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31.

Mit dem kleinen Sendlinger schreitet Kalmar seine neue Wohnung im zweiten Stock des Bankpalastes ab.

Sendlinger war während des Krieges immer hinter den Truppen und den Offizieren her. Er hatte ihnen die Beute, falls sie Kunstwert hatte, immer sofort abgenommen und bar bezahlt. Er war einer der geschicktesten Geldmacher auf diesem Gebiet.

Der Eindruck, den er von der Wohnung hat, ist glänzend.

Seidentapeten, Gobelins, echte alte Möbel, Silber, Kristall, Holländer und Italiener an den Wänden, wundervolle echte Teppiche auf gespanntem Filz. Feinste Farbenharmonie in Dunkelrot und Reseda – in zartem Gelb und zarterem Rosa. Großer Salon, kleiner Salon, Speisezimmer, Herrenzimmer, Bibliothek, Rauchzimmer. Um das teuer erkaufte Bett Napoleons eine Zimmereinrichtung der Zeit, die es wundervoll ergänzt. Edelste Bronzen der Renaissance und gotische Schnitzereien überall verstreut.

Zwischen Kalmars Zimmern und den Räumen, die für Marianne bestimmt sind, die schon im nächsten Monat seine Frau werden soll, eine glasgedeckte Galerie, die nach Süden orientiert und als Wintergarten eingerichtet ist. Zwischen dem feuchtschimmernden, grünen Laubwerk eine Venus von Canova. In mildem, gelblichem Marmor glänzt ihre zarte Schönheit.

Jenseits der Galerie die Zimmer der künftigen Hausfrau.

Ein Altwiener Salon, ein raffiniertes Schlafzimmer Louis seize, ein modernes Arbeits- und Schreibzimmer mit unerhörter Materialverschwendung an edelsten Hölzern, Ankleideräume, ein Bade- und Turnsaal, ein antikisierender Vorsaal, der sich wieder gegen die Treppe zuwendet und dessen Eingang dem zu Kalmars Wohnung gegenüberliegt.

Im Rechteck umzieht die Wohnung den Hof mit einer Gassen- und drei Hoffronten.

Die beiden inspizierenden Herren sind zufrieden! Die Wohnung kann sich sehen lassen! Heute zum ersten Male soll der Besitzer dort schlafen.

Für morgen ist ein großer Empfang angesagt. Was sich derzeit in Wien zur Gesellschaft rechnet, ist geladen, um der Eröffnung des Hauses Kalmar beizuwohnen. Heute schläft Kalmar zum erstenmal in seiner Wohnung – im Bett Napoleons.

Im kleinen Vorraum des Zimmers, das mit Portieren gegen das eigentliche Schlafzimmer abzuschließen ist, steht ein kleiner Tisch gedeckt. Dort will er Marianne erwarten, wenn sie vom Theater kommt.

Die erste Nacht im neuen Milieu müssen sie zusammen verbringen. Das hat er sich so zurechtgelegt. Erst will er ihr – ihr ganz allein, die Wohnung zeigen. Mit ihr von Zimmer zu Zimmer gehen – dann soll das kleine, intime Souper folgen. Zum Dessert hat er einen herrlichen Smaragdschmuck bereitgelegt, den soll sie morgen zum erstenmal, bei der Eröffnungsfeier des Hauses, tragen – als seine Braut, denn das soll der Clou des Abends und seine Krönung werden: die Verlobung mit Marianne Hartenthurn, Prinzessin Natascha genannt.

Die Zeit vergeht langsam.

Endlich erscheint Marianne.

Der Tanz hat sie müde gemacht. Das Kokain, das sie vor der Vorstellung genommen hat, hat seine Wirkung verloren. Sie ist apathisch und verdrossen. Außerdem – was geht sie das alles an!?

