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43.

Wenige Tage später sind die grünen Spalladen der Villa Kalmar fest geschlossen und das Haus liegt im Sommerschlaf.

Die Saison ist definitiv zu Ende. Das Fest bei Kalmar war ihr rauschendes Finale gewesen.

Wer in Wien Anspruch erhebt, eine Position zu haben, darf sich nicht mehr blicken lassen. Der neue Reichtum muß sich besonders streng an die alten Gesetze halten. Man könnte sonst am Ende gar daran zweifeln, daß er es weiß, was sich gehört, oder ob seine Mittel eine teures Seebad gestatten.

Kalmar ist plötzlich auf Deauville bei Trouville in der Normandie verfallen ...

Schon waren die Zimmer am Lido im Hotel »Excelsior« bestellt gewesen, da las er zufällig in einer Zeitung von Deauville. Es waren nur ein paar Zeilen, aber sie genügten, ihn verrückt zu machen und alle früheren Entschlüsse über den Haufen zu werfen.

Er hatte sich die kleine Notiz aus der Zeitung herausgeschnitten und, im Orient-Expreß sitzend, holt er sie aus seiner Brieftasche hervor und liest sie fast mit Andacht noch einmal durch, im Geiste alles vorwegnehmend, was ihn erwartet, und mit dem stolzen Gefühl: Bald werde ich auch inmitten dieses Wirbels auftauchen – mit einer Frau, die sich auch in Deauville sehen lassen kann.

»Der Tag in Deauville.

Deauville, das ist der große Traum für alle jene, die zur ›Welt‹ gehören wollen, der Ort der tollsten Verschwendung, der internationalsten Melange, der raffiniertesten Eleganz, wo Geld, Ruhm, Abenteuer sich mengen. Man hat pompejanische Badekabinen gebaut, um von ihnen aus ins Meer zu steigen, und alle sind vermietet. Man bedeckte den weiten Strand mit riesigen Sonnenschirmen, unter denen die Gesellschaft flirtet und medisiert, und schon fehlt es an Sonnenschirmen, fast dürfte man sagen: Es fehlt auch sogar das Meer, so dicht drängen sich die Badenden. Amerika und England begegnen sich hier in jener französischen Welt, die fest entschlossen ist, sich nicht zu langweilen. Neuer und zweifelhafter Reichtum findet hier alles wohlfeil. Zimmer zu zweihundert und dreihundert Francs, Mahlzeiten zu fünfhundert, es nimmt sich in Dollar und Pfunden so wohlfeil aus. Schneiderinnen führen ihre Modelle vor, und es wird gekauft, gekauft, gekauft! Dreißigtausend dieses Modell ... Bitte, hier ist der Scheck. Pelze, Juwelen, schöne Frauen, es ist alles da, und immer neue Bakkarat-Tische werden aufgestellt. Sehen Sie, dort sind die Dolly Sisters, die beiden blonden amerikanischen Sterne der Pariser Musikhallen, eben verliert Rosy eine halbe Million, Sie müssen sie nicht zu sehr bemitleiden, sie verdient das Geld ebenso rasch, wie sie es verliert. Und auch der Prinz von Wales wird nicht weit sein ... Nein, heute spielt er in Paris-Plage Golf. Er erscheint hier nur gelegentlich, oft genug, um den Glanz von Deauville und seiner Bekannten zu vermehren, denen Amerika bei ihrer Wiederkehr wie glückliche Botschafterinnen des Luxus und einer sehr kordialen Entente huldigen wird. Welche Wunder an Trikots und Bademänteln, wie viele Geschichten schweben um ihre schönen Trägerinnen! Dieser Dreißigjährige, der wie ein schüchterner blonder Knabe aussieht, erneuert die Traditionen seines Großvaters, jenes anderen Prinzen von Wales, der überall Mittelpunkt der Lebewelt war, um den alles schwärmte, was ins Licht der Vornehmheit drängte, ›le prince charmant‹, so umschmeichelt heute Paris und Deauville seinen Enkel. Aber die reichen Amerikaner kommen nicht an ihn heran, und die Politiker hält er, darin Eduard VII. ungleich, fern von sich. Er lebt nur seinem Vergnügen, und auch Deauville kennt kein anderes Gesetz. Hier ist der Erdenfleck, wo niemand zu rechnen scheint und jeder nur daran denkt, diese dummen, törichten Geldzettel fortzuschleudern, für die er sich sonst so müht, denen er im ganzen Jahr leidenschaftlich nachläuft. Spekulanten, Botschafter, Modezeichner, überseeische Geldraffer, keiner fragt, woher das Geld kommt, es ist da, es wird hinausgeworfen, und zudringlich, wie es manchmal ist, wird es schon wiederkommen. Und Frauen überall, Frauen aller Art, ihre Körper. Wind, Welle, Sonne und gierigen Blicken preisgebend und dann nachts in Märchentoiletten; Diademe, die unwirklich scheinen, Edelsteine, vor denen man fast erschrickt, und viel Lächeln, kleine Komödien; man ist hier nicht eifersüchtig, man verzeiht und bedarf der Verzeihung: Tout s'arrangera! Sünde und Laster klingen in dieser Luft als lächerlich pathetische Worte ins Leere, man hat gerade noch Kaprizen, schon zur Passion langt es nicht recht, man hat hier zu viel zu sehen und muß sich sehen lassen, der Tag ist übervoll mit tausend Nichtigkeiten, und das Meer wäscht täglich strahlend alles fort. Eine Welt für sich, die von der übrigen Welt alles genommen hat, ihren Schaum genießt, eine Welt, deren Geist nicht immer zur Bosheit reicht, eine Welt der emporgekommenen Frauen und Männer, die hier ihren Tag haben und ihn, den bald entschwindenden, festhalten möchten, den Tag von Deauville!«

