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23.

Über die polnischen Güter der gräflichen Familie Wartenstein war der Krieg hinweggeschritten. Er hatte erbarmungslos gewütet – und eine Wüste zurückgelassen.

Das Kastell mit den schönen Gobelins und den Louis XIV.-Möbeln war in Rauch und Flammen zusammengebrochen.

Die herrliche Bibliothek französischer Klassiker, alle in blaues Leder mit Handpressung gebunden, war in einem Sumpf von Blut und Kot untergegangen.

Schließlich hatte auch noch die polnische Republik Grund und Boden enteignet – und als Staatseigentum erklärt, weil der junge Wartenstein in der österreichischen Armee gedient hatte.

So war der Familie Wartenstein nichts geblieben als wertlose Kriegsanleihe und das kleine Wiener Barock-Palais in einer stillen Seitengasse der Inneren Stadt.

Die Fassade mit den Karyatiden war herrlich – herrlich die kühn gedrehte Freitreppe mit den pompösen Laternen, die zu den Prunksälen des ersten Stockwerkes hinauf führte – herrlich die drei Säle, besonders der mittlere mit dem Deckenbild von Daniel Gran und den Türstöcken von rotem Marmor.

Aber in unheizbaren Prunksälen kann man nicht wohnen; und die eigentlichen Wohnräume waren längst ausgeplündert und vernachlässigt. Ein Militäramt, das während des Krieges hineinverlegt worden war, hatte ihnen den Rest gegeben.

Drei Zimmer im zweiten Stock waren so halbwegs wohnlich gemacht worden, dort hausten Gräfin Adrienne Wartenstein-Zamarski mit ihrer Tochter Gretl und ihrem Sohn Leo. Das bißchen Barvermögen reichte kaum zum Leben. Was an Wertobjekten im Palais gewesen war, war selbstverständlich längst verkauft, wie bei allen, die durch den Umsturz den festen Boden unter den Füßen verloren hatten ...

Gretl Wartenstein, die Tochter, war eigentlich die einzige in der Familie, welche die Lage klar erkannte und Konsequenzen zog.

Sie hatte einen Fabrikanten ausfindig gemacht, und da sie in allen Handarbeiten erfahren war und viel Geschmack hatte, sogar zwei Jahre bei Professor Roller in der Kunstgewerbeschule tätig gewesen war – vertraute ihr der Fabrikant die künstlerische Leitung einer Abteilung an.

So stand sie an der Spitze von sechzig Arbeiterinnen, die Jumpers und gestrickte Kleider aus Wolle und Seide nach ihren Entwürfen anfertigten. Auch mit Goldfäden und Goldbrokat wurden allerhand Decken und Deckchen hergestellt, die reißend Absatz fanden.

Ihr Verdienst erhielt eigentlich das Haus.

Leo, der Bruder, war als Offizier abgebaut und abgefertigt worden, lebte wie ein Heiliger und Einsiedler, brauchte fast nichts und zehrte langsam seine Abfertigung auf.

Als begeisterter Offizier und schwarz-gelb bis in die Knochen war er eingerückt – und als Friedensapostel und Defaitist zurückgekommen.

Er gehörte allerlei Bünden an, wie der Vereinigung »Neue Menschen«, dem »Kulturbund«, der »Nie wieder Krieg Gesellschaft«. Er hielt Vorträge, schrieb Gedichte und Broschüren, ging zu Versammlungen mit ethischen Zielen – aber aus dem Jockeyklub war er ausgetreten, und mit dem Frontkämpferverband und anderen Überbleibseln der Kriegszeit wollte er nichts zu tun haben.

»Ein armer – Narr«, sagte die Mutter, »den der Krieg auf dem Gewissen hat«.

Den kleinen Heiland hießen sie ihn, wohin er kam.

Er war so zart und zierlich – beinahe feminin.

Man konnte es so gar nicht recht glauben, daß er im Krieg gewesen war. Und doch hatte er sich glänzend gehalten, war in die schwierigsten Situationen gekommen und hatte sie still und unauffällig bewältigt, ohne viel Aufhebens davon zu machen. Saß oben am Monte Cristallo monatelang zwischen Felsen und Eis als Artilleriebeobachter, lebte mit seinen paar Soldaten, die ihn abgöttisch liebten, wie ein Bruder mit den andern und hatte Zeit nachzudenken.