Kalmar ist fremd. Die Wohnung ist ihr gleichgültig. Sie will zurück in ihr Hotel ... Eine Sekunde noch an ihn denken, seinen Brief fühlen ... und dann schlafen ... tief, schwer, traumlos ... dem Tode näher als dem Leben ...

Kalmar führt sie – mechanisch geht sie mit, mechanisch spricht sie abgegriffene, gleichgültige Phrasen.

Er in seiner Verzücktheit und Selbstanbetung merkt es nicht einmal, wie unbeteiligt sie ist.

Endlich ist der Rundgang vorüber.

Sie sitzen einander gegenüber in den bequemen Sesseln, die sich den Körperformen raffiniert anschmiegen.

Appetitlos, wie Marianne nun einmal geworden ist, seitdem sie täglich ihre Nerven aufpeitschen muß, nascht sie kaum ein bißchen von den vorbereiteten Herrlichkeiten. Wie ein dumpfer Refrain klingt es immer wieder in ihr: fortgehen ... allein sein ... schlafen ...

Kalmar redet. Er bespiegelt sich. Sein Selbstgefühl schießt hoch auf. Wie bin ich nach Wien gekommen – wie steh' ich heute da! Es sind jetzt ... er rechnet nach ... also es sind genau zwei Jahre und acht Monate.

»Ich habe gar nicht gewußt, daß ich so ein Finanzgenie bin!« Und er streckt sich behaglich in seinem violetten Velourhausrock mit gelben eingewebten Blumen.

»Und wie ich dich gefunden habe! Armselig und verzweifelt! Und was ich aus dir gemacht habe! Du könntest Millionen verdienen – in Edelvaluta natürlich ... Aber wir haben das nicht nötig! Übermorgen wird in allen Blättern stehen: ›Die gefeierte Künstlerin verläßt den Ort ihres Triumphes, um dem Zug ihres Herzens zu folgen und einem der ersten Finanzmänner dieser Stadt ihre Hand zu reichen.‹ Weißt du übrigens, daß du viel schlanker geworden bist. Die Tanzerei nimmt dich doch her ... oder hast du vielleicht ein Mittel gebraucht? Das möchte ich mir ausgebeten haben. So wie du bist, mit dieser leichten Fülle, hast du mir immer am besten gefallen – ...«

»Und das ist die Hauptsache – nicht wahr?«

Sie sagte das so ernst, daß Kalmar nicht empfand, wie ironisch sie das meinte, sondern begeistert war.

»Siehst du, das ist so reizend von dir – dieses: Sich-anpassen-können! Das habe ich so gern. Man empfindet dich immer als einen Teil seiner eigenen Natur.«

»Wirklich? Das ist aber nett. Ein so großer Mann wie du – und ein so unbedeutendes Mädel wie ich.«

Kalmar widerspricht artig:

»Wenn man so tanzt, mit so viel Hingabe, mit so viel Ausdruck, dann ist man nicht unbedeutend. Bei den Frauen ist das anders als bei den Männern – da entscheiden andere Qualitäten ...«

Ein verlangender Blick trifft sie.

Ein nervöses Zucken läuft über ihren Körper. Ihr graut vor dem Mann.

Schon ist Kalmar aufgesprungen und hat den Vorhang zurückgerissen:

»Und hier der Clou des Ganzen! Das Bett Napoleons, das ich zu guter Letzt deinem geschickten Eingreifen verdanke. Glaubst du vielleicht, daß Napoleon nach der Schlacht von Aspern es allein benützt hat? Es ist so groß, so breit ... ich glaube fast, er wird Trost gesucht haben nach seiner ersten Niederlage ...«

Marianne erhebt sich:

»Da du aber ein Sieger bist – und keine Schlacht von Aspern verloren hast, brauchst du auch keinen Trost. Ich bin so erschöpft ... der Tanz hat mich heute so angestrengt ... du wirst verzeihen ... aber ich möchte zur Ruhe kommen ...«

Kalmar ist schwer enttäuscht.

Seine stille Siegesfeier kommt um ihren schönsten Triumph.

