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7.

Die kleine Barschaft Mariannens schmolz rapid zusammen.

Sie hielt Umschau, was man vielleicht noch verwerten könnte. Der Barockschreibtisch und der Ring mit dem Familienwappen erwiesen sich als die einzigen Gegenstände, die noch in Betracht kamen.

Aber was dann? Was dann, wenn auch die aufgegessen waren?

Vielleicht wäre beim Film etwas zu machen? Oder in einem Theater als Statistin, wenn es schon mit dem Singen nicht geht. Aber wer verhilft einem dazu. An wen wendet man sich? Sie war ja so rasend ungeschickt und weltfremd und schwerfällig auch. Sie mußte immer von irgendeiner Seite einen Stoß bekommen, dann ging es eine Weile weiter in derselben Richtung. Aber sich selbst einen Weg zu bahnen, fühlte sie sich gänzlich ungeeignet.

Es müßte einer kommen – und ihr Leben in die Hand nehmen – gewissermaßen als Verwalter, und ihr sagen: das mache, und das lasse – und das ist klug und das ist dumm. Aber wo findet man so ohneweiters einen Annehmer, der nicht gleich mehr verlangt, als man geben kann und will.

Mit brennendem Schädel, die Hände an die hämmernden Schläfen gepreßt, hockte Marianne auf dem alten Feldbett.

Während sie so da saß und ihre Sorgen zu Riesengröße anwuchsen, schlug draußen die Glocke grell und unbarmherzig an – und ließ sie erschrocken emporfahren.

Marianne ging hinaus, um nachzusehen.

Ein fremder Mann stand vor der Türe.

»Sie wünschen?«

»Wohnt hier die Familie des Baron Hartenthurn, der vor vier Wochen verstorben ist?«

»Allerdings. Was wünschen Sie von seiner Familie?«

»Ich interessiere mich für alte Möbel und Kunstgegenstände. Auch für Familienschmuck, und möchte fragen, ob die Familie vielleicht geneigt wäre, das eine oder andere Stück abzugeben.«

Marianne musterte den Mann. Er war nicht mehr ganz jung. Sah nicht uninteressant aus, machte soweit einen ganz anständigen Eindruck. An den Schläfen war er schon ein bißchen ergraut. Die Augen waren groß und dunkel und von einem gewissen unruhigen Glanz. Die Nase scharf und kühn und energisch gebogen. Die Zähne auffallend weiß und stark.

»Ich glaube nicht, daß etwas da ist – außer ...«, sie zögerte und dachte an den Ring.

»Vielleicht gestatten mir Baronesse, selbst nachzusehen. Unsereins versteht vielleicht besser, was der Markt gerade braucht. Es kommt so vieles zur Auktion aus Privat- und Adelsbesitz. Sie können meiner absoluten Diskretion sicher sein.«

Marianne entschloß sich, den Mann doch eintreten zu lassen.

»Bitte, überzeugen Sie sich«, und sie ließ ihn über die Schwelle.

»Wenn Baronesse gestatten – mein Name ist Kalmar Ernö – hier meine Karte.«

Kopfnickend nahm Marianne die Vorstellung zur Kenntnis.

Es war nicht viel zu entdecken in der ehemaligen Junggesellenwohnung Baron Hartenthurns, die während des Krieges das Heim seiner Frau und Tochter geworden war.

Im großen Zimmer war überhaupt nichts zu finden als Gebrauchsmöbel.

Im Kabinett allerdings stand der tadellose, alte Schreibkasten, hing ein Kriehuber-Porträt, sonst wirkte auch dieser Raum höchst »ärarisch« und kahl mit dem Säbel und der goldenen Feldbinde des Generals über dem Bett und den militärischen Gruppenbildern an den Wänden.

Eine hübsche Empire-Uhr war noch halbwegs der Beachtung wert.

Die Ausbeute war unbefriedigend.

Hier hat schon ein anderer alles Bessere weggeschleppt, kombinierte Kalmar, hier komme ich zu spät.