Die alte Gräfin jammerte ununterbrochen über die entartete Zeit, über ihre verrückten Kinder, nahm beständig die ganze Welt in Anspruch und beklagte sich, daß sie vernachlässigt würde, sprach nur von sich, dachte nur an sich und kam sich höchst bemitleidenswert vor. Erzählte immer wieder von den Tagen ihres Glanzes, als sie noch Hofdame war und ein Erzherzog ihr nachstellte.

Das Geld zerrann ihr unter den Händen. Und wenn man sie darauf aufmerksam machte, wurde sie böse oder weinte ...

Der einzige Mann in der Familie war eigentlich – die Tochter. Sie sah dem Leben ins Auge, trat ihm entgegen, paßte sich den Verhältnissen an und ließ sich nicht unterkriegen.

Hübsch war sie nicht, die Gretl Wartenstein – aber ihre Augen waren schön und gut und klug und ihre Stimme warm und mütterlich.

Die Geschwister liebten einander und ertrugen die Mutter mit schweigender Geduld und der nervösen Erwartung: was wird sie denn jetzt wieder anstellen, was wir auslöffeln müssen.

Im Auftrage Ernö Kalmars hatte sich ein Agent an die Gräfin Wartenstein herangemacht. Er sollte als Strohmann versuchen, der Gräfin das Palais so billig wie möglich abzuknöpfen.

Der Agent hatte vor allem angefangen, auf die neuen Regierungserlässe zu schimpfen, auf das Schlösser-Anforderungsgesetz der Republik, das es ihr ermöglichte, Objekte, die sie haben will, für einen Pappenstiel in die Hand zu bekommen. Zuerst setzt sie einer verhaßten Aristokratin vier Proletarierfamilien in die Prunkwohnungen, läßt die Säle durch Rabitzwände abteilen und verschandeln, und, wenn alles ruiniert und entwertet ist, dann schickt die Regierung einen Architekten, der von ihr bestochen ist und das Ganze höchst gering einschätzt, tief unter dem wahren Wert. Und dann erwirbt es die Regierung zwangsweise für ein Spottgeld – und der ausgeplünderte Besitzer liegt hilflos am Pflaster.

Und wenn schon das nicht passiert – alte Häuser müssen repariert werden. Und wer kann das heute bezahlen, wenn es kein Kriegsgewinner oder Valutaschieber ist. Und repariert man nicht, so verfällt das Objekt und sinkt im Wert ... Überdies müsse natürlich die enorme Vermögensabgabe darauf intabuliert werden, wenn man nicht die Möglichkeit hatte, diese Riesensummen bar zu erlegen.

Wäre es da nicht gescheiter, die ganz alte Bude so rasch als möglich zu verkaufen – Millionen in die Hand zu bekommen und mit diesen Millionen die unerhörte Börsenkonjunktur auszunützen und ein Milliardär zu werden – so gut wie jeder Schieber und Kriegsgewinner. Warum sollen denn immer nur die anderen verdienen und nicht auch einmal eine vornehme, aber arme Dame der Gesellschaft.

Die alte Gräfin ist ganz Feuer und Flamme geworden und dem Milliardenzauber erlegen. Die letzten Skrupel sind wie weggeblasen: Ja, sie will auch verdienen.

Sie hat eine Vollmacht unterschrieben, die dem Käufer eine Provision zusichert, und ihm das Recht gegeben, das Haus bis zu einem bestimmten Termin für zweihundert Millionen zu erwerben.

Von den Beträgen, die an die Steuerbehörden von einem jeden Hausverkauf abzuführen sind, hat die Gräfin nur ungenaue Vorstellungen. Der Agent fühlt sich nicht veranlaßt, ihre Vorstellungen klarer zu gestalten – das wird sie dann schon merken. Hauptsache ist, daß er das Palais billig in die Hand bekommt.

Der Agent redet der alten Gräfin ganz nach dem Munde. Er wird ihr zuliebe sogar Monarchist. Die alte Gräfin ist förmlich verliebt in den braven Mann und vertraut sich ihm blind an.

Er ist es auch, der sie davon abhält, sich mit ihren Kindern über den Verkauf auszusprechen. Es soll eine große Überraschung werden.

