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50.

Nach dreistündiger Fahrt bergauf, bergab, durch herbstelnde Wälder, die sich rot-gelb färbten, an Wiesenhängen vorbei, über die ein violetter Teppich von Herbstzeitlosen gebreitet war, erreichte Marianne endlich Schloß Hartenthurn.

Eine elende, scharfe Serpentine, die von Ebereschen eingesäumt war, führte zum alten Herrensitz empor.

Marianne nahm die Straße mit einem kühnen Anlauf und hielt – vor dem Stammhaus ihres Vaters.

Ein alter Hausverwalter und seine verhutzelte Frau stürzten heraus und begrüßten sie, überströmend vor Herzlichkeit und gerührten Worten. Lakaienhafte Handküsse fielen auf ihre Hände.

Die Alten hatten noch den Baron Franz gekannt und waren von einem späteren Besitzer als alte Hausmöbel übernommen worden.

Mit ihnen zusammen strich sie durchs Haus, vom Boden zum Keller, durch ausgeräumte Säle und verwahrloste Zimmer.

Ein Turmgemach und ein davorliegender Raum, die beide nach Süden gingen, wurden zum Wohnraum und Schlafzimmer bestimmt und aus den vorhandenen Beständen möglichst wohnlich eingerichtet.

Die schadhaften Wände wurden mit Bildern von Großeltern und Urgroßeltern verhängt. Der Ofen war, Gott sei Dank, in Ordnung, und halbwegs trockenes Holz war genug im Arkadengang des Ehrenhofes aufgeschichtet.

Die beiden Alten waren selig, erzählen zu können, und Marianne war unersättlich im Zuhören.

Eine neue, alte Welt tat sich vor ihr auf.

Wieder erstand die Figur ihres Vaters und seines schönen, leichtsinnigen Bruders Cary, der eigentlich die Ursache des Verfalles der Familie gewesen war. Seiner Schulden wegen hatte das alte Schloß verkauft werden müssen. Im Duell, einer schönen Dame vom Theater wegen, war er dann gefallen.

Vom alten Hausverwalter lernte Marianne mit dem Gewehr umgehen und das Wild, das es überreichlich gab, beschleichen, seine Fährten und Gewohnheiten kennen.

Und so zog sie halbe Tage, von Wolferl, dem zottigen Haushund, begleitet, der sich rasch an sie gewöhnt hatte, einsam umher über die schmalen Jägerpfade, durch die dichten Laubwälder des Tales und über die Höhen, wo nur mehr Tannen waren, über Schläge, wo es von roten Beeren glühte, und geriet schließlich ganz hinauf zu den Wandeln und Felsen des obersten Kammes, der das Tal nach Norden abschloß.

Dieses Herumstrolchen machte ihr unendlich viel Freude. Müde und hungrig kam sie zurück, aß das derbe Essen, das ihr die alte Verwalterin kochte, lag auf dem Diwan in ihrem Turmzimmer, paffte ihre Zigaretten, eine nach der anderen entzündend, bis ein blauer Dunst die alten Mauern erfüllte, und schlürfte heißen Tee mit Punschessenz.

Lag so und grübelte. Liebte den Toten und haßte den Lebendigen.

Aber wo war der Punkt, wo sie ihn packen konnte, um ihn zu vernichten. Er war schlau – also mußte sie schlauer sein! Er war stark – also mußte sie stärker sein.

Gleichförmig und still rannen die Tage.

Die Nebel zogen tiefer. Manchmal gab's einen leichten Rauhreif. Immer später wurde es Tag und immer früher Abend.

Marianne hatte die Welt da draußen wieder einmal fast vergessen.

 

Wie gewöhnlich war sie eines Tages hinausgezogen und planlos emporgestiegen. Hoch oben über einem Schlag, am Rande des Waldes, saß sie auf einem Baumstumpf, halb verdeckt vom wuchernden Niederholz, in ihrem braun-grünen Gewand von ihrer Umgebung fast nicht zu unterscheiden.

Da sah sie, wie tief unter ihr an der steilen Böschung etwas Braungelbes herumkrabbelte. Was war das doch für ein sonderbares Tier, das sich da drunten abplackte, in die Höhe zu kommen, und auf dem glitschigen Boden immer wieder zurückrutschte. Es war direkt komisch anzusehen, wie es da auf allen Vieren sich bemühte.

Neugierig hob sie den Zeiß-Stecher an die Augen und erkannte Kalmar, in einer braungelben Lederjacke, der offenbar überraschend gekommen war, um sie zu besuchen.

Und den hatte sie für ein Tier gehalten – für einen Bock oder so etwas ähnliches ...

Plötzlich schoß es in ihr siedend heiß auf: Wer kann mir etwas beweisen? Wer kann mich beschuldigen, wenn ich das da unten wirklich für ein Tier halte und für keinen Menschen?