»Der Schreibtisch, die Uhr, eventuell das Bild kämen in Betracht. Viel ist nicht herauszuholen aus diesen Sachen.«

»Ich habe es Ihnen doch gesagt, nur dieser Ring wäre vielleicht noch ...«

»Allerdings.«

Marianne reichte ihm den Ring hinüber.

»Gutes Gold. Massiv ... Wollen ihn Baronesse vielleicht verkaufen?«

»Ich möchte es mir noch überlegen.«

»Wie es Baronesse beliebt, ich dränge nie.«

Zum ersten Male sah Ernö Kalmar der Baronesse voll ins Gesicht.

Schönes Geschöpf. Ein Prachtweib eigentlich. Dann wieder ganz Geschäft.

»Vielleicht lassen es mich Baronesse gelegentlich wissen. Ich komme gern, wenn Sie mich verständigen. Sie können jeden Moment den Betrag dafür haben.«

Nochmals wog er den Ring in seiner Hand.

»Ich schätze auf dreißig Gramm. Die alte Arbeit dazu – also ungefähr sechstausend Kronen.«

Und schon wollte sich Ernö Kalmar empfehlen – da fiel ihm etwas auf. Dieser Raum, in dem er gerade stand, kam ihm so unbewohnt vor. Die junge Dame schien im Kabinett zu hausen.

Er entschloß sich zu fragen.

»Wenn Sie nicht ungehalten sind, darf ich mich erkundigen, wer alles in dieser Wohnung lebt? Der Herr Papa ist doch gestorben.«

»Ich lebe allein – seit einigen Tagen. Mein Dienstmädchen ist zu ihren Verwandten gefahren – dort im ›Siegerstaat‹ wird es ihr besser gehen ...«; ein wenig bitter hatte es geklungen.

Diskret überglitt Ernö Kalmar diesen wehen Unterton.

»Und dieses schöne, große Zimmer, könnten Sie sich nicht entschließen, es vielleicht zu vermieten – bei der Wohnungsnot? Sie könnten eine Menge Geld dafür bekommen.«

Marianne überlegte. Da zeigte sich ein kleiner Ausweg aus ihrer bedrängten Situation.

»Oh ja. Ich würde schon. Wenn ich nur wüßte ... allerdings, mein Mädchen ist weg ... es müßte wohl die Hausbesorgerin die Bedienung übernehmen ... ich habe so gar keine Ahnung von all diesen Dingen ... wie ich einen einwandfreien Menschen finden soll.«

»Und wenn ich selbst Reflektant wäre ... Ich suche nämlich ein Zimmer – und dieses gefällt mir, und die Nähe der Stadt ist günstig für meine Geschäfte.«

»Sie selbst?«

Marianne prüfte ihn musternd und mißtrauisch.

»Ich glaube ... ich meine ... sind Sie vielleicht nicht doch zu jung ... ich bin allein ... die Leute werden darüber reden ...«

»Ich bin bald vierzig und ein ernster Mensch. Und was die Leute reden – wer fragt denn da heute noch. Sie werden gar keine Mühseligkeiten mit mir haben, von mir nichts hören und sehen. Ich komme spät nach Hause und gehe früh weg.«

Noch immer zögerte Marianne, obwohl sie begriff, daß ihr diese Einnahmequelle über die nächste Zeit helfen könnte.

Ernö Kalmar sah ihr Schwanken und kannte den Zauber des Geldes.

»Hier sind tausend Kronen für drei Monate. Ich zahle sie im voraus und die Angelegenheit ist in Ordnung.«

Je mehr er darüber nachdachte, um so passender fand er dieses Zimmer für seine derzeitige Lebensführung. Er mußte es haben.

Marianne gab nach – wie immer, wenn sie einen beharrlichen Willen fühlte.

»Ich ziehe noch heute ein.«

»Ja, aber das Zimmer muß erst in Ordnung gebracht und hergerichtet werden.«

»Das kann auch dann geschehen, wenn ich schon da wohne. Ich bringe meine Sachen per Auto selbst.

Mariannens Einspruch war erstickt.

So wurde Ernö Kalmar Zimmerherr bei Marianne Baronesse Hartenthurn.


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