Eines Tages wird sie ihnen die Millionen auf den Tisch hinzählen, sie werden sich eine hübsche, kleine, behagliche Wohnung suchen – kein so unwirtliches, altes Palais, das nur Geld frißt und nichts trägt und das erst umgebaut werden muß, um verwendet werden zu können.

Der Agent schleppt sie zum Notar. Legitimationen werden vorgewiesen, Dokumente unterfertigt, und sie ist überzeugt, ungeheuer klug und praktisch gehandelt zu haben.

Die alte Gräfin unterschreibt und verkauft für zweihundert Millionen – was achthundert wert ist.

Nachdem die Unterschrift geleistet, der Kauf perfekt ist, macht der Notar so beiläufig die Gräfin aufmerksam, was an die Steuerbehörden abzuführen ist. Die Gräfin wird beinahe ohnmächtig. Das hat sie nicht gewußt. Sie will den Verkauf rückgängig machen, aber die Unterschrift ist geleistet – der Agent besteht auf seinem Schein. Das Palais gehört ihm. Vier Wochen kann die Gräfin noch im Haus bleiben, dann muß sie hinaus – sie hat keine Rechte mehr ... Sie zerbricht in einem Wutanfall ihren Schirm am Kopf des Vermittlers, stößt wilde Drohungen aus, klappt schließlich zusammen und wankt gebrochen ab.

»Nun, haben Sie es billig erworben?« fragt Ernö Kalmar den Agenten, der sein Strohmann war.

Der Agent legt die Belege vor.

Ernö Kalmar ist zufrieden. Das war ein guter Kauf!

Er ist nobel und erhöht dem Agenten die Provision.

Noch im März soll der Umbau beginnen. Dann wird er der künftigen Bank das Haus, das ihm gehört, teuer auf das Konto stellen. Das obere Stockwerk aber wird er sich als seine Wohnung fürstlich einrichten. Wozu wäre man denn Bankpräsident!

Indessen ist die alte Gräfin Wartenstein nach Hause gekommen. Erschöpft und gebrochen ... weinend – mit den Trümmern ihres Schirmes, den sie krampfhaft festhält, in der Hand.

»Kinder, ich glaube, ich habe eine große Dummheit begangen ... aber nur ihr seid schuld daran! Man läßt eine alte, hilflose Frau wie mich nicht tagelang allein mit ihren trostlosen Gedanken und verzweifelten Anstrengungen ...«

Gretl und Leo Wartenstein ahnen Böses.

»Um Gotteswillen, Mama, was hast du denn wieder angestellt?«

»Ich habe unser Haus verkauft ...«

»Unser altes, liebes Haus ...«

»Ich glaube, der Mann hat mich infam betrogen. Aber er hat einen so netten Eindruck auf mich gemacht. Er hat eine so anständige Gesinnung entwickelt ... und so unanständig gehandelt ... wenn wir schon verkaufen, hätten wir wahrscheinlich viel mehr dafür haben können ...«

Stumm und entsetzt schweigen sich die Kinder aus.

Je länger die Gräfin spricht, um so optimistischer wird ihre Stimmung.

»Wißt ihr, Kinder, ich habe mich entschlossen, modern zu werden und der Zeit Rechnung zu tragen – ich werde spekulieren. Man kann jetzt auf der Börse enorm verdienen. Da werden wir binnen kurzer Zeit die Kleinigkeit herinnen haben, um die mich dieser gemeine Mensch beim Kauf des Hauses gebracht hat ... Man hat mir einen gewissen Ernö Kalmar genannt – der soll fabelhaft geschickt sein in solchen Dingen. Außerdem ein Mann, der mir innerlich nahesteht, er soll die monarchistische Bewegung auf das freigebigste unterstützen. Der wird sich meiner annehmen. Er wird eine notleidende Gesinnungsgenossin nicht im Elend verkümmern lassen. Hauptsache ist, daß man flüssiges Geld hat – Immobilienbesitz ist heutzutage ganz wertlos.«

»Wer hat dir denn das wieder eingeprägt?«

»Mir redet man nichts ein ... Ich habe mein eigenes Urteil ... Übrigens habe ich heute noch eine Bridgepartie ...«, und schon rauschte sie völlig getröstet hinaus.

Die Geschwister blieben zurück. Sie weinten nicht, sie tobten nicht, nur tottraurig waren sie ...

»Wir, liebe Gretl, wir werden die Mama nicht mehr ändern.«


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