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28.

Der Verkauf des Hauses hatte auf die Familie Wartenstein vollkommen zerstörend gewirkt. Die Notwendigkeit, anderswo Unterkunft finden zu müssen, stand als drohendes Schicksal vor den drei Menschen.

Die alte Gräfin, die ihr Haus so sinnlos verschleudert hatte, war wie verwandelt. Auf einmal hatte sie es mit der Angst bekommen. Sie wurde geizig und kleinlich. Wie so viele quälte sie der Wahn: sie müsse verhungern. Von jetzt ab gönnte sie sich nicht einen Bissen – und auch den andern nicht. Sie saß ängstlich auf ihrem bißchen Geld. Ein tiefes Mißtrauen gegen alles, was Geldverwertung, Geldinstitut oder so ähnlich hieß, war in ihr erwacht. Sie verwahrte ihr Geld zu Hause und wagte nicht, irgendjemand seine Verwaltung anzuvertrauen. Auch in der Kleidung begann sie sich zu vernachlässigen und bekam jedesmal Wutanfälle über ihre Kinder, wenn sie die Überzeugung hatte, daß Gretl oder Leo irgendetwas Besseres oder gar Neues am Leibe hatten.

Sie sprach von den Menschen nur mehr als von Lumpen, Gaunern und Betrügern. Auf der Straße attackierte sie fremde Leute und schrie ihnen ihre Meinung ins Gesicht.

Leo und Gretl atmeten förmlich auf, als ihnen die Mutter eines Tages erklärte, sie bleibe nicht länger in Wien, in dieser Stadt der Schieber und Hochstapler. Sie ziehe in die Provinz, nach Graz, dort gäbe es noch anständige Menschen.

Die Kinder machten nicht viel Mühe, sie zu halten, denn sie war eine ständige Quelle von Verlegenheiten und Aufregung geworden. Und so schieden sie ziemlich frostig.

Obwohl Leo und Gretl ein unbestrittenes Recht hatten, die kleine Wohnung in ihrem alten Palais noch eine Zeitlang zu benützen, machten sie davon keinen Gebrauch, nachdem der Haushalt durch die Abreise der Mutter ohnedies seinen Halt verloren hatte.

Gretl fand Unterkunft bei der Familie einer Arbeitskollegin aus der Jumperfabrik, die ein Zimmer zu vermieten hatte.

Leo zog in ein verhältnismäßig billiges Vorstadthotel, das vom Mietamt gezwungen worden war, Zimmer an Jahresparteien abzugeben.

So stand das ganze Haus dem neuen Besitzer Ernö Kalmar – oder vielmehr seiner Bank – zur uneingeschränkten Verfügung.

Eine Schar von Professionisten unter der Leitung eines Architekten arbeitete Tag und Nacht, die Bankräume und die Wohnung des Präsidenten Kalmar instandzusetzen.


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