Man wird von einer unglückseligen Verwechslung sprechen – aber beschuldigen kann mich niemand.

Jetzt ist er in meine Hand gegeben!

Und sie erhob zielend das Gewehr und visierte.

Jetzt hat sie ihn am Korn.

Ganz reglos stand er ... Er sah offenbar nach ihr aus ...

Ein bißchen tiefer angelegt ... nur um Haaresbreite ... denn das Gewehr verriß gerne nach oben ... dann wird es sozusagen sogar ein Blattschuß ... und Kalmar ist gewesen ... und Leos Tod ist gerächt und gesühnt an seinem Mörder ...

Aber plötzlich läßt sie das Gewehr sinken – sie denkt an Olga ... sie denkt an sich ... aber auch an Kalmar ...

»Nein, nein, lieber Freund! So leicht und angenehm wollen wir es dir doch nicht machen. Leiden sollst du! Leiden durch mich! Dann erst bist du reif für das Letzte ...«

Und sie sichert den Hahn und versorgt das Gewehr und wendet sich abwärts, um den Gatten zu begrüßen.

Mit all der Liebenswürdigkeit, die sie sich nur abringen kann, will sie ihm entgegentreten; denn er muß eingewiegt werden in Sicherheit und muß sich als Sieger fühlen, der sie mit seinem Geschenk gekauft und ihr die Kraft des Hasses genommen, bis der Augenblick kommt, der ihn niederwirft. Und sie bricht auf mit wilden Sätzen und mit kühnen Sprüngen nach abwärts, ihm entgegen ...

»Ja, Ernö, du? Ist das aber eine Überraschung ...«

Ihr Ton klingt ganz harmlos und echt – fast ehrlich.

»Ich habe mir erlaubt, dich aufzusuchen ... ich wollte wissen, wie es dir geht, da man gar nichts von dir hört und sieht ... Und da ich gerade in Triest zu tun habe, dachte ich, machst du einen Abstecher und siehst nach, wie es der Schloßherrin geht und was sie treibt ...«

»Sehr lieb von dir ... Es ist mir gut gegangen bisher ... Und dir auch?«

Sie fragt es mit einem leichten, unmerklichen Lauern.

»Ich danke – ich kann nicht klagen.«

Sie merkt, daß er die Absicht hat auszuweichen. Aber schon setzt er fort:

»Vor allem freut es mich, von dir Gutes zu hören; du scheinst dich in dieser alten Bude ja sehr wohl zu fühlen, da du keine Miene machst heimzukommen.«

»Allerdings. Du hast mir mit unserem ehemaligen Besitz eine große Freude bereitet.«

Ein wenig widerwillig gesteht sie dies.

»Das war ja meine Absicht ... Du wirst noch merken, wie lieb ich dich habe ...«

»O, davon bin ich überzeugt.«

»Nun also – das freut mich wirklich ...«, und er merkt nicht, wie ihn Marianne verhöhnt. Und er wiederholt:

»Nun also ... dann darf ich ja hoffen, daß zwischen uns alles recht bald in Ordnung kommt.«

»Das hoffe ich auch.«

»Ich habe nicht erwartet, dich in so gnädiger Laune zu treffen. Aber da du es nun einmal bist, darf ich dir ein Geständnis machen ...«

»Es wird mich interessieren ...«

»Ich habe einen Gast mit ... aber du brauchst nicht zu fürchten, daß er dich belästigt und lange bleibt. Er fährt in seinem Auto ebenfalls nach Triest weiter, wo wir beide zu tun haben.«

»Wer ist es?«

»Wiesel!«

»Wiesel?«

»Ja, mein Kind!«

»Seit wann bist du mit ihm so intim?«

»Wir stehen jetzt wieder in regerer Geschäftsverbindung.«

Durch Mariannens Gehirn zuckte es wie ein Blitz.

Grell zeigte sich ihr eine Situation und ein Weg.

Ihre Phantasie greift zurück. Damals ... ja, im dunklen Auto ...

Sie spürt die Blicke Wiesels. Gierig sind sie auf sie gerichtet. Seine Hände fühlt sie auf ihrem Arm liegen ... Und später immer wieder, wenn er sie getroffen, glühten seine Augen auf sie nieder – heiß und verzehrend ...

Warum hatte sie nicht an Wiesel gedacht? Wiesel ist der Mann, der ihr helfen kann und den sie braucht ...

Sekundenlang ist sie geistesabwesend ... aber schon kehrt sie zur Gegenwart zurück ...

»Würde es dich sehr stören, wenn er über Mittag bei uns bliebe ... Du würdest mir einen großen Gefallen erweisen. Es sähe nicht gut aus, wenn man ihn nicht einladen würde, freilich nur dann, wenn du nichts dagegen hast ...«

»Aber natürlich! Er soll nur bleiben!«

Marianne sagte es mit seltsamer Heiterkeit.