Überhaupt ist es ihm in der letzten Zeit aufgefallen, daß sich Marianne sehr früh zurückzieht. Aber warum tat sie es auch heute? Sie mußte doch wissen, wie sehr er sich darnach gesehnt hatte, den ersten Tag im neuen Heim gemeinsam mit ihr zu verbringen.

Ist das wirklich nur der Tanz und die physische Erschöpfung darnach? – oder ... er bekommt einen roten Kopf ... sollte er ein betrogener Liebhaber sein? Er, der Mann, der so viel für dieses Mädchen getan ... allerdings, er ist kein Knabe mehr ... nahe an vierzig ist er ... und immerhin ... seine Erotik ist schärferes Gewürz gewöhnt, als ihm dieses schöne Weib mit seiner Anständigkeit zu bieten vermag ... Nicht umsonst hat man eine Vergangenheit mit Dirnen und Liebeskünstlerinnen von Profession ... Aber er wird diese Marianne auch noch soweit bringen, das willfährige Instrument seiner Erotik zu werden. Die Erziehung ist alles!

Er muß ihr einmal etwas in den Wein geben, was sie verrückt macht. Dann wird man ja sehen ... so verrückt wie er ... wieder geworden ist – seitdem sie tanzt und das gewisse Parfüm einer eleganten Zweideutigkeit sie umwittert ...

Er ist besessen von diesem Weib ... Er fühlt ihre ganze Schönheit! Und die so lässige Schönheit, die seiner nicht achtet, macht ihn rasend! Ob sie will – oder nicht will ... er will! Und er reißt sie an sich – sie stößt ihn zurück.

»Lass' mich! Ich kann heute nicht. Ich habe dir doch gesagt, daß ich müde bin!«

Aus ihren Augen bricht ein Licht – ein feindliches Glänzen, das ihn erschreckt und ihn niederdrückt.

»Verzeih ... aber du bist so schön ... es war nur ein Moment ... ich habe nicht gewußt, was ich tu' ...«

»Grotesk, diese Jugendlichkeit in deinen Jahren – ein bißchen überholt ...«

Er beißt sich auf die Lippen, um nicht zu antworten. Und es gelingt ihm zu schweigen.

»Ich habe geglaubt, du wirst dableiben, und habe den Chauffeur weggeschickt.«

»Der Portier kann mir ja ein Taxi holen ... Übrigens ist vis-à-vis ein Standplatz ... Bitte, begleite mich hinunter und lasse mich hinaus.«

Kalmar zieht den Pelz über sein Hausgewand und läßt Marianne hinaus.

Ein kühles »Gute Nacht«.

»Ja, noch etwas! Du vergißt doch nicht morgen – abends um zehn Uhr.«

»Was ist morgen?«

»Nun, die große Gesellschaft zur Eröffnung des Hauses und unsere öffentliche Verlobung.«

»Ach richtig! Beinahe hätte ich vergessen.«

»Und zu tanzen – mir und meinen Gästen zu Ehren – hast du auch versprochen. Soll ich deine Kostüme nach der Vorstellung holen lassen?«

»Nein. Ich bringe sie schon selbst mit.«

»Na also, dann schlaf gut!«

»Du auch!«

Das Tor klappt zu, der Schlüssel knackt im Schloß.

Marianne geht über die Straße zum Auto:

»Bristol.«

Endlich wird sie allein sein ... und morgen, morgen ... nein ... heute kann sie nicht mehr denken. Sie bricht fast zusammen – so fertig ist sie. Der Portier bezahlt das Auto. Die Kammerjungfer entkleidet sie. Die Kammerjungfer wäscht sie – und dann ein starrer, bleierner Schlaf als Reaktion des Giftes, das sie zum Leben braucht ...

Kalmar kehrt in das Prunkbett zurück. Er raucht noch eine Zigarette und schwelgt im Erreichten und im Kommenden, bis er zufrieden einschläft.


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