernieder.

Peter geht hinein, schließt die Tür und setzt sich in die dunkle Halle.

Da bleibt er regungslos und horcht auf die Töne, auf die brausenden Fugen des Sturmes, auf die tausend klingenden Tropfen.

Aber das Haus singt nicht wie sonst, nicht in so klarer Höhe wie sonst, nicht in so hallender Tiefe, nicht mit so bewegter Seele. Denn seine Seele, die die Einsamkeit ist, hat Schaden genommen.

Und Peter klagt, daß er seinem Hause und seiner Musik das antun konnte. Daß er an seiner Einsamkeit sich so versündigen konnte. 162

Einsamkeit – Einsamkeit!

Nicht lange – ein paar Monate noch, dann war er wieder allein mit seinem Hause. Ob das ihm aber jemals diese Entweihung verzeihen würde!

Mußte von dem Geschehenen nicht immer etwas in dem Hause bleiben! Würde der Schade an seiner Seele je wieder schwinden!

Wie das klang – nein, nein, das war ein Lärmen – Regen und Wind – und Wind und Regen – wo waren die lebendigen Töne des Hauses, wo war die Musik, seine Seele?

Ingrimmig versank Peter in sich selbst, wie einen Mantel raffte er das Dunkel um sich zusammen.

Es blitzte schon lange nicht mehr, als hätten die Regenströme die Feuerschlangen ausgelöscht.

Und Peter dämmerte ein in einen zornigen Halbschlaf.

Da – eine zuckende Glut – ein wilder Stoß fauchender Flammen wirft sich herein – zugleich ein taumelnder Schlag, ein berstender, platzender, brechender Schwall von Dröhnen, Knallen, Knattern und Krachen – und noch mehr Flammen, wie hereingejagt von der tosenden Wucht des Schalles.

Das Haus bäumt sich und duckt sich und heult wie ein blutig geschlagenes Tier – 163

Und Peter fährt auf in jauchzendem Schreck –

Da fliegt eine weiße Gestalt auf ihn zu und schmiegt sich auf seinen Schoß, und zwei Arme umklammern ihn in drängender Herzensnot.

Es ist Ellen – längst ist es wieder finster geworden – hat sie ihn geahnt, daß sie ihn gleich findet auf ihrer Flucht?

»Ohm – Ohm – wie furchtbar ist das –«

Und sie drängt und schmiegt sich, als möchte sie in ihn sich bergen –

Da zuckt er zusammen, wilder als von dem Blitz, und will sie von sich stoßen –

Aber wie seine Hände fühlen, daß ihre Glieder davon erstarren, zieht er das Kind wieder an sich mit väterlicher Sorge, steht dann auf und trägt sie auf den Armen zum Sofa, wo er sie niederlegt.

»Es hat uns ja nichts getan,« tröstete er sie. »Und es bleibt bei dem einen Schlag.«

Er machte Licht. Sie kauerte sich immer noch zitternd in ihr Nachthemd hinein. Da strich er über ihre großen, entsetzten Augen. »Das Wetter ist vorüber.« Ein Donner verrollte in die Ferne. »Hör! Auch der Regen hat nachgelassen. Man sieht schon wieder Sterne. Und jetzt leg dich wieder hin.« 164

Sie stand gehorsam auf, er brachte sie bis zu ihrem Zimmer, sagte ihr gute Nacht und zog die Tür ins Schloß.

Dann setzte er sich. Seine Augen blieben auf die Tür gewandt in verdämmernden Gedanken, die mit Wolken spielten und deren Gestalten in Nebel sich verzogen, sobald eine Form sie umfangen wollte.

Und es war eine Bangigkeit über ihn gekommen.

Jetzt, wo das Wetter sich entladen hatte, war er doch nicht frei, nicht klar und nicht stark.

Wie sollte er sich lösen?

So saß er eine lange, lange Zeit.

Da ließen seine Augen von der Tür und gingen zu seinem Cello.

Lautlos war die Nacht geworden, die Wolken waren gesunken, der Mond hob sich in den Sternenhimmel.

Im Hause rührte sich nichts, die Kleine schlief sicherlich schon wieder ihren tiefen Kinderschlaf.

Er löschte die Lampe, deren Wachsamkeit die Ruhe störte, und holte das Cello hervor.

Und er spielte all seine Bangigkeit. Und er spielte all, was an Sehnsucht nach Einsamkeit in ihm war.

Erst war es ein leises Schweben auf weichen Schwingen, dann ward es der inbrünstige Flug rauschender Fittiche. 165

Er hörte nicht, daß die Tür sich öffnete, auf der seine nebelnden Blicke so lange geruht hatten. Er hörte nicht, wie Ellen, von seinen Tönen gezogen, ihm näher schritt.

Erst als sie in das Mondlicht trat, gewahrte er sie. Da stieß er einen Schrei aus, sprang auf und ließ das Cello fallen.

Sie aber brach schluchzend zusammen und kniete vor ihm, ihr loses Haar flutete ihr über das Gesicht und über die Hände, die die Augen deckten. So lag sie in dem Schein wie eine Büßerin.

Ohm Peter stand ruhig. Dann fragte er leise und fest: »Worüber weinst du?«

»Ich muß weinen. Ueber dein Spiel muß ich weinen.«

»Was heißt das, Ellen?«

»Das ist, als ob ich fort soll – als ob ich Abschied nehmen muß – als ob du mich hier nicht mehr haben willst – –«

»Ellen!« Er atmete tief in solcher Offenbarung, er nahm ihre Hände und zog sie in die Höhe.

»Du fortgehen! Bist du nicht mein Ellenkind?«

»Ja – ja!«

Er küßte sie auf die Stirn. »Und jetzt wünsche ich, daß du endlich schläfst!« 166

 


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