»Aber er wird sich eben mit dem begnügen – und du auch, was meine alte Verwalterin euch bieten kann. Auf so vornehmen Besuch sind wir hier oben nicht eingerichtet. Verwöhnte Gäste kommen bei uns nicht auf ihre Rechnung.«

»O, was das anbelangt«, meint Kalmar, auf den leichten Ton Mariannens höchst vergnügt eingehend:

»Wir haben allerhand gute Sachen auf alle Fälle im Auto mitgebracht. Zum Essen und zum Trinken auch ...«

Sie sind beide zum Schloß hinuntergekommen.

Wiesel sitzt im Autopelz vor dem Schlosse auf einer Bank und raucht.

Er springt auf, als er Marianne sieht, und eilt ihr grüßend entgegen.

Und wieder verschleiert sich sein Auge, als er sie in ihrer strahlenden, wilden Schönheit sieht.

Marianne merkt die Wirkung und ist zufrieden.

Er wird direkt verlegen.

Marianne empfängt ihn mit bestickender Liebenswürdigkeit.

So ist sie noch nie mit ihm gewesen. Es wird beinahe schwül. Das hat er nicht erwartet.

Er strahlt: Nein, diese Weiber! Man weiß nie, wie man mit ihnen dran ist – womit man sie verliert und womit man sie gewinnt.

Er schöpft wieder Hoffnung, denn er ist zäh und ausdauernd. Und was er sich einmal in den Kopf gesetzt – das muß geschehen.

Je reicher er wird, desto versessener ist er auf seine Launen, desto mehr dürfen sie kosten.

Und plötzlich geht es ihm durch den Kopf: Die Sache ist nicht mehr ganz so aussichtslos ...

Ein hämischer Seitenblick trifft Kalmar.

Die Vorräte werden aus dem Auto herbeigeschleppt.

Ein üppiges Mittagsmahl wird improvisiert. St. Estephe und Haute Sauterne erwärmen das Blut und die Gemüter.

Es gibt Scampi, Ananas und kaltes Rebhuhn.

Man lacht und scherzt – man stößt an.

Der kleine Wiesel glüht wie eine Rose. Seine schwarzen Augen funkeln. Er merkt, wie Marianne direkt mit ihm kokettiert.

Kalmar merkt es auch und nimmt es als einen boshaften Spaß und übermütige Laune Mariannens. An den Ernst der Situation zu glauben, kommt ihm nicht in den Sinn ... Der kurze Gang mit Marianne vom Baumschlag bis zum Schloß hat ihn derart in Sicherheit gewiegt und ihn blind und selig gemacht, daß er sich heimlich immer wieder vorsagt: Es geht! Es geht! Ich bin über den Berg. Marianne und ich werden über kurz oder lang besser miteinander stehen als jemals. Wenn ich jetzt noch die Bank und mich über den toten Punkt wegbringe – und das wird mit Wiesels Hilfe geschehen – dann ist alles gerettet ...

Und im Jänner kommt die große Hausse – und ich schwimme wieder oben ...

Nein, diese Marianne! Wie sie den Wiesel einfach behext und einfängt! Rein als ob sie wüßte, welchen Gefallen sie mir damit im Moment erweist. Es steckt doch ein Satan in jedem Frauenzimmer ... Sie spielt ja mit dem Wiesel wie die Katz' mit der Maus ... und wie er ihr darauf hineinfällt! Der dumme Kerl ist imstande und nimmt es für ernst! Es ist doch unglaublich! Wie kann einer ein so fabelhaft gerissener Geschäftsmann sein und den Frauen gegenüber so naiv und hilflos ... Na, mir kann es recht sein, wenn er so in Laune kommt. Ich brauche ihn jetzt dringend ...

Es stellt sich heraus, daß die Zigarren im Auto geblieben sind – Kalmar eilt hinaus, sie zu holen.

Wiesel und Marianne bleiben einen Moment lang allein.

Marianne wird auf einmal todesernst.

Ihre grünen Augen funkeln ihn an:

»Gefalle ich Ihnen?«

»Ja.«

»Wollen Sie mich haben?«

»Ja.«

»Herr Präsident, merken Sie sich gut, was ich Ihnen jetzt sage: An dem Tag, an dem mein Mann ruiniert ist und am Boden liegt, gehöre ich Ihnen!«

»Ist das Ihr Ernst?«

»Hier, meine Hand!«

»Abgemacht! Er wird fertig werden.«

»Umso besser für Sie und mich.«

Kalmar kommt mit den Zigarren zurück. Und weiter geht's im alten, fröhlichen Ton. Nur manchmal wechselt ein Blick des Einverständnisses zwischen Wiesel und Marianne hin und her ...


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