Dann reicht er den Zeitungsausschnitt seiner Frau hinüber, die halb ausgestreckt in den Kissen liegt. Aber sie ist so gleichgültig, daß sie kaum einen flüchtigen Blick auf die Zeilen wirft.

»Ganz hübsch ... wir werden ja sehen ...«

Kalmar zieht sich gekränkt zurück ...

»Das ist alles, was du mir sagst?«

»Ich weiß ja nicht, ob der Mensch, der das schreibt, nicht übertreibt. Außerdem ist es mir höchstens zuwider, wenn es dort wirklich so toll zugeht. Ich bin genug ›Mondaine‹ gewesen den ganzen Winter ...«

»Aber bedenke doch, liebes Kind, du wirst eine Rolle spielen, wir werden Beziehungen anknüpfen mit der französischen, mit der englischen, mit der amerikanischen Hautefinance.«

»Ach so! Wir machen also eine Geschäftsreise – und ich gehe als Reklame mit ... Jetzt begreife ich allerdings dein Interesse an der Sache. Ja, warum hast du denn das nicht gleich gesagt?! Also ich soll kokettieren, Männer anlocken ... und schließlich fragen: Bitte, möchten Sie nicht mit meinem Mann in Geschäftsverbindung treten – deswegen sind wir nämlich da ...«

»So habe ich es nicht gemeint ...«

»So ist es aber! Ich habe viel gelernt!«

Eintönig rattert der Zug.

Schweigend lehnen die Gatten – jeder in seiner Ecke – verschanzt hinter Büchern, Zeitungen und feindlichen Stimmungen, die sich nicht lösen wollen und immer wieder wie bittere Quellen aufschießen ...

Man hat Zeit nachzudenken, wenn man so Stunden um Stunden fährt ...

Endlich ist man in Paris.

Das Pflaster und die Mauern glühen ...

Nur rasch wieder fort!

Die Jagd geht weiter ...

Rasch noch ein paar Toiletten! Das Neueste an schicken Badekostümen, ein paar Hüte und leichte Mäntel ... und wieder in den direkten Zug nach Deauville!

Kalmar bekommt es auf einmal mit der Angst: Werden die Manieren ausreichen? Wird es mit der Sprache gehen? Hie und da erinnert man sich – zwar ungern, aber doch – woher man stammt und daß die Kinderstube in ihrer engen Armseligkeit manches zu wünschen übrig ließ, was man später nie mehr nachholen konnte ...

Marianne, ihres Eindruckes sicher, denkt an nichts Ähnliches. Auch ist sie viel zu gleichgültig gegen die Meinungen der anderen ... Und überdies, seitdem sie Frau Doktor Heffter kennt, hat sie mit rasendem Eifer Englisch gelernt und beherrscht es so ziemlich ...

Sie bekommen zwei winzige Zimmer – allerdings im ersten Hotel.

