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22.

Die Blätter überbieten sich und singen Hymnen der Begeisterung.

Natascha erfährt Dinge, die sie nie von sich gewußt hat. Bin ich das wirklich – oder komme ich nur den anderen so vor?

Der tägliche Mittagstisch bringt ihr eine solenne Huldigung.

Ernö Kalmar strahlt.

Die übrigen Gäste werden aufmerksam. Man hat schon gehört von der Sensation bei Ronacher.

Immer neue Zeitungen werden gebracht.

Telephonische Anrufe, zeilenschindende Reporter und Interviewer schicken ihre Karten und warten im Foyer.

Der Schwindel mit der russischen Prinzessin muß aufrecht erhalten werden – es gehört zum Geschäft.

Von Ekel erfaßt, spielte Marianne ihre Rolle weiter und erscheint im Vorsaal bei den Wartenden und plaudert herunter, was ihr Herr Lauterbusch längst einstudiert hat.

Sie unterschreibt Ansichtskarten mit »Natascha« und lächelt bezaubernd.

Mechanisch und ganz unpersönlich erledigt sie alle diese Dinge. Sie hat überhaupt keine Empfindung und denkt nur immer wieder: Bin ich das wirklich? Ich, Baronesse Hartenthurn? Unwillkürlich wirft sie einen prüfenden Blick in einen der großen Wandspiegel, die in die Marmorwände des Hotelfoyers eingelassen sind.

Und nun weiß sie auch, daß sie nicht mehr in die kleine, armselige Elternwohnung zurückkehren kann. Den Schreibtisch und die paar Bilder läßt sie sich ins Hotel bringen – auch die schwere, mit Schaffell gefütterte Kamelhaardecke. Die übrigen Sachen läßt sie zum Spediteur stellen.

Kalmar spricht bereits davon, daß er einem Agenten den Auftrag gegeben hat, ein kleines Palais ausfindig zu machen: »Daß wir ein Heim haben, wenn wir demnächst heiraten«, fügt er erläuternd hinzu.

Auf einmal spricht er vom Heiraten – denkt Marianne spöttisch und überhört seine Äußerung geflissentlich und nonchalant.

Gedichte, Blumen und Bettelbriefe kommen in Stößen. Es regnet Einladungen. Marianne aber lehnt alles ab. Sie hat keine Lust, mit Menschen beisammen zu sein.

Kalmar schilt sie töricht und unpraktisch. Eine Künstlerin muß sich zeigen, muß Anhänger sammeln, muß auch in der Gesellschaft eine Rolle spielen ... Und welche Beziehungen man da anknüpft mit Menschen, die einem unendlich wertvoll werden können!

»Ich will ja keine Geschäfte machen«, ist die bissige Antwort. »Abends kann mich jeder sehen, der mich sehen will und seinen Platz bezahlt. Tagsüber gehöre ich mir und keinem sonst.«

Das Theater ist jeden Tag ausverkauft – Wochen hinaus ist kein Sitz zu bekommen.

Das schiebende Wien hat nur zwei Gesprächsthemen: das Valutageschäft und Natascha, die russische Tänzerin.

Aus dem Bankhaus Wiesel ist Ernö Kalmar längst ausgeschieden. Wenn es auch nur eine Scheinstellung war, die sich für den Anfang ganz nützlich erwiesen hat, so ist er doch längst darüber hinaus.

Er gedenkt das Palais Wartenstein für eine Bank zu erwerben, die er soeben im Begriffe ist zu gründen. In die Prunkräume soll die Bank verlegt werden. Im zweiten Stock will er seine Wohnung mit Marianne haben. Seit Marianne so gefeiert wird, ist aus seiner Eitelkeit wieder seine Liebe emporgewachsen.

Jeden Abend sitzt er in der Proszeniumsloge, bewundert Marianne – und zeigt sich. Es tut ihm wohl zu hören, wenn die Leute sagen: »Das ist der Freund der Prinzessin Natascha.«

Es tut ihm wohl, wenn er diesen ganzen Rausch der Begehrlichkeit, den seine Freundin allen Männern einflößt, beobachten und belauern kann.

Das sinnliche Feuer, das in den anderen erwacht, schürt auch ihn. Und welcher wundervolle Gedanke: Ihr alle, alle begehrt sie – und ich bin der Mann, der einzige, der sie besitzt. Immer wieder muß er sein heimliches Minderwertigkeitsgefühl aufpeitschen: Mir gehört dieses Weib, mir, dem Kalmar, der ...

Und er war bis heute wirklich der Einzige – denn alles Feuer, das in Marianne brannte, erschöpft sich im Künstlerischen und fürs Leben blieb eigentlich nicht viel mehr übrig als ein bißchen Seele und Sehnsucht, zu Kalmars Enttäuschung, der eigentlich mehr als je ein Bild ohne Gnade in den Armen hielt, das ganz passiv von ihm alles erwartete.


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