Gäste, die kein Auto mitbringen und keine Yacht – die zählen nicht viel.

Kalmar kommt sich auf einmal mit seinem österreichischen Milliardenvermögen in Kronen äußerst armselig vor. Sein Milliardärbewußtsein hat einen argen Stoß erlitten.

Ja, das sind die Sieger der Zeit, die hier herumgehen – lächelnd, frech, selbstbewußt und mit dem Hintergrund eines Pfund- oder Dollarvermögens – es können auch Franken sein ...

Aber Kalmar ist nicht der Mann, sich lange drücken zu lassen. Neue, kühne Kombinationen warten auf ihn. Hatte er nicht Attacken auf die Krone geritten, bis sie herunter war – und dabei sein Geschäft gemacht ...

Wie wär's, wenn man dasselbe Manöver mit dem Franken durchführen würde ...

Dollar für Franken per Termin kaufen und dann den Franken herunterjagen und Dollarriesengewinste einstecken ...

Der Kopf glühte ihm von der neuen phantastischen Aussicht.

Man muß einen günstigen politischen Moment abwarten, ehe man dem Franken zu Leibe rückt. Irgendeine politische Schlappe der französischen Politik – irgendeinen unangenehmen politischen Druck vonseiten Amerikas wegen nicht gezahlter Kriegsschulden ... Er wird den richtigen Moment schon erhaschen ...

Wie ein Raubtier schleicht er lauernd umher, spekuliert und kalkuliert und wälzt Pläne im Kopf, beobachtet und prüft – lernt und imitiert Gang und Haltung einwandfreier Gesellschaftsgrößen, sieht auf Kleidung und Gesten und scheidet echte Noblesse von gespielter.

Er kommt sich vor wie ein Schüler auf der hohen Schule des Lebens ...

Noch ein oder zwei Erfolge und er wird auch in dieser Welt seinen Mann stellen können und seine Rolle spielen.

Früher oder später muß man Wien aufgeben und nach Paris oder London übersiedeln. International werden sobald als möglich! Das ist der Weg zur Höhe!

Und er ist entschlossen, ihn zu gehen, zielbewußt, ohne Erbarmen ... über Leichen, wenn es sein muß ...

Sobald er wieder zu Hause ist, wird er Sprachen lernen.

Einstweilen geht er fleißig in den Spielklub und spielt – und gewinnt.

Die großen Tanzreunionen mitzumachen, hat er Marianne noch nicht bewegen können.

Diese Männerwelt, die nur auf Kokotten eingestellt ist und mit jedem Blick fragt: Was kostet die – ist ihr innerlich zuwider. Sie hat nun einmal nicht die leichte Art, die hier am Platze ist.

Kalmar muß ihr recht geben; sie ist schwerfällig und schwerblütig. Jedes Spiel mit den Dingen liegt ihr fern. Sie muß unter allen Umständen »echt« sein können – im Großen und im Kleinen, im Bösen und im Guten.

Sogar wenn sie tanzt liegt noch ein Hauch tragischer Leidenschaft über ihr ...

»Eine herrliche Frau – aber keine bequeme ... Aber man muß sie lieben – trotz alledem«, konstatiert Kalmar mit einem kleinen Seufzer.

Marianne ist ganz zufrieden, daß Kalmar sie soviel allein läßt ... Auch daß sie keinen Badeerfolg hat, geniert sie wenig. Sie ist nicht der Typ der anderen – und die anderen sind nicht ihr Typ.

Und so liegt sie nach dem Bade, süß ermüdet von den wuchtigen Schlägen des Meeres, in ihrem Strandkorb, starrt hinaus auf die dunkelgrünen, glasigen Wellen mit den weißen Schaumkränzen, schwelgt in der Orgelmusik dieses donnernden, eintönigen Brausens, folgt den hochgetürmten Wolkenzügen und den kühnen, eleganten Flügen der Möven. Ab und zu duldet sie gähnend die Gesellschaft ihres Gatten, der ihr von seinen Nichtigkeiten spricht und sich um sie bemüht, aber ohne jeden Erfolg ...

Sie hört seine Stimme nur wie von ferne, ganz fremd und ganz gedämpft, wie aus einem schnurrenden Grammophon. Das lebendige Interesse an seiner Person fehlt, als wäre es nie vorhanden gewesen ...


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